Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 24.07.2002

LSG Nsb: diabetes mellitus, nahrungsaufnahme, eltern, versorgung, wohnung, vergleich, aufwand, körperpflege, systematische auslegung, verfassungskonforme auslegung

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 24.07.2002 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hannover S 29 P 47/99
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 3 P 33/01
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 13. November 2001 geändert. Unter
Abweisung der Klage im übrigen wird die Beklagte verurteilt, dem Kläger Leistungen aus der Sozialen
Pflegeversicherung nach Maßgabe der Pflegestufe I von Mai 1997 bis April 1999 und ab September 2001 zu
gewähren. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen
Kosten des Klägers aus beiden Rechtszügen. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beklagte wendet sich mit ihrer Berufung dagegen, dass das Sozialgericht (SG) sie zur Gewährung von Pflegegeld
an den im Mai 1996 geborenen Kläger verurteilt hat.
Der Kläger leidet an einem insulinpflichtigen Diabetes Mellitus vom Typ 1. Dieser ist seit April 1997 bekannt. Die
Stoffwechselsituation des Klägers ist durch eine extreme Insulinempfindlichkeit gekennzeichnet, die Streuung der
Blutglukosewerte ist sehr groß. Aufgrund dieser Insulinempfindlichkeit ist es bislang dreimal zu schweren
Unterzuckerungen mit cerebralem Krampfanfall und Bewusstlosigkeit. Es handelt sich damit um einen äußerst
schwierig einzustellenden Diabetes mellitus. Außerdem wird bei dem Kläger ein Strabismus convergens augenärztlich
behandelt; der Kinderneurologe Dr. G. hat im Mai dieses Jahres eine kombinierte Entwicklungsstörung verbunden mit
Aufmerksamkeitsschwierigkeiten diagnostiziert.
Auf den Antrag des Klägers vom 26. Mai 1997 hin veranlasste die Beklagte eine Untersuchung des Klägers durch den
Arzt Dr H. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Niedersachsen (MDKN) am 06. November 1997.
Dieser gelangte in seinem zusammen mit der Pflegefachkraft I. erstellten Gutachten vom 11. November 1997 zu der
Einschätzung, dass der Kläger die Voraussetzungen für die Einstufung in die Pflegestufe I nicht erfüllte, da er im
Bereich der Grundpflege lediglich im Bereich der Ernährung einen Mehraufwand von 26 Minuten und im Bereich der
Mobilität einen Mehraufwand von 4 Minuten aufwies. Gegen den darauf von der Beklagten erlassenen ablehnenden
Bescheid vom 04. Dezember 1997 legte der Kläger am 29. Dezember 1997 Widerspruch ein. In einer nach Aktenlage
erstellten Stellungnahme legte die Ärztin Dr J. vom 03. April 1998 dar, dass nach dem Gesetz und den geltenden
Richtlinien die Zuerkennung einer Pflegestufe nicht möglich sei. Zum gleichen Ergebnis gelangte Dr H. in einem
weiteren nach Aktenlage erstellten Kurzgutachten vom 22. Dezember 1998. Die Beklagte wies daraufhin den
Widerspruch des Klägers mit Bescheid vom 19. März 1999 zurück.
Zur Begründung der am 20. April 1999 erhobenen Klage hat der Kläger insbesondere geltend gemacht, dass die
Beklagte seinen umfänglichen krankheitsbedingten zusätzlichen Hilfebedarf nur unzureichend gewürdigt habe. Er
weise einen erheblichen Mehraufwand im Vergleich zu einem gesunden Kind bei den Verrichtungen des Aufstehens,
des Zubettgehens, der Zubereitung der Nahrung, der Ernährung und beim Verlassen und Wiederaufsuchen der
Wohnung auf. Ihm fehle es an der erforderlichen Einsicht, so dass ihm seine Mutter immer wieder neue
Nahrungsmittel zubereiten und anbieten müsse. Anders als gesunde Kinder müsse er oft zum Essen "gezwungen”
werden, auch könnten seine Eltern nicht gleichzeitig mit ihm die Mahlzeiten einnehmen. Da er inzwischen tagsüber
außerordentlich aktiv sei, träten nachts häufig Unterzuckerungen auf. Deshalb müsse auch in der Nachtzeit sein
Blutzucker kontrolliert werden, erforderlichenfalls sei sofort zusätzliche Nahrung zu verabreichen. Darüber hinaus seit
die Zubereitung einer diabetikergerechten und auf seinen individuellen Bedarf abgestellten Nahrung und die
erforderliche häufige Konsultation von Ärzten mit einem ganz erheblichen Zeitaufwand verbunden.
Das SG hat ein Gutachten des Arztes und Krankenpfleger Dr K. vom 03. Mai 2000 eingeholt und die Mutter des
Klägers informatorisch gehört.
Mit Urteil vom 13. November 2001, der Beklagten zugestellten am 18. Dezember 2001, hat das SG der Klage
stattgegeben und die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide antragsgemäß verurteilt, dem Kläger
Leistungen wegen erheblicher Pflegebedürftigkeit nach Maßgabe der Pflegestufe I ab Mai 1997 zu gewähren. Zur
Begründung hat das SG insbesondere ausgeführt: Der gerichtliche bestellte Sachverständige habe einen
regelmäßigen, je nach Altersstufe zwischen 81 und 90 Minuten schwankenden Hilfebedarf (gemeint wohl:
zusätzlichen Hilfebedarf) im Bereich der Grundpflege und durchgängig in Höhe von 30 Minuten im Bereich der
hauswirtschaftlichen Versorgung festgestellt. Unter Berücksichtigung der Angaben der Mutter in der mündlichen
Verhandlung erachte das Gericht seine Beurteilung im Wesentlichen für nachvollziehbar und richtig.
Zur Begründung ihrer am 20. Dezember 2001 eingelegten Berufung macht die Beklagte geltend, dass das
angefochtene Urteil von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) abweiche. Die von dem
Sachverständigen Dr K. in seinem vom SG herangezogenen Gutachten zugrunde gelegten Zeitwerte für die einzelnen
Verrichtungen seien deutlich überzogen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 13. November 2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil. Er hebt hervor, dass er aufgrund der diabetischen Erkrankung einen
erheblichen zusätzlichen Hilfebedarf im Vergleich zu gesunden gleichaltrigen Kindern sowohl im Bereich der
Grundpflege als auch im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung aufweise. Darüber hinaus seien die regelmäßig
erforderlichen Insulinspritzen und Blutzuckerkontrollen mit einem erheblichen Zeitaufwand für seine Mutter verbunden.
Seine an sich zum Schuljahr 2002/2003 zu erwartende Einschulung sei aufgrund seiner mit einer Hyperaktivität
einhergehenden Entwicklungsretardierung um ein Jahr zurückgestellt worden.
Der Senat hat einen Befundbericht von Dr L. vom Diabeteszentrum für Kinder und Jugendliche des
Kinderkrankenhauses M. , vom 21. Februar 2002 eingeholt und die Mutter des Klägers informatorisch gehört. Wegen
des Ergebnisses der Befragung wird auf das Terminsprotokoll verwiesen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des
Sach- und Streitstandes und insbesondere bezüglich des umfangreichen Beteiligtenvorbringens wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung, über die der Senat mit dem von beiden Beteiligten im Erörterungstermin am 08. Juli 2002
erklärten Einverständnis durch seinen Berichterstatter als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist
nur teilweise begründet.
Der Kläger hat nur in Teilen des streitigen Zeitraum von Mai 1997 bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt Anspruch auf das
begehrte Pflegegeld, da er die gesetzlichen Voraussetzungen für die Einstufung zumindest in die Pflegestufe I nur in
der Zeit von Mai 1997 bis April 1999 und dann wieder im Zeitraum ab September 2001 erfüllt.
Nach § 15 Abs 1 Ziffer 1 und Abs 3 Ziffer 1 Sozialgesetzbuch Buch XI Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) ist ein
Pflegebedürftiger nur dann der Pflegestufe I zuzuordnen, wenn er bei der Körperpflege, der Ernährung oder der
Mobilität für wenigstens 2 Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe
bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, sofern der
Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die
erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, wöchentlich im
Tagesdurchschnitt mindestens 90 Minuten beträgt. Dabei müssen auf die Grundpflege, dh auf die in § 14 Abs 4
Ziffern 1-3 aufgeführten Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität, im
Tagesdurchschnitt mehr als 45 Minuten entfallen.
Bei der Prüfung der vorstehend erläuterten Voraussetzungen ist bei Kindern allein der zusätzliche Hilfebedarf
gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kinder heranzuziehen (§ 15 Abs 2 SGB XI). Maßgebend sind die
individuellen Verhältnisse des jeweils pflegebedürftigen Kindes; die gleiche Grunderkrankung kann in Abhängigkeit
von der jeweiligen Schwere des Krankheitsbildes, des kindlichen Entwicklungsstandes und insbesondere auch des
Alters einen sehr unterschiedlichen Hilfebedarf auslösen.
Dabei ist ein etwaiger Anstieg des Pflegebedarfes für voraussichtlich weniger als 6 Monaten nicht zu
berücksichtigten. § 15 SGB XI baut auf § 14 SGB XI auf. In § 14 Abs 1 SGB XI verlangt das Gesetz ausdrücklich
eine Mindestdauer von 6 Monaten für die Erfüllung des Begriffs der Pflegebedürftigkeit (vgl BSG, Urteil vom
19.02.1998 – B 3 P 7/97 R – NZS 1998, 479).
