Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 20.12.2006

LSG Nsb: eheähnliche gemeinschaft, wohnung, erlass, einkünfte, bereinigung, zivilprozessordnung, verordnung, eigentum, niedersachsen, hauptsache

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschluss vom 20.12.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Oldenburg S 47 AS 696/06 ER
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 13 AS 31/06 ER
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Oldenburg vom 3. November 2006 wird
zurückgewiesen.
Kosten werden nicht erstattet.
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt die Bewilligung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – SGB II – ohne
Berücksichtigung des Einkommens des mit ihr in einer Wohnung lebenden Zeugen F ...
Die im Juli 1980 geborene, ledige Antragstellerin und der im Januar 1979 geborene, ebenfalls ledige Zeuge bezogen
zum 1. Dezember 2003 gemeinsam eine ca. 60 Quadratmeter Wohnfläche umfassende Zweizimmerwohnung in
Oldenburg. Seinerzeit waren die Antragstellerin berufstätig und der Zeuge Student. Auf ihren Antrag hin bewilligte die
Antragsgegnerin für den Bewilligungszeitraum vom 4. November 2005 bis zum 31. März 2006 der Antragstellerin
Leistungen nach dem SGB II, ohne dabei Vermögen oder Einkünfte des Zeugen, der gegenwärtig als
Lehramtsanwärter berufstätig ist, zu berücksichtigen. Auf den Fortsetzungsantrag der Antragstellerin bewilligte die
Antragsgegnerin zunächst keine Leistungen, da Angaben über die Einkünfte des Zeugen zunächst nicht gemacht und
ein Hausbesuch abgelehnt worden waren.
Daraufhin hat die Antragstellerin am 1. Juni 2006 beim Sozialgericht – SG – Oldenburg den Erlass einer einstweiligen
Anordnung mit dem Ziel beantragt, ihr Leistungen nach dem SGB II ohne Berücksichtigung des Einkommens des
Zeugen vorläufig zuzusprechen. Sie hat dazu ausgeführt, sie lebe mit dem Zeugen nicht in einer eheähnlichen
Gemeinschaft, da es am erklärten Wille fehle, im Falle der Not einander Unterhalt zu leisten. Daraufhin fand am 4.
September 2006 vor dem SG Oldenburg ein Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage mit der Antragstellerin
und zur Beweisaufnahme mit dem Zeugen statt, bei dem die Wohn- und Wirtschaftsverhältnisse zwischen der
Antragstellerin und dem Zeugen im Einzelnen erfragt wurden. Mit Bewilligungsbescheiden vom 13. Oktober und 1.
Dezember 2006 bewilligte daraufhin die Antragsgegnerin der Antragstellerin Leistungen, bei deren Höhe sie jedoch die
monatlichen Einkünfte des Zeugen als bedarfsmindernd absetzte. Die Bewilligungsbescheide umfassen den
Bewilligungszeitraum vom 1. April bis 30. September 2006 und vom 1. Oktober 2006 bis zum 31. März 2007.
Mit Beschluss vom 3. November 2006 hat das SG Oldenburg den Antrag auf Gewährung einstweiligen
Rechtsschutzes abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Antragstellerin lebe mit dem
Zeugen in einer eheähnlichen Gemeinschaft, so dass die Berechnungsweise der Antragsgegnerin nicht zu
beanstanden sei. Es bestehe eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft zwischen ihnen, auch würden sie gemeinsam
die Wochenenden miteinander verbringen, miteinander essen, teilweise füreinander waschen und die Wäsche bügeln
sowie Weihnachten gemeinsam bei Verwandten feiern. Ein getrenntes Wohnen und Wirtschaften sei nicht feststellbar.
Auch sei das Aussageverhalten der Antragstellerin und des Zeugen im Erörterungs- und Beweisaufnahmetermin so
gewesen, dass sich für das Gericht der Eindruck ergeben habe, eine eheähnliche Gemeinschaft liege vor.
Gegen den ihr am 8. November 2006 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 22. November 2006
Beschwerde eingelegt, der das SG nicht abgeholfen hat. Sie macht geltend: Allein das Bestehen einer Wohn- und
Wirtschaftsgemeinschaft sei in ihrem Fall ohne Bedeutung. Vielmehr handele es sich hier um eine typische
Jugendbeziehung, die nicht von einem gegenseitigen Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens geprägt
sei. Die Beziehung sei nicht auf Dauer angelegt. Tatsächlich seien in der Vergangenheit auch schon
Konfliktsituationen eingetreten, die dazu geführt hätten, dass sie und der Zeuge sich vorübergehend getrennt hätten.
