Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 06.06.2002

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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschluss vom 06.06.2002 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Aurich S 6 RA 44/99
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 1 RA 84/01
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit sowie – im Vorwege – um Übergangsgeld bis
zur Durchführung eines Heilverfahrens.
Der 1951 geborene Kläger absolvierte nach dem Hauptschulabschluss von April 1968 bis März 1971 eine Ausbildung
zum Einzelhandelskaufmann in einer Buchhandlung. Nachdem er zwischenzeitlich zwei Jahre Dienst bei der
Bundeswehr geleistet und kaufmännische Tätigkeiten wiederum in einer Buchhandlung sowie in einer Möbelfirma und
einem Mineralölbetrieb ausgeübt hatte, wurde er im Januar 1983 Angestellter in der Buchhaltung einer
Standortverwaltung der Bundeswehr. Zuletzt war er im Gerätedepot in einer Abteilung für Konservierung und
Verpackung – als Versandkontrolleur – eingesetzt.
Im Frühjahr 1997 wurde dem Kläger die Versetzung in ein neu gebildetes Heeresdepot angekündigt, verbunden mit
einem Standortwechsel. Bevor es jedoch dazu kam, stellte der Kläger am 22. Dezember 1997 vor dem Hintergrund
einer chronischen Bronchitis, eines chronischen Lumbalsyndroms sowie einer langjährigen depressiven Entwicklung
bei der Beklagten den Antrag, ihm Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU), hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit (BU) zu
gewähren.
Die Beklagte zog mehrere Befundberichte der behandelnden Ärzte bei und ließ den Kläger zunächst durch den
Facharzt für Innere Medizin Dr. F. untersuchen. Der Gutachter führte unter dem 4. Februar 1998 als Diagnosen eine
mucopurlente (schleimig-eitrige), chronische Bronchitis mit leichter Schlafapnoe sowie ein pseudoradikuläres
Lumbalsyndrom auf. Der Kläger könne Büroarbeiten weiter vollschichtig verrichten, wobei die gehäuften Hustenanfälle
einer speziellen Heilbehandlung zugänglich seien und auch die Lumboischialgie intensiv therapiert werden könne.
Auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet begutachtete Frau Dr. G. (in Vertretung für Dr. H.) den Kläger am 17.
Februar 1998 und führte unter diesem Datum aus, seit mehr als sechs Jahren bestehe eine chronifizierte, vorwiegend
phobische Angststörung, die es dem Kläger unmöglich mache, sich ohne Begleitung weiter als 15 km von zu Hause
zu entfernen. Die chronische Bronchitis stelle sich als Symptom einer konversionsneurotischen Verarbeitung der zu
Grunde liegenden Angststörung dar. Der vom Arbeitgeber geplante Wechsel des Einsatzortes habe die phobische
Grundstörung in einem wesentlichen Maße aktiviert. Die Angststörung könne im Wege eines medizinischen
Heilverfahrens gebessert werden. Nach erfolgreicher Therapie werde der Kläger durchschnittlichen geistigen und
körperlichen Belastungen – ähnlich denen im bisherigen Erwerbsleben – gewachsen sein. Die beratende Ärztin der
Beklagten, Frau Dr. I., erklärte dazu am 9. März 1998, die Angststörung sei zwar therapiebedürftig, die im
Vordergrund stehende hysterische Neurose führe jedoch lediglich zur – vorübergehenden – Arbeitsunfähigkeit.
Empfohlen werde eine medizinische Heilmaßnahme.
Mit ihrem Bescheid vom 2. April 1998 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab. Im letzten Beruf bestehe eine
ausreichende Leistungsfähigkeit. Der Kläger erhob dagegen Widerspruch und trug vor, antriebsarm sowie psychisch
und physisch nicht einmal den Belastungen des täglichen Lebens gewachsen zu sein. Wenn sein derzeit bestehender
Krankengeldanspruch im November 1998 ende, sei er finanziell nicht mehr ausreichend versorgt. Er sei bereit, sich
einem stationären Heilverfahren zu unterziehen.
