Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 08.08.2013

LSG Niedersachsen: geistige behinderung, englisch, nachhilfeunterricht, schüler, gesellschaft, gemeinsame einrichtung, legasthenie, wahrscheinlichkeit, lese, stoff

1
2
3
4
5
--- kein Dokumenttitel vorhanden ---
SG Braunschweig 17. Kammer, Urteil vom 08.08.2013, S 17 AS 4125/12
Tenor
Der Bescheid vom 22.10.2012 in Gestalt des Bescheides vom 10.12.2012 und
des Widerspruchsbescheides vom 11.12.2012 wird aufgehoben und der
Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Teilnahme am Nachhilfeunterricht im
Fach Englisch für den Zeitraum vom 10.09.2012 bis zum Ende des
Schuljahres 2012/2013 insgesamt 180,-- € und für das Schuljahr 2013/2014
bis zum Abschluss der schriftlichen Prüfungen mit Ausnahme der Schulferien
in Höhe von wöchentlich 5,-- € zu zahlen.
Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu
erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Übernahme der Kosten für Nachhilfeunterricht
im Fach Englisch.
Der am 19.02.1997 geborene Kläger bezieht zusammen mit seiner Mutter
Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Zweites Buch (SGB II). Sein Vater
erhält eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Derzeit besucht der Kläger die 10. Klasse der Realschule G.. Er leidet an
ADHS und Legasthenie. Vom 07.01.2008 bis 08.05.2012 nahm er an einer
Legasthenietherapie bei einer Dyslexietherapeutin teil. Finanziert wurde die
Therapie durch die V. Stiftung. Während der Therapie begann er die
Medikation mit Ritalin, die er gegenwärtig noch fortsetzt.
Bereits im Mai und Juni 2011 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die
Übernahme der Kosten für Nachhilfeunterricht im Fach Englisch. Dieses lehnte
der Beklagte zunächst ab. Es schloss sich ein Rechtsstreit beim Sozialgericht
Braunschweig an (Az. S 74 AS 2720/11). Im Rahmen dieses Verfahren
schlossen die Beteiligten am 03.02.2012 einen Vergleich. Der Beklagte
verpflichtete sich ab dem 01.02.2012 bis zum Ende des Schuljahres
2011/2012 die Kosten für die Nachhilfe im Fach Englisch in Höhe von
monatlich 28,00 € zu übernehmen. Dabei schloss sich der Beklagte der
Auffassung des Gerichts an, das Leistungsdefizit des Klägers beruhe nur noch
darauf, dass der Kläger durch die jahrelange Legasthenie sprachlich noch
etwas zurückfalle, dieses aber behoben werden könne durch Unterstützung
der Eltern in Deutsch und durch eine Nachhilfekraft im Fach Englisch.
Im Abschlussbericht über die Legasthenietherapie vom 03.06.2012 führt die
Therapeutin aus, der Kläger erreiche eine Rechtsschreibleistung im
Durchschnittsbereich, bei der Leseleistung liege er bei der Lesezeit im
durchschnittlichen bis gut durchschnittlichen Bereich, bzgl. der Lesefehler
erreiche er gut durchschnittliche bis überdurchschnittliche Leistungen. Eine
erneute Intelligenztestung habe ergebe, dass der Kläger deutlich besser in der
Lage sei, sein Potential zu entfalten. Die Therapeutin geht davon aus, dass der
Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr von einer seelischen
Behinderung aufgrund seiner Legasthenie bedroht sei. Aufgrund des
systematischen Rechtsschreibaufbaus und der guten Leseentwicklung könne
6
7
8
9
10
11
12
13
systematischen Rechtsschreibaufbaus und der guten Leseentwicklung könne
er seinen schulischen und beruflichen Werdegang „sicher meistern“. Sie
beschreibt ihn als ehrgeizig und zuverlässig und kontinuierlich bereit, sich den
Aufgaben zu stellen.
Am 10.09.2012 beantragte der Kläger bei dem Beklagten erneut die
Übernahme der Kosten für die Teilnahme am Nachhilfeunterricht im Fach
Englisch, erteilt von einer älteren Schülerin in Höhe von 10 €/Stunde für eine
Stunde wöchentlich.
Den Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 22.10.2012 ab, da es sich
nicht um ein vorübergehendes Lerndefizit des Klägers handele. Nachdem der
Beklagte die Kostenübernahme abgelehnte hatte, erklärte sich die ältere
Schülerin bereit, dem Kläger für 5 €/Stunde für eine Stunde wöchentlich
Nachhilfe zu erteilen. Der Kläger legte am 01.11.2012 Widerspruch gegen den
Bescheid vom 22.10.2012 ein. Mit Bescheid vom 10.12.2012 lehnte der
Beklagte den Antrag erneut ab. Den Widerspruch gegen den Bescheid vom
22.10.2012 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.12.2012
zurück. Dort führt er aus, die Englischlehrerin habe nicht bescheinigt, dass die
Versetzung des Klägers gefährdet sei.
Am 28.12.2012 hat der Kläger Klage erhoben.
