Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 23.09.2010

LSG Nsb: aufnahme einer erwerbstätigkeit, grundsatz der gleichbehandlung, sozialhilfe, alter, ausnahme, lebensstandard, form, niedersachsen, auflage, betrug

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 23.09.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Osnabrück S 10 SO 146/06
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 8 SO 58/08
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 18. Oktober 2007 aufgehoben. Der
Bescheid der Beklagten vom 18. April 2006 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 2006 und der
Aufhebungs- und Änderungsbescheid vom 15. Januar 2007 werden geändert. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger
für die Zeit vom 1. Juni bis 31. Dezember 2006 Grundsicherungsleistungen ohne Anrechnung von Arbeitslosengeld II-
Einkommen seiner Ehefrau zu gewähren. Die Beklagte erstattet die notwendigen außergerichtlichen Kosten des
Klägers. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob auf die Grundsicherungsleistungen des Klägers Arbeitslosengeld II (Alg II)-
Einkommen seiner Ehefrau insbesondere in Form des befristeten Zuschlags in der Zeit von Juni bis Dezember 2006
bedarfsmindernd anzurechnen ist.
Der am 5. Juni 1957 geborene Kläger ist seit 1990 auf Dauer voll erwerbsgemindert und erhält
Grundsicherungsleistungen nach § 41 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch Sozialhilfe (SGB XII). Seine mit ihm
wohnende im Mai 1959 geborene Ehefrau bezieht Alg II nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuch Zweites Buch
Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Zum Haushalt gehört außerdem die am 21. August 1984 geborene
Tochter G ... Ab Juni bis November 2006 erfolgte die Alg II-Bewilligung mit Bescheid vom 4. Mai 2006, monatliche
Leistung 591,86 EUR bis Oktober, 582,56 EUR für November. Der befristete Zuschlag nach § 24 SGB II betrug für die
Monate bis Oktober 2006 115,00 EUR, für den Monat November 2006 106,00 EUR. Die Bewilligung für die 6 Monate
ab 1. Dezember 2006 erfolgte mit Bescheid vom 15. November 2006, der Zuschlag betrug nunmehr 58,00 EUR.
Auf den Folgeantrag des Klägers vom 5. April 2006 wurden ihm Grundsicherungsleistungen mit Bewilligungsbescheid
vom 18. April 2006 für die Zeit ab 1. Juni 2006 bis 31. Mai 2007 bewilligt, monatlich 379,21 EUR. Das Alg II-
Einkommen seiner Ehefrau wurde als bedarfsminderndes Einkommen berücksichtigt, soweit es ihren notwendigen
Lebensunterhalt nach dem SGB XII überstieg, nach Berechnung der Beklagten zunächst 101,79 EUR. Der Kläger
legte Widerspruch mit der Begründung ein, das Einkommen seiner Ehefrau in Form des befristeten Zuschlags dürfe
bei ihm nicht als Einkommen angerechnet werden. Der befristete Zuschlag solle den Einstieg in die Armut erleichtern.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Juli 2006 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Zur
Begründung wurde ausgeführt, dass gemäß § 43 Abs 1 SGB XII das Einkommen des Partners zu berücksichtigen
sei. Die Ehefrau des Klägers erhalte Alg II in Höhe von monatlich 591,56 EUR und habe dadurch iS des § 43 Abs 1
SGB XII ein den eigenen Grundsicherungsanspruch überschreitendes Einkommen in Höhe von 101,79 EUR. Dieses
Einkommen sei gemäß § 82 SGB XII auf die Leistungen des Klägers bedarfsmindernd zu berücksichtigen. Der
Zuschlag des § 24 SGB II sei keine gemäß § 83 Abs 1 SGB XII anrechnungsfreie Leistung. Mit Aufhebungs- und
Änderungsbescheid vom 15. Januar 2007 wurde der Bescheid vom 18. April 2006 ab 1. November 2006 aufgehoben
und Grundsicherungsleistungen neu für den Monat November 2006 in Höhe von 318,08 EUR und für Dezember 2006
in Höhe von 463,14 EUR und ab Januar 2007 bis Ende Mai 2007 in Höhe von monatlich 483,50 EUR bewilligt. Zur
Begründung wurde angegeben, dass die Ehefrau seit November 2006 monatlich 100,00 EUR verdiene und der
Zuschlag sich auf 58,00 EUR vermindert habe. Ab Januar 2007 sei dieser Zuschlag im Rahmen der Grundsicherung
bei der Ermittlung des überschreitenden Einkommens der Ehefrau anrechnungsfrei. Im November 2006 habe sich ein
überschreitendes Einkommen in Höhe von 165,42 EUR ergeben, im Dezember ein überschreitendes Einkommen in
Höhe von 20,36 EUR. Ab Januar 2007 errechne sich kein überschreitendes Einkommen seiner Ehefrau.