In der Zeit vom 7. Oktober bis zum 18. November 1998 führte der Kläger in der Klinik für Psychosomatik und
Psychotherapie J. in K. eine stationäre Psychotherapie durch. Im Entlassungsbericht vom 23. November 1998 hieß
es, im Mittelpunkt des Leidensbildes stünden eine agoraphobe (Platzangst betreffende, mit Schwächegefühl
verbundene Hemmung, freie Plätze oder ähnliches zu überqueren) Angstsymptomatik mit konversionsneurotisch
überlagerter chronischer Bronchitis, aktuell verstärkt durch den Tod des Vaters und die angekündigte berufliche
Versetzung. Im Rahmen des stationären Aufenthalts sei es gelungen, die Symptome zu reduzieren und den Kläger für
die Zusammenhänge der Angst- und Konversionsstörung zu sensibilisieren. Der Kläger sei stufenweise in das
Arbeitsleben wieder einzugliedern, wo er vollschichtig als Verwaltungsangestellter arbeiten könne.
Mit ihrem Bescheid vom 4. März 1999 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers nunmehr zurück. Sie führte
aus, der Entlassungsbericht bestätige die Fähigkeit, die bisherige Beschäftigung weiter vollschichtig auszuüben.
Dabei sei unbeachtlich, dass der Kläger nach den Leistungen zur Rehabilitation zunächst noch arbeitsunfähig
gewesen sei.
Dagegen hat der Kläger am 26. März 1999 Klage zum Sozialgericht (SG) Aurich erhoben. Er hat zur Begründung
ausgeführt, entgegen der Einschätzung der Gutachter im Reha-Verfahren nicht einmal in der Lage zu sein, seine
häusliche Umgebung ohne Begleitung zu verlassen. Die Reha-Maßnahme habe im Übrigen zu keiner wesentlichen
Besserung des Gesundheitszustandes geführt.
Das SG hat den Sachverhalt weiter aufgeklärt und zunächst weitere Befundberichte und medizinische Unterlagen der
behandelnden Ärzte eingeholt. Es hat die Ärztin für Innere Medizin, Psychotherapeutische Medizin sowie für
Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Frau Dr. L., mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Die
Sachverständige führte in ihrem am 18. Mai 2000 eingegangenen und nach zwei ambulanten Untersuchungen am 20.
sowie am 27. April 2000 erstatteten Gutachten aus, die psychopathologischen Auffälligkeiten seien – derzeit – nicht
derart ausgeprägt, dass sie das Leistungsvermögen wesentlich einschränkten. Aus psychiatrischer Sicht seien
Tätigkeiten ohne Zeitdruck und ohne Wechsel von Tag- und Nachtschicht ganztags zumutbar. Die in der Zeit von
Ende 1997 bis Ende 1999 durchgeführte ambulante Psychotherapie habe die depressive Erkrankung mit
Somatisierung offenbar gebessert. Da Frau Dr. L. anriet, die Einschränkungen von Seiten des Bewegungsapparates
eindeutig zu klären, beauftragte das SG zusätzlich Prof. Dr. Dr. M., ein fachorthopädisches Gutachten zu erstatten.
Unter dem 17. Juli 2000 kam dieser Sachverständige zu dem Ergebnis, bedeutsam seien ein chronisches
Rückenschmerzsyndrom bei Fehlstatik der Wirbelsäule, ein chronisches Rotatorensyndrom der linken und beginnend
auch der rechten Schulter sowie eine Fehlform beider Kniescheiben mit beginnender Retropatellararthrose links. Diese
regelwidrigen Befunde ließen keine schweren körperlichen Arbeiten mehr zu. Dagegen könne der Kläger leichte und
gelegentlich auch mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung noch vollschichtig erledigen. Der Kläger trug
dazu unter dem 12. Oktober 2000 unter Hinweis auf mehrere Arztberichte vor, der orthopädische Leidenszustand habe
sich kurzfristig erheblich verstärkt. Es bestehe ein Bandscheibenvorfall L5/S1 mit Verdacht auf Sequestrierung und
Wurzelreizung.
