Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 01.09.2003

LSG Nsb: unfallfolgen, erwerbsfähigkeit, gutachter, niedersachsen, wurzel, befund, beratung, form, arbeitsunfall, entschädigung

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschluss vom 01.09.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Stade S 7 U 35/00
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 6 U 488/02
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 8. Oktober 2002 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Streitig ist Verletztenrente.
Die 1943 geborene Klägerin verletzte sich am 11. Dezember 1997 auf dem Weg zur Arbeit das rechte obere
Sprunggelenk und die linke Fußwurzel, als sie auf der Außentreppe ihres Wohngebäudes stürzte und mit beiden
Füßen umknickte (s. im Einzelnen den Durchgangsarztbericht vom selben Tag und den Zwischenbericht vom 12.
Januar 1998). Im Rentengutachten vom 10. September 1998 ist festgehalten, dass die Fraktur des rechten oberen
Sprunggelenks nach operativer Versorgung knöchern anatomisch ausheilte. Auch die konservativ behandelte
Distorsion der linken Fußwurzel mit Bandausriss sei ausgeheilt. Folgenlos ausgeheilt sei des Weiteren eine Anfang
des Jahres 1998 aufgetretene Thrombose des rechten Unterschenkels (s. hierzu auch die Zwischenberichte vom 4.
und 12. Februar 1998). Es bestanden noch Belastungsschmerzen mit einem Unsicherheitsgefühl des rechten Fußes
beim Gehen und im Bereich des linken Fußrückens nach längeren Gehstrecken. Das Gangbild der Klägerin war
unauffällig. Die Beweglichkeit der Sprunggelenke war im Wesentlichen regelrecht. Die Gutachter schätzten die
Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) durch die Unfallfolgen bis zum Tag der Untersuchung auf 30, danach bis zum
Ablauf des ersten Jahres nach dem Unfall auf 20 und ab 12. Dezember 1998 auf 10 vom Hundert (vH). Auf der
Grundlage dieses Gutachtens stellte die Beklagte mit Bescheid vom 28. Januar 1999 die Unfallfolgen fest und zahlte
der Klägerin bis zum 11. Dezember 1998 Verletztenrente. Den Widerspruch wies sie nach Einholung der ergänzenden
Stellungnahme der Gutachter vom 2. August 1999 und des chirurgischen Gutachtens des Dr. C. vom 9. November
1999 zurück (Widerspruchsbescheid vom 8. Februar 2000).
Auf die noch im selben Monat erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Stade zunächst das orthopädische
Gutachten des Dr. D. vom 10. Juni 2000 eingeholt, in dem der Sachverständige die MdE auf 20 vH geschätzt hat.
Dagegen hat die Beklagte das weitere Gutachten des Dr. C. vom 1. August 2000 vorgelegt, zu dem der
Sachverständige erwidert hat. In der ergänzenden Stellungnahme vom 25. September 2000 hat Dr. D. an seiner
Schätzung unter Berücksichtigung der von der Klägerin angegebenen Schmerzen festgehalten. Anschließend hat das
SG auf Antrag der Klägerin das orthopädische Gutachten des Prof. Dr. E. vom 21. Mai 2002 eingeholt. Auch dieser
Sachverständige hat die MdE mit 20 vH bewertet. Das SG hat die Klage durch Urteil vom 8. Oktober 2002
abgewiesen: Die Schätzung der MdE durch die Sachverständigen entspreche nicht den allgemein anerkannten
Bewertungsgrundsätzen der gesetzlichen Unfallversicherung (UV). Zwar treffe es zu, dass bei der Beurteilung der
MdE auch Schmerzen zu berücksichtigen seien. Nur bei ihrer Berücksichtigung könne hier ein Grad der MdE um 10
vH erreicht werden. Ein darüber hinausgehender Wert komme unter keinen Umständen infrage.
Gegen das ihr am 25. Oktober 2002 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 14. November 2002 Berufung eingelegt.
Unter Hinweis auf die Ausführungen der Sachverständigen hält sie an ihrem Begehren fest und beantragt sinngemäß,
1. das Urteil des SG Stade vom 8. Oktober 2002 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 28. Januar 1999
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Februar 2000 zu ändern,
2. die Beklagte zu verurteilen, ihr über den 11. Dezember 1998 hinaus Verletztenrente in Höhe von 20 vH der Vollrente
zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Stade vom 8. Oktober 2002 zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat die Beteiligten durch Verfügung des Berichterstatters vom 24. Juni 2003 darauf hingewiesen, dass er
beabsichtige, die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen. Eine mündliche Verhandlung halte er nicht für
erforderlich. Den Beteiligten ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.
