Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 19.12.2000

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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 19.12.2000 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Oldenburg S 6 KR 150/98
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 4 KR 15/00
1. Das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 7. Dezember 1999 und der Bescheid der Beklagten vom 6. August
1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 1998 werden aufgehoben. 2. Es wird
festgestellt, dass die Mitgliedschaft des Klägers bei der Beklagten am 31. Dezember 1998 geendet hat und der Kläger
seit 1. Januar 1999 Mitglied der Beigeladenen zu 1) ist. 3. Die Beklagte trägt die Kosten des Klägers und der
Beigeladenen zu 2). Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten. 4. Die Revision wird
zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger die Mitgliedschaft bei der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse
(Beklagte) wirksam zum 31. Dezember 1998 gekündigt hat und ab 1. Januar 1999 zur beigeladenen
Betriebskrankenkasse (Beigeladene zu 1.) wechseln konnte.
Der am 2. Juli 1955 geborene ledige Kläger war in der Zeit vom 23. Oktober 1975 bis 29. Juni 1980 bei seinem
früheren Arbeitgeber versicherungspflichtig beschäftigt und Mitglied der Beigeladenen zu 1. Am 30. Juni 1980
wechselte der Kläger zu seiner jetzigen Arbeitgeberin, der Beigeladenen zu 2. Er war ab diesem Zeitpunkt aufgrund
seiner Tätigkeit als Hafenarbeiter zunächst pflichtversichertes Mitglied der Beklagten.
Am 14. Juli 1998 wählte der Kläger die Mitgliedschaft ab 1. Januar 1999 bei seiner früheren Krankenkasse, der
Beigeladenen zu 1., und kündigte mit Schreiben vom selben Tage – bei der Beklagten eingegangen am 16. Juli 1998
– seine Mitgliedschaft bei der Beklagten zum 31. Dezember 1998. Die Beigeladene zu 1. stellte dem Kläger die
Mitgliedsbescheinigung ab 1. Januar 1999 vom 5. Oktober 1998 aus, die der Kläger seiner Arbeitgeberin, der
Beigeladenen zu 2., im Oktober 1998 vorlegte.
Mit Bescheid vom 6. August 1998 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger über den 31. Dezember 1998 hinaus ihr
Mitglied bleibe. Dem Kläger stünde kein "Rückkehrwahlrecht" zur früheren Krankenkasse zu.
Dagegen legte der Kläger am 17. August 1998 Widerspruch ein, den der Widerspruchsausschuss bei der Beklagten
mit Widerspruchsbescheid vom 28. September 1998 zurückwies. Der Gesetzgeber habe den Versicherten zwar ein
Wahlrecht zu der Krankenkasse zugestanden, bei der "zuletzt" eine Versicherung bestanden habe. Bei der
Wahlmöglichkeit zur letzten Krankenkasse handele es sich aber lediglich um ein "Bleibewahlrecht". Dieses müsse
binnen zwei Wochen nach Eintritt der Kassenunzuständigkeit ausgeübt werden. Die vom Kläger vertretene
Auffassung, ihm stehe ein "Rückkehrwahlrecht" zu, widerspreche dem Grundsatz der Kontinuität des
Versicherungsverhältnisses.
Dagegen hat der Kläger am 22. Oktober 1998 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Oldenburg erhoben und zur
Begründung ausgeführt: Die Rechtsauffassung der Beklagten zum Krankenkassenwahlrecht sei unzutreffend. Durch
die Einführung des Wahlrechts könne er zur Krankenkasse des Betriebes seines früheren Arbeitgebers bzw dessen
Rechtsnachfolger zurückwechseln, die er aufgrund gesetzlicher Zuweisungsvorschriften habe verlassen müssen.
Das SG Oldenburg hat die gewählte Krankenkasse mit Beschluss vom 8. November 1999 beigeladen und die Klage
mit Urteil vom 7. Dezember 1999 abgewiesen. Zur Begründung hat das SG Oldenburg im Wesentlichen ausgeführt:
Versicherungspflichtige könnten ua die Krankenkasse wählen, bei der vor Beginn der Versicherungspflicht "zuletzt"
eine Mitgliedschaft bestanden habe. Dieses Wahlrecht müsse im Sinne eines bloßen Bleiberechts ausgelegt werden.
Es könne nicht Sinn und Zweck der Einführung des Wahlrechts sein, "uralte" Versicherungsverhältnisse zu aktivieren
und an Mitgliedschaften aus längst erledigten Beziehungen anzuknüpfen. Die gesetzlichen Kündigungsfristen trügen
dem Gesichtspunkt Rechnung, dass eine Mitgliedschaftsentwicklung erst in Gang gesetzt werden solle.