Mit Beschluss vom 31.01.2013 hat das Gericht die Beigeladene am Verfahren
beteiligt.
Die Leistungen des Klägers wurden im Halbjahreszeugnis der 9. Klasse in den
Fächern Englisch, Deutsch und Chemie mit ausreichend, in den übrigen
Fächern mit gut oder befriedigend bewertet. Die Klassenlehrerin des Klägers
führt in einem Kurzbericht aus, der Kläger benötige in den Fächern Deutsch
und Englisch bei der Verschriftlichung doppelt bzw. viel mehr Zeit als die
anderen Schüler. Er habe oft Schwierigkeiten, Gehörtes korrekt zu
verschriftlichen. Bei lauten Vorlesen im Deutschunterricht gebe er sich Mühe,
spreche aber oft zu leise und sei daher schwerer zu verstehen. Auswendig
Gelerntes könne er hervorragend wiedergeben. Die Klassenarbeiten
(Aufsätze) in Deutsch seinen im 1. Halbjahr schwach ausreichend bis
mangelhaft gewesen. Aufgrund seiner bemühten mündlichen Mitarbeit habe er
die Note ausreichend erhalten. In Englisch sei seine große Stärke, Vokabeln
zu lernen und sie fast korrekt nieder zu schreiben. Die Kompetenzbereiche
Writing, Reading, Listening und Mediating, die im Englischunterricht abgefragt
würden, stelle ihn vor fast unlösbare Schwierigkeiten, er stelle sich diesen
Herausforderungen jedoch mit großem Fleiß und Ehrgeiz. Die Klassenlehrerin
empfahl für beide Fächer Nachhilfeunterricht.
Im Ganzjahreszeugnis der 9. Klasse wurden die Leistungen des Klägers in
den Fächern Englisch, Deutsch, Geschichte und Chemie mit ausreichend, in
den übrigen Fächern mit gut oder befriedigend bewertet.
Der Kläger nahm im Schuljahr 2012/2013 insgesamt 36 Stunden
Nachhilfeunterricht.
Zur Begründung seiner Klage trägt er vor, er habe im Englischunterricht
Schwierigkeiten im Lesen und Übersetzen, der Lernstoff werde komplexer.
Seine Nachhilfelehrerin arbeite mit ihm den Stoff des Englischunterrichts nach.
Sie tausche sich mit seiner Englischlehrerin aus. Er bekomme in den Fächern
Deutsch und Englisch den Nachteilsausgleich. Die Schule mache zwar die
Gewährung des Nachteilsausgleiches nicht davon abhängig, dass er privaten
Nachhilfeunterricht nehme, da er ein engagierter Schüler sei. Dennoch
erreiche er evtl. das Klassenziel nicht, wenn er nicht zusätzlich
Nachhilfeunterricht erhalte. Er müsse sich mit dem Zeugnis der 9. Klasse
bewerben. Auch für die 10.Klasse sei Nachhilfeunterricht geplant, einmal
wöchentlich außer in den Schulferien. In den Abschlussprüfungen der 10.
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
Klasse erhalte er den Nachteilsausgleich jedoch nicht mehr.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 22.10.2012 in Gestalt des Bescheides vom
10.12.2012 und des Widerspruchsbescheides vom 11.12.2012
aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger für die
Teilnahme am Nachhilfeunterricht im Fach Englisch für den Zeitraum
vom 10.09.2012 bis zum Ende des Schuljahres 2012/2013 in Höhe von
insgesamt 180,-- € und für den Zeitraum des Schuljahres 2013/2014 bis
zum Abschluss der schriftlichen Prüfungen mit Ausnahme der
Schulferien in Höhe von wöchentlich 5,-- € zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
Er bezieht sich auf seine Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Zudem
könne eine Lernförderung gemäß § 28 Absatz 5 SGB II nur erfolgen, um die
nach schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu
erreichen, dazu gehörten die Versetzung in die nächsthöhere Klassenstufe,
eine Lernförderung können daher nur kurzfristig erfolgen, nicht aber während
des gesamten Schuljahres. Es könne nicht als wesentliches Lernziel
angesehen werden, durchgängig im gesamten Schuljahr gute Schulnoten zu
erreichen. Er sei an die Weisungen der Beigeladenen gebunden.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Sie führt aus, der Nachhilfeunterricht sei zwar sinnvoll. Es komme aber weder
eine Leistung nach dem SGB XII noch nach dem SGB VIII in Betracht. Der
Kläger leide weder an einer geistigen, körperlichen noch seelischen
Behinderung, noch sei er von einer solchen bedroht, die ihn wesentlich in
seiner Fähigkeit beeinträchtige, an der Gesellschaft teilzuhaben. Dieses
ergebe sich aus dem Therapieabschlussbericht. Auch die Klassenlehrerin
bestätige, dass der Kläger sich für sein Klassenziel einsetze.