Der Kläger weist im Vergleich zu einem gesunden gleichaltrigen Kind zunächst einen erheblichen zusätzlichen
Hilfebedarf in der Form auf, dass aufgrund der – außergewöhnlich schwer einstellbaren – Diabeteserkrankung
regelmäßig – im Durchschnitt etwa neunmal täglich – sein Blutzucker gemessen werden muss und er im Durchschnitt
dreimal täglich eine Insulinspritze erhalten muss. Den erforderlichen Hilfebedarf für eine Blutzuckermessung (ohne
Berücksichtigung eines vorausgehenden Händewaschens) schätzt der Senat in Anlehnung an die Angaben des
Klägers im Schriftsatz vom 18. November 1999 auf 2 Minuten, den erforderlichen Zeitbedarf für einen Insulinspritze
(einschließlich des nachfolgenden Einreibens der Einstichstelle) auf 4 Minuten. Unter diesem Gesichtspunkt ergibt
sich mithin ein täglicher Hilfebedarf von 30 Minuten. Dieser Hilfebedarf ist jedoch nach der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts bei der Pflegestufeneinteilung ganz überwiegend nicht zu berücksichtigen, da er weder der
hauswirtschaftlichen Versorgung noch der Grundpflege zuzurechnen ist.
Nach Auffassung des BSG (vgl U. v. 19.02.1998 –B 3 P 3/97 R – SozR 3-3300 § 14 SGB XI Nr 2; U. v. 17.06.1999 -
B 3 P 10/98 R - SozR 3-3300 § 15 Nr. 7; U. v. 16.12.1999 - B 3 P 5/98 R - SGb 2000, 121 N.; B. v. 12.09. 2001 - B 3
P 8/01 B -) hat der Gesetzgeber die für die Pflegestufeneinteilung maßgeblichen Verrichtungen abschließend in § 14
Abs 4 SGB XI aufgeführt. Die in dieser Vorschrift ausdrücklich aufgeführten Verrichtungen würden jedoch
krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen wie namentlich Blutzuckermessungen und Insulinspritzen grundsätzlich
nicht erfassen. Solche Maßnahmen könnten nur ausnahmsweise berücksichtigt werden, soweit sie im zeitlichen
Zusammenhang mit den sogenannten Katalogtätigkeiten erforderlich werden und nicht die Fachkunde eines
Gesundheitsberufes erfordern, sondern auch von pflegenden Angehörigen erbrachten werden können. Ansonsten sei
kein Raum, die in §§ 14 Abs 1 und 4 und 15 SGB XI vorgesehene verrichtungsbezogene Bemessung des
Pflegebedarfes zu ergänzen. Weder die Gesetzesmaterialien noch die Zielsetzung der Pflegeversicherung könnten
eine derartige Ausweitung der Anspruchsvoraussetzungen rechtfertigen, da der in den §§ 14 Abs 1 und 4 und 15 SGB
XI normierte Katalog der für die Einstufung maßgebenden Kriterien abschließend formuliert und vom Gesetzgeber
auch abschließend verstanden worden sei.
Verfassungsrechtliche Bedenken seien diesbezüglich nicht einzuwenden. Auch wenn durch die Begrenzung des
maßgebenden Hilfebedarfes solche Pflegebedürftigen von Leistungen der Pflegeversicherung ausgeschlossen
würden, bei denen auf anderen als den in § 14 Abs 4 SGB XI aufgeführten Gebieten ein Hilfebedarf bestehe, und auch
wenn sich diese Ausgrenzung nicht nach dem Schweregrad der Betroffenheit des zu Pflegenden bzw der
Pflegeperson ausrichte, sei die damit einhergehende Begrenzung des durch die Pflegeversicherung abgedeckten
Risikos gerechtfertigt. Ihr entspreche eine Beschränkung des zur Verfügung stehenden Finanzierungsvolumens. Die
Pflegeversicherung habe nach den gesetzgeberischen Ansatz keine Vollversorgung der Pflegebedürftigen
sicherstellen wollen. Die Orientierung der Leistungsvoraussetzungen an finanziellen Vorgaben könne grundsätzlich
nicht als sachwidrig angesehen werden. Der Gesetzgeber habe deutlich gemacht, dass er der dauerhaften
Finanzierbarkeit von Pflegeleistungen zu vertretbaren Beitragssätzen überragende Bedeutung einräume.
Das BSG misst damit die Entscheidung des Gesetzgebers über die für die Pflegestufeneinteilung maßgeblichen
Kriterien zwar am Gleichbehandlungsgebot des Artikel 3 Abs 1 Grundgesetz (GG), interpretiert dieses aber im
vorliegenden Zusammenhang einengend: Auch der Ausschluss existentiell notwendiger Hilfeleistungen im Rahmen
der Behandlungspflege widerspreche nur dann dem Gleichbehandlungsgebot, wenn dies als willkürlich zu werten sei
(vgl. insbesondere Urteil vom 16.12.1999 aaO). Im vorliegenden Zusammenhang ist eine solche Willkür nach
Auffassung des BSG jedoch nicht gegeben.
Dabei bleibt letztlich offen, unter welchen Voraussetzungen eine solche Willkür angenommen werden kann. Sie wird
jedenfalls nach Auffassung des BSG noch nicht dadurch begründet, dass die vom Gesetzgeber aufgestellten Kriterien
(bezogen auf Fallgestaltungen der vorliegenden Art) sich nicht an Ausmaß und qualitativer Bedeutung des
Gesamthilfebedarfs orientieren, sondern zu einer Ausgrenzung von in einem höheren Grade Betroffener bei
gleichzeitiger Einbeziehung von nur zu einem geringeren Grade Pflegebedürftiger führen können (vgl. Urteil vom
19.02.1998, aaO, S 10).
Ebensowenig ergibt sich nach Einschätzung des BSG eine Willkür dadurch, dass die unterbliebene Einbeziehung
auch lebensnotwendiger krankheitsspezifischer Pflegemaßnahmen den Zielen widerspricht, die der Einführung der
Sozialen Pflegeversicherung zugrunde liegen. Nach der Entscheidung des Gesetzgebers soll die Aufgabe der
Pflegeversicherung darin bestehen, demjenigen Pflegebedürftigen Hilfen zur Verfügung zu stellen, der aufgrund des
Ausmaßes seiner Pflegebedürftigkeit in einer Weise belastet ist, dass ein Eintreten der Solidargemeinschaft
notwendig wird, um eine Überforderung der Leistungskraft des Pflegebedürftigen und seiner Familie zu verhindern.
Des Weiteren wollte der Gesetzgeber durch die Förderung der Bereitschaft zur häuslichen Pflege die kostenintensive
stationäre Pflege zurückdrängen. Orientiert man sich bei der Auslegung des § 14 SGB XI an dieser Zielrichtung, so
liegt es nahe, solche Hilfeleistungen nicht unberücksichtigt zu lassen, die sich auf die Belastung der Angehörigen
durch Pflegemaßnahmen in erheblichem Maße auswirken und die zugleich für die existentielle Lebensführung des
Pflegebedürftigen unverzichtbar sind (vgl ebenfalls BSG, Urteil vom 19.02.1998 aaO S 5). Hierzu zählen
krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen wie den Angehörigen obliegende Blutzuckerbestimmungen und
Insulinspritzen. Dies gilt im vorliegenden Fall um so mehr, als aufgrund der Labilität des Blutzuckerhaushaltes des
Klägers entsprechende lebensnotwendige Hilfsmaßnahmen nicht nur tagsüber im Abstand von nur wenigen Stunden
erforderlich sind, sondern auch während der Nachtzeit zumindest ein- bis zweimal durchgeführt werden müssen.
Der vorstehend erläuterten Rechtsprechung des BSG schließt sich der Senat im Interesse der – auch im
Grundgesetz, vgl Artikel 95, als ein wichtiger Verfassungswert hervorgehobenen – Rechtseinheit an.
Nach Maßgabe dieser Rechtsprechung können die Hilfen bei den Blutzuckermessungen und den Insulinspritzen
überwiegend nicht berücksichtigt werden. Nur die dem Aufstehen unmittelbar nachfolgende Blutzuckermessung und
die anschließende erste Insulinspritze (Gesamtzeitaufwand für die Pflegeperson: 6 Minuten) weisen den nach der
vorstehend erläuterten Rechtsprechung erforderlichen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit einer
Katalogverrichtung (hier des Aufstehens) auf. Bei lebensnaher Betrachtung lassen sich die erste morgentliche
Blutzuckermessung und die sich anschließende Insulinspritze nur unmittelbar nach dem Aufstehen durchführen. Das
typischerweise nach dem Wachwerden Hungergefühle verspürende Kind muß ohnehin zur Einhaltung eines sog.
Spritz-Eß-Abstandes von mindestens 30, an einzelnen Tagen auch von 45 Minuten angehalten werden, während
dessen es keine Nahrung zu sich nehmen darf. Eine Verzögerung der ersten Insulinspritze würde die sich daraus
ergebenden Probleme weiter verstärken. Unter diesem Gesichtspunkt kann mithin von dem vorstehend
angenommenen Hilfebedarf bei Blutzuckermessungen und Insulinspritzen ein Anteil von 6 Minuten im Bereich der
Grundpflege berücksichtigt werden.
Die weiteren im Tagesverlauf erforderlichen Blutzuckermessungen und Insulinspritzen lassen dagegen keinen
unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit Katalogverrichtungen erkennen, vielmehr ist es gerade umgekehrt
zwischen einer Insulinspritze und der nachfolgenden Nahrungsaufnahme eine Pause in Form des sogenannten Spritz-
Ess-Abstandes einzuhalten. Auch ist nicht ersichtlich, dass der Kläger in einem unmittelbaren zeitlichen
Zusammenhang mit dem Zubettgehen regelmäßig eine Insulinspritze erhält oder sein Blutzuckergehalt bestimmt wird.
