Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 02.10.2001

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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 02.10.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hildesheim S 19 SB 316/00
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 5 SB 78/01
Ziffer 2 des Tenors des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Hildesheim vom 6. April 2001 wird aufgehoben. Im
Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der im Jahre 1953 geborene Kläger hat am 14. Dezember 2000 Klage bei dem Sozi-algericht (SG) Hildesheim
erhoben. Die Klage richtet sich nach der Klageschrift vom 10. Dezember 2000 gegen einen Bescheid des
Versorgungsamtes (VA) Hildesheim und einen Widerspruchsbescheid mit dem Az.: F ... Eine Klagebegründung hat
der Kläger nicht eingereicht.
Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass die Klage unzulässig sei. Es liege weder ein Verwaltungsakt noch ein
bescheidungswürdiger Antrag auf Erlass eines Verwal-tungsaktes beim zuständigen VA Braunschweig – Außenstelle
Hildesheim – vor. Den Kläger betreffende Vorgänge nach dem Schwerbehindertenrecht existierten nicht.
Nach Beiziehung der Verwaltungsakten Beschädigtenversorgung nach dem Opfer-entschädigungsgesetz (OEG) und
Erteilung eines entsprechenden Hinweises hat das SG Hildesheim mit Gerichtsbescheid vom 6. April 2001 unter
Zulassung der Be-rufung und Verneinung einer Kostenerstattungspflicht des Beklagten für Recht er-kannt:
&61618;1. Die Klage wird als unzulässig abgewiesen. 2. Schreiben des Klägers an das Sozialgericht sind nur in den
Fällen als Klagen im Sinne des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu behandeln, in denen der Beklagte, der angefochtene
Verwaltungsakt nebst Datum und Aktenzeichen oder der beschei-dungswürdige Antrag auf Erlass eines
Verwaltungsaktes bei dem Beklagten be-zeichnet wird.&61618;
Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt: Die erhobene Klage sei mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.
Der Kläger sei nicht beschwert. Verwaltungs-akte des Beklagten oder Anträge des Klägers auf Erlass eines
Verwaltungsaktes lä-gen nicht vor. Ferner habe das Gericht aussprechen müssen, dass Schreiben des Klägers wie
die vorliegende Klageschrift sowohl von dem SG Hildesheim als auch dem zuständigen VA künftig nicht mehr als
Klagen gewertet werden dürften, da der Kläger solchermaßen die Gerichte unnütz, wenn nicht sogar unlauter in
Anspruch nehme. Der Kläger überziehe sowohl die Versorgungsbehörden des Landes Nieder-sachsen als auch die
Gerichte unberechtigt mit Anträgen und Klagen. Sein Verhalten müsse daher als querulatorisch gewürdigt werden. Der
Kläger sei zuletzt mit Ge-richtsbescheid des SG Hildesheim – Az.: S 7 VG 28/98 – darauf hingewiesen wor-den, dass
im Wiederholungsfalle seine Schreiben nicht mehr als Klagen angesehen würden, sofern sie nicht bestimmte Auflagen
erfüllten. Dies sei jetzt im Urteil auszu-sprechen gewesen, damit die Entscheidung auch zwischen den Beteiligten in
Bin-dung erwachsen könne.
Der Gerichtsbescheid ist dem Kläger per Übergabeeinschreiben, zur Post gegeben am 9. April 2001, zugestellt
worden.
Am 7. Mai 2001 hat der Kläger Berufung bei dem Landessozialgericht Niedersach-sen eingelegt. Zur Begründung
beruft er sich auf die Verletzung verschiedener Artikel des Grundgesetzes (GG).
Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des SG Hildesheim vom 6. April 2001 aufzuheben und den Beklagten im Sinne der Klageschrift
zu verurteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat die den Kläger betreffenden Verwaltungsakten Beschädigtenversor-gung OEG des VA Braunschweig –
Außenstelle Hildesheim – beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der
Prozessakte und der vorgenannten Verwaltungsakten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zumindest gemäß §§ 143, 144 Abs 3 SGG statthafte Berufung ist form- sowie fristgerecht eingelegt worden und
auch im Übrigen zulässig.
Der Kläger ist insbesondere durch den angefochtenen Gerichtsbescheid beschwert.