Gegen das ihm am 22. Dezember 1999 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17. Januar 2000 Berufung vor dem
Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen eingelegt und zur weiteren Begründung ausgeführt: Die vom SG vertretene
Auslegung des Wahlrechtstatbestandes werde weder vom Gesetzeswortlaut noch -zweck getragen. Das Wahlrecht
diene dem ab 1. Januar 1996 eröffneten Wettbewerb unter den Krankenkassen. Jede einengende Auslegung der
Wahlrechtsvorschriften werde der gesetzgeberischen Zielsetzung nicht gerecht.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 7. Dezember 1999 und den Bescheid der Beklagten vom 6. August
1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 1998 aufzuheben,
2. festzustellen, dass die Mitgliedschaft des Klägers bei der Beklagten zum 31. Dezember 1998 geendet hat und der
Kläger ab 1. Januar 1999 Mitglied der Beigeladenen zu 1. ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie meint, eine nicht geöffnete Betriebskrankenkasse wie die Beigeladene zu 1. könne nicht am
Krankenkassenwettbewerb teilnehmen. Wahlmöglichkeiten seien frühestens ab 1. Januar 1996 unter bestimmten
Voraussetzungen gegeben, zB bei Eintreten einer Versicherungspflicht oder -berechtigung. Die Wahl eines
Krankenversicherungsträgers richte sich ausschließlich nach der zum Zeitpunkt der Ausübung der Wahl geltenden
Rechtslage. Ein Wahlrecht zu irgendwelchen früheren gesetzlichen Krankenkassen, bei denen der Versicherte
irgendwann einmal Mitglied gewesen sei, sei nicht eingeräumt worden. Diese Versicherten hätten überhaupt keinen
Bezug mehr zu ihren früheren Krankenkassen. Das Bundesversicherungsamt teile diese Rechtsauffassung. Die
Beklagte beruft sich insoweit auf das vorgelegte Schreiben des Bundesversicherungsamtes an die frühere
Innungskrankenkasse Weser-Ems vom 1. Oktober 1996.
Die Beigeladene zu 1. hat keinen Antrag gestellt. Sie vertritt die Auffassung, dass die vom erstinstanzlichen Gericht
vertretene enge Auslegung des Wahlrechtstatbestandes weder dem Wortlaut noch Sinn und Zweck der §§ 173 ff
Fünftes Sozialgesetzbuch (SGB V) gerecht werden. Der Grundsatz der Kontinuität des Versicherungsverhältnisses
werde gerade dadurch gewahrt, dass an frühere Mitgliedschaften angeknüpft werden könne. Der Kläger habe sein
Wahlrecht zulässigerweise zu Gunsten der Beigeladenen zu 1. ausgeübt.
Die mit Beschluss der Berichterstatterin des Senats vom 30. November 2000 beigeladene Arbeitgeberin des Klägers
(Beigeladene zu 2.) hat keinen Prozessantrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der
Prozessakte des ersten und zweiten Rechtszuges sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und der
Beigeladenen zu 1. Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung des
Senats gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die gem § 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gem §§ 143 f SGG statthafte
Berufung ist zulässig.
Die Arbeitgeberin des Klägers war zum Rechtsstreit nach § 75 Abs 2 Alt 1 SGG notwendig beizuladen, weil die
Entscheidung in diesem Rechtsstreit auch ihr gegenüber als der nach § 198 SGB V zur Meldung und nach § 28 e Abs
1 Satz 1 Viertes Sozialgesetzbuch (SGB IV), § 249 Abs 1 SGB V zur Zahlung und Tragung der Beiträge
verpflichteten Stelle nur einheitlich ergehen kann (BSG, Urteil vom 29. April 1997 – 10/4 RK 3/96 = SozR 3-5420 § 3
Nr 2; offen gelassen von BSG, Urteil vom 8. Oktober 1998 – B 12 KR 11/98 R = BSGE 83, 48 = SozR 3-2500 § 175
Nr 2). Hieran ist auch nach Einführung weitreichender Krankenkassenwahlrechte für versicherungspflichtig
Beschäftigte festzuhalten.
Das Rechtsmittel ist begründet.