Erst recht ist nicht davon auszugehen, dass für einen solchen Zusammenhang eine pflegerische Notwendigkeit
bestehen könnte.
Ansonsten können im Bereich der Grundpflege notwendige Hilfen bei den im Katalog des § 14 Abs. 4 Nrn. 1 bis 3
SGB XI aufgeführten Verrichtungen nur insoweit berücksichtigt werden, wie sie den Unterstützungsbedarf eines
gesunden gleichaltrigen Kindes übersteigen. Abgesehen von der Diabetes-Erkrankung und von dem – für die
Pflegebedürftigkeit nicht relevanten – Strabismus convergens und Anzeichen einer Hyperaktivität im Rahmen einer
kombinierten Entwicklungsstörung weist der Kläger den Entwicklungsstand eines gesunden gleichaltrigen Kindes auf.
Namentlich haben sich seine lebenspraktischen Fähigkeiten, etwa das Vermögen zu eigenständigen Wahrnehmung
der Körperpflege, des An- und Auskleidens und der Nahrungsaufnahme, altersentsprechend entwickelt.
Zu Beginn des zu prüfenden Zeitraumes im Mai 1997 bedurfte der damals erst 1 Jahr alte Kläger wie alle Kinder
seines Alters einer umfassenden Versorgung im Bereich der Grundpflege, sieht man einmal von ersten Ansätzen zur
eigenständigen Nahrungsaufnahme ab. Dementsprechend sehen auch die Richtlinien der Spitzenverbände der
Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem Elften Buch des Sozialgesetzbuches vom 21.
März 1997 (in der Fassung vom 22. August 2001) für gesunde einjährige Kinder einen Hilfebedarf im Bereich der
Grundpflege in einem Umfang von täglich 4 Stunden vor. Inzwischen hat der Kläger das 6. Lebensjahr vollendet. Wie
auch bei gesunden Kindern ist mit zunehmenden Alter sein Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege deutlich
zurückgegangen, er hat sich zunehmend von einem Hilfebedarf in Form der Übernahme in einen Unterstützungsbedarf
in Form der Motivation und der Kontrolle gewandelt. Diesbezüglich lassen sich keine greifbaren Unterschiede im
Vergleich zu der Entwicklung eines gesunden Kindes im Alter von ein bis sechs Jahren feststellen. Dies betrifft auch
die Verrichtung des Zähneputzens, die der Kläger – wie auch gesunde Kinder – dreimal täglich mit einem
altersentsprechenden Unterstützungsbedarf durchzuführen pflegt.
Allerdings führt die – schwer einstellbare – Diabeteserkrankung des Klägers bei einer Reihe von
Grundpflegeverrichtungen zu einem Mehrbedarf. Dieser betrifft insbesondere den Bereich der Nahrungsaufnahme.
Zwar benötigen auch gesunde Kinder im Bereich der Ernährung der Unterstützung durch ihre Eltern, den dadurch
ausgelösten Hilfebedarf veranschlagen die Begutachtungs-Richtlinien auf eine Stunde im Tagesdurchschnitt bei
einjährigen Kindern und 30 Minuten bei sechsjährigen Kindern. Insbesondere ist muss auch bei gesunden Kindern
häufig darauf geachtet werden, dass diese Nahrung in ausreichender Menge und in geeigneter Zusammensetzung zu
sich nehmen, dass sie sich vom Essen nicht in ungebührlicher Weise ablenken lassen und Tischmanieren erlernen.
Kleinkinder benötigen darüber hinaus unmittelbare Unterstützung bei der Aufnahme der Nahrung. Die erforderlichen
Hilfen werden üblicherweise im Rahmen einer gemeinsamen Mahlzeit der Familie erbracht.
Damit einhergehende Anleitungen, Überwachungen und Erledigungskontrollen sind pflegeversicherungsrechtlich nur
dann relevant, wenn sie die Pflegeperson in zeitlicher und örtlicher Hinsicht in gleicher Weise binden wie bei
unmittelbarer körperlicher Hilfe und daher dazu führen, dass die Pflegeperson durch die Hilfe an der Erledigung
anderer Dinge oder am Schlafen gehindert ist. Die im Gesetz gemeinte "Anleitung” und "Beaufsichtigung” geht über
das reine "Anhalten” zur Durchführung einer Verrichtung hinaus (vgl. BSG, Urt. vom 26.11.1998 – L 3 P 2/98 R - SGb
1999, 353 N.).
Bei Kindern, die an Diabetes mellitus erkrankt sind, wird die Nahrungsaufnahme dadurch erschwert, dass exakte
Vorgaben zumindest hinsichtlich der aufzunehmenden Kohlenhydratmenge zu beachten sind. Auch wenn bei
gesunden Kindern die Eltern nicht selten eingreifen müssen, wenn diese ohne Verzehr einer ausreichenden
Nahrungsmenge etwa aus einem Spieltrieb heraus vorzeitig die Nahrungsaufnahme beenden wollen, besteht doch bei
insulinpflichtigen Kindern vor dem Hintergrund der drohenden Unterzuckerung ein qualitativ anders gelagerter Zwang,
die Einnahme der vorgegebenen Kohlenhydratmengen durch das Kinder sicherzustellen. Anders als die Eltern
gesunder Kinder können sich die Eltern an Diabetes erkrankten Kindes diesbezüglich keine Flexibilität erlauben, mit
gutem Zureden und erforderlichenfalls auch erzieherischem Nachdruck, bei Kleinkindern in erster Linie durch
beharrliche Fütterungsbemühungen müssen sie die Einnahme der vorgesehenen Nahrungsmittel durchsetzen.
Dabei sind allerdings keine Gründe ersichtlich, weshalb nicht auch bei an Diabetes erkrankten Kindern im allgemeinen
und beim Kläger des vorliegenden Verfahrens in besonderem die erforderliche Anleitung und Beaufsichtigung bei der
Nahrungsaufnahme im Rahmen einer gemeinsamen Mahlzeit mit den Eltern erfolgen kann. Gleichwohl zieht die
krankheitsbedingte Notwendigkeit zur präzisen Aufnahme vorgegebener Kohlenhydratmengen vielfach einen
zusätzlichen Aufwand nach sich. Auch wenn mit zunehmendem Alter des Kindes dieses nicht mehr gefüttert, sondern
zum eigenständigen Essen der vorgesehenen Nahrungsmengen angehalten und motiviert werden muss, übersteigt die
unter diesem Gesichtspunkt erforderliche Unterstützung vielfach weiterhin deutlich den Rahmen eines bloßen
Anhaltens. Dies führt damit auch im Rahmen gemeinsamer Mahlzeiten zu einer vorübergehenden vollständigen
Inanspruchnahme der Aufmerksamkeit der Pflegeperson, so dass diese während solcher Phasen an der Erledigung
anderer Dinge ebenso gehindert sind wie bei einer unmittelbaren körperlichen Hilfe.
Auch in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist anerkannt, dass die aus einer Krankheit herrührende
Notwendigkeit, ein diesbezüglich noch nicht ausreichend einsichtsfähiges Kind zur Aufnahme notwendiger Nahrung
anzuhalten, einen auf die Verrichtung der Nahrungsaufnahme bezogenen und damit im Bereich der Grundpflege
berücksichtigungsfähigen Hilfebedarf begründen kann (vgl. BSG, U.v. 29.04.1999 – B 3 P 12/98 R). Demgegenüber
stellt sich freilich eine Aufsicht zur Verhinderung übermäßigen Essens nicht als eine Hilfe zur Nahrungsaufnahme und
damit auch nicht als eine Maßnahme der Grundpflege dar (BSG, U.v. 28.06.2001 – B 3 P 7/00 R – SozR 3-3300, § 14
SGB XI Nr. 17).
Auch im vorliegenden Fall wird die Mutter des Klägers im vorstehend erläuterten Sinne beansprucht. Besonders
schwierig gestaltete sich nach ihren glaubhaften Angaben die Aufnahme der vorgesehenen Nahrungsmengen in den
ersten drei Lebensjahren, also bis April 1999. Auch in der Folgezeit hat der Kläger aber noch bei vielen Mahlzeiten
einer eindringlichen Überzeugungs- und Motivationsarbeit seiner Mutter bedurft. Im Berufungsverfahren hat sich
bestätigt, dass bei vielen Mahlzeiten dadurch weiterhin die Aufmerksamkeit der Mutter während längerer Zeiträume
vollständig beansprucht wird, so dass sie zwar nicht während der gesamten Mahlzeit, aber doch während erheblicher
Zeitanteile an der Verrichtung anderer Tätigkeiten gehindert ist.
Den unter den vorstehend erläuterten Gesichtspunkten zusätzlich berücksichtigungsfähigen Hilfebedarf im Bereich der
Nahrungsaufnahme kann der Senat letztlich nur schätzen. Er hängt maßgeblich von den individuellen
Verhaltensmustern und der intellektuellen Reife des pflegebedürftigen Kindes ab, und wird naturgemäß auch durch
dessen Tagesform bestimmt. Bezeichnenderweise hat auch die Mutter des Klägers hervorgehoben, dass dieser etwa
seit dem vierten Lebensjahr keineswegs immer Schwierigkeiten bei der Aufnahme der vorgesehenen Nahrung bereitet,
das Problem vielmehr bei einigen Mahlzeiten darin besteht, dass er gerne noch mehr als die zugedachte Menge zu
sich nehmen würde. Den aus der jeweiligen Tagesform resultierenden Differenzen ist durch die Bildung von
Durchschnittswerten zu begegnen.
