Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 07.05.2003

LSG Nsb: berufliche tätigkeit, niedersachsen, entstehung, vollziehung, schwerarbeit, verwechslung, kostenvorschuss, befund, berufskrankheit, verordnung

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschluss vom 07.05.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Stade S 7 U 12/01
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 6 B 10/03 U
Der Beschluss des Sozialgerichts Stade vom 4. März 2003 wird geändert. Die durch das Gutachten des Prof. Dr. C.
vom 17. Juli 2001 verursachten Kosten werden auf die Staatskasse übernommen. Die weitergehende Beschwerde
wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Der Kläger erstrebt die Übernahme der Kosten zweier ärztlicher Gutachten auf die Staatskasse, die nach § 109
Sozialgerichtsgesetz - SGG - auf seinen Antrag eingeholt worden sind.
Der 1950 geborene Kläger, der seit 1973 im Wesentlichen als Kraftfahrer tätig war, begehrte von der Beklagten, seine
krankhaften Veränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule - LWS - als Berufskrankheit - BK - im Sinne der BK Nr.
2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung - BKV - (bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS durch
langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten sowie durch langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung)
anzuerkennen. Die Beklagte lehnte dies - gestützt auf die Einschätzung ihres Technischen Aufsichtsdienstes - mit
der Begründung ab, die arbeitstechnischen Voraussetzungen dieser BK seien im vorliegenden Fall nicht erfüllt
(Bescheid vom 13. September 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Dezember 2000).
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht - SG - Stade ist auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG
das chirurgische Gutachten des Prof. Dr. C. vom 17. Juli 2001 und anschließend wiederum auf Antrag des Klägers
gemäß § 109 SGG noch das orthopädische Gutachten des Dr. D. vom 21. Oktober 2001 eingeholt worden. Das SG
hat die Klage durch den - rechtskräftigen - Gerichtsbescheid vom 7. März 2002 abgewiesen: Selbst wenn man
zugunsten des Klägers unterstelle, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2108 erfüllt seien, sei es
nicht hinreichend wahrscheinlich, dass die bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS durch die berufliche Tätigkeit
des Klägers wesentlich verursacht oder wesentlich mitverursacht worden sei. Das Gericht gehe im Anschluss an die
von Dr. D. formulierten Kriterien davon aus, dass eine berufs- bzw. belastungsbedingte Bandscheibenerkrankung im
LWS-Bereich dann vorliege, wenn entsprechende Veränderungen im Bandscheibensystem, insbesondere in den
belasteten Segmenten, vorlägen. Ein solcher Befund lasse sich beim Kläger jedoch radiologisch nicht erheben. Darauf
wiesen die medizinischen Sachverständigen Prof. Dr. C. und Dr. D. übereinstimmend hin.
Mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2002 hat der Kläger beantragt, "die verauslagten Kosten für das Gutachten zu
erstatten.” Das SG hat die Übernahme der "im Rahmen des § 109 SGG entstandenen Kosten auf die Landeskasse”
mit Beschluss vom 4. März 2003 mit der Begründung abgelehnt, das Gutachten des Dr. D. habe keine neuen
Erkenntnisse gebracht.
Dagegen richtet sich die am 25. März 2003 beim SG Stade eingegangene Beschwerde des Klägers. Der Kläger macht
im Wesentlichen geltend, dass erst durch die Gutachten des Prof. Dr. C. und des Dr. D. Art und Umfang der
Gesundheitsstörungen eindeutig geklärt worden seien. Wegen weiterer Einzelheiten der Begründung wird auf den
Schriftsatz des Klägers vom 25. März 2003 Bezug genommen.
Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
Die statthafte Beschwerde des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie ist teilweise
begründet. Die durch das Gutachten des Prof. Dr. C. entstandenen Kosten sind auf die Staatskasse zu übernehmen,
nicht hingegen die Kosten für das von Dr. D. erstatteten Gutachtens. Dabei geht der Senat aufgrund des -
sachgerecht weitgefassten - Ausspruchs der angefochtenen Entscheidung (" ... die im Rahmen des § 109 SGG
entstandenen Kosten auf die Landeskasse zu übernehmen ...”) davon aus, dass das SG nicht nur über die Kosten
des Gutachtens des Dr. D., sondern auch über die Kosten des Gutachtens des Prof. Dr. C. entschieden hat.
Die Übernahme einer durch ein Gutachten nach § 109 SGG verursachten Kosten auf die Staatskasse ist geboten,
wenn das Gutachten zur Sachaufklärung beigetragen hat. Dieses für die Kostenentscheidung allein maßgebende
Kriterium ist für das Gutachten des Prof. Dr. C. erfüllt. Dieser Sachverständige hat erstmals in seinem Gutachten vom
17. Juli 2001 Gesichtspunkte aufgezeigt, die es unwahrscheinlich erscheinen lassen, dass die Beschwerden und
Funktionseinschränkungen im Bereich der LWS des Klägers wesentlich durch die im vorliegenden Fall in Betracht zu
ziehende berufliche Schwerarbeit verursacht worden sind. Er hat dies nachvollziehbar daraus gefolgert, dass sich in
der Zeit von 1990 bis 1999 eine Zunahme der Verschleißerscheinungen der LWS und der Brustwirbelsäule (BWS)
anhand der vorliegenden Röntgenaufnahmen nicht dokumentieren lässt, obwohl die berufliche Exposition sich nicht
verändert hatte. Er hat überdies die Deckplattenveränderungen im Bereich der Lendenwirbelkörper I und II als eine
anlagebedingte Schwächung der Knochenstruktur mit Einengung von Bandscheibenmaterial gedeutet. Auch ist dem
Gutachten zu entnehmen, dass der Schwerpunkt der röntgenologisch nachweisbaren Veränderungen (ausgeprägte
Randkantenstörungen der mittleren und unteren BWS mit Randkantenausziehungen) im Bereich der BWS liegt und
nicht - wie dies bei einer beruflichen Entstehung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS zu erwarten wäre -
im Bereich der stärker belasteten LWS.
Demgegenüber hat das Gutachten des Dr. D. zur Frage, ob die medizinischen Voraussetzungen der BK Nr. 2108
erfüllt sind, keine wesentlich neuen Erkenntnisse erbracht. Denn Dr. D. hat - übereinstimmend mit Prof. Dr. C. - die
vorliegenden Veränderungen im Bereich der BWS zur LWS sowie im oberen Bereich der LWS als berufsfremd
gedeutet und auf "bereits vor mehr als 20 Jahren dokumentierte Scheuermann’sche Residuen und Veränderungen”
zurückgeführt. Sein weiterer Hinweis, dass dem Lebensalter vorauseilende osteochondrotische Veränderungen und
belastungsbedingte Anpassungsphänomene nicht festzustellen seien, reichert die Argumentation zwar an, rechtfertigt
aber, da der Sachverhalt im Sinne der Entscheidungsreife bereits aufgeklärt war, keine Übernahme der Kosten für
dieses Gutachten.
Bei der Vollziehung dieses Beschlusses wird zu beachten sein, dass aufgrund einer Verwechslung von DM und Euro
ein zu hoher Betrag (2.689,12 DM) als "nicht verbrauchter Kostenvorschuss” zurückgezahlt worden ist (vgl. hierzu Bl.
67, 121 und 136 der Gerichtsakten).
Dieser Beschluss kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (§ 177 SGG).