Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 26.06.2003

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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 26.06.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hildesheim S 7 V 6/96
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 10/9 V 4/98
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtbescheid des Sozialgerichts Hildesheim vom 28. Dezember 1997 wird
zurückgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, für den 1908 ge-borenen und am 27. März 1998
während des Berufungsverfahrens verstorbenen kriegsbeschädigten Erich C. (Beschädigter) eine Erhöhung der
schädigungsbe-dingten Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wegen besonderen beruflichen Betroffenseins
vorzunehmen sowie Berufsschadensausgleich zu gewähren.
Der Kläger ist einer der Erben der am 29. August 1999 verstorbenen Sonder-rechtsnachfolgerin des Beschädigten,
Waltraud C ...
Der Beschädigte erlernte nach dem Besuch der Volksschule ab 1922 bei der K.-Versicherungs-AG in L. den Beruf des
Versicherungskaufmanns und war bei die-sem Arbeitgeber ununterbrochen, zuletzt vor der Einberufung zum
Wehrdienst, als Angestellter in der Schadensabteilung, tätig. Im Verlauf des Jahres 1940 wur-de der Beschädigte von
weiteren Mitarbeitern des Arbeitgebers wegen angebli-cher herabsetzender Äußerungen über eine
Wehrmachtsdienststelle angezeigt. Das Verfahren wurde, nachdem der Beschädigte Anfang September 1940 zur
Wehrmacht einberufen worden war, vor einem Militärgericht fortgesetzt, das ihn mit Urteil vom 11. Oktober 1940 zu
einer Gefängnisstrafe von sechs Monaten verurteilte. Von dieser Freiheitsstrafe verbüßte der Beschädigte etwa zwei
Mo-nate in der Militärstrafanstalt M ... Nach seinem Vorbringen hat er während dieser Haftzeit eine Nierenerkrankung
erlitten, die jedoch nicht ärztlich behandelt wurde. Nachdem er sich zum Schweigen über die Verurteilung und die Haft
verpflichtet hatte, wurde er sodann zur "Frontbewährung" in eine Sanitätseinheit eingeglie-dert, die später ihren
Einsatz an der Ostfront fand. Dort wurden dem Beschädig-ten – auch – Einzeleinsätze befohlen, die überaus
gefährlich waren und die "nor-malen” Soldaten nicht abverlangt wurden ("Himmelfahrtskommando"). Anfang November
1943 wurde der rechte Unterschenkel des Beschädigten von einer Pak überfahren. Durch Erlass vom 13. November
1943 wurde ihm die Reststrafe er-lassen.
Nachdem der Beschädigte – möglicherweise wegen des Auftretens von Sehstö-rungen – aus der
Kriegsgefangenschaft entlassen worden war, stellte er sich erstmals im Jahr 1946 wegen einer Augenerkrankung in
der Universitätsklinik N. vor. Weil die von dem Beschädigten geäußerten Beschwerden nicht in vollem Umfang
organisch erklärbar schienen, fand auch erstmals eine Untersuchung und Behandlung auf neurologisch-
psychiatrischem Fachgebiet statt. Der Beschä-digte übersiedelte dann nach L. und bemühte sich um die
Wiedereinstellung bei seinem ehemaligen Arbeitgeber. Der weigerte sich jedoch, den Beschädigten wieder
einzustellen, was dieser darauf zurückführte, dass bei dem Arbeitgeber an maßgeblicher Stelle noch dieselben
Mitarbeiter beschäftigt waren, wie vor und während des Krieges. Von Anfang 1947 bis Ende 1948 arbeitete der
Beschädigte dienstverpflichtet im Lager eines Lebensmittelgroßhändlers in L ... Während dieser Zeit hob das
Amtsgericht O. das Militärgerichtsurteil auf, weil die Verurteilung aus politischen Gründen erfolgt sei. Anfang 1949
kehrte der Beschädigte nach N. zu-rück und bewarb sich bei der P.-Versicherung um die Einstellung als Versiche-
rungskaufmann. Nach seiner späteren Schilderung sei die Einstellung an sich bereits perfekt gewesen und letztlich
nur daran gescheitert, dass er auf die Frage nach den Gründen für die Nichtweiterbeschäftigung bei der Q.-
Versicherungs-AG seine Verurteilung habe offenbaren müssen. Noch im Jahr 1949 eröffnete er mit einem
Geschäftspartner zusammen ein Unternehmen zur Anfertigung und zum Vertrieb von Tonaufnahmen. Im Jahr 1952