Auch seien keine gemeinsamen Anschaffungen etwa hinsichtlich der Möbel oder sonstiger wesentlicher Gegenstände
in der Wohnung gemacht worden; vielmehr ließe sich in der Wohnung ohne weiteres exakt jeder Gegenstand einer der
beiden dort wohnenden Personen zuordnen. Der Umstand, dass sie gemeinsam teilweise die Freizeit verbringen
würden – etwa im gemeinsamen Bekannten- und Freundeskreis oder bei einer gelegentlichen verwandtschaftlichen
Weihnachtsfeier – sage nichts über das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft aus, da dies auch bei Mitgliedern
von Wohngemeinschaften vorkomme. Ebenso wenig sei es von Bedeutung, ob zwischen ihnen eine sexuelle
Beziehung bestehe. Schließlich überzeuge es nicht, wenn aus dem Aussageverhalten im Termin vom 4. September
2006 auf das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft geschlossen werde. Selbst wenn man sich aber auf den
Standpunkt der Antragsgegnerin stelle, so müssten ihr - der Antragstellerin - höhere Leistungen gewährt werden, da
der Zeuge sein durchschnittliches Monatseinkommen von 1.025,98 EUR weitaus überwiegend für eigene
Verpflichtungen ausgebe, wie sich aus seiner Aufstellung vom 19. September 2006 (Bl. 134 der Gerichtsakte) ergebe.
Die Antragstellerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
den Beschluss des SG Oldenburg vom 3. November 2006 zu ändern und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr ab
dem 1. Juni 2006 Arbeitslosengeld II ohne Berücksichtigung des Einkommens des Zeugen zu bewilligen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält an ihren erstinstanzlich geäußerten Auffassungen fest und verweist im Übrigen auf den mit der Beschwerde
angegriffenen Beschluss.
Wegen der übrigen Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den
Inhalt der Gerichtsakten und die von der Antragsgegnerin vorgelegten Verwaltungsvorgänge. II.
Die gem. §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz – SGG – zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das SG hat den
Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu Recht abgelehnt.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis gem. § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher
Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist stets, dass sowohl ein
Anordnungsgrund (d. h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) als auch ein
Anordnungsanspruch (d. h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen
Leistungsanspruchs) glaubhaft gemacht werden (vgl. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2
Zivilprozessordnung - ZPO -). Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die
endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Wegen des Gebots, effektiven
Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz - GG -), ist von diesem Grundsatz aber eine Abweichung
dann geboten, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare, später nicht wieder gutzumachende
Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der
Lage wäre (vgl. BVerfG, BVerfGE 79, 69, 74 mwN).
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Antragstellerin nach Ansicht des Senats einen Anordnungsanspruch nicht
glaubhaft dargetan. Zur Begründung wird zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf die überzeugenden
Ausführungen im Beschluss des SG vom 3. November 2006 verwiesen, denen der Senat folgt (vgl. § 142 Abs. 2 Satz
3 SGG, § 153 Abs. 2 SGG analog). Zutreffend hat das SG ausgeführt, dass ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II
ohne Berücksichtigung des Einkommens des Zeugen nicht glaubhaft dargetan wurde.
Im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen ist noch ergänzend auf Folgendes hinzuweisen:
Soweit das Begehren der Antragstellerin sinngemäß darauf gerichtet ist, im Wege der einstweiligen Anordnung die
Verpflichtung der Antragsgegnerin zu erreichen, ihr - der Antragstellerin - höhere Leistungen bis zum 30. September
2006 zu gewähren, fehlt es am Anordnungsgrund. Denn die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Leistungen für einen
vergangenen Bewilligungszeitraum muss grundsätzlich einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Die
Antragstellerin hat auch nicht das Vorliegen besonderer Umstände wie etwa den sofortigen Verlust der Unterkunft
wegen aufgelaufener Mietschulden glaubhaft gemacht, die ausnahmsweise eine Befriedigung vergangenen Bedarfs im
einstweiligen Rechtsschutzverfahren rechtfertigen könnten. Hinsichtlich der Leistungen für den laufenden
Bewilligungszeitraum bis zum 31. März 2007 vermag das Beschwerdevorbringen nicht zur Annahme eines
Anordnungsanspruchs zu führen. Die nunmehr 27-jährige Antragstellerin und der nunmehr 28-jährige Zeuge leben seit
dem 1. Dezember 2003 in einer kleinen Wohnung zusammen. Damit ist die Vermutungsvoraussetzung nach § 7 Abs.
