Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 13.11.2013

LSG Niedersachsen: berufliche eingliederung, die post, niedersachsen, akte, pauschal, ermessensfehlgebrauch, verwaltungsakt, zugang, verfügung, zustellung

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Angelegenheiten nach dem SGB II
SG Lüneburg 37. Kammer, Urteil vom 13.11.2013, S 37 AS 285/11
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Berufung wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Bewerbungskosten.
Der im Jahr 1982 geborene Kläger bezieht seit mehreren Jahren Leistungen
nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (= SGB II).
Im Hinblick auf die Erstattung von Bewerbungskosten vor dem Jahr 2009
wurde dergestalt verfahren, dass der Kläger die Kostenübernahme für die
vorgenommenen Bewerbungen beantragte, die entsprechende Liste der
kontaktierten Arbeitgeber und seine Anschreiben beigefügte und sodann der
Beklagte für jede Bewerbung pauschal 5,00 € erstattete (bspw. Antrag vom
05.08.2006 und Bescheid vom 13.09.2006 - Bl. 77, 97 der Akte des Beklagten
<= VA>).
In der für die Zeit vom 21.10.2009 bis zum 19.04.2010 getroffenen
Eingliederungsvereinbarung vom 20.10.2009 (Bl. 328 VA, Bl. 7 der Akte des
Sozialgerichts <= SG>) wurde hinsichtlich der Erstattung von
Bewerbungskosten allerdings folgende Regelung getroffen:
Der Grundsicherungsträger unterstützt Ihre Bewerbungsaktivitäten durch
Übernahme von Kosten für schriftliche Bewerbungen auf vorherige
Antragstellung und schriftlichen Nachweis nach Maßgabe des § 16 Abs. 1
SGB II i. V. m. §§ 45 ff. SGB III. Bewerbungskosten können bis zu einem
Betrag von 260,00 € jährlich übernommen werden.
Am 20.10.2009 beantragte der Kläger die Erstattung von Bewerbungskosten in
Höhe von 115,00 €. Mit dem Bescheid vom 26.04.2010 lehnte der Beklagte
den Antrag ab. Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, dass
Förderungen aus dem Vermittlungsbudget nur gewährt würden, wenn die
Kosten durch entsprechende Belege nachgewiesen werden. Die vom Kläger
beantragte Förderung sei jedoch nicht durch Nachweise belegt. Der hiergegen
erhobene Widerspruch wurde mit dem Widerspruchsbescheid vom 05.07.2010
zurückgewiesen. Darin wurde ergänzend ausgeführt, dass es sich bei der
Erstattung von Bewerbungskosten um eine Ermessensleistung handeln würde
und der Kläger bei der Antragstellung am 20.10.2009 darauf hingewiesen
worden sei, dass nur nachgewiesene Aufwendungen erstattungsfähig seien.
Der Zugangszeitpunkt dieses Widerspruchsbescheides ist zwischen den
Beteiligten streitig. Der Kläger machte geltend, den Widerspruchsbescheid
zunächst nicht erhalten zu haben und erhob deswegen am 05.10.2010 beim
Sozialgericht (= SG) Lüneburg Untätigkeitsklage (S 23 AS 1582/10). Die Klage
wurde mit dem Urteil des SG Lüneburg vom 25.11.2010 abgewiesen.
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Hiergegen erhob der Kläger Berufung zum Landessozialgericht (= LSG)
Niedersachsen-Bremen (L 15 AS 427/10). Im Rahmen des
Berufungsverfahrens wurde dem Kläger mit der gerichtlichen Verfügung vom
08.02.2010 der Widerspruchsbescheid vom 05.07.2010 am 11.02.2011
nachweislich zugestellt (Bl. 70 der Akte S 23 AS 1582/10). Die Berufung wurde
mit dem Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 29.06.2011
zurückgewiesen.
Gegen den Widerspruchsbescheid vom 05.07.2010 hat der Kläger am
03.03.2011 beim SG Lüneburg Klage erhoben (S 37 AS 285/11) und geltend
gemacht, dass die Klage nicht verfristet sei, weil ihm der
Widerspruchsbescheid erst am 11.02.2011 durch das LSG Niedersachsen-
Bremen bekannt gegeben worden sei. Im Übrigen sei sein Anspruch auf
Erstattung der Bewerbungskosten i. H. v. 115,00 € begründet. Mit dem Antrag
auf Erstattung der Bewerbungskosten habe er zwei Bewerbungslisten (Namen
der Arbeitgeber, der Berufsbezeichnung und des Bewerbungsdatums) mit 23
Bewerbungsanschreiben eingereicht. Weitere Nachweiserfordernisse seien in
der Eingliederungsvereinbarung nicht festgelegt worden.