Das Urteil des SG Oldenburg vom 7. Dezember 1999 ist aufzuheben, weil die Klage begründet ist. Der angefochtene
Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig. Die Beklagte hat die Wirksamkeit der Kündigung zum 31. Dezember 1998 zu
Unrecht beanstandet. Antragsgemäß ist nach § 55 Abs 1 Nr 2 SGG festzustellen, dass die Mitgliedschaft des Klägers
bei der Beklagten zum 31. Dezember 1998 geendet hat und der Kläger seit 1. Januar 1999 Mitglied der Beigeladenen
zu 1. ist.
Nach Auffassung des Senats kann eine Betriebskrankenkasse, deren Satzung keine Öffnungsklauseln für
Betriebsfremde beinhaltet, von demjenigen gemäß §§ 173 Abs 2 Satz 1 Nr 5 iVm § 175 SGB V gewählt werden, der
vor dem 1. Januar 1996 bei ihr versichert war und nach Beginn der Versicherungspflicht wegen Arbeitgeberwechsels
aufgrund gesetzlicher Zuweisungsvorschriften Mitglied einer anderen Krankenkasse geworden ist, bei der er ab 1.
Januar 1996 mindestens zwölf Monate lang versichert war. Das Wahlrecht kann insofern nicht nur bei einer
Wahlentscheidung einer ab 1. Januar 1996 beginnenden Versicherungspflicht ausgeübt werden, sondern auch in
Verbindung mit einer Kündigung, um zur bisherigen Krankenkasse "zurückzukehren".
Die Anwendung dieses Grundsatzes ergibt im vorliegenden Rechtsstreit, dass dem Kläger ein Wahlrecht zur
Beigeladenen zu 1. zustand, bei der er zuletzt in der Zeit vom 23. Oktober 1975 bis 29. Juni 1980
versicherungspflichtiges Mitglied war.
Die Kassenzuständigkeit ist in den §§ 173 ff SGB V durch Art 1 Nr 116, Art 35, Abs 6 des
Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 2266) ab 1. Januar 1996 völlig neu geregelt
worden. Während das Krankenkassenwahlrecht vor dieser Änderung grundsätzlich auf gesetzlicher Zuweisung und nur
ausnahmsweise auf einer Wahl beruhte, ist die Zuständigkeit aufgrund einer Wahl seither die Regel und diejenige kraft
gesetzlicher Zuweisung die Ausnahme (BSG, Urteil vom 8. Oktober 1998, aaO, Seite 4 des Urteilsumdrucks).
Im Falle des Klägers ergeben sich die einzig einschlägigen Wahlrechtstatbestände aus § 173 Abs 2 Satz 1 Nr 4 und 5
SGB V. Danach können Versicherungspflichtige wählen:
Nr 4: die Betriebskrankenkasse, wenn die Satzung der Betriebskrankenkasse dies vorsieht,
Nr 5: die Krankenkasse, bei der vor Beginn der Versicherungspflicht zuletzt eine Mitgliedschaft bestanden hat.
Dem Kläger stand kein Wahlrecht gemäß § 173 Abs 2 Satz 1 Nr 4 SGB V zu, weil die Beigeladene zu 1. keine
sogenannte "geöffnete" Betriebskrankenkasse ist. Der Zuständigkeitsbereich der Beigeladenen zu 1. bezieht sich
ausschließlich auf den Betrieb der G ... Auf Art 1 § 1 Abs 1 der Satzung der Beigeladenen zu 1. vom 1. Januar 1999
wird verwiesen.
Die Wählbarkeit der Beigeladenen folgt aber aus § 173 Abs 2 Satz 1 Nr 5 SGB V. Die eingangs skizzierten
Voraussetzungen treffen für den Kläger auf die von ihm im Juli 1998 gewählte Krankenkasse zu, bei der er zuletzt
vom 23. Oktober 1975 bis 29. Juni 1980 versicherungspflichtiges Mitglied war.
Nach Auffassung des Senats ist die Vorschrift des § 173 Abs 2 Satz 1 Nr 5 SGB V nicht einschränkend dahingehend
auszulegen, dass das Wahlrecht zur bisherigen Krankenkasse nur bei der Wahlentscheidung des
Versicherungspflichtigen zu Beginn einer Versicherungspflicht auszuüben wäre. § 173 Abs 2 Satz 1 Nr 5 SGB V gilt
auch in Verbindung mit einer Kündigung, um nach zwischenzeitlicher Mitgliedschaft aufgrund gesetzlicher Zuweisung
bei einer anderen Krankenkasse zur bisherigen Krankenkasse "zurückzukehren".