Wegen des übrigen Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird
im Übrigen ergänzend Bezug genommen auf die Prozessakten des
Klageverfahrens und des Verfahrens S 74 AS 2720/11 sowie auf die
Verwaltungsakte des Beklagten, die Gegenstand der Entscheidungsfindung
waren.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Streitgegenstand ist der Bescheid vom 22.10.2012 in Gestalt des Bescheides
vom 10.12.2012 (Zweitbescheid) und des Widerspruchsbescheides vom
11.12.2012.
Die Beigeladene war gemäß § 75 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)
notwendig beizuladen, da auch ein Anspruch des Klägers aus § 35a des
Sozialgesetzbuches - Achtes Buch (SGB VIII) oder aus § 53 des
Sozialgesetzbuches - Zwölftes Buch (SGB XII) in Betracht kommt. Im
gerichtlichen Verfahren betreffend die Leistungen zur Teilhabe behinderter
Menschen ist der nach § 14 des Sozialgesetzbuches - Neuntes Buch (SGB IX)
möglicherweise endgültig zuständige Leistungsträger notwendig beizuladen
(Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 25.06.2008, B 11b AS 19/07 R, zit.
nach juris). Anspruchsgegner gegenüber dem Kläger ist jedoch ausschließlich
der Beklagte, da dieser den Antrag des Klägers nicht an die Beigeladene
25
26
27
28
29
weitergeleitet hat und gemäß § 14 SGB IX gegenüber dem Kläger allein
leistungspflichtig ist. Werden Leistungen zur Teilhabe beantragt, stellt der
Rehabilitationsträger gemäß § 14 Absätze 1 und 2 SGB IX innerhalb von zwei
Wochen nach Eingang des Antrages bei ihm fest, ob er nach dem für ihn
geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist. Stellt er bei der
Prüfung fest, dass er für die Leistung nicht zuständig ist, leitet er den Antrag
unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger
zu. Wird der Antrag nicht weitergeleitet, stellt der Rehabilitationsträger den
Rehabilitationsbedarf unverzüglich fest. Er hat ggf. einen Erstattungsanspruch
gegenüber der Beigeladenen. Die Weiterleitungspflicht besteht auch für den
Träger der Grundsicherung nach dem SGB II (Sächsisches
Landessozialgericht (LSG), Urteil vom 21.02.2011, L 7 AS 145/08, zit. nach
juris). Zwar bleibt Rehabilitationsträger gemäß § 6a SGB IX auch für behinderte
erwerbsfähige Hilfebedürftige nach dem SGB II die Bundesagentur für Arbeit.
Allerdings unterbreitet diese nur den Eingliederungsvorschlag, die
Entscheidung gegenüber dem Leistungsberechtigten trifft gemäß § 6a Satz 4
SGB IX die gemeinsame Einrichtung, welche die Leistungen nach dem SGB II
erbringt. Die Aufgabenwahrnehmung durch die Bundesagentur für Arbeit
umfasst grundsätzlich auch die Verpflichtung zur Weiterleitung eines Antrags
nach § 14 SGB IX (BSG, a.a.O.).
Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Übernahme
der Kosten für Nachhilfeunterricht im Fach Englisch im beantragten Umfang
gegen den Beklagten.
Ein Anspruch aus § 35a Absatz 1 SGB VIII hat der Kläger nicht. Danach haben
Kinder oder Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn ihre
seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate
von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und daher ihre
Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche
Beeinträchtigung zu erwarten ist. Von einer seelischen Behinderung bedroht
im Sinne dieses Buches sind Kinder oder Jugendliche, bei denen eine
Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher
Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.
Gemäß § 2 Absatz 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche
Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher
Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter
typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der
Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die
Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Bei Legasthenie handelt es sich - bei sonst normaler Intelligenz - um eine
geistige Teilleistungsstörung (Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom
28.09.1995, 5 C 21/93, LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom
05.08.2010, L 8 SO 143/10 B ER, Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (VGH),
Urteil vom 15.05.2013, 12 B 13.129, jeweils zit. nach juris) und stellt eine
geistige Behinderung dar (BVerwG, a.a.O.). Das erkennende Gericht schließt
sich dieser Rechtsprechung an. Beim Kläger liegt infolge seiner Lese- und
Rechtschreibschwäche eine geistige Teilleistungsstörung und damit eine
geistige Behinderung vor. Sein bisheriger Werdegang lässt zweifelsfrei auf
eine mindestens normale Intelligenz schließen. Im Rahmen der
Legasthenietherapie von 2008 bis 2012 ist es dem Kläger gelungen, seine
Lese- und Rechtschreibleistung deutlich zu verbessern. Die Klassenlehrerin
beschreibt den Kläger als gewissenhaften und engagierten Schüler. Die
Leistungen des Klägers in der Schule liegen durchschnittlich im befriedigenden
Bereich. Die mündlichen Leistungen des Klägers liegen deutlich über seinen
Schriftlichen.