Der Kläger hatte bereits am 18. August 2006 Klage beim Sozialgericht (SG) Osnabrück erhoben. Er hat vorgetragen,
dass das Alg II-Einkommen seiner Ehefrau nicht auf seine Grundsicherung angerechnet werden dürfe. Dies verstoße
gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung. Die Beklagte hat erwidert, das Einkommen eines Ehepartners sei bei der
Bemessung der Höhe der Grundsicherung nach dem SGB XII gemäß §§ 19 Abs 1 Satz 2, 43 Abs 1 SGB XII zu
berücksichtigen. Die anzustellenden Vergleichsberechnungen hätten den übersteigenden angerechneten Betrag
ergeben. Unter die Ausnahmeregelung des § 83 Abs 1 SGB XII falle der befristete Zuschlag nicht. Auf Grund der
Gesetzesänderung im Dezember 2006 werde der Zuschlag ab Januar 2007 nicht mehr angerechnet.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 18. Oktober 2007 abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, dass die
Beklagte zu Recht den befristeten Zuschlag gemäß § 24 SGB II als Einkommen der Ehefrau des Klägers angerechnet
habe. Das Urteil wurde dem Kläger am 22. Februar 2008 zugestellt.
Der Kläger hat am 20. März 2008 Berufung eingelegt. Er beruft sich auf sein bisheriges Vorbringen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
1. das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 18. Oktober 2007 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom
18. April 2006 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 2006 und den Aufhebungs- und
Änderungsbescheid der Beklagten vom 15. Januar 2007 zu ändern,
2. die Beklagte zu verurteilen, ihm dem Kläger für die Zeit von 1. Juni bis 31. Dezember 2006
Grundsicherungsleistungen ohne Anrechnung von Arbeitslosengeld II- Einkommen seiner Ehefrau zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angegriffenen Entscheidungen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten
verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig. Der Berufungsbeschwerdewert von mehr als 500,00 EUR des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1
Sozialgerichtsgesetz (SGG) alte Fassung ist überschritten. Zwar wurde durch Artikel 1 Nr 24 Buchstabe a des
Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 BGBl I
Seite 444 § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG dahin geändert, dass der Wert des Beschwerdegegenstandes mit 750,00
EUR festgesetzt wurde. Doch trat diese Regelung gemäß Artikel 5 des vorgenannten Gesetzes am 1. April 2008 in
Kraft. Da die Berufung am 20. März 2008 eingelegt wurde, findet noch die alte Wertgrenze Anwendung, die der
streitige Betrag übersteigt. Denn streitbefangen sind die Monate Juni bis Dezember 2006; für die Monate Juni bis
Oktober 2006 beträgt der streitige Betrag jeweils 101,79 EUR, für den Monat November 2006 106,00 EUR und für den
Monat Dezember 2006 20,36 EUR, insgesamt also 635,31 EUR.
Die Berufung ist begründet. Der Kläger hat Anspruch darauf, dass bei der Berechnung seiner
Grundsicherungsleistungen das von seiner Ehefrau erzielte Alg II-Einkommen nicht berücksichtigt wird. Das Urteil des
SG vom 18. Oktober 2007 war daher aufzuheben und die Bescheide vom 18. April, 17. Juli 2006 und 15. Januar 2007
zu ändern.