Einzuräumen ist der Beklagten, dass dem Wortlaut der vorgenannten Vorschrift nicht eindeutig zu entnehmen ist, ob
nur die Krankenkasse wählbar ist, bei der unmittelbar vor Beginn der Versicherungspflicht eine Mitgliedschaft
bestanden hat ("Bleiberecht"), oder ob es genügt, dass zwar nicht unmittelbar vor Beginn, aber früher einmal eine
Mitgliedschaft bei der bevorzugten Krankenkasse bestanden hat ("Rückkehrrecht"). Der erkennende Senat vertritt die
Auffassung, dass § 173 Abs 2 Satz 1 Nr 5 SGB V sowohl ein "Bleibewahlrecht" als auch ein "Rückkehrwahlrecht"
eröffnet.
Für die vom Senat vertretene Auslegung spricht die Systematik der Wahlrechtsvorschriften.
Gemäß § 173 Abs 1 SGB V idF des Art 5 Nr 4 des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes vom 24. März 1997 (BGBl I
594) sind Versicherungspflichtige vorbehaltlich abweichender Sonderregelungen Mitglied der von ihnen gewählten
Krankenkasse. Die Wahlfreiheit ist als Grundsatz in § 173 Abs 1 SGB V allen nachfolgenden Regelungen
vorangestellt, von dem nur Ausnahmen zu machen sind, sofern in den folgenden und einigen anderen abschließend
aufgezählten Vorschriften nichts Abweichendes bestimmt ist. Hätte der Gesetzgeber die von der Beklagten vertretene
Auffassung gewollt, so hätte es nahe gelegen, § 173 Abs 2 Satz 1 Nr 5 SGB V im Sinne eines Bleiberechts zu
formulieren oder die Rückkehr nach Kündigung durch weitere klarstellende Regelungen in § 175 Abs 4 SGB V
auszuschließen. Die von der Beklagten vertretene Differenzierung zwischen "Bleiberecht" und "Rückkehrrecht" ist
aber gerade nicht Gesetz geworden. Ohne Differenzierung zwischen den sechs Tatbeständen des § 173 Abs 2 Satz 1
SGB V ist in § 175 SGB V vielmehr einheitlich geregelt, dass das Wahlrecht zur bisherigen Krankenkasse als
Erstauswahl- oder Wechselwahlrecht ausgeübt wird (so schon mit überzeugender Begründung SG Hannover, Urteil
vom 16. Dezember 1998 – S 11 KR 42/97, Seite 5 f der Entscheidungsgründe; Peters, in: Kasseler Kommentar,
Stand: April 1999, § 173 SGB V Rn 21, ders, in: Handbuch der Krankenversicherung, Band 3, Stand: Juli 1996, Vor §
173 Rn 13; Hermann, in: von Maydell, GK-SGB V, Band 5, Stand: April 1994, § 173 Rn 9, 15; aA Baier, in: Krauskopf,
Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, Stand: Juni 1996, § 173 SGB V Rn 19).
Auch wenn der Grundsatz der Wahlfreiheit nach § 173 Abs 1 SGB V durch Einführung eines Katalogs der wählbaren
Krankenkassen relativiert worden ist, liegt es nahe, die Vorschriften grundsätzlich so wahlrechtsfreundlich wie möglich
auszulegen, weil der Kontinuitätsgedanke bei der hier vertretenen systematischen Auslegung ebenfalls nicht verfehlt
wird (Peters, aaO, Rn 21; "Gemeinsame Verlautbarung der Spitzenverbände der Krankenkassen zum
Kassenwahlrecht" vom 16. Oktober 1995, DOK 1995, 793 f, 799).
Darüber hinaus spricht der Sinn und Zweck der Wahlrechtsvorschriften für die vom Senat vertretene Auslegung.
Der Gesetzgeber wollte die unterschiedlichen Kassenwahlrechte von Arbeitern und Angestellten in der gesetzlichen
Krankenversicherung nach einer notwendigen Übergangsfrist grundsätzlich beseitigen (Begründung zum GSG, BT-
Drucksache 12/3608, Seite 74). Soweit nicht spezifische Organisationsmerkmale der historisch gewachsenen
Gliederung der gesetzlichen Krankenversicherung berücksichtigt wurden, sollten die bestehenden
Mitgliederbeschränkungen der Krankenkassen mit Ablauf des 31. Dezember 1995 aufgehoben und den Mitgliedern
unter Berücksichtigung einer einjährigen Kündigungsfrist die Wahl ihrer Krankenkasse weitgehend freigestellt werden
(Begründung zum GSG, aaO, Seiten 69, 74). Die bestehenden Zuweisungen zu bestimmten Krankenkassen und
damit die sachlich nicht zu begründende Trennung zwischen Primär- und Wahlkassen sollten beseitigt werden
(Begründung zum GSG, aaO, Seite 112).
