Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 28.06.2001

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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 28.06.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Stade S 15 KR 139/98
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 4 KR 139/99
Das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 29. Juni 1999 und der Bescheid der Beklagten vom 9. April 1998 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 1998 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der
Klägerin die Kosten für den Videomatic Ec M PR II Autofocus-Color-Gerät abzüglich der bereits gezahlten 3.920,- DM
zu erstatten. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Kostenerstattung für ein Autofocus-Gerät.
Die am 5. August 1947 geborene Klägerin ist Mitglied der Beklagten. Sie ist auf dem linken Auge vollständig erblindet.
Auf dem rechten Auge hat sie eine Restsehkraft von 1/16 bis 1/100. Das Gesichtsfeld ist stark konzentrisch
eingeengt. Darüber hinaus leidet sie an Diabetes mellitus mit diabetischer Retinopathie beidseits und einem Zustand
nach Nierentransplantation 1993.
Sie beantragte im März 1998 die Ausstattung mit einem Bildschirm-Lesegerät mit einer Autofocus-Ausstattung unter
Vorlage einer Bescheinigung des Augenarztes D., Bremerhaven, vom 18. Februar 1998 und eines
Kostenvoranschlages der E. GmbH vom 12. Februar 1998. Danach sollte der Aufpreis für Spezialversorgung mit
elektronischem Bildschirm-Lesegerät Videomatic Ec MPR II – Autofocus – strahlungsarme Ausführung – CCD-
Farbgerät mit variabler Multicolor-Funktion und Vollfarbbild 17 "Monitor Vergrößerung 4-40-fach, flimmerfrei, 2.210,-
DM betragen. Nach Einholung einer Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK)
Bremen vom 31. März 1998 bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 9. April 1998 das Bildschirm-
Lesegerät Grundversorgung Videomatic M 3 MPR II (Preis: 3.920,00 DM) (Ausstattung: Schwarzweißgerät;
Scharfstellung per Hand) gem dem Kostenvoranschlag vom 12. Februar 1998 und lehnte die Übernahme der Kosten
für die Autofocus-Ausstattung ab.
Hiergegen legte die Klägerin am 27. April 1998 Widerspruch ein unter Vorlage einer Bescheinigung des Augenarztes
D. vom 16. April 1998. Sie trug vor, dass sie bei der Benutzung ihres jetzigen Lesegerätes nach ca 10-minütiger
Benutzungsdauer regelrecht "sehkrank" werde, was auf die Trägheit der Optik beim Zeilenwechsel zurückzuführen
sei. Eine Autofocus-Ausstattung sei aus medizinischen Gründen notwendig. Die Klägerin schaffte das Autofocus-
Gerät am 20. April 1998 an (Videomatic Ec M PR II Autofocus-Colorgerät - Zuzahlung: 2.088,00 DM).
Die Beklagte lehnte den Widerspruch nach Einholung einer Stellungnahme des MDK vom 13. Mai 1998 mit
Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 1998 ab. Sie verwies auf die Beurteilung des MDK, wonach die Versorgung
mit einem Bildschirm-Lesegerät in Standardausführung schwarz-weiß aus medizinischer Sicht ausreichend sei. Die
Autofocus-Ausstattung stelle eine zusätzliche Leistung dar, die sich nicht mehr im Leistungsrahmen der gesetzlichen
Krankenversicherung bewege. Die Beurteilungen des MDK seien entsprechend ihrer Zweckbestimmung bei der
Entscheidung der Krankenkasse über die Gewährung oder Versorgung einer Leistung nach der medizinischen Seite
hin richtunggebend. Darüber hinaus sei eine Kostenübernahme ausgeschlossen, weil die streitige Zusatzausstattung
des Bildschirm-Lesegerätes mit Autofocus nicht im Hilfsmittelverzeichnis vermerkt sei.
