Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 28.07.2003

LSG Nsb: arthrose, ärztliches gutachten, erwerbsfähigkeit, arbeitsunfall, niedersachsen, minderung, unfallversicherung, wahrscheinlichkeit, entstehung, beweiswürdigung

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschluss vom 28.07.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hildesheim S 11 U 11/99
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 6/3 U 192/02
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 15. März 2002 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger wegen der Folgen einer Umknickverletzung Anspruch auf
Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung hat.
Der 1960 geborene Kläger zeigte der Beklagten am 18. Juni 1992 an, er sei am 13. Mai 1992 bei seiner Tätigkeit als
Gastwirt mit dem rechten Fuß umgeknickt und habe sich einen Kapselriss zugezogen. Der Durchgangsarzt Dr. C.,
den der Kläger am 15. Mai 1992 aufgesucht hatte, erhob folgenden Befund: "Der rechte Außenknöchel ist
verschwollen mit mäßigem Druckschmerz. Die Supination ist nicht wesentlich schmerzhaft. Das Gangbild ist leicht
humpelnd.” Die Röntgenuntersuchung des rechten oberen Sprunggelenks – OSG – ergab keinen Anhalt für eine
frische knöcherne Verletzung. Dr. C. versorgte den Kläger mit einem Zinkleimverband und vermerkte als "vom Unfall
unabhängige krankhafte Veränderungen”, der Kläger sei schon häufiger umgeknickt (Durchgangsarztbericht vom 15.
Mai 1992). Im Befundbericht vom 9. Juni 1992 teilte er mit, der Kläger äußere keine wesentlichen Beschwerden mehr.
Ab 10. Juni 1992 war der Kläger wieder arbeitsfähig; wegen Beschwerden im rechten Knöchel bestand vom 4. August
bis 5. November 1992 erneut Arbeitsunfähigkeit.
Die Beklagte holte zur Feststellung der Unfallfolgen ein Gutachten des Chirurgen Prof. Dr. D. vom 6. November 1992
ein. Der Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger am 13. Mai 1992 eine Zerrung des
Außenbandapparates am rechten oberen Sprunggelenk erlitten und der Arbeitsunfall zu einer vorübergehenden
Verschlimmerung der schicksalhaften Arthrose geführt habe. Ab Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit am 6. November
1992 bestünden bei straffem Bandapparat lediglich noch eine leichte Muskelminderung am rechten Unterschenkel und
eine Kapselschwellung der rechten Knöchelgabel. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 10
vH. Die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 18. Januar 1993 eine Verletztenrente ab. Den Widerspruch des
Klägers wies sie nach Einholung eines weiteren chirurgischen Gutachtens (Dr. E.) mit Widerspruchsbescheid vom 27.
September 1993 zurück. Das anschließende sozialgerichtliche Verfahren blieb erfolglos (vgl. im Einzelnen das
rechtskräftige Urteil des LSG Niedersachsen vom 14. Dezember 1995 – L 6 U 196/95 -).
Mit Schreiben vom 26. Oktober 1998 beantragte der Kläger bei der Beklagten, die bindend gewordene ablehnende
Entscheidung gemäß § 44 Sozialgesetzbuch – SGB – X zu überprüfen. Zur Begründung verwies er auf ein
orthopädisches Gutachten des Dr. F. vom 29. September 1998, das dieser Sachverständige in dem durch
Klagerücknahme beendeten Rechtsstreits des Sozialgerichts (SG) Hildesheim zum Az. S 11 U 19/97 erstattet hatte.
Dieser Rechtsstreit betraf ein weiteres Distorsionstrauma des rechten OSG, das der Kläger am 26. Dezember 1995
erlitten hatte. In dem Gutachten des Dr. F. heißt es abschließend, es sei bewiesen, dass der Kläger bereits vor dem
Unfall am 26. Dezember 1995 unter einer massiven, fortgeschrittenen Arthrose des rechten OSG gelitten habe. Es sei
keineswegs ausgeschlossen, dass diese Veränderungen ursächlich mit dem Unfall vom 13. Mai 1992 in Verbindung
stünden. Leider seien die anlässlich dieses Unfalls gefertigten Röntgenaufnahmen ihm – dem Sachverständigen –
nicht zugänglich gewesen. Die Beklagte lehnte es ab, den ablehnenden Bescheid vom 18. Januar 1993
zurückzunehmen, weil Dr. F. lediglich von Vermutungen ausgehe. Tatsächlich sei aber festgestellt worden, dass der
Unfall vom 13. Mai 1992 lediglich zu einer vorübergehenden Verschlimmerung einer schicksalhaft bestehenden
Arthrose ohne messbare Minderung der Erwerbsfähigkeit – MdE – geführt habe (Bescheid vom 29. Oktober 1998). Der
dagegen gerichtete Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 28. Dezember 1998).