Der Beklagte hat demgegenüber die Auffassung vertreten, dass die Klage
unzulässig sei, weil der Widerspruchsbescheid vom 05.07.2010 am
12.07.2010 zur Post gegeben worden sei und damit als am 15.07.2010
bekannt gegeben gelten würde (§ 37 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch
<= SGB X>). Außerdem sei dem Kläger der Widerspruchsbescheid vom
05.07.2010 mit dem Schriftsatz vom 18.10.2010 im Verfahren S 23 AS
1582/10 nochmals übersandt und somit über das SG Lüneburg zugestellt
worden. Im Übrigen sei die Klage unbegründet. Aus der
Eingliederungsvereinbarung würde sich ergeben, dass Bewerbungskosten nur
auf Nachweis erstattet würden. Diesen sei der Kläger bislang jedoch schuldig
geblieben. Die Zusage eines pauschalen Erstattungsbetrags in Höhe von 5,00
€/Bewerbung sei in der Eingliederungsvereinbarung nicht enthalten.
In der mündlichen Verhandlung hat die Vertreterin des Beklagten ausgeführt,
dass bis August 2009 die Bewerbungskosten grundsätzlich mit pauschal 5,00
€/Bewerbung entschädigt worden seien. Diese Praxis sei jedoch aufgegeben
worden. Seitdem werde von den Bewerbern ein Kostennachweis für die
jeweilige Bewerbung verlangt.
Der Kläger hat demgegenüber an seinem Vortrag festgehalten und erklärt,
dass für ihn der Inhalt der Eingliederungsvereinbarung maßgebend sei. Da
darin nicht verlangt werde, einen Kostennachweis zu führen bzw. Quittungen
einzureichen, habe er die entsprechenden Quittungen nicht aufgehoben.
Außerdem hat er einen Schriftsatz vom 12.11.2013 eingereicht. Auf dessen
Inhalt wird Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
1.) den Bescheid des Beklagten vom 26.04.2010 und den
Widerspruchsbescheid vom 05.07.2010 aufzuheben,
2.) den Beklagten zu verpflichten, ihm Bewerbungskosten in Höhe von
115,00 € zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der
Beteiligten wird auf die Prozessakten und die den Kläger betreffende
Leistungsakte des Beklagten Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig; sie ist insbesondere nicht verfristet. Gem. § 87 Abs. 1
SGG ist die Klage binnen eines Monats nach der Zustellung oder der
Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzulegen. Hat - wie hier - ein
Vorverfahren stattgefunden, beginnt die Frist mit dem Tag der Zustellung des
Widerspruchsbescheides (§§ 87 Abs. 2, 64 SGG). Zwar gilt gem. § 37 Abs. 2
SGB X ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt
wurde, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Dies
gilt jedoch nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren
Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des
Verwaltungsakts und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen (§ 37 Abs. 2
S. 3 SGB X). Im vorliegenden Fall ist der Widerspruchsbescheid vom
05.07.2010 dem Kläger nachweislich erst am 11.02.2011 aufgrund der
Verfügung des LSG Niedersachsen-Bremen vom 08.02.2011 zugegangen.
Für einen Zeitpunkt zuvor kann ein Zugang nicht nachgewiesen werden. Es
kann insbesondere auch nicht festgestellt werden , dass der
Widerspruchsbescheid dem Kläger mit dem Schriftsatz des Beklagten vom
18.10.2010 im Verfahren S 23 AS 1582/10 zugestellt wurde. Die am
03.03.2011 beim SG Lüneburg erhobene Klage ist somit fristgemäß.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Die angefochtene Entscheidung erweist
sich als rechtmäßig, da der Kläger keinen Anspruch auf die Erstattung der
geltend gemachten Bewerbungskosten hat. Ein solche Anspruch ergibt sich
weder aus der maßgeblichen Eingliederungsvereinbarung noch aus dem
Gesetz.
Gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 6 b Abs. 1 SGB II kann der Beklagte u. a. die
im 3. Kapitel des SGB III geregelten Leistungen erbringen. Gemäß § 45 Abs. 1
SGB III in der bis zum 01.04.2012 geltenden Fassung (= § 44 SGB III in der ab
dem 01.04.2012 geltenden Fassung) war wiederum bestimmt, dass
Arbeitslose aus dem Vermittlungsbudget… bei der Anbahnung oder Aufnahme
einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gefördert werden, wenn dies für
die berufliche Eingliederung notwendig ist. Sie sollen insbesondere bei der
Erreichung der in der Eingliederungsvereinbarung festgelegten
Eingliederungsziele unterstützt werden. Die Förderung umfasst die
Übernahme der angemessenen Kosten, soweit der Arbeitgeber gleichartige
Leistungen nicht oder voraussichtlich nicht erbringen wird. In § 45 Abs. 3 S. 1
SGB III a. F. /§ 44 SGB III n. F. war bzw. ist außerdem bestimmt, dass die
Bundesagentur für Arbeit bzw. der Beklagte über den Umfang der zu
erbringenden Leistungen entscheidet und auch Pauschalen festlegen kann.