Hiergegen hat die Klägerin am 16. November 1998 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Stade erhoben. Sie hat zur
Begründung ausgeführt, dass der MDK den Behinderungsumfang nicht geprüft habe, sondern seine Rechtsauffassung
dargelegt habe. Beim Lesen von Büchern und dem manuellen Scharfstellen durch Bedienen von Hebeln und Knöpfen
komme es zu Schwindelerscheinungen, wodurch sich die Lesemöglichkeit auf längstens zehn Minuten täglich
beschränke.
Die Beklagte hat ein weiteres Gutachten des MDK vom 12. Mai 1999 vorgelegt.
Darin heißt es ua:
"Mittels eines Autofocus soll die automatische Scharfstellung des abgebildeten Lesegutes garantiert werden.
Bildschirmlesegeräte in der herkömmlichen Ausstattung verfügen ua über Hebel oder Knöpfe, mit denen dieses
manuell möglich ist. Wenn das Lesegut flach ist, wie zB die Seite einer Zeitung, Illustrierten, Brief oder Beipackzettel,
den man unter eine Glasplatte legen könnte, befindet sich das Lesegut in einer optischen Ebene. Eine Autofocus-
Einstellung ist nicht erforderlich, wenn manuell die richtige Tiefenschärfe eingestellt wurde. Das Argument der
Patientin, das Bild soll nicht verschwimmen, ist somit aus den o.g. Gründen nicht nachvollziehbar. Eine automatische
Tiefeneinstellung wäre zB dann erforderlich, wenn ein Buch gelesen wird, welches zur Mitte der Falz hin in den Seiten
umbiegt. In diesem Fall wäre aber, wie oben beschrieben, die manuelle Tiefeneinstellung zumutbar."
Mit Urteil vom 29. Juni 1999 hat das SG Stade die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, dass die
Beurteilung der Frage, ob die Autofocus-Einrichtung die Voraussetzungen eines Hilfsmittels im Sinne des § 33 SGB V
erfülle, davon abhänge, ob sie erforderlich sei, eine Behinderung auszugleichen. Der Einsatz des Bildschirm-
Lesergerätes diene dazu, der Klägerin ein elementares Grundbedürfnis des täglichen Lebens, nämlich das Lesen zu
ermöglichen. Nach der Stellungnahme des MDK vom 12. Mai 1999 könne die Klägerin mit dem Bildschirm-Lesegerät
und der manuellen Schärfeneinstellung ohne zusätzliche Autofocus-Sonderausstattung alles lesen, was flach sei und
in einer optischen Ebene unter der Aufnahmekamera des Lesegerätes liege. Die Notwendigkeit einer sich immer
wiederholenden neuen Sehschärfeneinstellung ergebe sich erst dann, wenn zB bei dickeren Büchern durch die
Krümmung des jeweils gelesenen Blattes zum Falz des Buches hin, die Sehschärfeneinstellung ständig geändert
werden müsse. Nach Auffassung des MDK sei allerdings in diesen Fällen die Benutzung einer manuellen
Sehschärfeneinstellung zumutbar. Die Kammer halte diese Einschätzung für zutreffend. Wer klassische oder moderne
Literatur lesen wolle, könne fast immer auf Taschenbuchausgaben zurückgreifen. Diese Bücher könnten bei einigem
Geschick so aufgeschlagen werden, dass jede gelesene Seite so flach gedrückt werden könne, dass eine
automatische Sehschärfeneinstellung durch die Autofocuseinrichtung nicht mehr erforderlich sei. Angesichts dieser
grundsätzlichen Möglichkeit bestehe der Vorteil, den das Autofocus-Gerät beim Lesen dem Lesenden verschaffe, in
keinem wirtschaftlich angemessenen Verhältnis mehr zu den Kosten der Autofocus-Einrichtung von 2.200,- DM, die
zudem nur mit der ohnehin nicht erforderlichen Multicolor-Funktion zwingend verbunden sei.
