Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 19.09.2013

LSG Niedersachsen: stationäre behandlung, treu und glauben, krankenkasse, ambulante behandlung, öffentlich, operation, vergütung, versorgung, drg, patientenakte

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Prüfungsanzeige nach § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V
durch die Krankenkasse
1. Das Erfordernis nach § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V die von der
Krankenkasse eingeleitete Prüfung durch den MDK dem Krankenhaus
anzuzeigen ist eine formelle Ausgestaltung des Prüfverfahrens, der es an
einem materiellen Gehalt fehlt, da sie keine Rechte der Beteiligten begründet
oder schützt.
2. Verstößt die Krankenkasse gegen § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V in dem sie
die Prüfung selbst dem Krankenhaus anzeigt, führt dies zu keinem
Einwendungsausschluss.
SG Osnabrück 13. Kammer, Urteil vom 19.09.2013, S 13 KR 119/12
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 1.235,48 EUR nebst Zinsen in Höhe
von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25. Oktober
2008 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Beklagte zu 7/10 und die Klägerin zu
3/10.
Die Berufung wird für die Klägerin nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Vergütung einer stationären
Krankenhausbehandlung streitig.
Das Marienhospital H., dessen Trägerin die Klägerin ist, nahm am 25. Januar
2008 die bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte I. (Versicherte) zur
ambulanten Behandlung eines Kreuzbandrisses des rechten Kniegelenks mit
Einblutung auf. Es erfolgte eine arthroskopische Untersuchung des
Kniegelenks mit anschließender Operation. Nach der Operation erbrach die
Versicherte zweimal. Das Marienhospital H. entließ die Versicherte am 27.
Januar 2008 und forderte mit Rechnung vom 1. Februar 2008 unter
Zugrundelegung der Fallpauschale I18B von der Beklagten 1.797,00 €, die die
Forderung unter Vorbehalt erfüllte und mit Schreiben vom 6. Februar 2008 den
Entlassungs- und Operationsbericht zur direkten Übersendung an den
Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) zur Prüfung der
Verweildauer vom Marienhospital H. anforderte.
Der MDK gab in seiner Stellungnahme vom 3. Juni 2008 an, dass im
vorliegenden Fall weder wesentliche Nebendiagnosen in der
Entlassungsmitteilung gemäß § 301 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V)
kodiert worden seien noch aus den eingereichten Unterlagen medizinische
Gründe ersichtlich seien, die eine Übernachtung der Versicherten im
Krankenhaus als zwingend erforderlich haben erscheinen lassen. Somit könne
abschließend festgehalten werden, dass keine Tatsachen dokumentiert seien,
die gegen die Operation im Sinne des § 115b SGB V sprächen.
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Hieraufhin rechnete die Beklagte den Betrag in Höhe von 1.797,00 € mit einer
unstreitigen Forderung der Klägerin am 26. September 2008 auf.
Eine Stationsärztin der Abteilung für Allgemein-, Unfall- und Handchirurgie des
Marienhospitals H. begründete mit Schreiben vom 2. Oktober 2008 das
Erfordernis der stationären Behandlung gegenüber der Beklagten, die mit
Schreiben vom 22. Januar 2009 weitere Unterlagen zur Übersendung an den
MDK anforderte und hieran am 3. März 2009 erinnerte. Das Marienhospital H.
kam der Aufforderung nicht nach.
Mit der im März 2011 erhobenen Klage macht die Klägerin die Zahlung des
aufgerechneten Betrages nebst Zinsen geltend.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines
Sachverständigengutachtens. Der Sachverständige stellte fest, dass ab dem
26. Januar 2008 kein Erfordernis für eine stationäre Behandlung mehr
bestanden habe. Hinsichtlich der näheren Einzelheiten wird auf das Gutachten
vom 18. Juni 2012 und die ergänzende Stellungnahme vom 6. November
2012 verwiesen (Bl 85ff und 116ff der Gerichtsakte).
Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Beklagte mit Einwendungen
ausgeschlossen sei, da ihr nicht innerhalb der 6-Wochen-Frist nach § 275 Abs.
1c SGB V eine Prüfanzeige des MDK zugegangen sei, sondern lediglich eine
von der Beklagten. Die Höhe der Forderung für die Behandlung der
Versicherten bei einer Verweildauer von einem Tag gibt die Klägerin in der
fiktiven Schlussrechnung vom 11. Februar 2013 mit 1.235,48 € an.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihr 1.797,00 € nebst Zinsen in Höhe
von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab
dem 25. Oktober 2008 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte erhebt Protest gegen eine etwaige Kostentragungslast. Aus der
Entlassungsmitteilung gemäß § 301 SGB V sowie dem Entlassungs- und
Operationsbericht seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich gewesen, dass
ein stationärer Krankenhausaufenthalt der Versicherten notwendig gewesen
sei. Nur diese Unterlagen hätten dem MDK bei der Prüfung des
Behandlungsfalles vorgelegen. Die Klägerin habe trotz Aufforderung keine
weiteren Unterlagen übersandt. Eine Prüfung des Behandlungsfalles, wie sie
der Sachverständige durchgeführt habe, sei der Beklagten – durch den MDK –
vorgerichtlich verwehrt gewesen. Sie habe mithin keinen Anlass zur Klage
gegeben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der
Beklagten sowie der Patientenakte des Marienhospitals H. Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
Die Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor. Die Leistungsklage nach § 54
Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist im Gleichordnungsverhältnis zwischen
einem Krankenhausträger und einer Krankenkasse statthaft. Es bedurfte
keines Vorverfahrens oder Einhaltung einer Klagefrist.
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Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 1.235,48
€ (1). Ein weitergehender Anspruch besteht nicht aufgrund eines von der
Beklagten nicht ordnungsgemäß durchgeführten Prüfverfahrens nach § 275
Abs. 1c SGB V (2).
1. Der Anspruch der Klägerin in Höhe von 1.797,00 € aus einer unstreitigen
Forderung der Klägerin ist durch die Aufrechnung der Beklagten lediglich in
Höhe von 561,52 € gemäß § 69 Satz 4 SGB V i.V.m. § 389 Bürgerliches
Gesetzbuch (BGB) erloschen. Die Beteiligten schuldeten in Höhe des
Differenzbetrages von 1.235,48 € einander keine Leistungen, die ihrem
Gegenstand nach gleichartig im Sinne des § 387 BGB waren und die gefordert
und bewirkt werden konnten.
Der Beklagten stand insoweit kein Rückzahlungsanspruch für die anlässlich
der Behandlung der Versicherten geleistete Vergütung zu. Rechtsgrundlage
des Rückzahlungsanspruchs ist ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch.
Dieses aus den allgemeinen Grundsätzen des öffentlichen Rechts hergeleitete
Rechtsinstitut setzt voraus, dass im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen
Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht oder
sonstige rechtsgrundlose Vermögensverschiebungen vorgenommen worden
sind. Dabei gelten ähnliche Grundsätze wie im Recht der ungerechtfertigten
Bereicherung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§§ 812 ff BGB).
Ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis liegt hier vor, denn die
Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkasse und Krankenhaus sind
öffentlich-rechtlicher Natur, vgl. § 69 Satz 3 SGB V. Durch die Erfüllung der
Forderung der Klägerin für die Behandlung der Versicherten in der Zeit vom
25. Januar 2008 bis zum 27. Januar 2008 leistete die Beklagte im Rahmen
eines solchen Rechtsverhältnisses in Höhe von 1.235,48 € nicht ohne
Rechtsgrund.