Im Hinblick auf die gebotene Individualisierung sind auch keine allgemeinen Erfahrungssätze zur Bemessung des
vorstehend erläuterten zusätzlichen Hilfebedarfes ersichtlich, die etwa durch die Heranziehung von Sachverständigen
ermittelt werden könnten. Da auch sonst nicht erkennbar ist, dass eine besondere Sachkunde Schätzungen eines
Sachverständigen eine größere Überzeugungskraft verleihen könnte als einer richterlichen Schätzung, sind die
unerlässlichen Schätzungen als Bestandteil der Ermittlung des Sachverhalts vom Senat eigenständig vorzunehmen.
Dies gilt um so mehr, als im Hinblick auf die gebotene Ausrichtung des Zeitaufwandes an den individuellen
Bedürfnissen des Pflegebedürftigen solche Schätzungen regelmäßig untrennbar mit der Prüfung der Glaubhaftigkeit
der Angaben der Pflegepersonen verbunden sind. Letztere stellt jedoch eine originäre richterliche Aufgabe dar. Sie
wird in Fallgestaltungen der vorliegenden Art dadurch erschwert, dass einerseits niemand das zu pflegende Kind
besser kennt als die Eltern, diese aber andererseits gerade aufgrund der Einbindung in die Pflege ihres Kindes auch
ein eigenes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits haben.
Überdies können die Angaben der Eltern ohnehin nur einen - wenngleich wichtigen - Anhalt für die erforderliche
Schätzung bilden. Es kommt nicht auf den erforderlichen Zeitaufwand der jeweils tätigen Pflegeperson an,
maßgebend ist vielmehr ein Aufwand, den "ein” Familienangehöriger oder "ein” sonstiger Pflegender (abstrakt)
benötigen würde (vgl. BSG Urteil vom 21.02.2002 – B 3 P 12/01 R -). Schließlich ist speziell im vorliegenden Fall
unter Berücksichtigung des Gesamtinhalts der Akten davon auszugehen, dass die Mutter des Klägers als unmittelbar
betroffene Bezugsperson den Hilfebedarf des Klägers nicht in jedem Detail präzise zu schildern weiß. So hat sie bei
der informatorischen Anhörung durch den Berichterstatter erläutert, dass das Frühstück am Tag vor der Befragung
etwa 1 Stunde gedauert habe. Andererseits hat sie angegeben, dass sie den Kläger um 07.00 Uhr geweckt habe,
dann seinen Blutzuckerwert gemessen und ihm eine Insulinspritze gegeben habe (Gesamtzeitaufwand: 6 Minuten),
anschließend 45 Minuten lang den sogenannten Spritz-Ess-Abstand abgewartet habe und das Frühstück um etwa
08.30 Uhr beendet habe. Hiervon ausgehend verblieben für das Frühstück nicht einmal 40 Minuten. Nicht
nachvollziehbar ist beispielsweise auch, weshalb die Krankheit des Klägers einen zusätzlichen Aufwand beim
Abwaschen von täglich 20 Minuten hervorrufen soll (vgl. den Schriftsatz vom 30.04.2002). Auch wenn die
Zwischenmahlzeiten zusätzliches Besteck und mitunter – nicht aber etwa bei der Gabe eines Bechers Joghurt oder
einer Banane – einen zusätzlichen Teller erfordern, ist nicht ersichtlich, dass der dadurch ausgelöste zusätzliche
Aufwand beim Abwaschen mehr als etwa 5 Minuten im Tagesdurchschnitt beträgt.
Ferner hat beispielweise die Mutter des Klägers den durch das Einkaufen bedingten Zeitaufwand gegenüber dem
Gutachter Dr. K. auf 10 Minuten im Tagesdurchschnitt geschätzt, im Schriftsatz vom 30. April 2002 sind hingegen für
den Einkauf und für eine – ihrem Inhalt nach unklare – "Kohlenhydratzusammensetzung” täglich 90 Minuten
(zusätzlich zu dem ebenfalls mit 90 Minuten bezifferten Aufwand für das Kochen) veranschlagt worden.
Die vorstehend aufgezeigten Bedenken, die ihren Grund letztlich in der emotionalen Betroffenheit der durch die
ständige Pflege des Klägers auch ihrerseits stark belasteten Mutter haben, bedeuten naturgemäß nicht, dass ihren
Angaben überhaupt nicht gefolgt werden kann. Im Kern und in der Grundtendenz erachtet der Senat ihre Darstellung
durchaus für einleuchtend und glaubhaft; er hält nur eine zurückhaltende Bewertung von Detailangaben, namentlich
der geltend gemachten Zeitansätze, für angezeigt. Hiervon ausgehend hat sich der Senat insbesondere davon
überzeugen können, dass sich der Kläger häufig – wenngleich keineswegs bei allen Mahlzeiten – sehr uneinsichtig
bezüglich der Notwendigkeit der vollständigen Aufnahme der vorgesehenen Nahrungsmengen zeigt.
Unter Berücksichtigung einerseits der altersbedingt und infolge einer leichten Entwicklungsretardierung weiterhin nur
sehr begrenzt ausgebildeten Einsichtsfähigkeit des Klägers und andererseits seines individuellen Verhaltens bei der
Nahrungsaufnahme schätzt der Senat den unter den vorstehend erläuterten Gesichtspunkten zu berücksichtigenden
zusätzlichen Hilfebedarf bei der Nahrungsaufnahme im Vergleich zu dem auch bei einem gesunden gleichaltrigen Kind
anfallenden Zeitaufwand der Pflegeperson auf 30 Minuten im Zeitraum bis April 1999 und auf 15 Minuten in der
Folgezeit.
Ferner hat der Senat bezogen auf den Zeitraum ab Mai 1999, in dem der Kläger im allgemeinen nicht mehr gefüttert
werden musste, auch zu berücksichtigen, dass das an Diabetes erkrankte Kind die Nahrung auf eine Vielzahl von
Mahlzeiten verteilen muss, bei deren zeitlicher Abfolge die medizinischen Vorgaben zu beachten sind. Die
Harmonisierung der elterlichen Mahlzeiten mit den Mahlzeiten des Kindes fällt schwerer als bei gesunden Kindern, die
sich umgekehrt in altersentsprechenden Rahmen auch auf die von den Eltern gewünschten Zeiten der
Nahrungsaufnahme in gewissem Grade einstellen können. Auch sonst lässt sich die erforderliche Beaufsichtigung bei
der Nahrungsaufnahme während der zahlreichen Zwischenmahlzeiten nicht immer sinnvollerweise mit anderen
Aktivitäten der Pflegeperson koordinieren, so dass sich bereits unter diesem Gesichtspunkt eine zeitliche und örtliche
Bindung ergibt. Den sich hieraus ergebenden zusätzlichen Zeitaufwand der Pflegeperson schätzt der Senat auf fünf
Minuten im Tagesdurchschnitt.
Schließlich ist ebenfalls ab dem dritten Lebensjahr zu berücksichtigen, dass der Kläger regelmäßig mehrfach in der
Woche auch noch nach dem Schlafengehen zur Vermeidung einer sonst drohenden Unterzuckerung eine
Zwischenmahlzeit in Form von Apfelsaft erhält. Aufgrund seiner schlafbedingten – häufig durch eine beginnende
Unterzuckerung noch verstärkten – Benommenheit bedarf er hierbei überwiegend der Unterstützung durch seine
Mutter, den dadurch bedingten Zeitaufwand veranschlagt der Senat mit zwei Minuten im Tagesdurchschnitt.
Im Bereich der mundgerechten Zubereitung der Nahrung kann ein Hilfebedarf ebenfalls nur insoweit berücksichtigt
werden, wie der Unterstützungsbedarf eines gesunden gleichaltrigen Kindes überschritten wird. Der Kläger hat sich
auch insoweit altersentsprechend entwickelt. Der Umstand, dass er aufgrund der Diabeteserkrankung mehr
Mahlzeiten als ein gesundes Kind zu sich nehmen muss, führt als solcher nicht zu einem zusätzlichen Hilfebedarf bei
der mundgerechten Zubereitung der Nahrung. Die Gesamtnahrungsmenge erhöht sich nicht im Vergleich zu der bei
gesunden Kindern üblichen Menge, sondern wird lediglich auf eine größere Anzahl von Mahlzeiten verteilt.
Die von der Mutter des Klägers bei ihrer informatorischen Anhörung im Einzelnen beschriebene Gesamtmenge der
vom Kläger im Laufe eines Tages zu sich genommenen Nahrung (neben dem Mittagessen eine Scheibe Toast, 2
Scheiben Knäckebrot, 2 Scheiben O.brot, 3 Joghurt, 2 Bananen, 11/2 Äpfel, eine Scheibe Wurst ohne Brot und ein
Glas mit Traubenzucker versetzter Apfelsaft) lässt keine greifbaren Unterschiede zu dem Nahrungsbedarf eines
gesunden 6-jährigen Jungen erkennen. Solche Unterschiede sind auch nicht für die Vergangenheit festzustellen. Der
Zeitaufwand beispielsweise für das mundgerechte Zerlegen belegter Brote wird nicht dadurch vermehrt, dass 2 Brote
nicht während einer Mahlzeit, sondern verteilt auf 2 Mahlzeiten gegessen werden.
Allerdings hat die Mutter glaubhaft dargelegt, dass bei einigen Mahlzeiten der Kläger nicht dazu zu bewegen ist, die
zubereitete Nahrung zu sich zu nehmen, so dass ihm zur Sicherung der vorgesehenen Kohlenhydratzufuhr eine
Ersatzmahlzeit bzw. Ersatz für einzelne Nahrungsbestandteile angeboten werden muss. Es liegt auf der Hand, dass
eine solche Vorgehensweise zur Vermeidung einer sonst drohenden krankheitsbedingten Unterzuckerung häufiger
angezeigt ist als bei gesunden Kindern. In einem geschätzten Umfang von 2 Minuten im Tagesdurchschnitt erachtet
der Senat den dadurch ausgelösten zusätzlichen Hilfebedarf für nachgewiesen.
