Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 06.06.2002

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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 06.06.2002 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lüneburg S 2 U 189/99
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 6 U 48/01
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lüneburg vom 18. Januar 2001 wird zu-
rückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist Verletztenrente.
Der 1948 geborene Kläger verunglückte am 27. November 1996 auf dem Heim-weg von der Arbeit, als das Fahrzeug,
in dem der Kläger mitfuhr, auf eisglatter Fahrbahn ins Rutschen kam und sich mehrmals überschlug
(Durchgangsarztbe-richt vom 28. November 1996, Unfallanzeige vom 2. Dezember 1996, Fragenbo-gen vom 2.
Februar 1997). Die neurologische Untersuchung führte zur Diagnose eines Schädelhirntraumas I. Grades (Commotio
cerebri – Gehirnerschütterung) und einer Distorsion der Halswirbelsäule (HWS) I. Grades. Für eine tiefergehen-de,
strukturelle Hirnverletzung bestanden keine Hinweise (nervenärztlicher Be-fundbericht des Dr. C. vom 9. Dezember
1996). Aus der bis zum 12. Dezember 1996 dauernden stationären Behandlung wurde der Kläger in gebessertem Zu-
stand entlassen. Dr. D. hielt im Entlassungsbericht vom 20. Dezember 1996 fest, die kernspintomographische
Untersuchung der HWS habe eine auf der rechten Seite des oberen Gelenkfortsatzes am Wirbelbogen C5 schräg
verlaufende Auf-hellungslinie gezeigt, die einer kleinen Absprengungsfraktur entsprechen dürfte. Eine Dislokation des
Fragments sei nicht erkennbar. Dr. E., den der Kläger am 18. Dezember 1996 aufsuchte, teilte der Beklagten im
neurologischen Befundbe-richt vom selben Tag mit, dass neuropsychiatrisch ein regulärer Befund bestehe. Es liege
noch eine Schmerzsymptomatik nach Distorsion der HWS ohne radikulä-re Ausfälle vor. Im neurologischen
Befundbericht vom 17. Februar 1997 wies Dr. E. erneut darauf hin, dass neurologische Ausfälle nicht vorhanden
seien. Die cervikale Beschwerdesymptomatik sei inzwischen reduziert. Seit 14. Februar 1997 bestehe ein
thorakolumbales Schmerzsyndrom, dass unfallunabhängig "als Reaktion auf die zu erwartende Wiederaufnahme der
Arbeitstätigkeit zu sehen” sei. Prof. Dr. F. teilte der Beklagten im Abschlussbericht vom 11. März 1997 mit, dass
wesentliche Unfallfolgen nicht mehr bestünden. Die HWS sei regelrecht ge-krümmt und in allen Richtungen
ausreichend beweglich. Eine Minderung der Er-werbsfähigkeit (MdE) in rentenberechtigendem Rahmen sei nicht
verblieben. Nachdem auch der praktische Arzt G., der den Kläger wegen Beschwerden im Bereich der
Lendenwirbelsäule (LWS) seit Beginn des Jahres 1995 behandelt (ärztliche Bescheinigung vom 14. September 1999),
der Beklagten im Krank-heitsbericht vom 25. Juni 1997 mitgeteilt hatte, dass Beschwerden der HWS nicht mehr
bestünden und die Attestierung von Arbeitsunfähigkeit zuletzt wegen eines Syndroms der LWS zu Lasten der AOK
erfolgt sei, lehnte die Beklagte Entschä-digungsleistungen ab (Bescheid vom 1. Oktober 1997). Im
Widerspruchsverfah-ren ließ sie den Kläger im H. chirurgisch und neurologisch untersuchen. Dr. I. bestätigte im
neurologischen Zusatzgutachten vom 25. Juni 1999 die Wertung des Dr. E.: Unfallfolgen auf neurologischem Gebiet
seien nicht vorhanden. Die noch bestehende Kopfschmerzsymptomatik könne nicht mehr auf das Schädel-hirntrauma
I. Grades und die Distorsion der HWS zurückgeführt werden. Vielmehr sei sie medikamenteninduziert. Im
chirurgischen Gutachten vom 23. Juni 1999 bestätigte Prof. Dr. J. die Wertung des Prof. Dr. F.: Der Kläger habe bei
dem We-geunfall eine Schädelprellung links frontal mit Commotio cerebri und eine Distor-sion der HWS mit einer
computertomographisch nachgewiesenen Knochenfissur im rechten oberen Gelenkfortsatz des Halswirbelkörpers
(HWK) 5 erlitten. Diese Verletzungen seien konservativ behandelt worden. Unfallfolgen bestünden nicht mehr. Für die
von dem Kläger im Bereich der HWS angegebene Beschwerde-symptomatik und die in diesem Bereich bestehende
schmerzhafte Bewegungs-einschränkung finde sich bis auf eine leichte Osteochondrose C5/6 keine fassba-re
Ursache. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers sei unfallbedingt nicht gemindert (ergänzende Stellungnahme des
Oberarztes Dr. K. vom 19. August 1999). Dar-aufhin wies die Beklagte den Widerspruch zurück
(Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 1999).