Gegen das am 8. Juli 1999 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 9. August 1999 – einem Montag - Berufung vor dem
Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen eingelegt und vorgetragen: Dem SG hätten ganz offenbar die eigenen
Lesegewohnheiten und die eigene unzureichende Ansicht eines Taschenbuches ausgereicht, um eine Beurteilung des
Sachverhaltes vorzunehmen. Auch ein Taschenbuch weise je nach Bindequalität bereits bei Beginn den Umstand auf,
dass es nicht unter der Abbildefläche "plan" gedrückt werden könne, sondern selbst bei Taschenbüchern hänge,
beispielsweise bei Beginn eines Buches, die linke Buchhälfte nach außen gesehen herunter, weil sich auch ein
Taschenbuchrücken nicht in der Form herunterdrücken lasse, wie es dem SG vorschwebe. Weil überwiegend nicht
eine plane Abbildungsebene beim Lesen eines Buches erreicht werden könne, müsse die manuelle
Schärfeneinstellung ständig betätigt werden. Hierbei sei im Verlauf einer jeden Zeilen die Schärfeneinstellung
mehrfach zu verändern, denn der Zeilenanfang auf der linken Seite habe eine andere Schärfeneinstellung als die
rechte Seitenhälfte zur Buchmitte, wobei das manuelle Nachführen der Schärfeneinstellung, bei dem die Kontrolle
durch das Benutzerauge ausgeübt werde, der Grund dafür sei, dass es zu der "Sehkrankheit" bzw dem "schummrigen
Gefühl" bei der Klägerin nach kurzer Lesezeit komme. Die Multicolor-Ausstattung, zu der der MDK ausführlich
Stellung genommen habe, werde von der Klägerin nicht benötigt und nicht begehrt. Dass der Hersteller die Autofocus-
Ausstattung nur mit dem Colorgerät kombiniere, könne nicht zu Lasten der Klägerin gehen. Die Klägerin benötige die
Autofocus-Einrichtung nicht nur zum Lesen, sondern damit sei es ihr auch möglich, einen Knopf anzunähen, zu
stricken oder sich selbst die Fingernägel zu feilen. Auch seien die übrigen schwerwiegenden Erkrankungen der
Klägerin zu berücksichtigen.
Die Klägerin beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 29. Juni 1999 und den Bescheid der Beklagten vom 9. April 1998 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 1998 aufzuheben,
2. die Beklagte zu verurteilen, ihr die Kosten für den Videomatic Ec MPR II Autofocus-Color-Gerät abzüglich der
bereits gezahlten 3.920,- DM zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat Auskünfte der Firma F. vom 30. Januar 2001 und 18. März 2001 eingeholt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akte
des SG Stade und der Verwaltungsakte der Beklagten ergänzend Bezug genommen. Diese haben vorgelegen und
sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig. Sie ist gem § 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegt. Sie
ist nicht gem § 144 Abs 1 Nr 1 SGG ausgeschlossen, denn der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 1.000,-
DM. Die Klägerin begehrt mit ihrer Berufung die Erstattung des Betrages von 2.088,00 DM. Dabei handelt es sich um
den Differenzbetrag zwischen dem von der Beklagten übernommenen Lesegerät Videomatic M3 und dem von der
Klägerin angeschafften Gerät Videomatic Ec Autofocus.
Die Berufung ist auch begründet.
Das Urteil des SG Stade vom 29. Juni 1999 ist aufzuheben. Der Bescheid der Beklagten vom 9. April 1998 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 1998 ist rechtswidrig.
Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch ist § 13 Abs 3 Sozialgesetzbuch –
Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V), denn die Klägerin hat das begehrte Gerät nach der Ablehnung durch die
Beklagte am 9. April 1998 am 20. April 1998 selbst angeschafft. Gem § 13 Abs 3 SGB V hat die Krankenkasse die
Kosten für eine selbstbeschaffte notwendige Leistung zu erstatten, wenn die Kasse eine unaufschiebbare Leistung
nicht rechtzeitig hat erbringen können (1. Alternative) oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem
Versicherten dadurch Kosten entstanden sind (2. Alternative). Die Voraussetzungen des § 13 Abs 3 2. Alternative
liegen vor. Die Beklagte hat die Erbringung der begehrten Leistung zu Unrecht abgelehnt.