Der Aufhebungs- und Änderungsbescheid vom 15. Januar 2007 ist nach Klageerhebung am 18. August 2006 ergangen
und damit gemäß § 96 Abs 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Denn er ist nach Erlass des
Widerspruchsbescheides ergangen und hat den Bescheid vom 18. April 2006 abgeändert bzw ersetzt. Das SG hat
unterlassen, diesen Bescheid zum Gegenstand des Klageverfahrens zu machen, weil die Beklagte es versäumt hat,
den Aufhebungs- und Änderungsbescheid dem Gericht gemäß § 96 Abs 2 SGG mitzuteilen. Dieser Verfahrensfehler
wird dadurch geheilt, dass der Änderungsbescheid nunmehr zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wird, so dass
darüber entschieden werden kann.
Der Kläger ist anspruchsberechtigt für Grundsicherungsleistungen nach den §§ 19 Abs 2, 41 SGB XII, weil er seinen
notwendigen Lebensunterhalt nicht aus Einkommen und Vermögen nach den §§ 82 bis 84 und 90 SGB XII beschaffen
kann und nach Feststellungen der Beklagten dauerhaft und voll erwerbsgemindert ist. Streitig ist allein die Höhe der
bewilligten Grundsicherungsleistungen, welche die Beklagte durch Anrechnung von Alg II-Einkommen der Ehefrau
gemindert hat, insbesondere wegen des der Ehefrau auch bewilligten befristeten Zuschlags nach § 24 SGB II. Die
Kosten der Unterkunft und Beheizung sind nicht streitbefangen. Höhere Unterkunftskosten und Heizkosten hat der
Kläger weder im Verwaltungs- noch im Klageverfahren geltend gemacht.
Nach § 19 Abs 2 Satz 2 SGB XII sind vor der Gewährung von Grundsicherungsleistungen Einkommen und Vermögen
des nicht getrennt lebenden Ehegatten, die dessen notwendigen Lebensunterhalt übersteigen, zu berücksichtigen. In §
43 Abs 1 SGB XII wird erweiternd davon gesprochen, dass Einkommen und Vermögen des nicht getrennt lebenden
Ehegatten, die dessen notwendigen Lebensunterhalt nach diesem Buch übersteigen, zu berücksichtigen sind. Von
diesen Regelungen ausgehend hat die Beklagte den sozialhilferechtlichen Bedarf der Ehefrau errechnet und
festgestellt, dass dieser geringer war als die nach dem SGB II bewilligten Leistungen, die insbesondere durch die
Gewährung des Zuschlages nach § 24 SGB II höher waren als der vergleichsweise berechnete sozialhilferechtliche
Bedarf. Dieses den sozialhilferechtlichen Bedarf übersteigende Einkommen, nach Berechnung der Beklagten
zunächst 101,79 EUR, ist als Einkommen gemäß § 82 Abs 1 SGB XII auf den Bedarf des Klägers bedarfsmindernd
angerechnet worden.
Dies folgt aus § 82 Abs 1 Satz 1 SGB XII, wonach zum Einkommen alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit
Ausnahme der Leistungen nach diesem Buch und weiterer speziell aufgeführter Renten gehören. Erst durch Gesetz
vom 2. Dezember 2006 (BGBl I Seite 2670) ist § 82 Abs 1 SGB XII geändert worden, wonach der befristete Zuschlag
nach § 24 SGB II ausdrücklich nicht als Einkommen zu berücksichtigen ist. Das Gesetz trat gemäß seines Artikel 3
Abs 1 am 7. Dezember 2006 in Kraft. Damit steht fest, dass ab diesem Datum Alg II-Einkommen der Ehefrau auf die
Grundsicherung des Klägers nicht mehr anzurechnen ist. Eine entsprechende Regelung ist durch die Beklagte für die
Zeit ab 1. Januar 2007 durch den Aufhebungs- und Änderungsbescheid vom 15. Januar 2007 getroffen worden. Für
den Monat Dezember ab 7. Dezember 2006 ist das nach der gesetzlichen Änderung ebenfalls entsprechend zu regeln.
Damit ist klar, dass streitige Zeit der Zeitraum vom 1. Juni bis 31. Dezember 2006 ist.