trennte der Beschädigte sich von sei-nem Geschäftspartner und führte das Unternehmen alleine weiter. In der zweiten
Hälfte der 50er Jahre geriet das Unternehmen in wirtschaftliche Schwierigkeiten, was der Beschädigte später darauf
zurückführte, dass er "in die Hand eines be-trügerischen Großhändlers" geraten sei. Im April 1963 übergab der
Beschädigte das Unternehmen seiner Ehefrau, die es fortführte. Der Beschädigte war fortan nur noch geringfügig in
dem Unternehmen tätig, indem er etwa aufgestellte tech-nische Geräte bewachte. Seit dem 1. Juli 1969 bezog der
Beschädigte von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU), seit dem
1. August 1973 Altersrente. Ausweislich der den Rentenbeschei-den beigefügten Versicherungsverläufe waren für den
Beschädigten bis Ende 1948 – unterbrochen von den Zeiten des Kriegsdienstes und der Gefangen-schaft –
Pflichtbeiträge entrichtet worden, in der Zeit von Mitte 1950 bis Anfang 1955 waren für insgesamt 31 Monate freiwillige
Beiträge gezahlt worden. Für die Zeit danach sind rentenrechtlich relevante Sachverhalte nicht erfasst.
Bei dem Beschädigten war für die Zeit seit dem 1. September 1950 eine schädi-gungsbedingte MdE um 30 vH
festgestellt (Bescheid vom 3. Dezember 1957), die in der Folgzeit infolge einer Vielzahl von Verwaltungs- und
Gerichtsverfahren er-höht wurde. Mit dem letzten rechtsverbindlichen Bescheid des Versorgungsamtes Hildesheim
vom 9. September 1987 wurde eine MdE um 70 vH gemäß § 30 Abs. 1 BVG festgestellt. Als Schädigungsfolgen sind
darin anerkannt
1. Netzhautschäden mit Gesichtsausfällen rechts, in geringem Maß auch links (seit 1950),
2. chronische Nierenentzündung bei Einzelniere rechts (seit 1970),
3. Fehlstellung der Wirbelsäule (seit 1950),
4. geringe Bewegungseinschränkung im rechten Hüft- ( seit 1960), Knie- (seit 1960) und Fußgelenk (seit 1950) mit
arthrotischen Ver-änderungen,
5. mit Verkürzung und leichter Fehlstellung knöchern fest verheilter Unterschenkelbruch rechts (seit 1950),
6. Narben am rechten Unterschenkel (seit 1967),
7. erlebnisbedingter Persönlichkeitswandel (seit 1979).
Bereits seit den 50er Jahren hatte der Beschädigte die Anerkennung auch von Störungen des psychischen und
nervlichen Zustandes als Schädigungsfolge be-gehrt. Dies war zunächst abgelehnt worden. Aus der Akte ergeben
sich Hinweise darauf, dass bei dem Beschädigten im Rahmen eines Strafverfahrens im Jahre 1958 das Vorliegen der
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Strafgesetzbuch alte Fassung angenommen worden war. Im Januar 1963 wurde der
Beschädigte auf Anforderung des Landessozialgerichts Niedersachsen von Prof. Dr. R. auf neu-rologisch-
psychiatrischem Fachgebiet begutachtet. Dieser diagnostizierte wahn-hafte Vorstellungen von Krankheitswert im Sinn
einer Paranoia. Dies sei jedoch nicht Schädigungsfolge. In der zugleich für die Staatsanwaltschaft bei dem Land-
gericht N. abgegebenen Stellungnahme hielt Prof. Dr. R. den Beschädigten für seit 1950 zurechnungsunfähig.
Insbesondere darauf gestützt erachtete das Amtsgericht S. den Beschädigten mit Beschluss vom 1. November 1963
als par-tiell prozessunfähig, soweit es nämlich um die Verfolgung von Ansprüchen gehe, die mit dem Komplex der
1940 erfolgten Verurteilung, des Militärdienstes und de-ren Folgen in Zusammenhang stünden. Nach Vorlage einer
nervenärztlichen Stellungnahme des Dr. T. und Anhörung des Beschädigten hielt das Amtsgericht N. im Dezember
1963 die Voraussetzungen des § 1910 des Bürgerlichen Ge-setzbuches (BGB) für die Bestellung eines Pflegers nicht
für gegeben. Auf Ver-anlassung des Landessozialgerichts Niedersachsen begutachtete Dr. T. den Be-schädigten
Anfang 1966 auf nervenärztlichem Gebiet. Dieser diagnostizierte bei dem Beschädigten einen erlebnisreaktiven
Persönlichkeitswandel, den er auf die Zustände der Militärhaft und der anschließenden Frontbewährung zurückführte,
die man als einheitliches Erlebensgesamt verstehen müsse.