Anspruchsgrundlage des geltend gemachten Vergütungsanspruchs der
Klägerin ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m dem am 1. November 1992 in
Kraft getretenen Vertrag zu den Bereichen des § 112 Abs. 2 Nr. 1, 2, 4 und 5
SGB V zwischen der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft und den
Landesverbänden der Krankenkassen (Niedersächsischer Landesvertrag).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entsteht die
Zahlungsverpflichtung einer gesetzlichen Krankenkasse unabhängig von einer
Kostenzusage unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den bei
ihr versicherten Patienten. Der Behandlungspflicht der zugelassenen
Krankenhäuser i.S des § 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V steht ein
Vergütungsanspruch gegenüber, wenn die Versorgung i.S.v. § 39 Abs. 1 Satz
2 SGB V erforderlich war.
Der Sachverständige hat nachvollziehbar die Erforderlichkeit der stationären
Behandlung aufgrund des Gesundheitszustandes der Versicherten nach der
Operation dargelegt. Die Beklagte hat keine Einwände gegen das Gutachten
erhoben.
Der Höhe nach folgt der Anspruch aus § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. § 7
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und der Anlage 1 zu
der Vereinbarung zu dem Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das
Jahr 2008 (Fallpauschalenvereinbarung 2008 – FPV 2008) nach § 17b Abs. 1
des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur
Regelung der Krankenhauspflegesätze (Krankenhausfinanzierungsgesetz -
KHG). Mit den Entgelten nach § 7 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG werden alle für die
Versorgung des Patienten erforderlichen allgemeinen Krankenhausleistungen
vergütet, § 7 Abs. 1 Satz 2 KHEntgG. Darüberhinausgehende Zuschläge
regelt § 7 Abs. 1 Satz 3 KHEntgG.
Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KHEntgG werden die allgemeinen
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Krankenhausleistungen gegenüber den Patienten oder ihren Kostenträgern
mit verschiedenen in den Nr. 1 bis 8 abschließend aufgezählten Entgelten
abgerechnet. Einschlägig ist vorliegend die Abrechnung von Fallpauschalen
nach dem auf Bundesebene vereinbarten Entgeltkatalog, § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr.
1 i.V.m. § 9 KHEntgG.
Der Fallpauschalenkatalog ist nach diagnosebezogenen Fallgruppen (DRG)
geordnet.
Die Zuordnung des streitigen Behandlungsfalles erfolgt zu der DRG I18B, für
die nach dem Fallpauschalen-Katalog bei einer Verweildauer von einem Tag
ein Abschlag von der Fallpauschale vorzunehmen ist.
Zwar lag die Verweildauer im streitigen Behandlungsfall bei zwei Tagen. Ein
Krankenhausträger kann jedoch die Vergütung auch im Fallpauschalensystem
nur für die erforderliche Krankenhausbehandlung der Versicherten
beanspruchen (Urteil des Bundessozialgerichts vom 30. Juni 2009, B 1 KR
24/08 R).
Ausgehend hiervon erbrachte das Marienhospital H. während der Zeit vom 25.
Januar 2008 bis zum 27. Januar 2008 eine Krankenhausbehandlung, die
lediglich bis zum 26. Januar 2008 erforderlich war.
Versicherte haben gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V Anspruch auf
vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die
Aufnahme erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre,
vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher
Krankenpflege erreicht werden kann.
Die stationäre Behandlung der Versicherten über den 26. Januar 2008 hinaus
war nicht aus medizinischen Gründen erforderlich. Der Sachverständige hat
hierzu zutreffend festgestellt, dass Aufzeichnungen am 26. Januar 2008 nach
10:45 Uhr über den weiteren Blutdruckverlauf im Verlauf des Tages sich nicht
in den vorliegenden Unterlagen fänden, aus welchen hypothetisch ein
stationärer Aufenthalt mit notwendiger Überwachung hervorgehe. Vermerke
über eine ärztliche Visite am 26. Januar 2008 seien nicht ersichtlich.
Aufzeichnungen hinsichtlich der postoperativen Mobilisation durch die
krangengymnastische Abteilung am 26. Januar 2008 oder 27. Januar 2008,
welche hypothetisch eine medizinische Begründung für das Verweilen am
Wochenende unter stationären Bedingungen bedingen würden, lägen nicht
vor. Besondere Schmerzmittel, welche über das Normalmaß hinausgingen
oder kreislaufunterstützende Medikamente seien am 26. Januar 2008 nicht
angeordnet worden.