Neben der geistigen Behinderung liegt eine seelische Behinderung bei dem
Kläger jedoch nicht vor, auch ist er derzeit nicht von einer solchen bedroht. Für
30
31
32
33
34
die Frage, ob ein Kind oder Jugendlicher seelisch behindert i.S. des § 35a
SGB VIII ist, kommt es auf das Ausmaß, den Grad der seelischen Störungen
an. Entscheidend ist, ob die seelischen Störungen nach Breite, Tiefe und
Dauer so intensiv sind, dass sie die Fähigkeit zur Eingliederung in die
Gesellschaft beeinträchtigen. Von einer seelischen Behinderung bedroht sind
Kinder und Jugendliche, bei denen eine seelische Behinderung als Folge
seelischer Störungen noch nicht vorliegt, der Eintritt der seelischen
Behinderung aber nach allgemeiner ärztlicher oder sonstiger fachlicher
Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (BVerwG, Urteil vom
26.11.1998, 5 C 38/97, zit. nach juris).
Die ehemalige Therapeutin des Klägers kommt zu dem Ergebnis, dass der
Kläger nach Abschluss der Therapie seinen schulischen und beruflichen
Werdegang erfolgreich absolvieren wird. Er ist deutlich selbstbewusster und
souveräner mit Umgang mit Lesen und Schreiben geworden. Sie beschreibt
den Kläger als ehrgeizig und kontinuierlich bereit, sich anzustrengen. Auch die
Eltern des Klägers und seine Klassenlehrerin charakterisieren ihn als einen
sehr engagierter Schüler, der bemüht ist, seine Leistungen aufgrund seiner
Einschränkungen durch mündliche Leistungen zu verbessern. Anhaltspunkte,
die auf eine seelische Behinderung oder zumindest auf eine Bedrohung davon
schließen lassen, sind nicht ersichtlich.
Gemäß § 28 Absatz 5 SGB II wird bei Schülern eine schulische Angebote
ergänzende angemessene Lernförderung berücksichtigt, soweit diese
geeignet und zusätzlich erforderlich ist, um die nach den schulrechtlichen
Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen.
Gemäß § 53 Absätze 1, 3 und 4 des Sozialgesetzbuches - Zwölftes Buch
(SGB XII) erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2
Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft
teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung
bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der
Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der
Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe
erfüllt werden kann. Personen mit einer anderen körperlichen, geistigen oder
seelischen Behinderung können Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten.
Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es, eine drohende Behinderung
zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu
mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern.
Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am
Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihnen die
Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen
Tätigkeit zu ermöglichen oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege
zu machen. Für die Leistungen zur Teilhabe gelten die Vorschriften des
Neunten Buches, soweit sich aus diesem Buch und den auf Grund dieses
Buches erlassenen Rechtsverordnungen nichts Abweichendes ergibt. Die
Zuständigkeit und die Voraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe richten
sich nach diesem Buch.
Gemäß § 54 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII sind Leistungen der
Eingliederungshilfe neben den Leistungen nach den §§ 26, 33, 41 und 55 des
Neunten Buches insbesondere Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung,
insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch
weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu; die
Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der
allgemeinen Schulpflicht bleiben unberührt.
Eine Förderung gemäß den §§ 53, 54 SGB XII ist für Empfänger von
Leistungen nach dem SGB II gemäß § 5 Absatz 2 SGB II nicht
ausgeschlossen. Dennoch gilt es in diesem Fall, eine Abgrenzung der
verschiedenen Anspruchsgrundlagen vorzunehmen.
35
36
37
Der Anwendungsbereich der §§ 53, 54 SGB XII ist bei Legasthenie als geistige
Behinderung eröffnet, eine Förderung nach § 28 Absatz 5 SGB II jedoch nicht
gänzlich ausgeschlossen. Entgegen der Auffassung des Beklagten findet § 28
Absatz 5 SGB II nicht nur Anwendung bei kurzfristigen und vorübergehenden
Lernschwächen. Nach dem Gesetzeswortlaut ist dieses keine Voraussetzung.
Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass außerschulische
Lernförderung nur in Ausnahmefällen geeignet und erforderlich und in der
Regel nur kurzzeitig notwendig ist, um vorübergehende Lernschwächen zu
beheben (BT-Drs. 17/3404, S. 105). Auch der Gesetzgeber beschreibt nur den
Regelfall, von dem in begründeten Einzelfällen abgewichen werden kann. So
kann auch nach Auffassung des LSG Niedersachen-Bremen § 28 Absatz 5
SGB II Anwendung bei Schülern finden, die infolge von Legasthenie eine
Lernförderung benötigen (Beschluss von 28.02.2012, L 7 AS 43/12 B ER, zit.
nach juris). Dieser Auffassung schließt sich das erkennende Gericht an.