Zu der Anerkennung des Persönlichkeitswandels in dem genannten Bescheid des Versorgungsamtes Hildesheim kam
es jedoch erst aufgrund einer erneuten Be-gutachtung des Beschädigten durch Prof. Dr. U ... Dieser vertrat in dem
unter dem 13. März 1987 erstatteten Gutachten die Auffassung, eine paranoide Erkrankung des Beschädigten habe
entgegen der Auffassung von Prof. Dr. R. zu keiner Zeit vorgelegen. Für den Eintritt des Persönlichkeitswandels sei
insbesondere die län-ger dauernde Frontbewährung als bedeutender Faktor anzusehen.
Mit Bescheid vom 24. April 1980 hatte das Versorgungsamt Hildesheim die Ge-währung von
Berufsschadensausgleich abgelehnt. Ein Einkommensverlust auf-grund der anerkannten Schädigungsfolgen sei nicht
zu erkennen. Die Weigerung des früheren Arbeitgebers des Beschädigten, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, habe
mit den anerkannten Schädigungsfolgen oder einer Schädigung i.S. des § 1 BVG nichts zu tun. Die
Schädigungsfolgen hätten ihn insbesondere auch im Hin-blick auf den wirtschaftlichen Aufstieg in der Bundesrepublik
Deutschland mit dem Angebot zahlreicher Arbeitsplätze nicht gehindert, als Angestellter wieder in den Arbeitsprozess
zu gelangen.
Den hier streitigen Antrag auf Berufsschadensausgleich stellte der Beschädigte im März 1989 mit Hinweis darauf, er
habe schädigungsbedingt nach 1940 keine Beiträge zur BfA mehr zahlen können. Im Widerspruchsverfahren wies er
insbe-sondere darauf hin, wegen der Augenschäden habe er nicht mehr als Versiche-rungskaufmann arbeiten können.
Mit Bescheid vom 22. Juni 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 1996 sowie mit
Bescheid vom 23. Juni 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 1996 lehnte der Beklagte
sowohl die Erhöhung der MdE gemäß § 30 Abs. 2 BVG we-gen besonderer beruflicher Betroffenheit als auch die
Rücknahme des den Be-rufsschadensausgleich versagenden Bescheides ab. Zwar habe der Beschädigte nach dem
Krieg tatsächlich nicht mehr als Versicherungskaufmann gearbeitet. Hierfür seien die Schädigungsfolgen wegen der
Weigerung des ehemaligen Ar-beitgebers zur Weiterbeschäftigung aber nicht ursächlich geworden. Bis zum Er-reichen
der Altersgrenze sei der Beschädigte wegen der Schädigungsfolgen nicht gehindert gewesen, als
Versicherungskaufmann oder in einer anderen leidensge-rechten Tätigkeit einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Der
Bescheid vom 24. April 1980 sei im Ergebnis zutreffend, weil dem Beschädigten Berufsschadensaus-gleich nicht
zugestanden habe. Bis zum Erreichen der Altersgrenze sei der Be-schädigte nicht durch die Schädigungsfolgen daran
gehindert gewesen, als Ver-sicherungskaufmann oder in einer anderen kaufmännischen Tätigkeit einer Er-
werbstätigkeit nachzugehen.
Dagegen hat der Beschädigte Klage bei dem Sozialgericht (SG) Hildesheim er-hoben und insbesondere erneut geltend
gemacht, er habe wegen der Augen-schäden nicht mehr als Versicherungskaufmann arbeiten können. Das SG hat die
Klage mit Gerichtsbescheid vom 28. Dezember 1997 als unbegründet abgewie-sen. Der Beschädigte habe keinen
Anspruch auf Erhöhung der MdE wegen be-sonderer beruflicher Betroffenheit. Bereits in dem Urteil vom 23. Januar
1957 ha-be das SG Hildesheim festgestellt, dass der Beschädigte zum damaligen Zeit-punkt nicht durch die
Schädigungsfolgen gehindert gewesen sei, weiter als Versi-cherungskaufmann zu arbeiten. Auch
Berufsschadensausgleich stehe dem Be-schädigten nicht zu. Der Eintritt der BU sei nicht wenigstens gleichwertig
durch die Schädigungsfolgen verursacht worden. Für den Eintritt der BU seien nämlich sonstige Erkrankungen der
Harnorgane und Bluthochdruck ausschlaggebend gewesen.