Gem § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine
Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die
Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB V ua die Versorgung mit Hilfsmitteln. Versicherte
haben gem § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken,
orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu
sichern oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des
täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen sind. Gem § 12 Abs 1 Satz 1 SGB V
müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht
überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen,
dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (§ 12 Abs 1 Satz 2 SGB V).
Die Voraussetzungen des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V liegen hier vor.
Das Autofocus-Gerät ist nicht von der Regelung des § 34 Abs 4 SGB V über den Ausschluss von Heil- und
Hilfsmitteln von geringem oder umstrittenen therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis erfasst.
Ein Ausschluss des Autofocus-Gerätes aus der Leistungspflicht der Krankenkassen ergibt sich auch nicht aus den
Vorschriften zum Hilfsmittelverzeichnis. Diese ermächtigen nicht dazu, den Anspruch des Versicherten
einzuschränken, sondern nur dazu, eine für die Gerichte unverbindliche Auslegungshilfe zu schaffen. Nach § 128
SGB V erstellen die Spitzenverbände der Krankenkassen gemeinsam ein Hilfsmittelverzeichnis, in dem die von der
Leistungspflicht umfassten Hilfsmittel aufzuführen sind. Nach § 28 Satz 2 SGB V sind in dem Verzeichnis auch die
für die von der Leistungspflicht umfassten Hilfsmittel vorgesehenen Festbeträge oder vereinbarten Preise anzugeben.
Das Hilfsmittelverzeichnis schließt Autofocus-Geräte nicht aus (vgl BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 18 S 89).
Bei dem Autofocus-Gerät handelt es sich nicht um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens im Sinne des §
33 Abs 1 Satz 1 SGB V. Darunter fallen nur Gegenstände, die allgemein im täglichen Leben verwendet werden (BSG
SozR 3-2500 § 33 Nr 5; SozR 3-2500 § 33 Nr 27). Geräte, die für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter
Menschen entwickelt oder hergestellt worden sind und von diesem Personenkreis ausschließlich oder ganz
überwiegend benutzt werden, sind grundsätzlich nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens
anzusehen. Dies gilt selbst dann, wenn sie millionenfach verbreitet sind (zB Brillen, Hörgeräte); denn
Bewertungsmaßstab ist insoweit der Gebrauch eines Gerätes durch Menschen, die nicht an der betreffenden
Krankheit oder Behinderung leiden. Umgekehrt ist ein Mittel auch trotz geringer Verbreitung in der Bevölkerung und
trotz hohen Verkaufspreises als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens einzustufen, wenn er schon
von der Konzeption her nicht überwiegend für Kranke oder Behinderte gedacht ist (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 19).
Das Autofocus-Gerät wird nicht allgemein im täglichen Leben verwendet und auch nicht üblicherweise von einer
großen Zahl von Personen regelmäßig benutzt. Es ist nach der Herstellerauskunft der Firma E. GmbH vom 30. Januar
2001 ausschließlich für hochgradig Sehbehinderte bestimmt.
Es ist für die Klägerin auch erforderlich im Sinne des § 33 SGB V. Ein Hilfsmittel ist nach der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts (BSG) erforderlich, wenn sein Einsatz zur Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen
Grundbedürfnisse benötigt wird. Zu derartigen Grundbedürfnissen gehören die allgemeinen Verrichtungen des
täglichen Lebens, wie Gehen, Stehen, Greifen, Hören, Sehen, Nahrungsaufnahme, Ausscheidung, elementare
Körperpflege, das selbständige Wohnen sowie die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums,
die auch die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen zur Vermeidung von Vereinsamung sowie
das Erlernen von lebensnotwendigem Grundwissen und die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben umfasst. Das
Grundbedürfnis auf Information steht im engen Zusammenhang mit dem Recht auf ein selbstbestimmtes Leben
einschließlich der Schaffung eines eigenen geistigen Freiraums und der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Die
Information ist für Persönlichkeitsentfaltung und Allgemeinbildung von elementarer Bedeutung. Informationsbedarf und
–möglichkeiten nehmen in der modernen Gesellschaft ständig und im steigenden Maße zu, wobei immer wieder neue
qualitative Stufen erreicht werden. Diesem Informationsbedürfnis ist in einem umfassenden Sinne Rechnung zu
tragen, so dass die bloße Verweisung eines Blinden auf Rundfunk oder Audiotheken nicht zulässig ist (BSG SozR 3-
2500 § 33 Nr 16 S 76; § 33 Nr 26). Zum selbstbestimmten Leben gehört auch die Information im persönlichen
Lebensbereich auf einfachster Stufe, dabei kommt es nicht darauf an, ob ein außerordentlich hoher Lesebedarf
besteht, sondern es reicht, wenn der Informationsbedarf im Rahmen einer normalen Lebensführung auftritt (BSG SozR
3-2500 § 33 Nr 16 Seite 74).