Dagegen richtet sich die rechtzeitig vor dem SG Hildesheim erhobene Klage. Das SG hat im vorbereitenden Verfahren
auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG das orthopädische Gutachten des Dr. G. vom 11. Dezember 2000
eingeholt, das dieser durch die Stellungnahme vom 21. Juni 2001 ergänzt hat.
Das SG hat die Klage durch Urteil vom 15. März 2002 abgewiesen: Die bei dem Kläger bestehende Arthrose in den
Sprunggelenken sei nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall vom 13. Mai 1992
zurückzuführen. Dr. F. habe sich mit den tatsächlichen Unfallverletzungen, dem dokumentierten Vorschaden und den
auch auf der linken Seite vorliegenden Veränderungen sowie den Fußdeformitäten nicht auseinander gesetzt. Er
äußere deshalb im Gutachten vom 29. September 1998 nur die Möglichkeit einer Verursachung der Arthrose des
Sprunggelenks durch den Unfall vom 13. Mai 1992. Auch das Gutachten des Dr. G. vom 11. Dezember 2000 führe zu
keiner anderen Beurteilung. Die Behauptung des Sachverständigen, der Unfall vom 13. Mai 1992 habe zu einer
Kapselverletzung des rechten OSG und zusätzlich zu einer Verletzung der Knorpelstruktur geführt, könne nicht belegt
werden. Dr. G. führe selbst aus, dass sich diese Verletzungen leider radiologisch und szintigraphisch nicht
nachweisen ließen. Im Ergebnis habe daher die Beklagte weder zum Zeitpunkt der Bescheiderteilung vom 18. Januar
1993 das Recht unrichtig angewandt noch sei sie von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erweise.
Auch liege keine wesentliche Verschlimmerung eines unfallbedingten Leidenszustandes vor.
Gegen dieses ihm am 2. April 2002 zugestellte Urteil hat der Kläger am 23. April 2002 Berufung eingelegt. Er bezieht
sich zur Begründung auf das Gutachten des Dr. G ... Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die
Schriftsätze des Klägers vom 9. August 2002 und 12. Mai 2003 Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des SG Hildesheim vom 15. März 2002 und den Bescheid der Beklagten vom 29. Oktober 1998 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Dezember 1998 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. Januar
1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. September 1993 aufzuheben,
2. die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen des Arbeitsunfalls vom 13. Mai 1992 Verletztenrente aus der gesetzlichen
Unfallversicherung in Höhe von mindestens 20 vH der Vollrente zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Hildesheim vom 15. März 2002 zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat die Beteiligten durch Verfügungen vom 14. März, 13. Mai und 5. Juni 2003 darauf hingewiesen, dass er
beabsichtige, die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen. Ihnen ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben
worden.
Dem Senat haben außer den Prozessakten die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der
Entscheidungsfindung gewesen. Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des
Sachverhalts wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die statthafte Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie hat jedoch in der
Sache keinen Erfolg. Der Senat hält die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht
für erforderlich. Die Entscheidung konnte deshalb durch Beschluss ergehen (§ 153 Abs. 4 SGG). Die Beklagte hat es
zu Recht abgelehnt, den bestandskräftigen Bescheid vom 18. Januar 1993 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 27. September 1993 gemäß § 44 SGB X zurückzunehmen. Denn dieser Bescheid, mit
dem sie eine Verletztenrente abgelehnt hat, ist rechtmäßig. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers ist aufgrund des
Arbeitsunfalls vom 13. Mai 1992 nicht über die 26. Woche nach dem Unfall hinaus um mindestens 20 vH gemindert,
so dass die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nicht
erfüllt sind (vgl. §§ 580, 581 RVO, die nach Art. 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz und § 212
Sozialgesetzbuch – SGB – VII auf den vorliegenden Sachverhalt noch anwendbar sind).
Auch nach dem Gesamtergebnis des vorliegenden Rechtsstreits lässt sich nicht mit der erforderlichen
Wahrscheinlichkeit feststellen, dass das Umknicktrauma, das der Kläger am 13. Mai 1992 erlitt, außer einer
Außenbandzerrung – und damit einer naturgemäß nach geraumer Zeit ausheilenden Verletzung – weitere
Gesundheitsstörungen verursacht hat. Insbesondere ist es allenfalls möglich, jedoch nicht wahrscheinlich, dass die
Arthrose des rechten oberen Sprunggelenks auf das Umknicktrauma zurückzuführen ist. Dies hat der Senat bereits in
seinem Urteil vom 14. Dezember 1995 unter Berücksichtigung der überzeugenden Gutachten der Sachverständigen
Prof. Dr. H. ausgeführt. Danach lässt sich eine substantielle Schädigung des rechten Fußknöchels nicht nachweisen,
während beiderseits unfallunabhängige arthrotische Umbauveränderungen an den Fußknöcheln sowie eine auffallende
Innenknickfußstellung vorliegen, die das Beschwerdebild erklären. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf
dieses Urteil Bezug genommen.