Um nunmehr eine Trennung zwischen § 28 Absatz 5 SGB II und den §§ 53, 54
SGB XII zu finden, ist es sachgerecht, für den Bereich der reinen
Lernförderung § 28 Absatz 5 SGB II und - soweit darüber hinaus noch eine
weitere Förderung bzw. Therapie notwendig ist - die §§ 53, 54 SGB XII
anzuwenden (so auch Sozialgericht (SG) Braunschweig, Beschluss vom
30.01.2012, S 17 AS 38/12 ER). Denn zu beachten sind hier besonderen
Voraussetzungen der §§ 53,54 SGB XII. Gemäß § 53 Absatz 1 Satz 1 SGB XII
besteht ein Anspruch auf Förderung nur bei einer wesentlichen Behinderung
und der wesentlichen Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Teilhabe. Geistig
wesentlich behindert im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII sind Personen,
die infolge einer Schwäche ihrer geistigen Kräfte in erheblichem Umfange in
ihrer Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft eingeschränkt sind
(§ 2 der Verordnung nach § 60 SGB XII - Eingliederungshilfe-Verordnung
(EinglH-VO)). Zwar kann eine Lese- und Rechtschreibschwäche, bei sonst
normaler Intelligenz und regelrechtem neurologischen Befund, dafür
ausreichen, dass eine Person geistig wesentlich behindert ist. Zu
berücksichtigen ist allerdings, dass geistige Teilleistungsstörungen oft
entweder durch andere geistige Fähigkeiten ausgeglichen werden können
oder bereits wegen ihrer Bezogenheit auf einen Teil der geistigen Kräfte für
eine erhebliche Beeinträchtigung der Eingliederungsfähigkeit im Sinne des § 2
EinglH-VO nicht ausreichen (BVerwG, Urteil vom 28.09.1995, 5 C 21/93, zit.
nach juris). Es liegt bei Legasthenie und sonst normaler Intelligenz i.d.R. keine
erhebliche Einschränkung der Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der
Gesellschaft vor, selbst wenn ein erfolgreicher Schulabschluss gefährdet ist
(BVerwG, Urteil vom 28.09.1995; LSG Niedersachsen Bremen, Beschluss vom
05.08.2010, a.a.O.). Andernfalls wäre nahezu jede, ein höheres
Ausbildungsziel gefährdende geistige (Leistungs-)Schwäche eine wesentliche
Behinderung im Sinne des § 2 EinglH-VO (BVerwG, Urteil vom 28.09.1995,
a.a.O.).
Eine Förderung bei einer (nicht wesentlichen) Behinderung und einer
wesentlichen Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Teilhabe oder eine Förderung
bei einer Behinderung und Beeinträchtigung der der Fähigkeit zur Teilhabe
(jeweils § 53 Absatz 1 Satz 2 SGB XII) steht lediglich im Ermessen des
Sozialleitungsträgers, einen Anspruch auf die Leistung besteht grundsätzlich
nicht. Nur im Falle einer Behinderung und einer wesentlichen Beeinträchtigung
der Fähigkeit zur Teilhabe wird vertreten, dass bei verfassungskonformer
Auslegung im Vergleich mit Anspruchsinhabern von Rehabilitationsleitungen
und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ein Fall der
Ermessenreduzierung "auf Null" dann vorliegt, wenn diese einen Anspruch auf
Teilhabeleistungen haben (Bieritz-Harder in LPK-SGB XII, 9. Auflage 2012, §
53 Rn 21; Voelzke in Hauck/Noftz SGB XII, § 53 Rn 21). Ein solcher Fall liegt
jedoch bei Teilhabeleistungen für Schüler in Form von Nachhilfeunterricht nicht
vor.
38
39
40
41
Der Kläger hat, da er eine reine Lernförderung begehrt, demnach einen
Anspruch auf Gewährung der beantragten Teilhabeleistung gemäß § 28
Absatz 5 SGB II.
Gemäß § 37 Absatz 1 Satz 2 SGB II sind Leistungen nach § 28 Absatz 5 SGB
II gesondert zu beantragen. Den Antrag hat der Kläger am 10.09.2012 bei dem
Beklagten gestellt. Fraglich ist, ob § 41 Absatz 1 Satz 4 SGB II auch auf
Teilhabeleistungen Anwendung findet. Danach sollen die Leistungen jeweils
für sechs Monate bewilligt und monatlich im Voraus erbracht werden. Der
Bewilligungszeitraum kann auf bis zu zwölf Monate bei Leistungsberechtigten
verlängert werden, bei denen eine Veränderung der Verhältnisse in diesem
Zeitraum nicht zu erwarten ist (§ 41 Absatz 1 Satz 5 SGB II). Einen längeren
Bewilligungszeitraum sieht § 41 SGB II nicht vor, während es bei
Teilhabeleistungen nach dem SGB VIII oder SGB XII keine abstrakte
Begrenzung der Förderdauer gibt, es vielmehr im konkreten Einzelfall darauf
ankommt, ob und wie lange die Voraussetzung für eine Förderung vorliegen.
Diese Frage kann hier jedoch offenbleiben. § 41 Absatz 1 Satz 4 SGB II betrifft
nur die Leistungsgewährung und kann nicht auf eine Leistungsablehnung
übertragen werden (BSG, Urteil vom 23.11.2006, B 11b AS 1/06 R m. w. N., zit.
nach juris). Im Fall der Leistungsablehnung ist im gerichtlichen Verfahren
grundsätzlich über den geltend gemachten Anspruch bis zum Zeitpunkt der
letzten mündlichen Verhandlung (vor dem SG bzw. ggf. vor dem LSG) zu
entscheiden (BSG, Urteil vom 16.05.2007, B 11b AS 37/06 R, zit. nach juris).