Gegen den am 6. Januar 1998 an den Beschädigten abgesandten Gerichtsbe-scheid wendet sich die am 28. Januar
1998 bei dem SG eingegangene Berufung. Der Kläger hält daran fest, dass der Beschädigte wegen der
Schädigungsfolgen an der Ausübung der einem Versicherungskaufmann entsprechenden Erwerbstä-tigkeit gehindert
gewesen sei. Schon mindestens seit 1957 hätten auf psychiatri-schem Fachgebiet Schädigungsfolgen vorgelegen, die
mit einer Einzel-MdE von mindestens 30 vH zu bewerten gewesen seien. Anfang der 60er Jahre sei er
schädigungsbedingt aus dem Erwerbsleben ausgeschieden. Mitte der 60er Jahre sei er entmündigt worden. Dies sei
als mittelbare Schädigungsfolge anzusehen. Durch die Entmündigung sei ihm die weitere selbständige
Erwerbstätigkeit un-möglich geworden. Für den Eintritt der BU im Jahr 1969 sei in erster Linie die als
Schädigungsfolge anerkannte Erkrankung der Harnorgane verantwortlich gewe-sen.
Nachdem der Beschädigte und seine Sonderrechtsnachfolgerin während des Be-rufungsverfahrens verstorben sind,
wird das Verfahren von dem Kläger als Erben fortgeführt. Er beantragt,
1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hildesheim vom 28. Dezember 1997 und die Bescheide des Beklagten
vom 22. Juni 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 1996 und vom 23. Juni 1995 in der
Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 16. Januar 1996 aufzuheben,
2. den Beklagten zu verurteilen, den Erben der verstorbenen Sonder-rechtsnachfolgerin des Beschädigten a)
Beschädigtenversorgung nach einer MdE um 80 vH gemäß § 30 Abs. 1 und 2 BVG und b) unter Rücknahme
entgegenstehender Bescheide Berufs-schadensausgleich für die Zeit vom 1. Januar 1979 bis 27. März 1998 zu
bewilligen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hildesheim vom 28. Dezember 1997
zurückzuweisen.
Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid und die mit ihm überprüften Be-scheide für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der
Verwaltungsakte des Beklagten, der über den Beschädigten geführten Schwerbehindertenakte sowie der von dem
Kläger vorgelegten weite-ren Unterlagen Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist jedoch nicht begründet. Das SG hat
zu Recht festgestellt, dass der Beklagte we-der zur Erhöhung der MdE wegen besonderer beruflicher Betroffenheit
noch zur Gewährung von Berufsschadensausgleich verpflichtet ist.
Der wegen § 30 Abs. 3 BVG vorrangig zu prüfende Anspruch auf Erhöhung der MdE wegen besonderer beruflicher
Betroffenheit gemäß § 30 Abs. 2 BVG hat in dem streitigen Zeitraum nicht bestanden. Nach der genannten Vorschrift
ist die MdE höher zu bewerten, wenn der Beschädigte durch die Art der Schädigungs-folgen in seinem vor der
Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, in sei-nem nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders
betroffen ist, den er nach Eintritt der Schädigung ausgeübt hat oder noch ausübt. Die genannten Vor-aussetzungen
liegen in dem zur Entscheidung anstehenden Zeitraum nicht vor. Wenn auch nach der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts – BSG – (vgl. etwa Urteil vom 21. September 1983, Az.: 9 a RV 36/82, BSGE 55, 242) die wäh-
rend des Berufslebens vorgenommene Höherbewertung der MdE dem Beschä-digten auch nach dem Abschluss des
Erwerbslebens verbleibt, so kommt sie grundsätzlich nur für die Zeit der beruflichen Tätigkeit während des Erwerbsle-
bens in Betracht (vgl. Rohr/Sträßer, Kommentar zum BVG § 30 Anm. 3 a). Der hier streitige Antrag, auf den hin die
angefochtenen Bescheide des Beklagten ergingen, datiert von März 1989, also von einem Zeitpunkt, zu dem der
Beschä-digte bereits über 80 Jahre alt war und aus dem Erwerbsleben ausgeschieden gewesen ist. Allerdings kann in
einem Zugunstenverfahren die Erhöhung der während des Berufslebens festgestellten "medizinischen" MdE wegen
besonderer beruflicher Betroffenheit auch noch nach Beendigung des Erwerbslebens erfol-gen (vgl. Rohr/Sträßer,
a.a.O.). Darüber hinaus kommt die nachträgliche Zuer-kennung einer Höherbemessung der MdE in Betracht, wenn das
Ende der beruf-lichen Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen erzwungen ist (vgl. Urteil des BSG vom 12. Dezember
1995, Az.: 9 RV 9/95, SozR 3-3100 § 30 Nr. 15). Beide Vor-aussetzungen liegen im Fall des Beschädigten nicht vor.
