Urteil des LSG Hessen vom 02.04.2017

LSG Hes: beendigung, verhaftung, staatsangehörigkeit, inhaftierung, organisation, ausnahmefall, versorgung, tod, gefahr, aufenthalt

Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 13.08.1975 (rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt
Hessisches Landessozialgericht L 5 V 993/74
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 20. August 1974 wird
zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die 1907 geborene Klägerin ist im slowenischen Landesteil Jugoslawiens wohnhaft. Sie stellte am 29. Juni 1970
Antrag auf Gewährung von Witwenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) nach ihrem 1904 geborenen
Ehemann F. J., der seit dem 18. Mai 1945 verschollen ist. Aufgrund des Beschlusses des Kreisrichters S. G. vom
26. Mai 1958 ist er für tot erklärt und als Todestag der 18. Mai 1950 festgesetzt worden.
Die Klägerin trägt vor, ihr Ehemann habe in den Kriegsjahren als Metallgießer im Stahlwerk S. gearbeitet und sei
während der Okkupation Angehöriger des Werkschutzes gewesen. Er habe sich zum deutschen Kulturkreis bekannt
und sei Mitglied des L. Volksbundes gewesen. Am 18. Mai 1945 seien Beamte der Geheimpolizei gekommen und
hätten ihn abgeführt. Er sei erschossen worden. Dazu berief sie sich auf die Erklärungen der Z. G. und des F. G. vom
24. Juni 1971.
Mit Bescheid vom 20. Dezember 1972 ist der Antrag der Klägerin abgelehnt worden, da der Ehemann keinen
militärischen Dienst im Sinne des BVG geleistet habe. Zum Zeitpunkt der Verschollenheit sei er als Zivilist verhaftet
worden und nicht wieder zurückgekehrt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit müsse angenommen werden, dass er infolge
eines Gewaltaktes nach Besetzung des Gebietes durch Partisaneneinheiten ums Leben gekommen sei. Dieses
Ereignis sei nicht mehr in Deutschland oder in einem von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebiet eingetreten,
denn der Krieg sei bereits beendet gewesen.
Mit dem Widerspruch machte die Klägerin geltend, ihr Ehemann sei in den Jahren 1940 bis 1945 im Werkschutz
eingesetzt gewesen. Für diesen Personenkreis habe nach Beendigung des Krieges eine allgemeine Gefahr
bestanden, wie die Verhaftung beweise.
Der Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 1973 führte noch aus, der Ehemann habe keinen militärischen Dienst
geleistet. Der Werkschutz könne nicht als militärischer Dienst angesehen werden. Auch Nachweise über die
angebliche Zugehörigkeit zu einer Wehrmannschaft seien nicht vorhanden. Die Klägerin selbst sei weder deutsche
Volkszugehörige noch deutsche Staatsangehörige. Die angegebene Mitgliedschaft beim K. Volksbund sei kein Indiz
für die deutsche Volks- oder Staatszugehörigkeit. Es käme daher nur eine Kannversorgung nach § 8 BVG in Betracht.
Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung habe in einem Schreiben vom 26. Mai 1972 wegen der besonderen
Gegebenheiten dieser Fälle einer Versorgung nicht zugestimmt. Ein Ermessensfehlgebrauch liege darin nicht, weil ihr
Ehemann nach jugoslawischer Auffassung als Kollaborateur angesehen werde. Dass in der Vergangenheit in ähnlich
gelagerten Fällen Renten an Hinterbliebene gewährt worden seien, ändere daran nichts.
In dem Klageverfahren vor dem Sozialgericht Frankfurt/Main hat die Klägerin ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und
nochmals darauf hingewiesen, dass Werkschutz eine militante Organisation gewesen sei. Ihr Ehemann habe wegen
seines Bekenntnisses für das Deutschtum und seine Dienstleistung für das Deutsche Reich sein Leben opfern
müssen. Er habe sich auch zum deutschen Kulturkreis bekannt. Sie selbst sei jugoslawische Staatsangehörige
slowenischen Volkstums.
Demgegenüber hat der Beklagte ausgeführt, die Voraussetzungen zur Gewährung von Hinterbliebenenversorgung
seien immer dann zu verneinen, wenn ausländische Zivilisten nach Kriegsende durch unbekannte Umstände
umgekommen seien. Um einen solchen Fall handele es sich vorliegend.