Das gilt dann nicht, wenn der Betroffene einen Folgeantrag stellt, über den der
Leistungsträger eine neue Entscheidung trifft und der Zeitraum, für den die
erste Ablehnung Wirkung entfaltet, damit endet (BSG, Urteil vom 25.06.2008, B
11b AS 45/06 R, zit. nach juris).
Das erkennende Gericht hat über den Anspruch des Klägers ab Antragstellung
bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 08.08.2013 zu
entscheiden und konnte auch über einen Anspruch des Klägers für das an
diesem Tag begonnene Schuljahr 2013/2014 befinden. Der Beklagte lehnte
den Antrag des Klägers vollständig ab, einen Folgeantrag insbesondere für
das Schuljahr 2013/2014 stellte der Kläger nicht. Bei der Entscheidung über
eine Lernförderung nach § 28 Absatz 5 SGB II ist- wie noch auszuführen sein
wird - eine Prognoseentscheidung zu Beginn einer möglichen Förderung zu
treffen.
Der Anspruch, der Schülern nach § 28 Absatz 5 SGB II zusteht, ist die
Umsetzung dessen, was das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seiner
Entscheidung vom 09.02.2010, (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09, zit. nach
juris) vorgegeben hat und Ausfluss des Anspruches auf Chancengleichheit. So
führt das BVerfG in dieser Entscheidung aus (Rn 197): „Vor allem ist ein
altersspezifischer Bedarf für Kinder einzustellen, welche die Schule besuchen.
Wie bereits ausgeführt macht die Zuständigkeit der Länder für das Schul- und
Bildungswesen die fürsorgerechtliche Berücksichtigung dieses Bedarfs nicht
entbehrlich. Die Zuständigkeit der Länder betrifft überdies den personellen und
sachlichen Aufwand für die Institution Schule und nicht den individuellen
Bedarf eines hilfebedürftigen Schülers. Der Bundesgesetzgeber könnte erst
dann von der Gewährung entsprechender Leistungen absehen, wenn sie
durch landesrechtliche Ansprüche substituiert und hilfebedürftigen Kindern
gewährt würden. Dann könnte eine einrichtungsbezogene Gewährung von
Leistungen durch die Länder, zum Beispiel durch Übernahme der Kosten für
die Beschaffung von Lernmitteln oder durch ein kostenloses Angebot von
Nachhilfeunterricht, durchaus ein sinnvolles Konzept jugendnaher Hilfeleistung
darstellen, das gewährleistet, dass der tatsächliche Bedarf gedeckt wird.
Solange und soweit dies jedoch nicht der Fall ist, hat der Bundesgesetzgeber,
der mit dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch ein Leistungssystem schaffen
wollte, welches das Existenzminimum vollständig gewährleistet, dafür Sorge zu
tragen, dass mit dem Sozialgeld dieser zusätzliche Bedarf eines Schulkindes
42
43
44
45
46
hinreichend abgedeckt ist.“
Aus der Gesetzesbegründung zu § 28 SGB II ergibt sich folgendes:
„§ 28 regelt, für welche Bedarfe Leistungen für Bildung und Teilhabe erbracht
werden, mit denen das menschenwürdige Existenzminimum von Kindern und
Jugendlichen sowie von Schülerinnen und Schülern im Bereich der
gesellschaftlichen Teilhabe und Bildungsteilhabe sichergestellt wird. Die
Bedarfe werden als eigenständige Bedarfe neben dem Regelbedarf
anerkannt, um durch zielgerichtete Leistungen eine stärkere Integration
bedürftiger Kinder und Jugendlicher in die Gemeinschaft zu erreichen. Bildung
und Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben sind erforderlich, um die
materielle Basis für Chancengerechtigkeit herzustellen. Insbesondere der
Bildung kommt bei der nachhaltigen Überwindung von Hilfebedürftigkeit und
zukünftigen Lebenschancen eine Schlüsselfunktion zu. …Die in § 28
anerkannten, gesondert berücksichtigten Bedarfe tragen den Erkenntnissen
von Erziehungswissenschaftlern und den Erfahrungen von Praktikern im
Umgang mit Kindern und Jugendlichen (Lehrerinnen und Lehrern,
Erzieherinnen und Erziehern) Rechnung. Sie sind notwendig, um die
Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus seinem Urteil vom 9. Februar
2010 zu erfüllen. Die materielle Ausstattung von Schülerinnen und Schülern,
die Teilnahme an schulischen Aktivitäten sowie die außerschulische Bildung
sind gesondert und zielgerichtet zu erbringen, um gesellschaftliche
Exklusionsprozesse zu beenden. Der die Menschenwürde achtende
Sozialstaat muss nachrangig über das Fürsorgesystem die Leistungen
erbringen, die notwendig sind, damit insbesondere Schülerinnen und Schüler
aus einkommensschwachen Haushalten durch Entwicklung und Entfaltung
ihrer Fähigkeiten in die Lage versetzt werden, ihren Lebensunterhalt später
aus eigenen Kräften bestreiten zu können (vgl. BVerfG, Urteil vom 9. Februar
2010, 1 BvL 1/09, 3/09, 4/09, Rn. 192)“ (BT-Drs. 17/3404, S. 104).