Die gesetzliche Änderung hat sich keine Rückwirkung beigelegt und sie ist entsprechend der Begründung des
Gesetzgebers auch nicht als Klarstellung dahingehend aufzufassen, dass der befristete Zuschlag nach § 24 SGB II
von Beginn an nicht als Einkommen berücksichtigt werden sollte (anderer Ansicht offenbar Wahrendorf in
Grube/Wahrendorf, Kommentar zum SGB XII, 3. Auflage 2010, § 82 Rdnr 9). Danach soll die Vorschrift klarstellend
regeln, dass der befristete Zuschlag nicht als Einkommen anzurechnen ist. Das ist anhand der Begründung
(Deutscher Bundestag Drucksache 16/2711, Seite 11) nicht überzeugend. Dort ist Folgendes ausgeführt:
"Der zeitlich befristet gezahlte und degressiv ausgestaltete Zuschlag nach § 24 des Zweiten Buches
Sozialgesetzbuch wird an Bezieher von Arbeitslosengeld II gezahlt und soll die finanziellen Folgen des Übergangs
vom Arbeitslosengeld I in das Arbeitslosengeld II abfedern. Deshalb wird der Zuschlag zusätzlich zum
Arbeitslosengeld II gezahlt, also nicht als Einkommen auf den Arbeitslosengeld II-Anspruch anspruchsmindernd
angerechnet. Lebt ein Bezieher von Arbeitslosengeld II, der einen Zuschlag nach § 24 des Zweiten Buches
Sozialgesetzbuch erhält, jedoch mit einer nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch
(Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) leistungsberechtigten Person in einer Haushaltsgemeinschaft
zusammen, so kann der Zuschlag nach § 82 Abs. 1 als Einkommen der nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch
leistungsberechtigten Person angerechnet werden. Deren Anspruch auf Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung reduziert sich dann um den Arbeitslosengeld II-Zuschlag. Der Zuschlag kommt in dieser
Fallkonstellation den Begünstigten also nicht zugute und erfüllt damit nicht den Zweck, für den er gezahlt wird. Diese
von den persönlichen Lebensumständen verursachte Ungleichbehandlung soll durch die Änderung in § 82 Abs. 1
verhindert werden."
Mithin geht der Gesetzgeber selbst davon aus, dass bis zu der hier fraglichen Änderung der befristete Zuschlag nach
§ 24 SGB II auf den Grundsicherungsanspruch anzurechnen war. Es handelt sich damit nicht um eine Klarstellung für
die Zeit ab 1. Januar 2005 (Inkrafttreten des SGB XII), sondern um eine Neuregelung ab dem 7. Dezember 2006.
Der befristete Zuschlag ist weiterhin nicht als anrechnungsfreie Leistung gemäß § 83 Abs 1 SGB XII anzusehen.
Danach sind Leistungen, die auf Grund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck
erbracht werden, nur soweit als Einkommen zu berücksichtigen, als die Sozialhilfe im Einzelfall demselben Zweck
dient. Der Zuschlag soll nach der Gesetzesbegründung dazu dienen, finanzielle Härten beim Übergang vom Alg I zum
Alg II abzufedern. Die Gesetzesbegründung (Deutscher Bundestag Drucksache 15/1516, Seite 57ff) lautet
auszugsweise folgendermaßen:
"Der befristete Zuschlag soll berücksichtigen, dass der ehemalige Arbeitslosengeldempfänger durch häufig langjährige
Erwerbstätigkeit – im Unterschied zu solchen Empfängern der neuen Leistung, die nur jeweils kurzfristig bzw. noch
nie erwerbstätig waren – vor dem Bezug der neuen Leistung einen Anspruch in der Arbeitslosenversicherung erworben
hat. Er soll in vertretbarem Umfang einen Teil der Einkommenseinbußen abfedern, die in der Regel beim Übertritt in
die neue Leistung entstehen werden. Die Halbierung des Zuschlages ein Jahr nach dem Arbeitslosengeldbezug und
der Wegfall zu Beginn des dritten Jahres nach dem Ende des Arbeitslosengeldbezuges tragen der zunehmenden
Entfernung vom Arbeitsmarkt Rechnung und erhöhen den Anreiz zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ..."