Soweit die Berufung den Anspruch aus § 30 Abs. 2 BVG betrifft, liegt eine be-standskräftige ablehnende
Verwaltungsentscheidung nicht vor, die einem Zu-gunstenverfahren zugänglich wäre. Wenn man zugunsten des
Klägers davon ausginge, dass der Bescheid des Beklagten vom 24. April 1980 zugleich mit der ausdrücklichen
Ablehnung der Gewährung von Berufsschadensausgleich unaus-gesprochen auch die Ablehnung der Anwendung des
§ 30 Abs. 2 BVG enthielte, so müsste für die Zuerkennung einer besonderen beruflichen Betroffenheit das
Zugunstenverfahren - möglicherweise unabhängig von der sich aus § 44 Abs. 4 des Zehnten Buches
Sozialgesetzbuch (SGB X) ergebenden zeitlichen Be-schränkung - wenigstens von seinen rechtlichen Wirkungen her
sich auf eine Zeit noch vor dem Ausscheiden des Beschädigten aus dem Erwerbsleben beziehen können. Jedenfalls
daran fehlt es im vorliegenden Fall. Gedanklich könnte allen-falls als verfahrensauslösendes Moment für die
Überprüfung im Zugunstenwege auf den in dem genannten Bescheid zitierten am 21. Februar 1970 bei dem Be-
klagten eingegangenen Antrag des Beschädigten – der im Übrigen weder auf die Gewährung von
Berufsschadensausgleich noch auf § 30 Abs. 2 BVG zielte - abgestellt werden. Wegen § 60 Abs. 1 BVG in der bis
zum 31. Dezember 1978 geltenden Fassung könnte dann eine Erhöhung der MdE frühestens für die Zeit seit dem 1.
Februar 1970 in Betracht kommen. Zu einem früheren Beginn des zu überprüfenden Zeitraumes ist auch nicht auf der
Basis des im März 1989 ge-stellten Antrags auf Berufsschadensausgleich unter Berücksichtigung der zu die-sem
Zeitpunkt geltenden Fassung des § 60 Abs. 1 BVG zu gelangen.
Auch am 1. Februar 1970 war der Beschädigte bereits aus dem Erwerbsleben ausgeschieden. Das Ausscheiden aus
dem Erwerbsleben setzt sich zusammen aus der tatsächlichen Komponente der Nichtausübung einer auf die
Erzielung von Erwerbseinkommen gerichteten Tätigkeit und aus der subjektiven Komponente der Absicht, auch in
Zukunft keine auf Erwerbseinkommen gerichtete Tätigkeit aufzunehmen. Tatsächlich hat der Beschädigte seit der
Abgabe des Betriebes an seine Ehefrau im Frühjahr 1963 keine auf die Erzielung von Erwerbseinkommen gerichtete
Tätigkeit mehr verrichtet. Zwar ist in der Akte davon die Rede, dass der Beschädigte auch in der Folgezeit noch
gelegentlich in der Weise als Wächter tätig geworden sei, dass er nämlich die von dem Unternehmen aufgestellten
technischen Geräte bis zu deren Benutzung bewacht habe. Doch fehlen dem Se-nat sämtliche Anhaltspunkte dafür,
dass diese Tätigkeit in gewisser Regelmäßig-keit, im nennenswerten Umfang und gegen Entgelt verrichtet worden
wäre. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass für den Beschädigten für diese Tätigkeit Beiträge
zur gesetzlichen Rentenversicherung offensichtlich nicht entrichtet worden sind. Jedenfalls finden sich derartige
Beiträge in den den Rentenbescheiden beigefügten Versicherungsverläufen nicht.