Die Voraussetzungen für eine Förderung nach § 28 Absatz 5 SGB II liegen
vor. Der Kläger ist Schüler und hilfebedürftig im Sinne des SGB II. Bei dem
vom Kläger in Anspruch genommenen Nachhilfeunterricht handelt es sich um
eine Lernförderung, die das Angebot der Schule, die der Kläger besucht,
ergänzt. In seiner Schule wird keine entsprechende Förderung angeboten.
Bei der Entscheidung, ob die Lernförderung geeignet und erforderlich ist, ist
eine auf das Schuljahresende bezogene prognostische Einschätzung unter
Einbeziehung der schulischen Förderangebote zu treffen (BT-Drs. 17/3404, S.
105).
Hier ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Kläger bereits im Zeitraum von
Februar bis Juni 2012 Nachhilfe im Fach Englisch erhalten hat. Seine Note in
Englisch hat sich danach nicht verbessert. Dennoch ist der Nachhilfeunterricht
für das Fach Englisch für den Kläger geeignet, um die nach den
schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu
erreichen. Es wird zwar vertreten, dass eine Lernförderung nicht geeignet ist,
wenn der bisher bereits in Anspruch genommene Nachhilfeunterricht nicht zu
einer Verbesserung der Leistungen führte (SG Frankfurt, Beschluss vom
05.05.2011, S 26 AS 463/11 ER, zit. nach juris). Jedoch ist immer auf den
konkreten Einzelfall abzustellen. Nicht allein entscheidend ist, dass sich die
Schulnote verbessert. Ziel der Lernförderung kann es auch sein, dass sich die
Note nicht verschlechtert. Zudem ist wesentliches Lernziel nicht nur die
Versetzung in die nächsthöhere Klasse, sondern z. B. auch das Erreichen
eines ausreichenden Leistungsniveaus. Dieses ergibt sich aus den
schulrechtlichen Bestimmungen (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom
28.02.2012, a.a.O.). Auch in der Gesetzesbegründung zu § 28 Absatz 5 SGB
II findet sich diese Auffassung bestätigt. So wird dort ausgeführt: „ Die
Geeignetheit und Erforderlichkeit der Lernförderung bezieht sich auf das
wesentliche Lernziel, das sich wiederum im Einzelfall je nach Schulform und
47
48
49
50
51
Klassenstufe aus den schulrechtlichen Bestimmungen des jeweiligen Landes
ergibt. Das wesentliche Lernziel in der jeweiligen Klassenstufe ist regelmäßig
die Versetzung in die nächste Klassenstufe beziehungsweise ein
ausreichendes Leistungsniveau“ (BT-Drs. 17/3404, S. 105).
Gemäß § 10 Absatz 1 des Niedersächsischen Schulgesetzes (NSchG)
vermittelt die Realschule ihren Schülerinnen und Schülern eine erweiterte
Allgemeinbildung, die sich an lebensnahen Sachverhalten ausrichtet sowie zu
deren vertieftem Verständnis und zu deren Zusammenschau führt. Sie stärkt
selbständiges Lernen. In der Realschule werden den Schülerinnen und
Schülern entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit und ihren Neigungen eine
Berufsorientierung und eine individuelle Schwerpunktbildung in den Bereichen
Fremdsprachen, Wirtschaft, Technik sowie Gesundheit und Soziales
ermöglicht. Das Angebot zur Schwerpunktbildung richtet sich nach den
organisatorischen, personellen und sächlichen Gegebenheiten der einzelnen
Schule; es sind mindestens zwei Schwerpunkte anzubieten. Die Schülerinnen
und Schüler werden in der Realschule befähigt, ihren Bildungsweg nach
Maßgabe der Abschlüsse berufs- oder studienbezogen fortzusetzen.
Um eine erweiterte Allgemeinbildung zu erhalten, selbständig lernen zu
können und die Befähigung zu erlangen, seinen Bildungsweg berufs- oder
studienbezogen fortzusetzen ist es notwendig, auch die Fertigkeiten im Lesen
und Schreiben - im Rahmen der persönlichen Möglichkeiten - ausreichend zu
erlernen, insbesondere auch in der Fremdsprache Englisch. So ist
gewährleistet, dass der Schüler die Bildung erlangt, die er für seinen künftigen
Berufsweg benötigt. Er ist auch dann in der Lage, sich Sachverhalte
selbständig zu erschließen. Ausreichende Kenntnisse in der Fremdsprache
Englisch werden vielen verschiedenen Lebens- und Berufsbereichen
vorausgesetzt.
Der Kläger hat während seiner Legasthenietherapie zwar bestimmte
Fertigkeiten erlernt, um mit seiner Lernbehinderung besser umzugehen.