Mit Hilfe des Bildschirmlesegerätes mit Autofocusausstattung ist es der Klägerin möglich, Texte, wie zB Zeitschriften
oder Arzneibeipackzettel und Bücher zu lesen.
Zur Befriedigung des Grundbedürfnisses auf Information gehört aber auch das Lesen von gebundenen Büchern und
Taschenbüchern. Fraglich ist bereits, ob die Klägerin nur auf das Lesen von Taschenbüchern verwiesen werden darf.
Dies braucht jedoch nicht entschieden, denn auch ein Taschenbuch kann nach ihren überzeugenden und
nachvollziehbaren Schilderungen nicht immer plan auf die Abbildefläche gedrückt werden, so dass ständig die
manuelle Schärfeneinstellung betätig werden müsste. Der MDK hat insoweit in seinem Gutachten vom 12. Mai 1999
bestätigt, dass eine automatische Tiefeneinstellung dann erforderlich ist, wenn ein Buch gelesen wird, welches zur
Mitte der Falz hin in den Seiten umbiegt.
Eine manuelle Schärfeneinstellung ist der Klägerin aufgrund der von ihr nachvollziehbar geschilderten dann in Kürze
auftretenden Schwindelerscheinungen nicht zumutbar. Die Klägerin hat glaubhaft beschrieben, dass nach etwa 10-
minütiger Benutzungsdauer aufgrund der Trägheit der Optik beim Zeilenwechsel ein "schummriges" Gefühl eintritt, das
mit der "Seekrankheit" vergleichbar ist. Der behandelnde Augenarzt D. hat am 16. April 1998 wegen der mit dem
geringen Sehvermögen verbundenen Belastungen beim Sehen mit dem Bildschirmlesegerät eine zusätzliche
Autofocus-Ausstattung für erforderlich gehalten. Der MDK hat sich mit dem Vorbringen der Klägerin weder hinreichend
auseinandergesetzt noch hat er es bestritten. In seiner Stellungnahme vom 31. März 1998 hat er lediglich allgemein
auf das Grundbedürfnis der Informationsbeschaffung hingewiesen und in der Stellungnahme von 13. Mai 1998 darauf
verwiesen, dass eine Autofocus-Ausstattung nach dem Hilfsmittelkatalog keine Leistung der gesetzlichen
Krankenversicherung sei. Die Ärztin G. hat in ihrem sozialmedizinischen Gutachten vom 12. Mai 1999 umfangreiche
Rechtsausführungen zu dem bereits bewilligten Bildschirmlesegerät gemacht. Sie hat darin auch eingeräumt, dass
eine automatische Tiefeneinstellung dann erforderlich ist, wenn ein Buch gelesen wird, welches zur Mitte der Falz hin
in den Seiten umbiegt. Mit den dabei – glaubhaft beschriebenen - auftretenden Krankheitserscheinungen bei der
Klägerin hat sie sich demgegenüber nicht auseinandergesetzt.
Mit Hilfe des Autofocus-Gerätes ist es der Klägerin nach ihrem Vorbringen möglich, Bücher zu lesen. Sie benutzt es
nach ihrer Auskunft vom 5. März 2001 täglich.