Im Bereich der Körperpflege ist zu berücksichtigen, dass die täglich dreimal erfolgenden Insulininjektionen und die im
Durchschnitt etwa neunmal täglich durchzuführenden Blutglukosemessungen zwangsweise mit immer
wiederkehrenden Verletzungen der Haut verbunden sind. Von daher leuchtet es ein, dass entsprechend der
fachärztlichen Stellungnahme von Dr L. vom 06. November 2001 eine intensive Körperpflege und Hygiene geboten ist
(vgl. auch LSG NRW, U.v. 24.04.2001 – 16 P 176/98 -), wobei freilich unter Berücksichtigung des eingeholten
Befundberichtes von Dr L. vom 21. Februar 2002 nicht ersichtlich ist, dass täglich zwei Ganzkörperwäschen
durchzuführen sind. Allerdings werden auch gesunde Kinder regelmäßig gewaschen bzw gebadet oder geduscht,
hinsichtlich der Details sind abhängig von den individuellen Vorstellungen der Eltern nicht unerhebliche Unterschiede
in der Praxis zu beobachten.
Als Vergleichsmaßstab erachtet es der Senat für angezeigt, bei gesunden Kindern eine gründliche Körperwäsche bzw
ein Dusch- oder Wannenband an jedem 2. Tag und eine etwas weniger gründliche Körperwäsche an den übrigen
Tagen zugrunde zu legen. Unter einer solchen Annahme erscheinen auch die in dem Begutachtungs-Richtlinien
vorgesehenen Vergleichswerte für gesunde Kinder (bezogen auf den Gesamtbereich der Körperpflege) von 1 Stunde
bei einjährigen und 45 Minuten bei sechsjährigen Kindern plausibel. Ebenfalls leuchtet es ein, dass die medizinisch
gebotene Intensivierung der Körperpflege dazu führt, dass nicht nur jeden zweiten, sondern an jedem Tag eine
gründliche Ganzkörperwäsche bzw ein Dusch- bzw Wannenbad vorzunehmen ist (das dann zugleich die sonst übliche
weniger gründliche Körperwäsche ersetzt). Den dadurch ausgelösten zusätzlichen Hilfebedarf schätzt der Senat auf 6
Minuten in der Zeit vor Vollendung des 5. Lebensjahres des Klägers, dass heißt bis April 2001, und für die Folgezeit
auf 3 Minuten im Tagesdurchschnitt, da der Kläger sich inzwischen weitgehend selbständig waschen bzw duschen
kann. Diesbezüglich ist nunmehr die Mutter in erster Linie im Rahmen einer Kontrolle gefordert.
Soweit der Kläger darauf hinweist, dass die größere Zahl der Mahlzeiten einen erhöhten Aufwand für das
vorausgehende Händewaschen nach sich zieht, ist zunächst klarzustellen, dass auch bei gesunden Kindern die
Einnahme von Zwischenmahlzeiten üblich ist. So erhalten auch gesunde Kindergartenkinder nach dem morgendlichen
ersten Frühstück bei ihren Eltern im Kindergarten noch ein zweites Frühstück, auch der Verzehr eines Brotes oder
eines Stück Obst als Zwischenmahlzeit am Nachmittag ist weit verbreitet. Bei nächtlichen Zwischenmahlzeiten in
Form der Einnahme von Apfelsaft ist die Notwendigkeit für ein vorheriges Händewaschen nicht ersichtlich. Unter
diesem Gesichtspunkt können daher nur 2 zusätzliche Zwischenmahlzeiten im Tagesdurchschnitt berücksichtigt
werden, wobei seit der Vollendung des 5. Lebensjahres nur noch entsprechende Aufforderungen des Klägers
verbunden mit nachfolgenden Kontrollen erforderlich sind. Den dadurch ausgelösten zusätzlichen Hilfebedarf schätzt
der Senat auf 3 Minuten bis April 2001 und für die Folgezeit auf 1 Minute im Tagesdurchschnitt.
Des weiteren hebt der Kläger hervor, dass er sich die Hände vor den Blutzuckermessungen waschen müsse. Auch
ein dadurch ausgelöster zusätzlicher Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege ist der Grundpflege im vorstehend
erläuterten Sinne zuzurechnen. Der Hilfebedarf bei einer Verrichtung richtet sich nach den individuellen Bedürfnissen
des zu Pflegenden, soweit diese sachlich begründet sind. Er ist auch insoweit zu berücksichtigen, wie er durch die
Folge einer Krankheit vergrößert wird (vgl. BSG, U.v. 26.11.1998 – B 3 P 20/97 – NZS 1999, 343).
Hinsichtlich des Ausmaßes der erforderlichen Unterstützung ist zu berücksichtigen, dass bei geringeren
Verschmutzungen eine Reinigung unter Zuhilfenahme eines feuchten Waschlappens (vgl. Schriftsatz des Klägers
vom 18.11.1999) oder eines handelsüblichen Feuchttuches weniger als eine Minute in Anspruch nimmt.
Händewaschen nach größeren Verschmutzungen, etwa nach dem Spielen im Sandkasten, kann ohnehin nur insoweit
berücksichtigt werden, wie es zusätzlich durch die beabsichtigte Blutzuckermessung ausgelöst wird, etwa wenn das
Spielen im Sandkasten nur vorübergehend zum Zwecke der Blutzuckermessung unterbrochen werden soll. Unter
Berücksichtigung der zunehmenden Selbständigkeit des Klägers schätzt der Senat einen dadurch ausgelösten
Hilfebedarf unter Einschluss der erforderlichen Reinigung der Einstichstellen vor den Insulinspritzen auf 8 Minuten bis
April 2001 und 4 Minuten in der Folgezeit.
Da der Kläger in Folge seines instabilen Blutzuckerhaushaltes nicht nur zu Unterzuckerungen, sondern in einer Reihe
von Nächten auch zu Überzuckerungen neigt, kommt es regelmäßig wöchentlich mindestens einmal zu einem
Einnässen, wie es inzwischen bei gesunden Kindern in seinem Alter nicht mehr zu erwarten wäre. Bezogen auf
frühere Jahre des streitigen Zeitraums ist unter diesem Gesichtspunkt von zumindest einem zusätzlichen
wöchentlichen Einnässen im Vergleich zu einem gesunden gleichaltrigen Kind auszugehen. Den dadurch ausgelösten
zusätzlichen Hilfebedarf beim Wechseln des Schlafanzuges, beim Waschen des Unterkörpers und beim
anschließenden erneuten Zubettbringen schätzt der Senat auf 1 Minute im Tagesdurchschnitt. Er sieht allerdings
keine hinreichende Grundlage für die Feststellung eines noch weitergehenden Hilfebedarfs unter diesem
Gesichtspunkt.
Soweit die Mutter des Klägers nachts seinen Blutzuckergehalt misst und erforderlichenfalls ihm eine weitere
Zwischenmahlzeit und gegebenenfalls auch noch einmal Insulin gibt, muss der Kläger das Bett nicht verlassen, so
dass dadurch kein zusätzlicher Hilfebedarf im Rahmen der Verrichtung des Zubettbringens (vgl. zur gebotenen
restriktiven Interpretation dieses Tatbestandsmerkmals: BSG, U.v. 29.04.1999 – B 3 P 7/98 R – SozR 3-3300, § 14
SGB XI Nr. 10) ausgelöst wird.
Hilfen bei der Verrichtung des Verlassens und Wiederaufsuchens der Wohnung können nach der Rechtsprechung des
BSG nur dann berücksichtigt werden, wenn die außerhalb der Wohnung wahrzunehmenden Verrichtungen für die
Aufrechterhaltung der Lebensführung zu Hause unumgänglich sind, das persönliche Erscheinen des Pflegebedürftigen
notwendig machen und regelmäßig mindestens einmal pro Woche anfallen (vgl Urteil vom 29.04.1999 – B 3 P 7/98 R
– SozR 3-33000 § 14 SGB XI Nr 10). Regelmäßig in diesem Sinne wöchentlich zumindest einmal erforderlich
werdende Arztbesuche hat der Kläger nicht wahrzunehmen. Im Diabeteszentrum für Kinder und Jugendliche soll er nur
etwa alle 4 bis 6 Wochen vorgestellt werden, Augenarztbesuche waren 1997 nur knapp einmal im Monat und in der
Folgezeit noch deutlich seltener erforderlich. Ansonsten hat der Kläger Ärzte insbesondere bei akuten Infekten
aufgesucht, eine Notwendigkeit zu regelmäßig wöchentlich mindestens einmal wahrzunehmenden Arztterminen ergibt
sich daraus nicht. Entsprechendes gilt, soweit der Kläger – ausweislich seines eigenen Vortrages: statt eines
Kinderarztes – eine Heilpraktikerin konsultiert hat. Es ist im vorliegenden Zusammenhang nicht weiter zu hinterfragen,
inwieweit derartige Therapien eines Heilpraktikers zur Aufrechterhaltung der häuslichen Lebensführung notwendig sein
können. Jedenfalls ist auch unter Zugrundelegung des Vortrages des Klägers nicht ersichtlich, dass die Heilpraktikerin
wöchentlich regelmäßig einmal aufgesucht werden musste.