Dadurch wird deutlich, dass durch den befristeten Zuschlag der bisherige Lebensstandard in bestimmten Grenzen
gewahrt werden soll. Er hat die Bedeutung, den Übergang von einem am Lebensstandard orientierten Leistungsniveau
(Arbeitslosengeld I) zu einem bedarfsorientierten Niveau (Alg II) sozial abzufedern und in einem vertretbaren Umfang
zu gestalten. Damit ist der befristete Zuschlag ebenso wie das Alg II eine Leistung zur Sicherung des
Lebensunterhalts. Dies wird auch deutlich durch die Stellung des § 24 SGB II im Gesetz. Er ist enthalten im Abschnitt
2 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Der befristete Zuschlag dient daher ebenso wie die Sozialhilfe
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung demselben Zweck, nämlich der Bestreitung und Sicherung des
Lebensunterhaltes. Eine Anrechnungsfreiheit nach § 83 Abs 1 SGB XII erfolgt nicht.
Die Nichtanrechnung des befristeten Zuschlags erfolgt aus Erwägungen, wie sie bereits in der Gesetzesbegründung
zur Neuregelung anklingen, nämlich eine vor Artikel 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) nicht gerechtfertigte
Ungleichbehandlung zu vermeiden. Wäre der Kläger ebenso wie seine Ehefrau anspruchsberechtigt für Leistungen
nach dem SGB II, fände eine Anrechnung des befristeten Zuschlags seiner Ehefrau auf sein Alg II nicht statt, wie
sich aus § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II ergibt. Danach sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder
Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach diesem Buch, also nach dem SGB II. Darunter fiele auch der
befristete Zuschlag nach § 24 SGB II. Die Schlechterstellung des Klägers erfolgt, weil er einem anderen
Leistungssystem angehört als seine Ehefrau (SGB XII bzw SGB II) und beide Systeme gerade für die hier vorliegende
gemischte Bedarfsgemeinschaft unzureichend aufeinander abgestimmt sind. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG)
bereits mehrfach beanstandet und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen zwischen SGB II und SGB XII eine
Harmonisierung nach Maßgabe des Artikel 3 Abs 1 GG verlangt (vgl zuletzt Urteil vom 23. März 2010 B 8 SO 17/09 R
; siehe auch Senatsbeschluss vom 5. August 2010 L 8 SO 208/10 B ER ).
Nach Artikel 3 Abs 1 GG sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich. Dieser Bestimmung entnimmt das
Bundesverfassungsgericht (BVerfG) das Gebot, Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend
verschieden zu behandeln, was auch in die Formel gefasst wird, die Norm gebiete weder wesentlich Gleiches
willkürlich ungleich, noch wesentlich Ungleiches willkürlich gleich zu behandeln (vgl etwa BVerfGE Band 86, Seite 81,
87). Willkürlich ist die Maßnahme, wenn sie nicht am Gerechtigkeitsgedanken orientiert ist, was der Fall ist, wenn sich
für sie keine vernünftigen Erwägungen finden lassen, die sich aus der Natur der Sache ergeben oder sonst wie
einleuchtend sind, wobei es auf die Eigenart des zu regelnden Sachbereichs ankommt. Weiterhin ist Willkür im
objektiven Sinn zu verstehen als eine Maßnahme, welche im Verhältnis zu der Situation, der sie Herr werden will,
tatsächlich und eindeutig ungemessen ist (vgl hierzu Heun in H. Dreier, Grundgesetz-Kommentar, 4. Auflage 4, Artikel
3 Rdnr 19 mwN). Seit 1980 ist das BVerfG zu der so genannten "Neuen Formel" übergegangen. Danach ist das
Gleichheitsgebot verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders
behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen,
dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten, was bedeutet, dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip auf die
Ungleichbehandlung angewendet wird (vgl BVerfGE Band 55, Seite 72, 88; Heun, aaO, Rdnr 21 mwN). Zur Ermittlung
der Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem sind Vergleichspaare unter Einschluss desjenigen zu bilden, den
die Ungleichbehandlung trifft, für den sie also nachteilig wirkt. Eine Ungleichbehandlung liegt vor, wenn die diese
Vergleichspaare bildenden Personen mit unterschiedlichen Rechtsfolgen belegt werden (vgl Sodan, Grundgesetz-
Kommentar, 2009, Artikel 3 Rdnr 9 f). Als Vergleichspaare heranzuziehen sind somit einmal die gemischten
Bedarfsgemeinschaften, in denen eine Person Leistungen nach dem SGB XII und eine Person Leistungen nach dem
SGB II bezieht und die gleichsam reinen Bedarfsgemeinschaften, in denen beide Personen Leistungen nach dem
SGB II erhalten. Bei dieser Betrachtungsweise wird deutlich, dass ohne korrigierende Gesetzesauslegung die
gemischte Bedarfsgemeinschaft gegenüber der reinen Bedarfsgemeinschaft benachteiligt wird. Denn durch die nicht
abgestimmten gesetzlichen Regelungen für die gemischten Bedarfsgemeinschaften müsste der Bezieher des
befristeten Zuschlags diesen gleichsam an seinen Partner abführen, der Leistungen nach dem SGB XII bezieht,
während im Fall einer reinen Bedarfsgemeinschaft eine solche Einkommensverteilung nicht erfolgt.
Für die vorliegende Fallgestaltung muss daher eine Gesetzesauslegung gefunden werden, wodurch die
Ungleichbehandlung der gemischten Bedarfsgemeinschaft vermieden wird. Von Belang ist insoweit, dass speziell § 43
Abs 1 SGB XII auf Einkommen und Vermögen des nicht getrennt lebenden Ehegatten abstellt, soweit es dessen
notwendigen Lebensunterhalt nach diesem Buch übersteigt. Gemeint ist offensichtlich das SGB XII. Dies führte bis
zur Neuregelung des § 82 Abs 1 Satz 1 SGB XII im Hinblick auf die Anrechnung des befristeten Zuschlags zur
Benachteiligung der gemischten Bedarfsgemeinschaft, wie sie oben dargestellt ist. Zur Vermeidung der
Wertungswidersprüche zwischen SGB II und SGB XII ist daher eine Auslegung nach Sinn und Zweck des Gesetzes
zu finden, die eine derartige Ungleichbehandlung im Hinblick auf Artikel 3 Abs 1 GG verhindert. Danach muss bei
gemischten Bedarfsgemeinschaften abgestellt werden darauf, welcher notwendige Lebensunterhalt dem Partner nach
dem SGB II zusteht. Diese Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II, die das
soziokulturelle Existenzminimum des Partners absichern, müssen im Rahmen der Einkommensanrechnung nach dem
SGB XII unangetastet bleiben.
Mit anderen Worten: Die der Ehefrau gewährten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach den §§ 19ff
SGB II kennzeichnen ihren notwendigen Lebensunterhalt auch iS des § 43 Abs 1 SGB XII. Das gilt auch, soweit die
Ehefrau wie hier im Monat November 2006 Einkommen aus Nebentätigkeit in Höhe von 100,00 EUR erzielt hat. Diese
Einnahme wurde bei der Bemessung des Alg II berücksichtigt. Es konnte bedarfsmindernd nicht angerechnet werden,
weil der Freibetrag nach dem SGB II entsprechend hoch war. Diese vom Gesetzgeber gewollte Wohltat würde ins
Gegenteil verkehrt, wenn eine eigenständige Einkommensanrechnung nach dem SGB XII erfolgte; danach wären
66,36 EUR als Einkommen zu Lasten des Klägers anrechenbar. Hier gilt entsprechendes wie zum befristeten
Zuschlag nach § 24 SGB II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Da die Beklagte unterliegt, erstattet sie die notwendigen
außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Gerichtskosten werden in Sozialhilfeverfahren dieser Art gemäß § 183 SGG nicht erhoben.
Die Revision bedarf der Zulassung (§ 160 SGG). Diese ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine
grundsätzliche Bedeutung (die maßgebende Vorschrift des § 82 Abs 1 Satz 1 SGB XII ist geändert worden) hat und
das Urteil nicht von höchstrichterlichen Entscheidungen abweicht.-