Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 21.09.2005

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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschluss vom 21.09.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Braunschweig S 2 R 150/05
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 2 B 46/05 R
Die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Braunschweig
vom 27. Juni 2005 wird zurückgewiesen.
Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die vom Sozialgericht ausgesprochene Zurückweisung seiner Person als
Prozessbevollmächtigter.
Der Beschwerdeführer ist Sozialversicherungsfachangestellter und hat ein Verwaltungsdiplom bei der Fachhochschule
der Landesversicherungsanstalt H. erworben. Er war 40 Jahre lang bei Sozialversicherungsträgern beschäftigt.
Seit Jahren vertritt er Rechtsrat suchende Bürger, nach eigenen Angaben insbesondere Beschäftigte aller deutschen
und ausländischen Werke der I ... Über eine Erlaubnis nach dem Rechtsberatungsgesetz verfügt er nicht.
Am 7. März 2005 erhob er im vorliegenden Verfahren im Namen des Klägers und unter Beifügung einer
entsprechenden Vollmacht Klage gegen einen Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 28. Februar 2005.
Nach vorheriger Anhörung wies das Sozialgericht den Beschwerdeführer mit Beschluss vom 27. Juni 2005 als
Bevollmächtigten gestützt auf § 73 Abs. 6 S. 1 SGG i.V.m. § 157 ZPO zurück. Der Beschwerdeführer, der auch in
anderen Verfahren vor dem Sozialgericht aufgetreten sei, besorge geschäftsmäßig fremde Rechtsangelegenheiten,
obwohl er weder Rechtsanwalt sei noch über eine Erlaubnis nach dem Rechtsberatungsgesetz (RBerG) verfüge. Im
Interesse derjenigen, die sich der im RBerG vorgesehenen Eignungs- und Zuverlässigkeitsprüfung unterziehen würden
und den Vorgaben insbesondere der Zweiten Verordnung zur Ausführung des Rechtsberatergesetzes (2. RBerAusfVO)
hinsichtlich der Berufsausübung und der behördlichen Aufsicht genügen müssten, sei eine enge Auslegung des
Begriffs der Geschäftsmäßigkeit erforderlich. Insbesondere die bewusste Nichtanerkennung der sich aus dem RBerG
ergebenden Pflichten begründe auch unter Berücksichtigung der vom BVerfG im Beschluss vom 29. Juli 2004 (NJW
2004, 2662) dargelegte Auslegungsgrundsätze die Unzulässigkeit der vom Beschwerdeführer betriebenen
geschäftsmäßigen Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten.
Gegen diesen ihm am 7. Juli 2005 zugestellten Beschluss richtet sich die von dem Beschwerdeführer am 26. Juli
2005 eingelegte Beschwerde. Der Beschwerdeführer macht geltend, dass er nur unentgeltlich tätig werde und schon
deshalb das Gebühreninteresse von Erlaubnisinhabern nicht ernsthaft beeinträchtigen könne. Rechtsinteressen der
von ihm vertretenen Bürger könnten ohnehin nicht ernsthaft gefährdet werden, wenn sich diese in
Rechtsangelegenheiten sehenden Auges ihm als einem bekanntermaßen nicht zur geschäftsmäßigen Besorgung von
Rechtsangelegenheiten zugelassenen Bürger anvertrauen würden.
Ohnehin missachte das Sozialgericht die vom BVerfG im Beschluss vom 29. Juli 2004 aufgestellten Vorgaben. Es
habe die gebotene Abwägung zwischen den vom RBerG geschützten öffentlichen Belangen und seinem Grundrecht
aus Art. 2 Abs. 1 GG versäumt. Ebenso wenig habe es die schützenswerten Interessen des Klägers angemessen
berücksichtigt.
Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach– und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt
der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde (zur Beschwerdebefugnis des zurückgewiesenen Bevollmächtigten vgl Keller/Leitherer in
Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl., § 73 Rn 11b) hat keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat zu Recht den Beschwerdeführer
in entsprechender Anwendung der zwingenden Rechtsvorschrift des § 157 Abs. 1 S. 1 ZPO i.V.m. § 73 Abs. 6 S. 1
SGG zurückgewiesen, da dieser geschäftsmäßig fremde Rechtsangelegenheiten besorgt, ohne als Rechtsberater
nach Art. 1 § 1 RBerG oder als Rechtsanwalt zugelassen zu sein.
Über den unmittelbaren sich auf "Verhandlungen" beziehenden Wortlaut des § 157 Abs. 1 ZPO hinaus ist anerkannt,
dass ein die Vorgaben des Art. 1 § 1 RBerG missachtender Prozessbevollmächtigter durch konstitutiv wirkenden
Beschluss generell vom weiteren Verfahren auszuschließen ist, sobald das Gericht von dem Verstoß Kenntnis erlangt
(BVerfG, NJW 2004, 1373 mwN; Keller/Leitherer in Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl., § 73 Rn 11d; vgl. auch BGH, NJW
2004, 839, 840: nach der Zielsetzung des RBerG muss die Wirksamkeit jeder Rechtshandlung verhindert werden, die
seitens des unerlaubt rechtsbesorgenden Geschäftsbesorgers für seinen Auftraggeber vorgenommen wird; zu
Besonderheiten in Fällen, in denen ein Rechtsbeistand über die erforderliche Erlaubnis verfügt, ihm aber nicht das
mündliche Verhandeln vor Gericht eigens gestattet ist, vgl BSG, SozR 1500 § 73 Rn 2).