Über eine etwaige Absicht des Beschädigten, nach der Betriebsabgabe noch eine Erwerbstätigkeit auszuüben, liegen
dem Senat keine objektiven Erkenntnisquel-len vor. Er ist daher darauf angewiesen, aus dem tatsächlichen Verlauf
der Ereig-nisse auf die Motivation des Beschädigten zu schließen. In diesem Zusammen-hang ist von Bedeutung,
dass der Beschädigte, wie bereits ausgeführt, nach der Aufgabe des Betriebes bis zum Erreichen der gesetzlichen
Altersgrenze eine Er-werbstätigkeit nennenswerten Umfanges nicht mehr ausgeübt hat. Es ist auch nicht erkennbar,
dass der Beschädigte - jedenfalls nach Mitte 1966 - noch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit beabsichtigt hätte.
Letztmalig hat er ausweislich der in Fotokopie vorgelegten Meldekarte Ende Mai 1966 beim Arbeitsamt vorge-
sprochen. Für das Ende des Willens, erneut eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, spricht schließlich der Umstand,
dass der Beschädigte in Juni 1969 bei der BfA die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit beantragt hat.
Der Senat kann nicht feststellen, dass der Beschädigte wegen der Schädigungs-folgen zur Aufgabe der
Berufstätigkeit gezwungen gewesen ist. Die auf orthopä-disch-chirurgischem Fachgebiet liegenden Schädigungsfolgen
des Bewegungs-apparates mögen den Beschädigten zwar in seiner Bewegungsfähigkeit einge-schränkt haben, einer
unter büromäßigen Bedingungen auszuübenden Erwerbs-tätigkeit haben sie jedoch nicht entgegengestanden. Dass im
Bereich des Bewe-gungsapparates eine wesentliche Verschlechterung in zeitlichem Zusammenhang mit dem
Ausscheiden aus dem Erwerbsleben eingetreten wäre, ist anhand der Akte nicht ersichtlich. Die Augenschädigung
hinderte den Beschädigten bereits anlässlich der Begutachtung durch Prof. Dr. V. im Oktober 1952 nicht mehr dar-an,
jedenfalls mit dem rechten Auge die feinste und mit dem linken Auge feine Druckschrift zu lesen. Im Jahr 1969 fand
sich bei dem Beschädigten zwar eine ungeklärte Erhöhung der Blutsenkungsgeschwindigkeit, die zu der Entdeckung
des Fehlens der linken Niere führte. Eine nennenswerte, dauerhafte Funktions-einschränkung der verbliebenen rechten
Niere, die insbesondere ein über das während der zurückliegenden Erwerbstätigkeit hinausgehende Maß erreicht
hätte, fand sich jedoch schließlich nicht. So hat Privatdozent Dr. W. in seinem Gutach-ten vom 27. November 1975
den Verlauf der bei dem Beschädigten bereits seit langen Jahren bestehenden chronischen Pyelonephritis als überaus
günstig ein-geschätzt. Die von dem Beschädigten anlässlich der Begutachtung geschilderten Beschwerden von
Seiten des Harnapparates - Harndrang alle drei Stunden, zweimalige Nykturie, Nachträufeln und gelegentlich
unbemerkter Urin-abgang - lassen auch nicht den Schluss zu, dass sie eine Erwerbstätigkeit verhindert hät-ten. Dies
gilt umso mehr, als der Beschädigte langjährig mit der Erkrankung eine Erwerbstätigkeit ausgeübt hat. Eine
gravierende Verschlechterung der chroni-schen Nierenerkrankung in zeitlichem Zusammenhang mit dem Ausscheiden
aus dem Erwerbsleben lässt sich anhand der Akte nicht nachvollziehen. Der Senat verkennt in diesem
Zusammenhang nicht, dass in dem Bearbeitungsbogen der BfA vom 4./6. Februar 1970 als Kennziffer des
Hauptleidens unter anderem "590" eingetragen ist. Hierbei ist jedoch bereits unklar, ob es sich um eine Bewertung des
ärztlichen Beraters nach Aktenauswertung oder eine Eintragung des Sach-bearbeiters zur Vorlage an den Arzt
gehandelt hat. Auch in ersterem Fall würde diese Bewertung durch den sonstigen Akteninhalt aber deutlich relativiert
sein.