Mit Urteil vom 20. August 1974 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es
ausgeführt, die Klägerin sei weder deutsche Volkszugehörige noch Staatsangehörige. Sie habe damit keinen
Anspruch auf Versorgungsleistungen nach den §§ 64 Abs. 1, 7 Abs. 1 Nr. 2 BVG. Nach § 8 BVG stehe ihr ebenfalls
kein Anspruch auf Hinterbliebenen Rente zu. Ihr Ehemann sei durch Angehörige seines eigenen Staates in Haft
genommen und dann ums Leben gebracht worden. Die Schädigung stehe damit nicht im Zusammenhang mit einem
Wehrdienst, militärähnlichem Dienst oder einem für eine deutsche Organisation verrichteten Dienst. Der Tod sei
außerhalb einer Einwirkungsmöglichkeit deutscher Stellen durch Straf- oder Racheakte bedingt gewesen. Ob andere
Witwen in ähnlich gelagerten Fällen eine Hinterbliebenenrente bezögen, könne dahingestellt bleiben. Die Klägerin habe
keinen Anspruch darauf, dass die Versorgungsverwaltung ihr Ermessen für alle Zeit in gleicher Weise ausübe und
nicht aufgrund veränderter Gesichtspunkte zu neuen Entscheidungen komme.
Gegen das der Klägerin über die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Belgrad am 18. September 1974
zugestellte Urteil hat sie am 23. Oktober 1974 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Zu deren
Begründung trägt sie vor, der Werkschutz im Stahlwerk S. sei eine militante uniformierte Truppe gewesen, die unter
dem Kommando eines H. L. gestanden habe. Die Mitglieder selbst hätten keine Werksarbeit geleistet.
Sie beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 20. August 1974 und den Bescheid vom
20. Dezember 1972 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 1973 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt ergänzend aus, der Tod des Ehemannes der Klägerin sei nicht
auf wehrdiensttypische Weise eingetreten, sondern durch Straf- oder Racheakte. Die Verhaftung sei erst nach
Kriegsende erfolgt, so dass dahingestellt bleiben könne, ob die angegebene Zugehörigkeit aus Werkschutz in einem
Stahlwerk in Jugoslawien während der Kriegszeit militärähnlicher Dienst gewesen sei oder nicht. Aus gleichgelagerten
Fällen könne die Klägerin keine Rechte für sich herleiten.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Die Versorgungsakte mit der Archiv-Nr. xxx hat vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakte beider
Rechtszüge wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 des
Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist zulässig; sie ist insbesondere
frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 143, 151 Abs. 1 in Verbindung mit § 87 Abs. 1 Satz 2 SGG). Sie ist
jedoch unbegründet.
Der Bescheid vom 20. Dezember 1972, der in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 1973
Gegenstand der Klage geworden ist (§ 95 SGG), ist zu Recht ergangen.
Zutreffend ist das Sozialgericht aufgrund der Angaben der Klägerin davon ausgegangen, dass sie weder deutsche
Volkszugehörige noch deutsche Staatsangehörige ist. Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob aufgrund § 2 der VO
vom 14. Oktober 1941 (RGBl. I S. 648) eine deutsche Staatsangehörigkeit auf Widerruf vorgelegen hat. Selbst wenn
das der Fall gewesen sein sollte, wäre die durch Sammeleinbürgerung erworbene deutsche Staatsangehörigkeit nach
Beendigung der Annektion automatisch hinfällig geworden. Insoweit ist auf die §§ 1, 28 des Gesetzes zur Regelung
von Fragen der Staatsangehörigkeit vom 22. Februar 1955 (BGBl. I S. 65) zu verweisen.
Als Rechtsgrundlage kommt somit nicht § 7 a in Verbindung mit § 64 Abs. 1 BVG in Betracht, sondern § 8 BVG.
Danach können Personen, die weder Deutsche noch deutsche Volkszugehörige sind und die ihren Wohnsitz oder
gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Geltungsbereich des BVG haben, abweichend von § 7 BVG in besonders
begründeten Fällen mit Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung Versorgung nach Maßgabe der
§§ 64 ff. BVG erhalten. Ein Rechtsanspruch auf derartige Leistungen besteht nicht, denn es handelt sich um eine
Ermessensbestimmung. Daraus folgt, dass auch der Senat ebenso wie das Sozialgericht nur befugt war, im Rahmen
des § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG nachzuprüfen, ob der Beklagte die gesetzlichen Grenzen seines Ermessens
überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zwecke der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch
gemacht hat. Das ist indessen nicht der Fall.
Mit Recht haben der Beklagte und die Vorinstanz einen nach § 6 BVG begründeten Ausnahmefall nicht angesessen.
Ein Tatbestand des § 1 Abs. 1 BVG liegt eindeutig nicht vor, da der Ehemann der Klägerin weder militärischen noch
militärähnlichen Dienst im Sinne des § 3 BVG geleistet hat. Auch eine Kriegsgefangenschaft scheidet unter diesen
Umständen aus. Der wahrscheinliche Todesfall hat sich vielmehr erst zugetragen, als der slowenische Landesteil
Jugoslawiens nicht mehr von deutschen Wehrmachtseinheiten besetzt und die jugoslawische Staatshoheit wieder
hergestellt war. Das Festhalten des Ehemannes der Klägerin durch rechtmäßig eingesetzte eigene Behörden des
Heimatstaates ist nicht als Kriegsgefangenschaft anzusehen, weil die jugoslawischen Behörden für den Ehemann der
Klägerin als Staatsangehörigen dieses Landes keine ausländische Macht waren (BSG, Urt. v. 14.3.1967, Az.: 10 RV
909/65; Hess. LSG, Urt. vom 18.3.1970, Az.: L-5/V-917/69). Aus jugoslawischer Sicht hatte der Ehemann der
Klägerin sich zum Deutschtum bekannt und sich damit auf die Seite der Gegner seines Heimatstaates gestellt und
gegen die Interessen seines eigenen Landes verstoßen. Er hatte damit Pflichten verletzt, die in dem Treue- und
Fürsorgeverhältnis des Bürgers zum Staate begründet liegen. Hierin liegt der eigentliche Grund für seine Inhaftierung.
Nach jugoslawischer Auffassung erfüllte sein Verhalten einen landesverräterischen Tatbestand. Demzufolge ist der
Ehemann der Klägerin eines Straf- oder Racheakt zum Opfer gefallen, nicht aber als Kriegsgefangener umgekommen.
Denn seine Inhaftierung geschah erst nach Beendigung des Krieges am 18. Mai 1945 und in einem von deutschen
Soldaten längst aufgegebenen Gebiet.
In dem Vorfall ist auch kein schädigender Vorgang im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG zu erblicken. Danach
werden Vorgänge entschädigt, die infolge einer mit der Besetzung ehemals deutsch besetzten Gebietes
zusammenhängenden besonderen Gefahr eingetreten sind. Einmal fehlt es schon an einem zeitlichen Zusammenhang
mit dem Kriegsgeschehen, weil im Zeitpunkt der Verhaftung der Krieg bereits beendet war. Im übrigen können
Ausschreitungen der Streitkräfte eines Staates gegen die eigenen Staatsangehörigen keine unmittelbare
Kriegseinwirkung im Sinne des § 5 Abs. 1 d BVG sein, weil sie auf innerstaatlichen Maßnahmen beruhen (vgl.
Wilke/Wunderlich, BVG § 5 A). Diese schließen einen Zusammenhang mit dem Kriegsgeschehen aus.
Bei dieser Sachlage vermag der Senat keinen besonders begründeten Ausnahmefall im Sinne des § 8 BVG
festzustellen. Die Versorgungsbehörde hat ohne Ermessensfehler zutreffend eine Teilversorgung abgelehnt, wobei sie
sich zusätzlich auf das Schreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 26. Mai 1972 stützen
durfte. Ebenfalls lässt die im Schreiben des BMA vom 22. Oktober 1974 dargelegte Auffassung die Gewährung einer
Teilversorgung nicht zu.
Auch aus anderen Versorgungsfällen kann die Klägerin keine Rechte für sich herleiten. Denn sie hat keinen Anspruch
darauf, dass die Versorgungsbehörde ihr Ermessen für alle Zeiten in gleicher Weise ausübt. Sie kann durchaus
aufgrund veränderter Gesichtspunkte zu neuen Entscheidungen kommen, wie das Sozialgericht Frankfurt/Main
zutreffend festgestellt hat.
Der Berufung war daher der Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.
Die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG kam nach Lage des Falles nicht in Betracht.