Die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten, einschließlich der Rechtsberatung und der Einziehung fremder oder
zu Einziehungszwecken abgetretener Forderungen, darf nach Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG geschäftsmäßig - ohne
Unterschied zwischen haupt- und nebenberuflicher oder entgeltlicher und unentgeltlicher Tätigkeit - nur von Personen
betrieben werden, denen dazu von der zuständigen Behörde die Erlaubnis erteilt ist. Die Erlaubnis wird jeweils für
einen Sachbereich erteilt, etwa (Ziff. 1.) für das Gebiet der Rentenberatung.
Im vorliegenden Fall hebt der Beschwerdeführer selbst hervor, dass er seit Jahren Rechtsrat suchende Bürger, und
zwar insbesondere Beschäftigte aller deutschen und ausländischen Werke der I., in (sozialversicherungsrechtlichen)
Streitverhältnissen vertritt und dass er in diesem Rahmen auch die Prozessführung im vorliegenden Rechtsstreit
übernommen habe. An der Geschäftsmäßigkeit der Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten besteht damit kein
Zweifel, zumal nach dem klaren Wortlaut des § 1 RBerG eine nicht getroffene Vereinbarung eines Entgelts keine
Rückschlüsse auf das Fehlen einer Geschäftsmäßigkeit zulässt. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich auch eine
unentgeltliche geschäftsmäßige Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten der Erlaubnispflicht unterworfen.
Dabei bestehen keine Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des in § 1 RBerG normierten
Erlaubnisvorbehalts. In der Rechtsprechung des BVerfG ist geklärt, dass der Erlaubnisvorbehalt für die Besorgung
fremder Rechtsangelegenheiten gem. Art. 1 § 1 I 1 RBerG den verfassungsrechtlichen Vorgaben Rechnung trägt. Das
Rechtsberatungsgesetz dient dem Schutz des Rechtsuchenden sowie der geordneten Rechtspflege. Zur Erreichung
dieser Zwecke ist es erforderlich und angemessen (BVerfG aaO mwN). Es bezweckt, zum Schutz der
Rechtsuchenden und auch im Interesse einer reibungslosen Abwicklung des Rechtsverkehrs fachlich ungeeignete und
unzuverlässige Personen von der geschäftsmäßigen Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten fernzuhalten
(BVerfG, NJW 2002, 1190).
Dementsprechend kann der Beschwerdeführer nicht damit gehört werden, dass das RBerG letztlich vor dem
Hintergrund überflüssig sei, weil der mündige Rechtsratsuchende selbst beurteilen könne, ob der ausgewählte Berater
hinreichend rechtskundig sei. Die im RBerG zum Ausdruck kommende gegenteilige Einschätzung des Gesetzgebers,
wonach eine vorausgehende behördliche Überprüfung der Sachkunde und der Zuverlässigkeit eines geschäftsmäßig
fremde Rechtsangelegenheiten Besorgenden sowohl im öffentlichen Interesse als auch zum Schutz der berechtigten
Interessen der in rechtlichen Angelegenheiten oft unerfahrenen Rechtssuchenden geboten ist, bewegt sich innerhalb
des dem Gesetzgeber zuzubilligenden Beurteilungsspielraums. Der Gesetzgeber durfte sich im Rahmen der ihm von
Verfassung wegen zukommenden Einschätzungsprärogative dazu entschließen, den aufgezeigten Gefahren durch ein
Verbot mit Erlaubnisvorbehalt Rechnung zu tragen.
Auch die nach der Entscheidung des BVerfG vom 29. Juli 2004 gebotenen Abwägung zwischen den durch das
verfassungsrechtlich unbedenkliche RBerG geschützten Belangen, d.h. insbesondere dem Schutz der
Rechtsuchenden, auf der einen und den Freiheitsrechten des Rechtsbesorgers auf der anderen Seite führt zu keinem
dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis. Der Nachweis der nach dem RBerG erforderlichen Erlaubnis ist
insbesondere auch im vorliegenden Fall als geeignet und notwendig anzusehen, um die durch das
Rechtsberatungsgesetz geschützten Rechtsgüter zu wahren. Es sind auch keine für den Beschwerdeführer weniger
belastende Maßnahmen ersichtlich, die den mit dem RBerG geschützten Gemeinwohlbelangen hinreichend effektiv
Rechnung tragen würden.