Den erlebnisbedingten Persönlichkeitswandel hat Prof. Dr. U. für die Zeit seit 1960 nach Eintritt einer Verbesserung
mit einer Einzel-MdE um 30 vH bemessen. Soweit er hierbei, woran zu zweifeln der Senat keinerlei Grund sieht, von
den "Anhaltspunkten für die Ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungs-recht und nach dem
Schwerbehindertengesetz”, Ausgabe 1983 ausgegangen ist, kann die Erkrankung erhebliche soziale
Anpassungsschwierigkeiten nicht bedingt haben (vgl. Rdnr. 26.3, S. 47, 48 der Anhaltspunkte). Nach der von dem
Ärztli-chen Sachverständigenbeirat des Bundesarbeitsministeriums in der Sitzung vom 18. und 19. März 1998
gegebenen Abgrenzungsdefinition würden erst schwere soziale Anpassungsschwierigkeiten eine berufliche Tätigkeit
sehr stark gefährden oder ausschließen.
Es kann dahingestellt bleiben, ob mit der Rechtsprechung des BSG (vgl. das be-reits genannte Urteil vom 12.
Dezember 1995) die Annahme eines schädigungs-bedingten Zwangs zur Aufgabe der Berufstätigkeit bereits allein
wegen des Le-bensalters des Beschädigten ausgeschlossen ist.
Zugunsten des Klägers kann der Senat auch nicht feststellen, dass dem Beschä-digten zu Lebzeiten ein Anspruch
auf Berufsschadensausgleich zugestanden hat. Das SG hat zu Recht darauf hingewiesen, dass im Hinblick auf den
verbindlichen Bescheid des Beklagten vom 24. April 1980 ein Anspruch auf Berufsscha-densausgleich nur unter den
Voraussetzungen des § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) zu prüfen sein kann. Voraussetzung für
den Anspruch ist damit, dass der genannte Bescheid rechtswidrig gewesen und dem Beschä-digten daher zu Unrecht
Berufsschadensausgleich nicht gezahlt worden wäre. Davon kann nicht mit der für eine Entscheidung zugunsten des
Klägers erforderli-chen Sicherheit ausgegangen werden. Unter Berücksichtigung des Antrags des Beschädigten vom
21. Februar 1970 kann auch ein Anspruch auf Berufsscha-densausgleich allenfalls für die Zeit seit Anfang Februar
1970 Gegenstand der vorliegenden Überprüfung sein. Mit Rücksicht darauf, dass der Beschädigte zu diesem
Zeitpunkt bereits aus dem Erwerbsleben ausgeschieden war, kann eine Einkommensdifferenz zwischen dem
schädigungsbedingt geminderten Einkom-men einerseits und dem Einkommen ohne Schädigung andererseits
gedanklich nur in Betracht kommen, wenn entweder das vorzeitige Ausscheiden aus dem Erwerbsleben durch die
Schädigungsfolgen erzwungen worden oder wenn der Beschädigte durch die Schädigungsfolgen gehindert gewesen
wäre, in seinem Erwerbsleben in ausreichendem Umfang Beiträge zur gesetzlichen Rentenversi-cherung zu zahlen.
Beide Alternativen sind im vorliegenden Fall nicht nachgewiesen. Hinsichtlich des schädigungsbedingten Zwangs des
Beschädigten zum Ausscheiden aus dem Erwerbsleben ist dies bereits oben ausgeführt. Der Senat kann sich nach
Akten-lage aber auch nicht die Überzeugung bilden, dass er wegen der Schädigungs-folgen Beiträge zur gesetzlichen
Rentenversicherung in entsprechendem Umfang nicht zahlen konnte. Insbesondere kann der Senat nämlich nicht
davon ausge-hen, dass der Beschädigte infolge der Schädigungsfolgen daran gehindert gewe-sen ist, den vor der
Schädigung ausgeübten Beruf als Versicherungskaufmann auch nach der Schädigung weiter auszuführen. Von
Bedeutung ist in diesem Zu-sammenhang, dass der Beschädigte selber in den Jahren nach dem Krieg offen-sichtlich
der Meinung gewesen ist, den Beruf des Versicherungskaufmanns weiter ausführen zu können. Er hat sich nämlich
nach dem Krieg zunächst um die Wie-dereinstellung bei der K.-Versicherungs-AG und sodann um eine neue Arbeits-
stelle bei der P.-Versicherung bemüht. Nach der Einlassung des Beschädigten ist die Aufnahme einer Beschäftigung
bei den genannten Versicherungen jedoch nicht etwa daran gescheitert, dass er wegen der Schädigungsfolgen zur
Ausfüh-rung der Arbeit nicht mehr in der Lage gewesen wäre. Die Weiterbeschäftigung bei der K.-Versicherungs-AG
scheiterte vielmehr daran, dass in diesem Unter-nehmen nach dem Krieg noch die dem Beschädigten missgünstig
gesonnenen Vorgesetzten tätig waren, die dort bereits vor dem Krieg beschäftigt gewesenen waren. Die Einstellung
bei der P.-Versicherung scheiterte nach der Erklärung des Beschädigten letztlich nur daran, dass er diesem neuen
Arbeitgeber gegenüber die Gründe offenbaren musste, aus denen heraus einer Weiterbeschäftigung bei der K.-
Versicherungs-AG gescheitert war.