Das in diesem Rechtsstreit auf Antrag des Kläger eingeholte Gutachten des Dr. G. führt zu keiner abweichenden
Beurteilung. Denn dieses nach § 128 SGG zu würdigende Gutachten überzeugt den Senat nicht. Es beruht im
Wesentlichen auf der Annahme, dass es am 13. Mai 1992 nicht nur zu einer Kapselverletzung, sondern auch zu einer
Verletzung des Knorpels des rechten oberen Sprunggelenks gekommen sein müsse. Diese Annahme ist jedoch nur
eine Vermutung und bildet keine tragfähige Grundlage für eine positive Beurteilung des ursächlichen
Zusammenhanges. Dies folgt in erster Linie daraus, dass sich nach dem Unfall weder radiologisch noch
szintigraphisch eine Verletzung der Knorpelstruktur nachweisen ließ, was Dr. G. im Übrigen ausdrücklich einräumt (S.
18 seines Gutachtens). Seine Annahme, der nahezu 2 Jahre später arthroskopisch festgestellte erhebliche
Knorpelschaden (Operations-Bericht des Dr. F. vom 22. April 1994) sei unfallbedingt, bleibt daher spekulativ und zwar
auch deshalb, weil weitere – von den anderen Sachverständigen herausgearbeitete - Gesichtspunkte dagegen
sprechen, dass die Umknickverletzung die wesentliche Ursache des Knorpelschadens ist. In diesem Zusammenhang
leuchtet vor allem der Hinweis des Dr. I. (Gutachten vom 15. Dezember 1994) ein, dass der Erstbefund und der
weitere Verlauf ungleich anders gewesen wären, wenn es am 13. Mai 1992 auch zu einer Knorpelschädigung
gekommen wäre. Diese Bewertung steht im Einklang mit dem geringen Anfangsbefund (kein Hinweis auf eine
Kapselverletzung) und der Tatsache, dass schon zum Unfallzeitpunkt eine mäßiggradige Arthrose des rechten
Sprunggelenks erkennbar war (Gutachten des Dr. I.) und eine eine Arthrose begünstigende Varus-Fehlstellung des
rechten Fußes vorlag. Schließlich stimmt die Bewertung mit der Tatsache überein, dass sich auch am linken Fuß eine
– wenn auch geringere – Arthrose findet. Die stärkere Ausprägung der Arthrose im Bereich des rechten Fußes allein
ist ein zu schwaches Indiz für deren unfallbedingte Entstehung. Denn die ungleichmäßige Entstehung und
Ausprägung von Verschleißerscheinungen ist auch ohne traumatische Verursachung erfahrungsgemäß häufig.
Da ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall vom 13. Mai 1992 und den Gesundheitsstörungen im
Bereich des rechten Fußes nicht wahrscheinlich ist, hatte der Senat nicht zu prüfen, ob die Schätzung der Minderung
der Erwerbsfähigkeit – MdE – durch Dr. G. mit 20 v.H. den mitgeteilten Funktionseinbußen (vgl. S. 9 des Gutachtens)
Rechnung trägt und den allgemein anerkannten unfallmedizinischen Bewertungsgrundsätzen entspricht. Diese sehen
eine MdE von 20 v.H. z.B. bei einer Versteifung des oberen Sprunggelenks im Winkel von 90 bis 110 Grad zum
Unterschenkel vor (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003 S. 746).
Der Beweisanregung des Klägers (Anhörung des Sachverständigen Dr. G. und Einholung eines "Obergutachtens”) ist
der Senat nicht gefolgt. Denn Dr. G. war zu seiner im Gutachten deutlich formulierten Annahme, es sei unfallbedingt
zu einer Kapsel- und Knorpelverletzung des rechten oberen Sprunggelenks gekommen, nicht nochmals zu befragen.
Vielmehr hatte der Senat diese Annahme und die hier zu Grunde liegende Argumentation zu würdigen. Da alle für die
Beweiswürdigung maßgebenden Gesichtspunkte ermittelt sind, war es auch nicht erforderlich, von Amts wegen ein
weiteres ärztliches Gutachten einzuholen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegt nicht vor.