Dem Senat haben neben den Prozessakten die Unfallakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der
Beratung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf
den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen
Erfolg. Der Senat hält das Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für
erforderlich. Die Entscheidung konnte deshalb durch Beschluss ergehen (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG).
Das SG hat die zulässige Klage zu Recht abgewiesen. Die Entscheidung der Beklagten ist rechtmäßig. Denn die
Erwerbsfähigkeit der Klägerin ist jedenfalls über den 11. Dezember 1998 hinaus nicht in rentenberechtigendem Grade,
d.h. um mindestens 20 vH (§ 56 Sozialgesetzbuch VII) gemindert. Auf die zutreffenden und ausführlichen
Entscheidungsgründe des SG im angefochtenen Urteil nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug
(§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Lediglich im Hinblick auf das Vorbringen im Berufungsverfahren ist zusammenfassend
auf folgendes hinzuweisen:
Maßgebend für die Höhe der MdE ist in erster Linie die unfallbedingte Funktionseinschränkung (vgl.
Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, 2.6.1). Selbst wenn die von der
Berufung hervorgehobene Einschränkung der Beweglichkeit in den unteren Sprunggelenken als wahrscheinlich
wesentlich mit unfallbedingt unterstellt und bei der Schätzung der MdE berücksichtigt wird, kann ein
rentenberechtigender Grad nicht erreicht werden. Das haben die von der Beklagten beauftragten Ärzte überzeugend
begründet. Ihre Stellungnahmen sind im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 8.
Dezember 1988 – 2/9b RU 66/87). Danach ist entscheidend, dass die Einschränkung der Beweglichkeit der
Sprunggelenke funktionell nur von geringer Bedeutung ist (Gutachten des Dr. C. vom 1. August 2000). Davon geht
auch der Sachverständige Dr. D. aus. Denn die Beweglichkeit der Sprunggelenke ist "recht ordentlich” (ergänzende
Stellungnahme vom 25. September 2000). Dieser klinische Befund stimmt mit der röntgenologischen Untersuchung
überein, die eine "gute Abheilung” (ebd.) belegt. Deshalb vermag der Senat die dem Schriftsatz vom 27. Januar 2003
beigefügten Beschwerdeangaben der Klägerin nicht nachzuvollziehen. Die von der Klägerin im Schriftsatz vom 7. Juli
2003 hervorgehobenen Bewegungseinschränkungen der Sprunggelenke führen nicht zu einer wesentlichen, d.h. die
Zahlung von Verletztenrente rechtfertigenden Funktionseinschränkung der Füße. Diese wird nach den schon vom SG
genannten allgemeinen Bewertungsgrundsätzen der gesetzlichen UV erst bei einer Versteifung angenommen (s. auch
Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche UV, Kommentar, Anhang 12 MdE-Erfahrungswerte, J 033 f.). Im Ergebnis hat
auch der Sachverständige Dr. D. in der ergänzenden Stellungnahme vom 25. September 2000 eingeräumt, dass der
klinische und röntgenologische Befund eine rentenberechtigende MdE nicht rechtfertigt. Die von ihm und dem
Sachverständigen Prof. Dr. E. berücksichtigten Schmerzen der Klägerin können jedoch nach den überzeugenden
Ausführungen der von der Beklagten gehörten Ärzte nicht zu einer rentenberechtigenden MdE führen. Denn
Schmerzen sind zu berücksichtigen, wenn sie aufgrund der organischen Unfallfolgen plausibel sind und zu einer
(zusätzlichen) Funktionseinschränkung führen (vgl. Schönberger u.a., a.a.O., 5.5.10). Nennenswerte schmerzbedingte
Funktionseinschränkungen der Sprunggelenke der Klägerin lassen sich indessen nicht feststellen. Die Schätzung der
MdE auf 20 vH durch die Sachverständigen ist deshalb nicht schlüssig und zu hoch. Somit führt auch der Hinweis der
Klägerin auf die Entschädigung durch die Allianz-Versicherungs-AG nicht weiter, da sie auf der Beurteilung des Dr. D.
beruht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegt nicht vor.