Das SG zog weitere Arztberichte bei, ua diejenigen der Gemeinschaftspraxis N., Dr. O., Frau Dr. P. sowie des
Facharztes für Nuklearmedizin Q. vom 21. September 2001.
Das SG hat die Klage durch sein Urteil vom 9. März 2001 abgewiesen. Es hat in der mündlichen Verhandlung Prof.
Dr. Dr. M. ergänzend zu dem aktuellen orthopädischen Befund befragt. Der Sachverständige hat in der mündlichen
Verhandlung ua ausgeführt, die vom Kläger vorgetragenen linksseitigen Beinschmerzen, verbunden mit
Gefühlsstörungen im linken Bein, seien durch einen Bandscheibenvorfall im letzten Lendensegment nachvollziehbar.
Vor dem Hintergrund eines sogenannten sensiblen Nervenwurzelreizsyndroms, verbunden mit Schmerzausstrahlung
und Gefühlsstörung, sei die körperliche Belastbarkeit weiter eingeschränkt als im schriftlichen Gutachten
angenommen. Das SG hat zur Begründung seiner klagabweisenden Entscheidung darauf abgestellt, die Gutachter
hätten im wesentlichen übereinstimmend eine vollschichtige Einsetzbarkeit des Klägers bekundet. Sowohl die
Angststörung als auch die zuletzt erhobenen orthopädischen Befunde seien nicht geeignet, Zweifel an der
vollschichtigen Leistungsfähigkeit zu wecken. Es sei nicht erforderlich, ein weiteres nervenärztliches Gutachten
einzuholen oder – einer Anregung des Klägers folgend – den behandelnden Dipl.-Psychologen R., vom dem eine
Bescheinigung vom 6. März 2001 vorlag, ergänzend zu befragen.
Gegen das ihm am 29. März 2001 zugestellte Urteil richtet sich die am 20. April 2001 eingegangene Berufung. Zu
dieser führt der Kläger aus, allein die Erkrankungen auf psychiatrischem Gebiet führten dazu, dass er auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt in nennenswerter Form nicht mehr tätig werden könne.
Der Kläger beantragt nach seinem Vorbringen im schriftlichen Verfahren,
1. das Urteil des Sozialgerichts Aurich vom 9. März 2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 2. April 1998 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. März 1999 aufzuheben sowie
2. die Beklagte zu verurteilen, ihm a) für die Zeit vom 1. Januar bis zum 18. November 1998 Übergangsgeld unter
Anrechnung der bereits erbrachten Leistungen und b) ab dem 19. November 1998 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit,
hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit, zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil des SG Aurich für zutreffend und erklärt im Übrigen ihre Bereitschaft, nach
Beendigung des Streitverfahrens eine – weitere – stationäre Heilmaßnahme auf psychosomatischem Gebiet
durchzuführen und nach deren Abschluss ggf berufliche Wiedereingliederungsmaßnahmen zu gewähren.
Der Senat hat Dr. S. beauftragt, ein weiteres nervenärztliches Gutachten anzufertigen. Der Sachverständige erklärte
am 12. Februar 2002, der Kläger könne die bei ihm bestehende Somatisierungsstörung mit Angst und Depression
sowie abhängiger Persönlichkeitsstörung im Wege zumutbarer Willensanstrengung und unter Inanspruchnahme
ärztlicher und psychotherapeutischer Hilfe überwinden. Der Kläger sei sich zwar der Ursachen seiner psychischen
Fehlhaltung nicht bewusst, vermöge jedoch die eigene Leistungsfähigkeit zu erkennen und seinen Alltag aktiv zu
gestalten.
Der Senat hat die Beteiligten auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG)
hingewiesen und angehört.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die
Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie auf die Rentenakten der Beklagten verwiesen.
II.
Der Senat konnte die Berufung gemäß § 153 Abs 4 SGG durch Beschluss zurückweisen, weil er sie einstimmig für
unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hielt. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört
worden.
Die gemäß §§ 143 f SGG statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden und somit zulässig. Das
Rechtsmittel ist jedoch nicht begründet.