Auf die Hilfe anderer Personen, die ihr Vorlesen würden, kann die Klägerin nach der Rechtsprechung des BSG nicht
verwiesen werden (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 18, Nr 28 S 152). Auch der Verweis auf den Rundfunk ist nicht zulässig
(BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 26).
Dass der Ausgleich hier ua auf dem Gebiet der Freizeitbetätigung erfolgt, steht dem Anspruch der Klägerin nicht
entgegen, denn soweit ein dieses Gebiet übergreifendes sog Grundbedürfnis betroffen ist, fällt auch der Ausgleich der
Folgen der Behinderung auf diesem Gebiet in die Leistungspflicht der Krankenkassen (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 26
S 152; SozR 3-2500 § 33 Nr 16 S 73).
Das Autofocus-Gerät ist auch wirtschaftlich im Sinne einer begründbaren Relation zwischen Kosten und
Gebrauchsvorteil des Hilfsmittels. Das Anerkennen eines Grundbedürfnisses auf umfassende Information bedeutet
keine vollständig mit den Möglichkeiten des Gesunden gleichziehende Information des blinden Versicherten; der
Anspruch findet insbesondere seine Grenze dort, wo eine nur geringfügige Verbesserung eines auf breitem Feld
anwendbaren Hilfsmittels völlig außer Verhältnis zur Belastung der Versichertengemeinschaft geraten würde. Insoweit
hat die Rechtsprechung auf eine begründbare Relation zwischen Kosten und Gebrauchsvorteil des Hilfsmittels
abgestellt (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 4 Bildschirm-Lese-Gerät; SozR 3-2500 § 33 Nr 16 – Lese-Sprech-Gerät -; SozR
3-2500 § 33 Nr 18 - Farberkennungs-Gerät -; SozR 3-2500 § 33 Nr 20 – Luftreinigungs-Gerät -; SozR 3-2500 § 33 Nr
26 – Braillezeile -).
Zunächst muss durch das Gerät ein Ausgleich in nicht nur unwesentlichem Umfang erreicht werden (BSG SozR 3-
2500 § 33 Nr 4, SozR 5420 § 16 Nr 1 Seite 3). Für die Beurteilung, ob ein Hilfsmittel die Minderfunktion des
geschädigten Körperorgans in nicht unwesentlichem Umfang verbessert, ist entscheidend, welche Gebrauchsvorteile
das Hilfsmittel zu bieten vermag. Durch das Autofocus-Gerät wird die Sehbehinderung der Klägerin objektiv
wesentlich ausgeglichen. Die Klägerin benötigt das Autofocus-Gerät, um Bücher lesen zu können. Darüber hinaus ist
der zeitliche Umfang der beabsichtigten Nutzung und die Bedeutung der jeweils erschließbaren Informationen
maßgebend. Bei einem durchschnittlichen Informationsbedarf muss der zeitliche Umfang der Nutzung nach der
Rechtsprechung des BSG wöchentlich durchschnittlich mindestens fünf Stunden betragen, um die auf die
Krankenkasse entfallenen Kosten zu rechtfertigen (vgl BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 16 Seite 79). Dazu hat die Klägerin
vorgetragen, dass sie das Gerät täglich benutzen würde.
Die Klägerin hat auch Anspruch auf den vollständigen Differenzbetrag zwischen der von der Beklagten übernommenen
Grundversorgung Videomatic M3 MPR II und dem von der Klägerin angeschafften Videomatic Ec M PR II Autofocus-
Color-Gerät. Nach der Herstellerauskunft der Firma H. vom 30. Januar 2001 ist ein separates Autofocusgerät nicht
lieferbar. Zwar gibt es nach der Auskunft vom 18. März 2001 Standard-Colorgeräte ohne Autofocus; die
Autofocusausstattung ist jedoch in Kombination mit der von der Kläge
rin nicht benötigten Colorfunktion erhältlich und nicht in Kombination mit der Grundversorgung Videomatic M 3. Dieser
Umstand kann jedoch nicht zu Lasten der Klägerin gehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Es haben keine gesetzlichen Gründe vorgelegen, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG).