Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 06.01.2003

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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschluss vom 06.01.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hildesheim S 12 SF 15/00
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 4 SF 31/02 NZB
Die Beschwerde wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung weiterer Aufwendungen aus einem Widerspruchsverfahren.
Im Oktober 1997 beantragte die Klägerin die Gewährung weiteren Krankengeldes (KG) bei der Beklagten. Der
Medizinische Dienst der Krankenversicherung hielt die Klägerin demgegenüber für arbeitsfähig. Die ablehnende
Entscheidung focht die anwaltlich vertretene Klägerin an. Nach weiteren Recherchen änderte die Beklagte ihre
Entscheidung und bewilligte mit Bescheid vom 31. Mai 1999 weiteres KG für die Zeiträume 14. November bis 1.
Dezember 1998 und 7. Januar bis 19. März 1999. Nach Abgleichung von Zeiten des Bezuges von Arbeitslosengeld
und Erwerbsunfähigkeitsrente wurde das Widerspruchsverfahren für erledigt erklärt.
Mit Schreiben vom 2. Juli machte der seinerzeitige Bevollmächtigte bei der Beklagten Kosten in Höhe von insgesamt
1.612,40 DM unter Berücksichtigung zweier Gebühren nach § 118 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BRAGO geltend. Mit
Bescheid vom 14. Juli 1999 setzte die Beklagte die dem Bevollmächtigten der Klägerin zu erstattenden Gebühren
unter Berücksichtigung einer Mittelgebühr nach § 116 Abs. 1 Ziffer 1 BRAGO auf insgesamt 614,80 DM fest. Der
Bescheid wurde zwischen den Beteiligten bindend.
Die ehemaligen Bevollmächtigten der Klägerin machten gegenüber dieser mit Klage vom 1. Dezember 1999 unter
anderem die von der Beklagten nicht erstatteten Gebühren aus dem vorangegangenen Vorverfahren geltend. Durch
Urteil vom 3. Mai 2000 hat das Amtsgericht (AG) Hannover unter anderem entschieden, dass sich im Verhältnis
zwischen der Klägerin und ihren ehemaligen Bevollmächtigten die angemessene Rahmengebühr nach 80 % der
Höchstgebühr des § 116 Abs. 1 Ziffer 1 BRAGO, mithin einem Betrag von 1.040,- DM, richte.
Mit Schreiben vom 27. Juli 2000 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten restliche Aufwendungen aus ihrem
Widerspruchsverfahren von 661,20 DM unter Hinweis auf das Urteil des AG geltend. Die Beklagte lehnte den Antrag
mit Bescheid vom 11. September 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2000 unter
Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung des BSG ab, wonach im isolierten Widerspruchsverfahren von einer
angemessenen Gebühr in Höhe von 2/3 der aus § 116 Abs. 1 Ziffer 1 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung
(BRAGO) folgenden Mittelgebühr auszugehen sei, die sie gegenüber den ehemaligen Bevollmächtigten der Klägerin
bereits ausgeglichen habe.
Die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Hildesheim durch Gerichtsbescheid vom 22. Februar 2002
abgewiesen. Zutreffend habe die Beklagte unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) die
für die anwaltliche Tätigkeit der ehemaligen Bevollmächtigten der Klägerin zu erstattenden notwendigen
außergerichtlichen Kosten auf der Grundlage von 2/3 der aus § 116 Abs. 1 Ziffer 1 BRAGO folgenden Mittelgebühr
berechnet. Das anderslautende Urteil des AG Hannover sei im Verhältnis der Klägerin zu ihren ehemaligen
Bevollmächtigten ergangen und binde die Beklagte nicht, zumal das AG die insoweit einschlägige Rechtsprechung
des BSG nicht beachtet habe. Auch sei eine Erhöhung der Gebühren der ehemaligen Bevollmächtigten der Klägerin
mit Rücksicht auf die von der Beklagten erlassene Abhilfeentscheidung nicht in Betracht zu ziehen, weil die
anwaltliche Tätigkeit dafür nicht kausal gewesen sei. Die Tätigkeit der ehemaligen Bevollmächtigten der Klägerin habe
lediglich im Rahmen des Üblichen gelegen.
Gegen diesen ihren jetzigen Bevollmächtigten am 1. März 2002 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 25.
März 2002 rechtzeitig Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Es handele sich bei dem Verfahren um ein solches von
grundsätzlicher Bedeutung, weil zu klären sei, ob die Beklagte durch die Entscheidung des AG gebunden sei, zumal
die Rechtsanwaltskammer im amtsgerichtlichen Verfahren ein Gutachten erstattet habe, auf dem die Entscheidung
des AG beruhe. Dieses Gutachten sei auch im sozialgerichtlichen Verfahren als verbindlich zu betrachten. Die
Klägerin beantragt,
1. die Berufung zuzulassen;
2. das Urteil des SG Hildesheim vom 22. Februar 2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. September 2000
in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2000 aufzuheben;
3. die Beklagte zu verurteilen, 661,20 DM an die Klägerin zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des SG Hildesheim für rechtmäßig. Es sei nicht nachvollziehbar, inwieweit die
Ausführungen der Rechtsanwaltskammer in einem zivilrechtlichen Verfahren zwischen anderen Beteiligten auch für
nicht an diesem Verfahren Beteiligte eines sozialgerichtlichen Verfahrens verbindlich sein sollten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten und des AG Hannover (Aktenzeichen 552 C
17047/99) Bezug genommen.
II.
Die gemäß § 145 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt
worden (vgl. § 151 Abs. 1 SGG), mithin zulässig. Sie ist indessen unbegründet.
Nach § 144 Abs. 1 Ziffer 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des SG oder auf Beschwerde durch
Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die – wie hier –
eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 1.000,- DM (ab 2. Januar 2002
500 EUR) nicht übersteigt. Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn
1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, 2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts,
des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder
Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder 3. ein der Beurteilung des
Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung
beruhen kann.
Die Berufung ist gemäß § 144 Abs. 1 Ziffer 1 SGG unzulässig, weil sie auf eine Geldleistung in Höhe von 661,20 DM
gerichtet ist, mit der die erforderliche Beschwerdesumme von 1.000,- DM bzw. 500 EUR nicht erreicht wird.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung sind nicht gegeben, insbesondere weist die Rechtssache keine
grundsätzliche Bedeutung auf. In den Fällen, in denen sich eine sozialversicherungsrechtliche Angelegenheit - wie
hier - bereits im Vorverfahren erledigt, richtet sich die Kostenerstattung nach § 63 Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch
– (SGB X). § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X bestimmt, dass der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen
Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden
Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten hat, soweit der Widerspruch
erfolgreich ist. Nach § 63 Abs. 2 SGB X sind die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwaltes oder eines sonstigen
Bevollmächtigten im Vorverfahren erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war.
Gemäß § 63 Abs. 3 SGB X setzt die Behörde, die die Kostenentscheidung zu treffen hat, auf Antrag den Betrag der
zu erstattenden Aufwendungen fest.
Streitig ist zwischen den Beteiligten allein die Höhe der zu erstattenden Aufwendungen für die Heranziehung der
ehemaligen Bevollmächtigten der Klägerin. Das SG und die Beklagte haben zu Recht entschieden, dass unter
Berücksichtigung der ständigen Rechtsprechung des BSG im isolierten Vorverfahren 2/3 der Mittelgebühr des
entsprechend anzuwendenden § 116 Abs. 1 Ziffer 1 Bundesrechtsanwalts-Gebührenordnung in der hier einschlägigen
bis zum 1. Januar 2002 geltenden alten Fassung – BRAGO aF - vgl. Roos in von Wulffen, SGB X, 4. Auflage 2001, §