Das Sozialgericht (SG) Lüneburg hat die am 16. November 1999 erhobene Klage nach Anhörung der Beteiligten durch
Gerichtsbescheid vom 18. Januar 2001 ab-gewiesen.
Dagegen wendet sich der Kläger mit der am 13. Februar 2001 eingelegten Beru-fung. Er hält an seiner Auffassung
fest, dass seine Wirbelsäulenbeschwerden auf den Arbeitsunfall zurückzuführen seien, eine MdE in
rentenberechtigendem Gra-de bedingten und beantragt,
1. den Gerichtsbescheid des SG Lüneburg vom 18. Januar 2001 und den Bescheid der Beklagten vom 1. Oktober
1997 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 26. Oktober 1999 aufzuheben,
2. die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente in Höhe von mindes-tens 25 vom Hundert der Vollrente zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Lüneburg vom 18. Januar 2001 zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
Dem Senat haben neben den Prozessakten die Unfallakten der Beklagten vor-gelegen. Sie sind Gegenstand der
Beratung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf
den Ak-teninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen
Erfolg. Das SG hat die zulässige Klage zu Recht abgewiesen. Die Entscheidung der Beklagten ist rechtmäßig. Der
Kläger hat kei-nen Anspruch auf Zahlung von Verletztenrente. Denn seine Erwerbsfähigkeit ist infolge des
Arbeitsunfalls, den er am 27. November 1996 erlitt, nicht in rentenbe-rechtigendem Grad, dh. um mindestens 20 vH
(§§ 56, 214 Abs. 3 Sozialgesetz-buch VII) gemindert.
Bei diesem Unfall hat der Kläger nach den Mitteilungen aller Ärzte wahrscheinlich ein Schädelhirntrauma I. Grades
und eine Distorsion der HWS I. Grades erlitten, die ihrer Natur nach folgenlos ausheilen und eine rentenberechtigende
MdE nicht zu begründen vermögen. Dieses gilt auch für die kernspintomographisch festge-stellte Knochenfissur im
rechten oberen Gelenkfortsatz des HWK 5. Dabei muss der Senat der Frage, ob dieser Befund dem Unfall zugeordnet
werden kann – dieses ist von Dr. E. im neurologischen Befundbericht vom 3. März 1997 in Zweifel gezogen worden -,
nicht nachgehen. Entscheidend ist, dass eine Disloka-tion des Fragmentes nicht erkennbar war und die Knochenfissur
keine Folgen hinterlassen hat (S. 15 des chirurgischen Gutachtens vom 23. Juni 1999: Hinwei-se für eine frühere
knöcherne Verletzung finden sich nicht). Um die von dem Klä-ger angegebenen Beschwerden mit der im Recht der
gesetzlichen Unfallversiche-rung erforderlichen Wahrscheinlichkeit dem Arbeitsunfall, den der Kläger am 27.
November 1996 erlitt, zuordnen zu können, ist jedoch grundsätzlich eine strukturelle Verletzung erforderlich, die das
vorgetragene Beschwerdebild zu er-klären vermag. Entgegen der Auffassung der Berufung genügt – wie ausgeführt –
die kernspintomographisch beschriebene Knochenfissur ebenso wenig wie ein zeitlicher Zusammenhang der
Beschwerden mit dem Arbeitsunfall, der im Übrigen hier fraglich ist. Denn nach der Befunderhebung durch Prof. Dr.
F., Dr. E. und den praktischen Arzt G. waren die Beschwerden der HWS im Frühjahr 1997 abge-klungen. Im
Vordergrund standen zu diesem Zeitpunkt Beschwerden der LWS, die bereits zu Beginn des Jahres 1995 die
Inanspruchnahme ärztlicher Behand-lung erforderten (Bescheinigung des praktischen Arztes G. vom 14. September
1999). Die vom Kläger angegebenen Kopfschmerzen können mit der erforderli-chen Wahrscheinlichkeit auch nicht
über einen medikamenteninduzierten Kopf-schmerz, den Dr. I. angenommen hat, mit dem Arbeitsunfall verknüpft
werden. Voraussetzung wäre eine Verletzung, die über einen langen Zeitraum medika-mentös hätte behandelt werden
müssen. Dafür besteht jedoch – wie ausgeführt – kein Anhaltspunkt.
Die Kostentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegt nicht vor.