3 a Nr. 1 SGB II in der seit dem 1. August 2006 geltenden Fassung des Fortentwicklungsgesetzes gegeben, und
diese Vermutung wird durch das tatsächliche Vorbringen der Antragstellerin nicht erschüttert. Bei dem Alter der
Antragstellerin und des Zeugen handelt es sich auch um ein typisches Lebensalter, in dem Ehen eingegangen oder
eheähnliche Beziehungen begründet werden. Dem Senat erschließt es sich nicht, aus welchen Gesichtspunkten es
sich im vorliegenden Fall um eine "typische Jugendbeziehung" handeln soll. Auch ist der völlig allgemein gehaltene
Vortrag, in der Vergangenheit habe sich der Zeuge mehrfach von der Antragstellerin vorübergehend getrennt, eher in
die Richtung zu deuten, dass eine eheähnliche Beziehung gegeben ist. Abgesehen davon, dass Einzelheiten dieser
die Richtung zu deuten, dass eine eheähnliche Beziehung gegeben ist. Abgesehen davon, dass Einzelheiten dieser
angeblichen Trennungen nicht glaubhaft dargetan wurden, zeigt die Rückkehr des Zeugen gerade eine gewisse
Stabilität der Beziehung. Ohne ausschlaggebende Bedeutung ist es auch, dass sich das Eigentum an einzelnen
Möbelstücken in der Wohnung jeweils den verschiedenen Partnern der eheähnlichen Gemeinschaft ohne weiteres
zuordnen lassen soll. Auch in langjährigen Ehen ist es nicht ungewöhnlich, dass sich das Eigentum an verschiedenen
Haushaltsgegenständen genau feststellen lässt. Wesentlich ist vielmehr der Umstand, dass es dem Partner innerhalb
der Beziehung gestattet wird, ein bestimmtes Möbelstück oder einen bestimmten Gebrauchsgegenstand zu nutzen.
Dies wird im vorliegenden Falle besonders eindrucksvoll bei der Nutzung der Waschmaschine und des Personal
Computers sowie zahlreichen anderen Gegenständen deutlich, die Gegenstand des Erörterungs- und
Beweisaufnahmetermins vom 4. September 2006 waren. Soweit möglicherweise im Beschluss des 8. Senats des
erkennenden Gerichts vom 30. Juni 2005 (Aktenzeichen: L 8 AS 140/05 ER) hinsichtlich des Gebrauchs von
Möbelstücken, die einem Partner gehören, etwas anderes anklingen sollte, folgt dem der Senat nicht.
Soweit mit der Beschwerde kritisiert wird, im angefochtenen Beschluss werde auf gemeinsame Feiern im Bekannten-,
Freundes- oder Verwandtenkreis abgestellt, überzeugt dies den Senat nicht. Da es sich bei der Verantwortungs- und
Einstandsgemeinschaft (vgl. BVerfG, BVerfGE 87, 234, 264; BVerwG, BVerwGE 98, 195) im Wesentlichen um innere
Vorgänge im Verhältnis zwischen den Partnern einer eheähnlichen Gemeinschaft handelt, ist es naturgemäß
schwierig, bei ihrer Feststellung allein auf die schlichten Erklärungen der Partner einer derartigen Gemeinschaft
entscheidend abzustellen. Denn deren Angaben sind häufig von dem nahe liegenden Interesse getragen, in möglichst
weitgehendem Umfang staatliche Transferleistungen zu erhalten. Deswegen wurden von der Rechtsprechung Indizien
– etwa die Dauer des Zusammenlebens, die Versorgung von Kindern oder Angehörigen, die Befugnis, über
Einkommen und Vemögensgegenstände des anderen zu verfügen, Intensität der Gemeinschaft, nach außen
erkennbare gemeinschaftliche Verbundenheit etc. – entwickelt, die dann in einer Gesamtschau zu gewichten und
bewerten sind (vgl. LSG Nordrhein Westfalen, Beschluss vom 21. April 2005 – L 9 B 6/05 SO ER – NJW 2005, 2253
mwN). Diese Gesamtschau und Gewichtung wurde im angegriffenen Beschluss aber überzeugend und
nachvollziehbar vorgenommen.
Schließlich begegnet die Hilfeberechnung hinsichtlich ihrer Höhe keinen durchgreifenden Bedenken. Denn die von der
Antragstellerin unter dem 19. September 2006 vorgenommene Bereinigung des Einkommens des Zeugen (Bl. 134 der
Gerichtsakte) steht nicht im Einklang mit den Regelungen über die Bereinigung des Einkommens nach § 11 SGB II
und der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II – V in der Fassung der Verordnung vom 22. August 2005,
BGBl I Seite 2499). Insbesondere können nicht die Fahrtkosten des Zeugen zu den verschiedenen Schulen nach
steuerrechtlichen Gesichtspunkten abgesetzt werden. Vielmehr sind bei der Benutzung eines Kraftfahrzeuges für die
Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sind gem. § 3 Abs. 1 Nr. 3 b Alg II- V lediglich 0,20 EUR je
Entfernungskilometer zu berücksichtigen. Die sich danach bei der Bereinigung des Einkommens des Zeugen
ergebenden Beträge sind aber bei überschlägiger Berechnung vergleichsweise gering, so dass deren nähere
Überprüfung einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Die begehrte Prozesskostenhilfe war für das Beschwerdeverfahren zu versagen, da der Antrag nach den obigen
Ausführungen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (vgl. § 73 a SGG i. V. m. § 114 Zivilprozessordnung –
ZPO -) und zudem nicht das für die Beantragung notwendige Formular verwandt wurde (vgl. § 117 Abs. 4 ZPO).