Die Beschwer eines Klägers ist immer dann gegeben, wenn die angefochtene erstin-stanzliche Entscheidung hinter
dem gestellten Antrag zurückgeblieben ist (BSGE 9, 80, 82). Das ist hier der Fall. Das SG Hildesheim hat die Klage,
mit der der Kläger nach Ansicht des Gerichts die Verurteilung des Landes zur Bescheidung seiner "Ein-gabe-Az.: F."
begehrt hat, abgewiesen. Darüber hinaus ist der Kläger beschwert, weil das SG Hildesheim in Ziffer 2 des
Gerichtsbescheides eine Feststellung getroffen hat, die der Kläger nicht begehrt hat und die ihn belastet, da sie durch
die Vorgabe bestimmter Formalien die Beschreitung des Rechtswegs durch den Kläger beschnei-det.
Ein neben der Beschwer bestehendes Rechtsschutzbedürfnis des Klägers für die Durchführung des
Berufungsverfahrens war nicht zu prüfen. Das Rechtsschutzinte-resse stellt in der Regel keine besondere
Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels dar. Mit dem Erfordernis der Beschwer ist vielmehr im
Allgemeinen gewährleistet, dass das Rechtsmittel nur dann eingelegt wird, wenn ein sachliches Bedürfnis des
Rechtsmittelklägers hieran besteht. Allenfalls bei ganz besonderer Sachlage kann daher eine Prüfung angezeigt sein,
ob trotz Vorliegens der Beschwer eine unnötige, zweckwidrige oder missbräuchliche Beschreitung des vom Gesetz
vorgesehenen Rechtsmittelweges anzunehmen ist. In solchen Fällen kann aus-nahmsweise die Unzulässigkeit des
Rechtsmittels mit dem Fehlen eines Rechts-schutzbedürfnisses begründet werden (BGHZ 57, 224, 225). Eine solche
Situation liegt hier schon unter Berücksichtigung der Ziffer 2 des angefochtenen Gerichtsbe-scheides nicht vor.
Soweit sich die Berufung gegen Ziffer 2 des Gerichtsbescheides vom 6. April 2001 richtet, ist sie auch begründet.
Die Entscheidung des SG ist insoweit rechtswidrig.
Sie verstößt zum einen gegen § 123 SGG. Nach dieser Vorschrift entscheidet das Gericht über die vom Kläger
erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträ-ge gebunden zu sein. Das Gericht befindet daher nur über das
ihm vom Kläger zur Entscheidung unterbreitete Begehren. Ein der Ziffer 2 des Gerichtsbescheides ent-sprechendes
Begehren hat der Kläger jedoch nicht geäußert.
Zum anderen verstößt die Entscheidung gegen § 92 SGG. Nach Satz 2 der Vor-schrift soll die Klage den
angefochtenen Verwaltungsakt oder Widerspruchsbescheid bezeichnen. Demgegenüber ist ein derartiger Inhalt der
Klageschrift nicht zwingend vorgeschrieben. Erst recht enthält das Gesetz keine Verpflichtung, Datum und Ak-
tenzeichen des angefochtenen Verwaltungsaktes anzugeben. Ebenso wenig schreibt § 92 SGG vor, den
bescheidungswürdigen Antrag auf Erlass eines Verwaltungsaktes bei dem Beklagten in der Klageschrift zu
bezeichnen.
Das SG wird in jedem Einzelfall zu prüfen haben, ob einer Eingabe des Klägers ein berechtigtes Klagebegehren
zugrunde liegt. Sollte dies nicht der Fall sein, wird das Gericht allerdings erwägen dürfen, ob es eine derartige Eingabe
– nach vorherigem Hinweis – als gegenstandslos betrachtet (vgl hierzu LG Stuttgart NJW 94, 1077).
Im Übrigen ist die Berufung des Klägers unbegründet. Zur Vermeidung von Wieder-holungen nimmt der Senat auf die
insoweit zutreffenden Entscheidungsgründe des SG Bezug (§ 153 Abs 2 SGG). Das Berufungsvorbringen gibt
keinerlei Anlass, diese Ausführungen zu ergänzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Es bestand kein gesetzlicher Grund, die Revision zuzulassen.