Dabei ist es unerheblich, ob die Gesamtzahl der Arztbesuche im Laufe eines Kalenderjahres 52 erreicht hat. Selbst
wenn dies zu unterstellen sein sollte, ergibt sich daraus noch nicht die Notwendigkeit, regelmäßig wöchentlich einmal
einen bestimmten Arzt aufzusuchen. Bezeichnenderweise sind auch unter Berücksichtigung der vorgelegten
Behandlungsdaten eine nicht unerhebliche Zahl von Wochen festzustellen, in denen kein Arztbesuch angefallen ist.
Überdies wäre bei der gebotenen Vergleichbetrachtung zu berücksichtigen, dass auch Kinder ohne eine langfristige
körperliche, geistige oder seelische Krankheit oder Behinderung im Sinne des § 14 Abs 1 SGB XI im Rahmen von
Vorsorgeuntersuchungen und bei vorübergehenden akuten Infekten häufig einen Kinderarzt oder Zahnarzt aufsuchen
müssen.
Soweit der Kläger von Februar bis etwa September 2000 Krankengymnastik nach Bobath erhalten hat, ist jedenfalls
für die erste Zeit dieser Behandlung bis Ende April 2000 nicht davon auszugehen, dass solche krankengymnastischen
Behandlungen zur Aufrechterhaltung einer selbständigen häuslichen Lebensführung regelmäßig wöchentlich einmal
erforderlich waren. Der Kläger hat am 10. Februar 2000 6 Stunden Krankengymnastik verschrieben erhalten, die
nächste Verordnung erfolgt erst am 25. April 2000. Soweit die Mutter des Klägers in diesem Zusammenhang bei ihrer
informatorischen Anhörung angemerkt hat, dass die Krankengymnastin zu Beginn der Behandlung mehrfach aufgrund
von Fortbildungsmaßnahmen verhindert gewesen sei, belegt dies letztlich nur die fehlende Notwendigkeit einer
regelmäßigen wöchentlichen Behandlung zur Aufrechterhaltung einer selbständigen häuslichen Lebensführung, da
anderenfalls für die Zeiten der Verhinderung der Therapeutin die Behandlung durch eine Vertreterin geboten gewesen
wäre. Der restliche diesbezüglich in Betracht zu ziehende Zeitraum ab Ende April 2000 bis etwa Mitte September
2000 erreicht nicht den eingangs erläuterten Mindestzeitrahmen von 6 Monaten. Insoweit liegen auch keine
Anhaltspunkte dafür vor, dass bei einer ex-ante-Betrachtung mit Wahrscheinlichkeit ein längerer Therapiezeitraum zu
erwarten gewesen wäre.
Seit September 2001 bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt nimmt der Kläger (jeweils während des gesamten Monats)
annähernd wöchentlich einmal an einer ärztlich verordneten ergotherapeutischen Behandlung teil. Auskunft über die
einzelnen bis zum Datum ihrer Ausstellung wahrgenommenen Behandlungstermine gibt die sich bei den Akten
befindliche Bescheinigung der ergotherapeutischen Praxis Engeldinger vom 12. März 2002. Die erforderliche
Unterstützung des Klägers bei der Teilnahme wird von der Grundpflegeverrichtung "Verlassen und Wiederaufsuchen
der Wohnung” erfasst.
Bereits in der Gesetzesbegründung zum Pflege-Versicherungsgesetz (BT-Drs. 12/5262, abgedruckt bei Hauck-Wilde,
SGB XI, M 010, S. 70) wird hervorgehoben, dass nur solche Verrichtungen außerhalb der Wohnung in die
Begutachtung einzubeziehen sind, die für die Aufrechterhaltung der Lebensführung zu Hause unumgänglich sind und
das persönliche Erscheinen des Pflegebedürftigen notwendig machen. Diese Voraussetzungen liegen bei der Therapie
des Klägers vor. Es liegt auf der Hand, dass seine persönliche Anwesenheit unerlässlich ist. Sie sichert auch die
häusliche Lebensführung.
Allerdings wird diese Bedingung in der Rechtsprechung des BSG unterschiedlich interpretiert. Im Urteil vom 29. April
1999 (B 3 P 7/98 R, SozR 3-3300, § 14 SGB XI Nr. 10 S. 74 = Breithaupt 2000, Seite 117), hat das BSG unter
Berufung auf die Gesetzesmaterialien hervorgehoben, dass Besuche beim Krankengymnasten (offenbar generell) für
die Aufrechterhaltung der Lebensführung zu Hause unumgänglich sind. Da diesbezüglich kein relevanter Unterschied
zwischen einer krankengymnastischen und einer ergotherapeutischen Therapie ersichtlich ist, wäre nach Maßgabe
dieses Urteils die erforderliche Unterstützung bei der Teilnahme an der Therapie ohne weiteres
berücksichtigungsfähig. Im Urteil vom 26. November 1998 (-B 3 P 20/97 R – SozR 3-3300 § 14 SGB I Nr 9) hat das
BSG hingegen die Notwendigkeit einer Therapie für die Aufrechterhaltung der selbständigen häuslichen Lebensführung
verneint, wenn die krankengymnastische Behandlung (überwiegend) einer für die Zukunft angestrebten Besserung des
Gesundheitszustandes dient. Hieran anknüpfend hat es im Urteil vom gleichen Tage (- B 3 P 13/97 R – aaO Nr. 8)
Maßnahmen, die darauf abzielen, die Fähigkeit zur eigenständigen Lebensführung zu "stärken”, also vorrangig dem
Ziel dienen, den Pflegeaufwand in späteren Lebensabschnitten zu vermeiden oder geringer zu halten, als rehabilitative
Maßnahmen angesehen, die bei der Bemessung des Pflegebedarfs nicht zu berücksichtigen seien. Im gleichen Sinne
hat das BSG im Urteil vom 22.8.2001 (- B 3 P 23/00 R -) ausgeführt, dass Maßnahmen, die therapeutischen Zielen in
der Zukunft dienten, nicht in den Risikobereich der Pflegeversicherung fielen. Berücksichtigungsfähig seien solche
Maßnahmen nur dann, wenn sie erforderlich seien, um - etwa im Bereich der Mobilität – "aktuell” die Durchführung
einer Verrichtung wie Gehen, Stehen, Sitzen oder Liegen zu ermöglichen oder im Sinne der aktivierenden Pflege zu
verbessern.
Der erkennende Senat erachtet die im Urteil des BSG vom 29.04.1999 (aaO) dargelegte Interpretation für
überzeugend. Die Notwendigkeit einer einschränkenden Interpretation des Tatbestandsmerkmales "Verlassen und
Wiederaufsuchen der Wohnung” ergibt sich im Rahmen der historischen Interpretation aus den Gesetzesmaterialien.
Wie dargelegt, wird bereits in der Gesetzesbegründung darauf abgestellt, ob die außerhalb der eigenen Wohnung
wahrzunehmende Verrichtung zur Aufrechterhaltung der häuslichen Lebensführung unumgänglich ist. In der
Gesetzesbegründung wird dieser Ansatz allerdings mit Beispielen verdeutlicht. Es wird ausdrücklich hervorgehoben,
dass die Leistungen der Pflegeversicherung den Pflegebedürftigen bei Bedarf in die Lage versetzen sollen,
beispielsweise Ärzte, Krankengymnasten und Sprachtherapeuten aufzusuchen. Damit hat der Gesetzgeber eine
Teilzuständigkeit der Pflegeversicherung auch für rehabilitative Maßnahmen in Form von krankengymnastischen
Behandlungen und anderer vergleichbarer ambulanter Therapien klar zum Ausdruck gebracht. Auch wenn die Therapie
als solche von anderen Kostenträgern, typischerweise der Krankenkasse, zu finanzieren ist, fällt die
personenbezogene Unterstützung zum Erreichen des Ortes der ambulanten Therapie (in Form pflegerischer
Hilfeleistungen) in den Verantwortungsbereich der Pflegeversicherung.
Die systematische Auslegung bestätigt dieses Ergebnis: Auch die Finanzierung der eigentlichen ärztlichen Betreuung
obliegt der Krankenkasse, gleichwohl sind Hilfen bei den Wegen zum Arzt (bei während eines Zeitraumes von
zumindest sechs Monaten wöchentlich jedenfalls einmal notwendigen Besuchen) auch nach der ständigen
Rechtsprechung des BSG im Bereich der Grundpflege berücksichtigungsfähig.
Darüber hinaus sieht das Gesetz in § 6 Abs. 2 SGB XI ausdrücklich die Verpflichtung des Pflegebedürftigen zur
Teilnahme an Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation vor, wenn diese namentlich das Ziel einer Minderung der
Pflegebedürftigkeit verfolgen, mag dieses Ziel auch nur langfristig angestrebt sein. Es wäre widersinnig, wenn der
Gesetzgeber einerseits (auch im Kosteninteresse der Pflegekassen) eine solche Pflicht normieren, zugleich aber den
Betroffenen die erforderliche Unterstützung zum Erreichen des Therapieortes verweigern würde.
Schließlich erachtet der Senat die in den BSG-Urteilen vom 26.11.1998 und vom 22.08.2001 vorgesehene
Differenzierung für nicht praktikabel. Nach den in zahlreichen Pflegeversicherungsverfahren des Senates gewonnenen
Erfahrungen ist davon auszugehen, dass typischerweise krankengymnastische und ähnliche Therapien insbesondere
bei chronischen Erkrankungen längerfristig ausgelegt sind. In einem kontinuierlichen Prozess sollen allmählich
Heilerfolge erzielt werden. Dieses Ziel umfaßt gleichermaßen erste anfängliche, mithin aktuelle, Fortschritte bereits
kurz nach Beginn der Therapie wie weiterreichende Besserungen in der Folgezeit. In Anbetracht der umfassenden
Zielsetzung fehlt es an Kriterien, um zukunftsgerichtete Therapien von solchen mit aktuell angestrebten Fortschritten
klar unterscheiden zu können; es ist bislang nicht deutlich geworden, welche konkreten Feststellungen etwa ein
medizinischer Sachverständiger zu treffen und welche allgemeinen Erfahrungssätze er für die vorstehend
angesprochene Differenzierung heranzuziehen hat.