116 Rdnr. 21) als notwendige Aufwendungen für die Beteiligung der Rechtsanwälte erstattungsfähig sind.
Zu Recht hat das SG auch entschieden, dass eine Erhöhung der Rahmengebühr nach § 116 Abs. 3 BRAGO aF im
vorliegenden Fall nicht erfolgen kann. Das BSG hat in diesem Zusammenhang entschieden, dass Umfang,
Schwierigkeit und Intensität der Tätigkeit eines Bevollmächtigten in keinem Fall zu einer zusätzlichen Erfolgsgebühr
führe; sein Mitwirken bei der Erledigung einer Rechtssache nur dann, wenn der Streit wegen der Besonderheiten des
Verwaltungsverfahrens zwar nicht der Form, aber dem Inhalt nach vergleichsweise beigelegt werde (BSG in SozR 3-
1930 § 116 BRAGO Nr. 7). Denn die Erhöhung des Gebührenrahmens, der anstelle der Zusatzgebühr nach § 24
BRAGO im sozialgerichtlichen Verfahren vorgesehen sei, solle der Tatsache Rechnung tragen, dass hier ebenso wie
im allgemeinen Verwaltungsrecht eine gütliche Beilegung häufig nicht durch förmlichen Vergleich, der eine Gebühr
nach § 23 BRAGO auslöse, sondern durch Teilabhilfe und Teilrücknahme des Antrages erfolge (vgl. BSG a.a.O.).
Vorliegend hat die Beklagte wegen der aus ihrer Sicht erforderlichen aufwendigen Ermittlungen den Anspruch der
Klägerin unter Berücksichtigung der von ihr bezogenen Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung und der
Rentenversicherung insgesamt erfüllt. Eine Teilabhilfe oder Teilrücknahme ist demnach nicht erfolgt.
Die somit zutreffend ermittelten Gebühren hat die Beklagte den seinerzeitigen Bevollmächtigten der Klägerin im
Zusammenhang mit dem Erlass des Bescheides vom 12. Juli 1999 (den Bevollmächtigten zugegangen am 14. Juli
1999) ausgezahlt.
Soweit die Beklagte durch den mit Schriftsatz vom 27. Juli 2000 gestellten Antrag der Klägerin durch ihre jetzigen
Bevollmächtigten auf Erstattung weiterer Aufwendungen in eine erneute Sachprüfung eingetreten ist, war die Beklagte
durch die Entscheidung des AG Hannover in Bezug auf die Höhe der zu erstattenden Aufwendungen nicht gebunden.
Dieses Verfahren betraf ausschließlich das Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin als Auftraggeberin und den
beauftragten Rechtsanwälten. Eine Bindungswirkung ergibt sich daraus für das Verhältnis zwischen der Klägerin und
der Beklagten als erstattungspflichtiger Gegnerin aus dem sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren nicht. Der Streit um
die Höhe der zu erstattenden Gebühren ist in diesem Rechtsverhältnis vielmehr im Kostenfestsetzungsverfahren
auszutragen (vgl. Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert, Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung, 14. Aufl. 1999, § 12 Rdnr.
19). Eine Bindungswirkung ergibt sich in Bezug auf die Höhe der zu erstattenden Anwaltsgebühren auch nicht durch
das im Zivilprozess eingeholte Gutachten des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer, denn mit dem Begriff
"Rechtsstreit” in § 12 Abs. 2 BRAGO, der Streitigkeiten in Bezug auf Rahmengebühren regelt, ist nur der
Gebührenprozess zwischen dem Anwalt und seinem Auftraggeber zu verstehen (vgl.
Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert, a.a.O., Rdnr. 20).
Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung sind demnach im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden. Ebenso
wenig weicht die Entscheidung des SG von höchstrichterlicher Rechtsprechung ab. Ein Verfahrensmangel wird von
der Klägerin nicht geltend gemacht und ist auch nicht ersichtlich.
Diese Entscheidung ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.