Vor diesem Hintergrund ist zunächst davon auszugehen, dass der Gesetzgeber für alle ab 1. Januar 1996
wahlberechtigten Mitglieder nicht geöffneter Betriebskrankenkassen ein "Bleiberecht" schaffen wollte, auch wenn dem
Wortlaut der mit Wirkung vom 1. Januar 1996 eingeführten neuen Fassung des § 173 SGB V insoweit keine konkreten
Ausführungen zu entnehmen sind. Das folgt aus § 175 Abs 3 Satz 1 SGB V, wonach das Wahlrecht
Versicherungspflichtiger spätestens zwei Wochen nach Eintritt der Versicherungspflicht auszuüben ist. Mit Aufnahme
der "bisherigen" Krankenkasse in den Katalog der wählbaren Kassen wird den Versicherten bei Änderung ihrer
Versicherungspflicht oder Versicherungsberechtigung ein Bleiberecht bei der bisherigen Betriebskrankenkasse
ermöglicht, auch wenn diese sich nicht im Sinne des § 173 Abs 2 Satz 1 Nr 4 SGB V "geöffnet" hat (Baier, aaO, §
173 SGB V Rn 19).
Dem Versicherten sollte die Wahl der bisherigen Krankenkasse aus anderen Gründen indes nicht untersagt werden.
Ein Versicherter kann ein wirtschaftliches oder ideelles Interesse daran haben, nach Ablauf von zwölf Monaten bei
einer anderen Krankenkasse zur bisherigen Krankenkasse zurückzukehren. Diese und ähnliche Interessen oder
Absichten sind vom Wahlrecht der Versicherten umfasst. Diese Auslegung liegt zudem im Interesse einer möglichst
weitgehenden Verwirklichung des Wahlrechts und drängt die Auffangzuständigkeit nach § 175 Abs 3 Satz 3 SGB V
zurück (Peters, in: Kasseler Kommentar, Stand: April 1999, § 173 Rn 21).
Nach alledem stand dem Kläger im Juli 1998 ein Wahlrecht zur Beigeladenen zu 1. zu.
Der Kläger hat seine Mitgliedschaft bei der Beklagten auch wirksam zum 31. Dezember 1998 gekündigt.
Gemäß § 175 Abs 4 Sätze 1 und 2 SGB V kann eine Kündigung nur erfolgen, wenn der Versicherte mindestens zwölf
Monate Mitglied der bisherigen Krankenkasse ist und die Kündigungsfrist von drei Monaten zum Ende des
Kalenderjahres eingehalten hat. Nach § 175 Abs 4 Satz 4 SGB V wird die Kündigung wirksam, wenn das Mitglied
innerhalb der Kündigungsfrist eine Mitgliedschaft bei einer anderen Krankenkasse durch eine Mitgliedsbescheinigung
nachweist. Der Kläger hat seine Mitgliedschaft mit dem am 16. Juli 1998 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben
fristgerecht drei Monate zum Jahresende gekündigt. Zu diesem Zeitpunkt war auch die Jahresbindung gemäß § 175
Abs 4 Satz 1 SGB V erfüllt.
Nachteile entstehen dem Kläger in diesem Zusammenhang nicht dadurch, dass er die Mitgliedsbescheinigung der
Beigeladenen zu 1. ab 1. Januar 1999 vom 5. Oktober 1998 auf deren Anregung hin nur seiner Arbeitgeberin, der
Beigeladenen zu 2., nicht aber der Beklagten vorgelegt hat.
In § 175 Abs 4 Satz 4 SGB V ist nicht ausdrücklich geregelt, bei wem die neue Mitgliedsbescheinigung einzureichen
ist. Angesichts des offenen Wortlauts der Vorschrift ist davon auszugehen, dass der Nachweis einer anderweitigen
Mitgliedschaft durch Vorlage der Bescheinigung entweder bei der bisherigen Krankenkasse oder beim Arbeitgeber
erbracht werden kann. Die Zuständigkeit der Krankenkasse ergibt sich aus ihrer Eigenschaft als
Erklärungsempfängerin der Kündigung (Baier, aaO, § 175 Rn 23, 28), die Zuständigkeit des Arbeitgebers aus dem
Sachzusammenhang gemäss § 175 Abs 2 Satz 2 SGB V (Gemeinsame Verlautbarung der Spitzenverbände, aaO,
Seite 798).
Der Berufung ist nach alledem stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 Satz 1 iVm Abs 4 Satz 1 SGG.
Die Revision wird gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.