Ergänzend sei angemerkt, dass auch die – nach der Rechtsprechung des BSG grundsätzlich bei der Verrichtung des
Verlassens und Wiederaufsuchens der Wohnung berücksichtigungsfähige – außerhäusliche ärztliche Betreuung
insbesondere bei der Betreuung chronisch Kranker vielfach therapeutischen Zielen in der Zukunft dient. Die
Einbeziehung auch längerfristig angelegter Therapien ist überdies auch deshalb geboten, weil die Führung eines
selbständigen und selbstbestimmten der Würde des Menschen entsprechenden Lebens, an der nach § 2 Abs. 1 S. 2
SGB XI die Leistungen der Pflegeversicherung auszurichten sind, gerade auch die vorausschauende
Inanspruchnahme erst über längere Zeiträume wirkender Förderungsmaßnahmen und eine damit einhergehende
langfristig angestrebte Stärkung der Selbsthilfekräfte umfasst.
Bedenken hinsichtlich der medizinischen Notwendigkeit der Ergotherapie sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.
Unter Berücksichtigung des von der Mutter des Klägers angegebenen Zeitaufwandes für die mit dem PKW jeweils 20
Minuten erfordernden Fahrten zur und von der Therapiestätte und der Dauer der eigentlichen Therapiestunde, während
derer die Mutter keine anderweitigen Besorgungen erledigen kann, von 45 Minuten sind wöchentlich ab September
2001 85 Minuten zu berücksichtigen, dies entspricht im Tagesdurchschnitt 12 Minuten. Inwieweit und für welchen
Zeitraum die ab August dieses Jahres anvisierte Ausweitung der Ergo-Therapie auf wöchentlich 2 Therapiestunden
realisiert werden wird, ist im vorliegenden Zeitpunkt noch nicht zu hinterfragen.
Im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung ist ebenfalls nur der Mehrbedarf gegenüber gleichaltrigen gesunden
Kindern heranzuziehen (vgl BSG, Urteil vom 29.04.1999 – B 3 P 7/98 R – Breithaupt 2000, 117). Maßgeblich ist auch
insoweit nicht der individuelle Zeitaufwand der Mutter, sondern ein nach objektiven Maßstäben zu ermittelnder
Aufwand einer durchschnittlich begabten (nicht als Fachkraft ausgebildeten) Pflegeperson. Diese wird beispielsweise
danach streben, den Kohlehydratgehalt der häufiger vom Kläger verzehrten Nahrungsmittel in Tabellen zu erfassen,
damit dieser nicht jedes Mal neu berechnet werden muss. Unter Berücksichtigung dieses Ansatzes erachtet der
Senat im Rahmen der ihm obliegenden Schätzung folgenden zusätzlichen Hilfebedarf im Bereich der
hauswirtschaftlichen Versorgung für nachgewiesen:
Beim Einkaufen ist zu berücksichtigen, dass die insgesamt vom Kläger benötigte Nahrungsmenge die eines
gesunden gleichaltrigen Kindes nicht übersteigt. Auch Eltern gesunder Kinder pflegen regelmäßig frisches Obst und
Gemüse einzukaufen. Unter diesem Gesichtspunkt ist nicht die Notwendigkeit eines zusätzlichen Aufwandes
erkennbar. Allerdings pflegen Diabetiker die üblichen Nahrungsmittel um spezielle Diabetikernahrungsmittel zu
ergänzen, etwa um Konfitüre mit Süßstoffen. So können sie den medizinischen Anforderungen an die
Nahrungszusammensetzung im Alltag einfacher entsprechen; es wird eine größere Vielfalt des
Nahrungsmittelangebotes ermöglicht, die insbesondere auch bei Kindern die Durchsetzung der medizinischen
Vorgaben für die Nahrungsaufnahme erleichtert. Solche besonderen Nahrungsmittel werden nicht in allen
Supermärkten angeboten, können jedoch üblicherweise auf Vorrat eingekauft werden. Den dadurch ausgelösten
zusätzlichen Hilfebedarf schätzt der Senat im Tagesdurchschnitt auf eine Minute.
Die Erstellung eines diabetikergerechten Speiseplans unter Berücksichtigung individueller und damit auch
krankheitsbedingter Besonderheiten zählt ebenso zur Verrichtung des "Kochens” im Bereich der hauswirtschaftlichen
Versorgung wie das genaue Abwiegen der Speisen unter Einschluß der mengenmäßigen Erfassung nicht verzehrter
Portionsanteile (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.1998 aaO). In Anbetracht der genauen krankheitsbedingten medizinischen
Vorgaben fällt ein Aufwand in dieser Form nicht bei gesunden, sondern nur bei an Diabetes erkrankten Kindern an.
Den dadurch ausgelösten Mehrbedarf schätzt der Senat auf 20 Minuten im Tagesdurchschnitt.
Soweit der Kläger sich weigert, die zunächst zubereitete Nahrung zu sich zu nehmen, ist der diesbezüglich von der
Mutter geltend gemachte zusätzliche Hilfebedarf nicht im gesamten Umfang erforderlich. Isst der Kläger
beispielsweise keine Kartoffeln, so ist keine Notwendigkeit ersichtlich, stattdessen Nudeln zu kochen. Vielmehr
könnte mit erheblich geringerem Aufwand beispielsweise ein Stück Brot gereicht werden. Dementsprechend vermag
der Senat den dadurch bedingten zusätzlichen Hilfebedarf nur auf 4 Minuten im Tagesdurchschnitt zu schätzen.
Wöchentlich mindestens (in den ersten Jahren des streitigen Zeitraums: zusätzlich) einmal erfolgendes Einnässen
und gelegentliches krankheitsbedingtes starkes Schwitzen ziehen die Notwendigkeit nach sich, die Bettwäsche
häufiger zu wechseln und diese ebenso wie den Schlafanzug des Klägers entsprechend häufiger zu waschen. Mit
Schriftsatz vom 02. März 2001 hat der Kläger geltend gemacht, dass ein derartiges Einnässen regelmäßig
mindestens einmal in der Woche vorkomme, konkrete Angaben zu einem vermehrten nächtlichen Schwitzen enthält
dieser Schriftsatz nicht. Auch vor diesem Hintergrund erachtet es der Senat für angemessen, den dadurch
ausgelösten zusätzlichen Hilfebedarf unter Einschluss des zusätzlichen Bedarfs beim Waschen der Bekleidung in
Folge eines tagsüber erfolgenden vermehrten Schwitzens auf 10 Minuten im Tagesdurchschnitt zu schätzen.
Ein zusätzlicher Hilfebedarf beim Spülen im Umfang von täglich fünf Minuten ist bereits dargelegt worden.
Demgegenüber ist ein zusätzlicher Hilfebedarf bei der Reinigung der Wohnung nicht festzustellen.
Zusammenfassend vermag der Senat damit nur folgenden zusätzlichen Hilfebedarf im Vergleich zu einem gesunden
gleichaltrigen Kind festzustellen:
Im Bereich der Grundpflege: Nahrungsaufnahme 30 Minuten bis April 1999 und 22 Minuten ab Mai 1999 mundgerechte
Zubereitung der Nahrung 2 Minuten Waschen, Duschen, Baden 17 Minuten bis April 2001 und 8 Minuten ab Mai 2001
Hilfebedarf durch (zusätzl.) nächtliches Einnässen 1 Minute Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung ab
September 2001 12 Minuten Blutzuckermessung und Insulinspritze im sachlichem und zeitlichem Zusammenhang mit
dem morgendlichen Aufstehen 6 Minuten.
Dies ergibt im Zeitraum bis April 1999 einen zusätzlichen täglichen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 56
Minuten, in der Folgezeit bis April 2001 von 48 Minuten, in den Monaten Mai bis August 2001 von 39 Minuten und in
der Zeit ab September 2001 bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt von 51 Minuten im Tagesdurchschnitt.
Im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung ist ein zusätzlicher Hilfebedarf wie folgt festzustellen:
Einkaufen 1 Minute Kochen 24 Minuten Spülen 5 Minuten Wechsel und Waschen der Wäsche und Kleidung 10
Minuten.
Dies ergibt im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung einen Mehrbedarf von 40 Minuten.
Dementsprechend ergibt sich damit insgesamt im Bereich der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung in
dem Zeitraum bis April 1999 ein täglicher Mehrbedarf von 96 Minuten, in der Folgezeit bis April 2001 von 88 Minuten,
in den Monaten Mai bis August 2001 von 79 Minuten und in der Zeit ab September 2001 von 91 Minuten. Damit
erreicht der Kläger den gesetzlichen Grenzwert des § 15 Abs 3 Ziffer 1 SGB XI von 90 Minuten nur in Teilen des
streitigen im Mai 1997 beginnenden Zeitraumes, und zwar in den Monaten bis April 1999 und ab September 2001. In
diesen Monaten weist er auch im Bereich der Grundpflege einen täglichen Mehrbedarf von mehr als 45 Minuten auf.