2. Die Klägerin kann keinen weitergehenden Anspruch daraus ableiten, dass
die Beklagte entgegen der Regelung in § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V die
Prüfung gegenüber dem Marienhospital H. selbst angezeigt hat, obwohl die
Prüfung vom MDK anzuzeigen ist. Denn dem Einwand der Klägerin steht der
Grundsatz von Treu und Glauben entgegen. Der Rechtsgedanke des § 242
BGB wirkt auf die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenhaus und
Krankenkasse ein und es ist zu berücksichtigen, dass die Beteiligten aufgrund
eines dauerhaften Vertragsrahmens ständig professionell zusammenarbeiten
und ihnen die gegenseitigen Interessestrukturen geläufig sind (vgl. Urteile des
Bundessozialgerichts vom 8. September 2009 – B 1 KR 11/09 R – und vom
17. Dezember 2009 – B 3 KR 12/08 R –). Ausgehend hiervon sind keine
Interessen des Krankenhauses berührt, wenn die Krankenkasse selbst die
Prüfung anzeigt. Dagegen kann es für die Krankenkasse von Interesse sein,
die Prüfung selbst anzuzeigen, um eventuellen Versäumnissen des MDK
vorzubeugen, die sie sich zurechnen lassen müsste. Sind keine Interessen
des Krankenhauses berührt, kann es sich nicht auf eine gesetzliche Regelung
berufen, die das Prüfverfahren formell ausgestaltet und keinen darüber
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hinausgehenden materiellen Inhalt hat, der Rechte der Beteiligten begründet
oder schützt.
Der Zinsanspruch folgt dem Grunde nach aus § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m.
§ 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB. Der Höhe nach folgt der Anspruch aus
§ 13 Abs. 7 des Niedersächsischen Landesvertrages.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 1
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Danach sind die Kosten gegeneinander
aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen, wenn ein Beteiligter teils obsiegt,
teils unterliegt.
Entgegen der Auffassung der Beklagten waren die Kosten nicht der Klägerin in
voller Höhe aufzuerlegen. Denn nach § 197a SGG i.V.m. § 156 VwGO fallen
dem Kläger die Prozesskosten zur Last, wenn der Beklagte durch sein
Verhalten keine Veranlassung zur Erhebung der Klage gegeben hat und den
Anspruch sofort anerkennt. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte
keine Veranlassung zur Erhebung der Klage gegeben hat, denn sie hat den
Anspruch der Klägerin, soweit er besteht, nicht sofort anerkannt. Die Beklagte
hat Einsicht in die Patientenakte genommen und hieraus nicht den Schluss
gezogen, dass die stationäre Behandlung zumindest für einen Tag erforderlich
war und ein sofortiges Teilanerkenntnis abgegeben. Die Beklagte hat auch
nicht das Sachverständigengutachten zum Anlass für ein sofortiges
Teilanerkenntnis genutzt und damit Anlass für die Fortführung des
Rechtsstreits gegeben. Die klägerische Behauptung, dass wenn das
Marienhospital H. ihr vor Klageerhebung die angeforderten Unterlagen zur
Verfügung gestellt hätte, sie die vom Sachverständigen getroffenen
Feststellungen durch den MDK hätten vornehmen lassen können, vermag
angesichts des prozessualen Verhaltens der Beklagten nicht zu überzeugen.
Die Berufung war für die Klägerin nicht zuzulassen, da kein
Berufungszulassungsgrund nach § 144 Abs. 2 SGG vorliegt.
Der Streitwert wird auf 1.797,00 € festgesetzt. Die Festsetzung des Streitwerts
folgt aus den §§ 3 Abs. 1, 52 Abs. 1, 63 Abs. 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz
(GKG).