Dabei ist im Ausgangspunkt zu berücksichtigen, dass bereits die Vorgaben des RBerG dem Beschwerdeführer einen
relativ einfachen Weg eröffnen, auch künftig in der gewünschten (und offenbar bereits gewohnten) Weise
geschäftsmäßig fremde Rechtsangelegenheiten zu besorgen. Er muss lediglich eine entsprechende Erlaubnis nach
dem Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG bei dem zuständigen Gericht beantragen und dabei seine Zuverlässigkeit (§§ 6, 7
RBerAusfVO) und Eignung (§ 8 RBerAusfVO) darlegen und letztere ggfs bei einer Prüfung unter Beweis stellen. Dabei
sind die Anforderungen des RBerG und der zu seiner Ausführung ergangenen RBerAusfVO ihrerseits unter
Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu interpretieren; es dürfen keine Anforderungen gestellt
werden, die nicht durch den Schutzzweck des Gesetzes geboten sind. Diesbezüglich bedarf es keiner weiteren
Klärung von Einzelheiten im Rahmen des vorliegenden Beschlusses. Namentlich ist nicht weiter zu hinterfragen,
inwieweit auch unter Berücksichtigung der Vorgaben insbesondere der Art. 2 Abs. 1 und 12 GG noch Raum für eine
Bedürfnisprüfung im Sinne von Art. 1 § 1 Abs. 2 RBerG verbleibt (zumal diese nach dem Wortlaut des § 9
RBerAusfVO auf die Verhältnisse des Ortes und des näheren Wirtschaftsgebietes auszurichten wäre, an dem
Nachsuchende seine Tätigkeit betreiben will, wobei die in § 1 Abs. 1 RBerAusfVO an sich vorgesehene örtliche
Begrenzung der Erlaubnis ihrerseits mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar und damit nichtig ist, vgl BVerfG, NJW 1976,
1349).
Festzuhalten ist für das vorliegende Verfahren jedenfalls, dass eine verfassungskonforme Anwendung des RBerG
Rechtskundigen, zu denen sich bezogen auf das Sozialversicherungsrecht auch der Beschwerdeführer zählt, die
Möglichkeit eröffnet, mit zumutbarem Aufwand die erforderliche Erlaubnis für eine geschäftsmäßige rechtsbesorgende
Tätigkeit zu erlangen. Personen ohne die erforderliche Sachkunde sollen ohnehin nach der von Verfassung wegen
nicht zu beanstandenden gesetzgeberischen Entscheidung nicht geschäftsmäßig fremde Rechtsangelegenheiten
besorgen. In Anbetracht der nach der gesetzgeberischen Einschätzung gewichtigen Interessen der Rechtssuchenden
kann der Verweis auf die vorherige Einholung einer Erlaubnis nach dem RBerG nur dann ausnahmsweise als
unverhältnismäßig angesehen werden, wenn die erforderliche Sachkunde - namentlich bei Volljuristen (wie in der
Entscheidung des BVerfG vom 29. Juli 2004 zugrunde liegenden Fallgestaltung) - offen zutage liegt oder
außergewöhnliche Umstände ihre Einholung als unzumutbar erscheinen lassen.
Solche Besonderheiten sind im vorliegenden Zusammenhang nicht ersichtlich. Namentlich ist nicht von einer
Offenkundigkeit der erforderlichen Sachkunde auf Seiten des Beschwerdeführers auszugehen. Dieser hat nicht einmal
näher dargetan, auf welchen Gebieten des Sozialversicherungsrechts er in den letzten Jahrzehnten im Einzelnen tätig
war. Eine sachgerechte Vertretung der Rechtssuchenden vor dem Sozialgericht erfordert darüber hinaus nicht nur
fundierte Kenntnisse des materiellen Sozialrechts, sondern auch des sozialgerichtlichen Verfahrensrechts. Mangels
Offenkundigkeit der erforderlichen Sachkenntnisse verbleibt es bei dem im RBerG normierten Grundsatz der
Notwendigkeit eines vorhergehenden Nachweises im Erlaubnisverfahren nach Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG.
Insbesondere vermittelt das Verfassungsrecht keinen Anspruch darauf, dass die erforderlichen Fachkenntnisse nicht
mehr in dem Erlaubnisverfahren nach dem RBerG nachzuweisen, sondern vielmehr in dem einzelnen
Zurückweisungsverfahren zu klären wären. Davon ist um so weniger auszugehen, als eine Prüfung der Fachkunde im
jeweiligen Zurückweisungsverfahren im Ergebnis jedenfalls nicht weniger belastend wäre. Überdies stellt das
Verfahren Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG eine einheitliche Beurteilung sicher und vermittelt den Betroffenen die erforderliche
Rechtssicherheit.
Soweit der Kläger weiterhin eine Vertretung durch den Beschwerdeführer wünscht, wird das Sozialgericht unter
Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf Antrag des Klägers (mangels einer erkennbaren
Betroffenheit der Beklagten in schutzwürdigen Interessen) das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 114
Abs. 2 S. 1 SGG für einen – angemessen zu befristenden – Zeitraum auszusetzen haben, um dem
Prozessbevollmächtigten Gelegenheit zu geben, die bislang fehlende Erlaubnis nach dem RBerG nunmehr
einzuholen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Dr. E. F. G.