Mit Rücksicht auf das bereits genannte Ergebnis der Begutachtung durch Prof. Dr. V. im Jahr 1952 kann der Senat
auch nicht davon ausgehen, dass der Beschädigte tatsächlich wegen mangelnden Sehvermögens zur weiteren Aus-
übung der Tätigkeit als Versicherungskaufmann nicht mehr geeignet gewesen ist. Auch sieht der Senat keinen
Anhaltspunkt dafür, dass die schädigungsbedingten Funktionsstörungen des Bewegungsapparates der Verrichtung
einer büromäßi-gen Tätigkeit entgegengestanden hätten.
Der Senat kann sich auch nicht die Überzeugung bilden, dass die Schädigungs-folgen auf psychiatrischem
Fachgebiet den Beschädigten daran gehindert hätten, die Tätigkeit eines Versicherungskaufmanns weiter auszuüben.
Nach der Ein-schätzung von Prof. Dr. U. in dem Gutachten vom 13. März 1987 hat sich die psychiatrische
Schädigungsfolge insbesondere in drei Hauptkomplexen ausge-wirkt. Einmal ist es zu einer Verminderung der
emotionalen Ansprechbarkeit, vor allem in belastenden Situationen gekommen. Zudem lag eine stimmungsmäßige
Labilität vor und schließlich eine deutliche Sensibilität und Verletzbarkeit. Alles dies hat den Beschädigten nach dem
Akteninhalt aber nicht daran gehindert, ins-besondere in schriftlicher Form sich anhaltend und intensiv für die
Durchsetzung seiner Rechtsposition einzusetzen. Dem Senat ist bereits aus diesem Grund nicht nachzuvollziehen,
aus welchen Gründen der Beschädigte gehindert gewesen sein sollte, eine Bürotätigkeit mit überwiegend schriftlichem
Kundenkontakt zu ver-richten. Darüber hinaus ist aber auch der Umstand zu berücksichtigen, dass die von dem
Beschädigten tatsächlich ausgeübte selbständige Tätigkeit wohl in er-heblich größerem Umfang als diejenige eines
Versicherungskaufmanns Durch-setzungsvermögen auch im unmittelbaren persönlichen Umgang erfordert. Dass der
Beschädigte eine derartige Tätigkeit über lange Jahre hin verrichtete, sieht der Senat daher als beweisend dafür an,
dass der Beschädigte tatsächlich nicht nur auf schriftliche Arbeiten beschränkt gewesen ist.
Auf den mit der selbständigen Tätigkeit erzielten wirtschaftlichen Erfolg kommt es in diesem Zusammenhang nicht
entscheidend an. Denn dieser hängt letztlich von einer Vielzahl von Faktoren ab, die insbesondere über dasjenige
Maß an Enga-gement hinausgehen, das in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis übli-cherweise gefordert wird.
Im Hinblick auf den langen Zeitablauf und insbesondere das zwischenzeitliche Versterben des Beschädigten und auch
der Sonderrechtsnachfolgerin sieht der Senat auch keine Möglichkeit mehr, zur Aufklärung der ungeklärt gebliebenen
Tatsachen weiteren Beweis zu erheben. Denjenigen Nachteil hat der Kläger als Anspruchsteller zu tragen, der sich
aus der Nichterweislichkeit der anspruchsbe-gründenden Tatsachen ergibt.
Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung der §§ 183, 193 des Sozial-gerichtsgesetzes (SGG).
Anlass für die Zulassung der Revision besteht nicht, § 160 Abs. 2 SGG.