Da es sich bei der genannten Förderung um eine Ermessensleistung handelt,
besteht in diesem Rahmen grundsätzlich kein von vornherein festgelegter
Rechtsanspruch, dass eine bestimmte Leistung in einer bestimmten Höhe
erbracht wird. Gem. § 39 Abs. 1 SGB I haben die Leistungsträger ihr Ermessen
vielmehr entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die
gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten, wobei auf die
pflichtgemäße Ausübung des Ermessens ein Anspruch besteht. Weiterhin ist
zu beachten, dass eine Ermessensentscheidung gerichtlich nur in
eingeschränktem Umfang überprüfbar ist, da das Gericht grundsätzlich nur
feststellen kann, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens über- bzw.
unterschritten sind oder ein Ermessensfehlgebrauch vorliegt (§ 54 Abs. 2 S. 2
SGG). Sofern sich die Entscheidung innerhalb des Ermessensspielraums
bewegt, kann somit das Gericht nicht überprüfen, ob es sich bei der von der
Behörde praktizierten Verfahrensweise um die zweckmäßigste, vernünftigste
oder gerechteste Regelung handelt.
Im vorliegenden Fall liegt ein Ermessensfehlgebrauch nicht vor. Es ist
insbesondere nicht zu beanstanden, dass die Beklagte nur eine Erstattung
von tatsächlich entstandenen und nachgewiesenen Kosten vornimmt. Das
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Gesetz gestattet zwar dem Grundsicherungsträger eine pauschale
Kostenerstattung, zwingt ihn aber nicht dazu.
Ein Anspruch auf die pauschale Abgeltung i. H. v. 5,00 €/Bewerbung kann
weiterhin auch nicht aus der Eingliederungsvereinbarung vom 20.10.2009
abgeleitet werden. Bereits die Formulierung „Übernahme von Kosten“ legt
nahe, dass nur solche Kosten erstattungsfähig sind, die auch tatsächlich
verauslagt wurden. Weiterhin war in der Eingliederungsvereinbarung auch
ausdrücklich festgelegt, dass eine Erstattung nur aufgrund eines
entsprechenden Nachweises erfolgt. Auch insoweit spricht der Kontext mit der
Formulierung „Übernahme von Kosten“ dafür, dass hiermit ein konkreter
Kostennachweis gemeint ist und hierfür der bloße – wie auch immer geartete -
Nachweis, dass sich der Kläger bei dem betreffenden Arbeitgeber beworben
hat, nicht ausreichend ist.
Ein Anspruch ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass der Beklagte vor
August 2009 eine pauschalierte Erstattung i. H. v. 5,00 €/Bewerbung
durchgeführt hat. Die Vertreterin des Beklagten hat in der mündlichen
Verhandlung vielmehr dargelegt, dass diese Verwaltungspraxis zu Gunsten
einer Nachweispflicht aufgegeben wurde. Der Kläger wurde auf Änderung
dieser Verwaltungspraxis und das Erfordernis der Kostennachweispflicht auch
wiederholt hingewiesen. Auch die Kammer hält eine Nachweispflicht
hinsichtlich der konkret angefallenen Kosten in Zeiten, in denen eine
Bewerbung mit marginalem Kostenaufwand per E-Mail möglich ist, für
sachgerecht. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass eine Erstattung von
Kosten vorgenommen wird, die tatsächlich gar nicht angefallen sind. Für die
Einführung einer Nachweispflicht für die tatsächlich entstandenen
Bewerbungskosten existiert daher kein sachlicher Grund, so dass sich die vom
Beklagten praktizierte Verfahrensweise in dem ihm eingeräumten
Ermessensspielraum bewegt.
Aus gegebenem Anlass weist die Kammer schließlich darauf hin, dass die
Nachweispflicht für die Kostenerstattung einer Bewerbungsbemühung anders
ausgestaltet sein kann, als diejenige im Zusammenhang der Vornahme einer
Bewerbung zur Vermeidung einer Sanktion. Dies war auch im vorliegenden
Fall so. Zwar wurde unter Ziffer 2 der Eingliederungsvereinbarung
(Bemühungen des Klägers zur Eingliederung von Arbeit) ausgeführt, dass er
als Nachweis über seine unternommenen Bemühungen die den
Vermittlungsvorschlag beigefügte Antwortmöglichkeit ausfüllen und vorlegen
solle. Diese Passage steht jedoch weder im Kontext mit den Bestimmungen
zur Kostenerstattung noch kann darin generell eine abschließende Regelung
hinsichtlich einer Nachweispflicht erblickt werden. Denn gem. § 20 Abs. 2 SGB
X bestimmt die Behörde Art und Umfang der notwendigen Ermittlungen, ohne
an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten gebunden zu sein.
Dies schließt ein, dass sie ergänzende Auskünfte bei Dritten einholt, wenn ihr
der Sachverhalt im Einzelfall in dem einen oder anderen Punkt
aufklärungsbedürftig erscheint (§ 21 Abs. 1 SGB X).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Berufung zuzulassen, sind nicht ersichtlich.