Allerdings lässt sich die Lese- und Rechtsschreibschwäche nie vollständig
beheben, so dass er weiterhin Schwierigkeiten beim Schreiben von eigenen
Texten und Lesen neuer Texte hat und haben wird. Dieses wird jedoch gerade
in höheren Klassen von ihm verlangt. Im Schulfach Englisch kann er sein
Defizit auch nicht (mehr) durch vorangegangenes Erlernen der Vokabeln,
insbesondere deren Schreibweise, allein kompensieren. Durch den
Nachhilfeunterricht - hier für Englisch - hat der Kläger die Möglichkeit, den
neuen Stoff des Unterrichts mit seiner Nachhilfelehrerin aufzuarbeiten, um so
keine oder zumindest weniger Lücken aufzubauen. Die Nachhilfe durch eine
ältere Schülerin ist dafür nach Auffassung des Gerichts geeignet. Diese kennt
den genauen Lernstoff der jeweiligen Klassenstufe und tauscht sich mit der
Englischlehrerin des Klägers aus.
Der Nachhilfeunterricht für das Fach Englisch ist für den Kläger auch
zusätzlich erforderlich, um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen
festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen. Nach Überzeugung des
Gerichts kann der Kläger nicht in gleicher Weise allein den Stoff der
Unterrichtsstunde, den er nicht oder nicht ausreichend verstanden hat,
nacharbeiten. Dazu benötigt er Hilfe. Seine Eltern oder andere Angehörige
können ihm in diesem Fach nicht helfen. Seine Mutter kann nur die Nachhilfe
für das Fach Deutsch übernehmen.
Dass die Schule dem Kläger einen Nachteilsausgleich gewährt, unabhängig
davon, ob er privaten Nachhilfeunterricht nimmt, führt nicht dazu, dass die
Lernförderung in Englisch nicht erforderlich ist. Aus Nr. 4.1 des Runderlasses
des Niedersächsischen Kultusministeriums vom 04.10.2005 (SVBl. 11/2005,
S. 560 - VORIS 22410) ergibt sich, dass Schüler mit besonderen
Schwierigkeiten im Lesen und Rechtschreiben in der Regel den für alle
Schülern geltenden Maßstäben der Leistungsbewertung unterliegen. In
52
53
54
55
besonders begründeten Ausnahmefällen kann von den allgemeinen
Grundsätzen abgewichen werden. Abweichungen können danach
insbesondere die stärkere Gewichtung mündlicher Leistung, insbesondere in
den Fremdsprachen und der zeitweilige Verzicht während der Förderphase auf
eine Bewertung der Lese- und Rechtschreibleistung sein. Vorrangig vor dem
Abweichen von den allgemeinen Grundsätzen der Leistungsfeststellung ist
allerdings - wie im Fall des Klägers - eine Hilfe im Sinne eines
Nachteilsausgleichs, die auf den Stand der Lernentwicklung des Schülers
abzustimmen sind. Als Hilfen im Sinne eines Nachteilsausgleichs gelten
insbesondere eine Ausweitung der Arbeitszeit, z.B. bei zu zensierenden
schriftlichen Lernkontrollen, Entwickeln einer dem individuellen Lernstand
angepasste Aufgabenstellung und das Einordnen der schriftlichen und
mündlichen Leistung unter dem Aspekt des erreichten Lernstands mit
pädagogischer Würdigung.
Die Gewährung eines Nachteilsausgleichs allein ist aber nicht ausreichend,
um das oben beschriebene Leistungsniveau zu erreichen. Für den Kläger ist
es wichtig, dass er effektiv den Stoff des Unterrichts nacharbeiten kann. Dann
ist er auch in der Lage, sich weiteres Wissen anzueignen, um das
ausreichende Leistungsniveau zu erreichen oder zu halten. Hinzu kommt,
dass sich dadurch auch positive Auswirkungen auf seine mündlichen
Leistungen im Unterricht einstellen dürften, die Schwierigkeiten im schriftlichen
Bereich sich ggf. verringern oder aber zumindest weiter kompensiert werden.
Nicht zuletzt kommt es im Fall des Klägers auch darauf an, dass er weiterhin
seine Lernbehinderung akzeptiert, mit seinen Einschränkungen umgehen
kann und dennoch sein Engagement und seine Motivation beim Lernen nicht
verliert.
Nach Auffassung des Gerichts war die vom Kläger begehrte Lernförderung
aus den ausgeführten Gründen sowohl im Schuljahr 2012/2013 geeignet und
erforderlich und ist es auch im Schuljahr 2013/2014. Der Kläger hat seinen
Begehren zeitlich bis zum Abschluss der schriftlichen Prüfungen begrenzt.
Anhaltspunkte dafür, dass die Kosten in Höhe von 180,00 € für 36
Nachhilfestunden für das Schuljahr 2012/2013 und von 5,00 € pro Woche im
Schuljahr 2013/2014 (mit Ausnahme der Schulferien bis zu den schriftlichen
Prüfungen) unangemessen sind, liegen nicht vor. Der Beklagte trägt auch
nichts Entsprechendes vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.