Das erstinstanzlich eingeholte Gutachten des Arztes und Krankenpflegers Dr K. gibt dem Senat keinen Anlass zu
einer anderweitigen Beurteilung. Der Senat erachtet das Gutachten für insgesamt nicht verwertbar, da die in ihm im
Einzelnen herangezogenen Zeitansätze nicht in der gebotenen Weise begründet worden sind und erst recht nicht im
Einzelnen herausgearbeitet worden ist, inwieweit und aus welchen krankheitsbedingten Gründen der Kläger bei den
einzelnen Verrichtungen einen konkreten Mehrbedarf im Vergleich zu einem gesunden gleichaltrigen Kind aufweist.
Teilweise können die Zeitansätze des Sachverständigen nur als fernliegend bezeichnet werden. So hat der
Sachverständige beispielsweise für den Zeitraum ab Mai 2001 die Notwendigkeit einer Teilunterstützung beim Richten
der Bekleidung nach einer Blasenentleerung bejaht (vgl Blatt 56 des Gutachtens), was im Ergebnis bedeutet, dass der
Sachverständige davon ausgeht, dass der damals fünfjährige Kläger nicht in der Lage war, sich ohne Hilfe nach dem
Wasserlassen die Hose wieder hochzuziehen. Andererseits hat der Sachverständige aber (vgl Seite 16 seines
Gutachtens) selbst hervorgehoben, dass das Vermögen des Klägers, sich sauberhalten und kleiden zu können,
altersentsprechend ausgebildet sei. Den Hilfebedarf des Klägers (ebenfalls im Zeitraum ab Mai 2001) bei der
mundgerechten Zubereitung der Nahrung hat der Sachverständige allein für die Zeitspanne von 18.00 bis 22.00 Uhr
auf 6 Minuten im Tagesdurchschnitt beziffert (vgl Blatt 58 des Gutachtens). In diesem Tagesabschnitt hat Dominik
beispielsweise am Tag vor dem Erörterungstermin eine Scheibe Brot, 2 Joghurt und eine halbe Banane nebst den
üblichen Getränken zu sich genommen. Es ist schon nicht ersichtlich, inwiefern diese Nahrung überhaupt einer
mundgerechten Zubereitung für einen fünfjährigen Jungen bedarf, noch weniger inwiefern er diese bei Bedarf nicht
selbst mundgerecht zubereiten können und weshalb dafür eine Pflegeperson 6 Minuten benötigen soll.
Dementsprechend vermag der Senat einen Hilfebedarf im Ausmaß der Pflegestufe I nur in Teilen des streitigen
Zeitraums, und zwar in den Monaten Mai 1997 bis April 1999 und in der Zeit ab September 2001, festzustellen. Wie
lange ein solcher Hilfebedarf auch in der Zukunft fortbestehen wird, ist gegenwärtig nicht zu hinterfragen, sondern ggf.
bei von der Beklagten zu veranlassenden Nachuntersuchungen abzuklären. Es liegt jedenfalls nahe, dass die mit
zunehmendem Alter des Klägers zu erwartende verbesserte Einsichtsfähigkeit den Hilfebedarf verringern wird (vgl.
dazu auch BSG, U.v. 29.04.1999 aaO); im übrigen ist auch nicht davon auszugehen, dass eine ergotherapeutische
Betreuung auf Dauer erforderlich sein wird.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Nach der zwingenden gesetzlichen Regelung des § 160 Abs 2 SGG ist die Revision zuzulassen. Soweit der
Pflegegeldanspruch des Klägers abgewiesen worden ist, weicht das Urteil von Entscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts im Sinne des § 160 Abs 2 Ziffer 2 SGG ab und beruht auch auf dieser Abweichung.
Soweit der Pflegegeldanspruch verneint und die Klage dementsprechend abgewiesen worden ist, beruht dies auf der
vom Senat herangezogenen Rechtsprechung des BSG, wonach Maßnahmen der sogenannten Behandlungspflege
nach der - von Verfassungs wegen insbesondere auch unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgebotes
hinzunehmenden - Entscheidung des Gesetzgebers auch im Falle ihrer existentiellen Notwendigkeit nicht bei der
Pflegestufeneinteilung gemäß § 15 Abs 1 und 3 SGB XI Berücksichtigung finden können.
Versicherte, die nicht der Behandlungspflege bedürfen, auf der einen Seite, und Versicherte, die allgemein aufgrund
einer speziellen Erkrankung Maßnahmen der Behandlungspflege benötigen oder – wie im vorliegenden Fall – eine
spezielle Form der Behandlungspflege im Form der bei Diabetes erforderlichen Blutzuckermessungen und
Insulinspritzen benötigen, bilden unterschiedliche Gruppen von Normadressaten. Solche unterschiedlichen Gruppen
sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl Beschluss vom 02.12.1992 – 1 BvR 296/88 – E 88,
5, 14) beispielsweise zwischen einkommensschwachen Arbeitnehmern und Arbeitgebern auf der einen Seite und
anderen Rechtssuchenden mit geringem Einkommen auf anderen Seite angenommen worden. Ungeachtet der
unterschiedlichen Behandlung verschiedener Gruppen von Normadressaten ist der Ausschluss von Maßnahmen der
Behandlungspflege bei der Ermittlung des pflegestufenrelevanten Hilfebedarfes nach der vom Senat herangezogenen
Rechtsprechung des BSG allein am allgemeinen Willkürverbot zu messen, wobei nicht einmal konkrete Kriterien für
diese Willkürprüfung ersichtlich sind.
Handelt es sich um – wie im vorliegenden Zusammenhang – beträchtliche Auswirkungen der Ungleichbehandlung, so
sind demgegenüber nach zahlreichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts derartige Differenzierungen
zwischen verschiedenen Gruppen von Normadressaten nur dann unter Berücksichtigung des
Gleichbehandlungsgebotes des Artikel 3 Abs 1 GG hinzunehmen, wenn zwischen den Gruppen Unterschiede von
solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass diese eine so erhebliche Ungleichbehandlung rechtfertigen.
Ungleichbehandlung und rechtfertigender Grund müssen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen (vgl
BVerfG, Beschluss vom 30.05.1990 – 1 BvL 2/83 ua – E 82, 126, 146 und Beschluss vom 02.12.1992 aaO S 12,
jeweils mwN).
Derartige die Ungleichbehandlung rechtfertigende Unterschiede lassen sich nicht einmal konkret benennen. Sie
werden weder in den zitierten Entscheidung des BSG herausgearbeitet noch sind solche sonst für den Senat
ersichtlich. Damit fehlt bereits die erforderliche Grundlage für die gebotene Prüfung, ob Ungleichbehandlung und
rechtfertigender Grund in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen.
Damit weicht das Urteil von den in den genannten Entscheidungen des BVerfG herangezogenen Rechtsgrundsätzen
über die bei der unterschiedlichen Behandlung von Personengruppen im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG maßgeblichen
Prüfmaßstäben ab. Die Teilabweisung der Klage beruht auch auf dieser Abweichung, da unter Zugrundelegung der
dargelegten Auffassung des BVerfG eine verfassungskonforme Auslegung der §§ 15, 14 Abs. 4 SGB XI in dem Sinne
geboten wäre, dass auch lebensnotwendige Unterstützungsmaßnahmen im Bereich der Behandlungspflege - wie
namentlich bei Blutzuckermessungen und Insulinspritzen - bei der Bemessung des für die Pflegestufeneinteilung
relevanten Grundpflegebedarfes mit einzubeziehen sind.
In diesem Zusammenhang ist nicht relevant, ob der Gesetzgeber von Verfassungs wegen überhaupt gehalten war, die
Pflegeversicherung einzuführen. Die Möglichkeit, bestimmte Leistungsregelungen ohne Verfassungsverstoß
überhaupt nicht zu treffen, entbindet den Gesetzgeber nicht von der Verpflichtung, im Falle der Einführung solcher
Leistungen bestimmten Grundanforderungen an jedes staatliche Handeln zu genügen, namentlich das
Gleichbehandlungsgebot zu beachten (vgl BVerfG, Beschluss vom 09.02.1982 – 2 BvL 6/78 und 8/79 – E 62, 16, 42).
Der Gleichheitssatz muss sich nicht nur bei der Vergabe von Überfluss, sondern gerade bei der Verwaltung von
Mangel bewähren (vgl BVerfG, Beschluss vom 09.02.1982 aaO S. 43).
Die vorstehend aufgezeigte Diskrepanz zu den genannten Entscheidungen des BVerfG wird nicht dadurch
ausgeräumt, dass der Senat sich in diesem Zusammenhang, wie dargelegt, der ständigen Rechtsprechung des
Fachsenates am BSG anschließt. § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG lässt einen Widerspruch zu "einer” Entscheidung
insbesondere auch des BVerfG genügen (vgl. auch Kopp/Schenke, VwGO, § 132, Rn. 14); es liegt in der Konsequenz
dieser gesetzgeberischen Entscheidung, dass in Konstellationen der vorliegenden Art auch die Heranziehung
höchstrichterlicher Rechtsprechung die Notwendigkeit einer Revisionszulassung begründen kann.
Darüber hinaus weist die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Hinblick auf die dargelegten Differenzen
hinsichtlich der Berücksichtigungsfähigkeit von Maßnahmen der Krankengymnastik u.ä. einerseits nach Maßgabe der
BSG-Urteile vom 26.11.1998 und vom 22.08.2001 und andererseits unter Heranziehung des BSG-Urteils vom
29.04.1999 auf (§ 160 Abs 1 Ziffer 1 SGG). Inwieweit das Urteil unter diesem Gesichtspunkt auch auf eine
Abweichung von einer Entscheidung des BSG im Sinne des § 160 Abs 2 Ziffer 2 SGG beruht, kann in Anbetracht der
dargelegten Schwierigkeiten bei der Anwendung der in den Urteilen vom 26.11.1998 und 22.08.2001 aufgestellten
Kriterien nicht abschließend beurteilt werden.