Das Urteil des SG und die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen
Anspruch auf Rente wegen verminderter Leistungsfähigkeit, und zwar weder auf Rente wegen EU/BU nach dem bis
zum 31. Dezember 2000 geltenden Recht (§§ 43, 44 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch –SGB VI aF -) noch auf Rente
wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach dem seit dem 1. Januar 2001 geltenden Recht (§§ 43, 240 SGB VI nF).
Das SG hat in seinem Urteil die hier maßgeblichen Rechtsgrundlagen geprüft, rechtsfehlerfrei angewendet und auch
den medizinischen Sachverhalt im Einzelnen zutreffend aufgeklärt und nachvollziehbar gewürdigt. Nach allem ist es
zu der richtigen Entscheidung gekommen, dass dem Kläger eine Versichertenrente nicht zugesprochen werden kann.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird deshalb auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils vom 9.
März 2001 Bezug genommen (§ 153 Abs2 SGG).
Für die Frage der BU im Sinne der §§ 43 SGB VI aF; 240 SGB VI nF war der vom Kläger zuletzt ausgeübte Beruf des
mit buchhalterischen Büroarbeiten betrauten Angestellten und Sachbearbeiters zu grunde zu legen. Die Frage nach
etwaigen Verweisungstätigkeiten stellte sich nicht, weil der Kläger diesen bisherigen Beruf auch weiterhin auszuüben
in der Lage ist. Das ergibt sich daraus, dass die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit nach den
übereinstimmenden Aussagen der gehörten medizinischen Gutachter für Büroberufe ausreicht und der Kläger seine
kaufmännische Ausbildung und bisherige Berufserfahrung gleichermaßen wie in der letzten Arbeit bei der
Standortverwaltung nutzen kann. Bedeutsam für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits war die jegliche
Berufsausübung betreffende Frage, ob die im Vordergrund stehende Angstsymptomatik bzw depressive Entwicklung
mit nachgelagerter Somatisierung tatsächlich einen derartigen Grad erreicht hat, dass der Kläger an einem
Wiedereintritt ins Erwerbsleben gehindert ist. Die Frage war mit den Gründen des SG zu verneinen. Umstände, die zu
einer abweichenden Beurteilung führen könnten, sind im Verlaufe des Berufungsverfahrens nicht zu Tage getreten.
Der vom Senat für das nervenärztliche Fachgebiet gehörte Gutachter Dr. S. hat vielmehr die Aussagen der schon
gehörten Sachverständigen bestätigt, der Kläger könne die der Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit entgegen
stehenden Hemmnisse aus eigener Kraft – ggf unter ärztlicher Mithilfe, aber spätestens nach einer
Wiedereingliederungsphase bis zu einem halben Jahr – vollständig überwinden. Die Fähigkeit des Klägers zur
Überwindung der Hemmnisse ist von Dr. S. hinreichend deutlich gemacht worden. So erwähnte der Gutachter, der
Kläger habe in der Untersuchungssituation vorübergehend beim Schildern der Aussichtslosigkeit seiner eigenen
Situation und des Zusammenstehens mit seiner Ehefrau die Beherrschung verloren, sie aber sogleich und ohne
Unterstützung wieder gefunden und eine Stabilität mit humorvollen Anteilen erreicht. In diesem Sinne sind die
Handlungsalternativen auch in Bezug auf eine berufliche Tätigkeit in dem zu fordernden Umfang steuerbar. Dafür
spricht die Bemerkung Dr. T., der Kläger könne sich jedenfalls innerhalb einer von ihm geschaffenen Zone (Umkreis
von 20 km) sicher bewegen und sozialadäquat verhalten. Die aktiven Potentiale, die es dem Kläger ermöglichen,
erneut berufstätig zu sein, hat Dr. S. etwa auch daran aufgezeigt, dass der Kläger als Mitglied eines
Kaninchenzuchtvereins an regelmäßigen monatlichen Treffen teilnimmt, in der Saison 2001/2002 die
Kreismeisterschaft gewonnen hat, im Verein Ansprechpartner für Jugendliche ist, diese bei der Vorbereitung von
Ausstellungen unterstützt, Kleidersammlungen für Tschernobyl-Opfer durchführt und gelegentlich Video-Abende für
die Spender veranstaltet.
Bereits das SG hat die Annahme der Rentengutachterin Frau Dr. G. als nicht ausreichend nachgewiesen beurteilt, das
Leistungsvermögen des Klägers sei – für seinen bisherigen Beruf – vorübergehend aufgehoben. Die diesbezügliche
Einschätzung wurde bereits in der Verlaufsbeobachtung während der Reha-Maßnahme vom 7. Oktober bis zum 18.
November 1998 widerlegt. In dem Entlassungsbericht vom 23. November 1998 kam – wie auch später in den
Gutachten der Frau Dr. L. und des Dr. S. - zum Ausdruck, der Kläger sei in den psychischen Qualitäten orientiert,
bewusstseinsklar und in der Lage, seine Ziele zu benennen und nach Kräften durchzusetzen. So habe er die
Versichertenrente als das Mittel seiner Wahl erkannt, finanziell abgesichert zu sein und seiner Frau ein besseres
Leben zu ermöglichen.
Soweit sich Klage und Berufung darauf gründen, der Bewegungsradius sei eingeschränkt, kann dies ebenfalls nicht
zur Rentenberechtigung führen. Ohnehin unerheblich ist in diesem Zusammenhang die Wendung in der
Klagebegründung, das Haus könne lediglich in Begleitung verlassen werden. Abgesehen davon, dass weder die
eingeholten Gutachten noch die von den behandelnden Ärzten ausgestellten Befundberichte dafür ausreichende
Anhaltspunkte liefern, hat der Kläger selbst die auf das Verlassen der Häuslichkeit bezogenen Angstgefühle
überwiegend erst für Entfernungen ab ca 20 km vorgetragen (Gutachten Frau Dr. G.: 15 km; Reha-Entlassungsbericht:
1 Stunde Fahrtzeit; Gutachten Dr. S.: 20 km; letzter Schriftsatz des Klägers vom 6. Mai 2002: 20 km). Diesem
speziellen Aspekt der Agoraphobie brauchte nicht weiter nachgegangen zu werden, weil es rentenrechtlich ohne
Bedeutung ist, ob dem Versicherten weit entfernt liegende Arbeitsplätze zugemutet werden können. Die Frage nach
der EU/BU ist abstrakt und nicht etwa allein im Hinblick auf einen konkreten Arbeitsplatz wie denjenigen zu beurteilen,
den der Kläger im Jahre 1997 antreten sollte. Schließlich gab Dr. S. in seinem Gutachten die Vorstellungen des
Klägers wieder, er hielte eine Tätigkeit als Buchhalter wie bis 1997 in einer Einheit der Bundeswehr im näheren
räumlichen Umfeld (bis zu der als erreichbar angesehenen Stadt U.) für "wünschenswert und leistbar”.
Dr. S. hat im Übrigen deutlich gemacht, alle körperlichen Beschwerden seien letztlich Ausdruck der Angststörung und
hätten insoweit keinen eigenen – rentenberechtigenden – Krankheitswert. Es wird im Übrigen wiederum auf die
Ausführungen des SG verwiesen.
Der Kläger war nach alledem weder als berufs- noch als erwerbsunfähig anzusehen.
Die für das alte Recht geltende Beurteilung gilt erst Recht für das neue Recht, da von der gesetzlichen Neuregelung
noch weitergehende, insbesondere zusätzliche zeitliche Einschränkungen der Leistungsfähigkeit verlangt werden.
Für die Zeit bis zum Beginn der Reha-Maßnahme (während dieser bestand Anspruch auf Übergangsgeld) hätte
Anspruch auf (Ersatz-)Übergangsgeld, §§ 24 Abs 4, Abs 5, 116 SGB VI aF, nur unter der Voraussetzung bestanden,
dass die Rentenleistung zuerkannt worden wäre. Da letzteres nicht der Fall ist, kann der Kläger auch kein (Ersatz-
)Übergangsgeld beanspruchen.
Die Berufung konnte nach alledem keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Es bestand kein gesetzlicher Grund, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs 2 SGG).