Urteil des LSG Hessen vom 20.04.1993

LSG Hes: angina pectoris, behinderung, herzinfarkt, vertreter, belastung, verwaltungsakt, gesundheitszustand, leistungsfähigkeit, form, unverzüglich

Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 20.04.1993 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Kassel S 6C Vb 717/89
Hessisches Landessozialgericht L 4 Vb 467/93
Bundessozialgericht B 9 RVs 15/94
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 20. April 1993 abgeändert. Der Bescheid
des Beklagten vom 29. Dezember 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Mai 1989, dieser in
Gestalt des Bescheides vom 21. November 1991 und des Anerkenntnisses vom 20. April 1993 werden hinsichtlich
der Höhe des GdB aufgehoben.
Die Anschlußberufung des Beklagten wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen. Anmerkungen:
Tatbestand:
Streitig ist die Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB) nach Heilungsbewährung nach dem
Schwerbehindertengesetz (SchwbG).
Der 1929 geborene Kläger erlitt am 30. September 1985 einen pastero-lateralen Infarkt. Im
Heilverfahrensentlassungsbericht des Anschlußheilverfahrens in der Herz- und Kreislaufklinik XY. vom 30. Dezember
1985 wird zu einem am 21. November 1985 durchgeführten Belastungs-EKG ausgeführt: " Abbruch erfolgte nach 3
Minuten 100 Watt wegen peripherer Erschöpfung bei Erreichen einer Herzfrequenz von 136/Min. Keine Angina
pectoris. Keine VES. ”. Unter Berücksichtigung dieses Heilverfahrensentlassungsberichtes stellte der Beklagte mit
Bescheid vom 7. Februar 1986 folgende Behinderung fest: Herzleistungsminderung nach Infarkt und bestimmte den
Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit –GdB– (damals noch MdE) mit 50 v.H. Im Rahmen eines
Überprüfungsverfahrens holte der Beklagte einen Befundbericht bei Dr. F. (Internist, K.) vom 29. April 1988 ein und
hörte den Kläger in einem Schreiben vom 4. November 1988 zu einer beabsichtigten Neufeststellung der Behinderung
und Herabsetzung des GdB auf 30 an. Am 29. Dezember 1988 verfuhr der Beklagte entsprechend dem
Anhörungsschreiben. Als Behinderungen stellte er fest: 1) Herzleistungsminderung bei coronarer Herzkrankheit mit
Infarkt nach Heilungsbewährung und 2. arterielle Durchblutungsstörungen vorwiegend am linken Bein. Den GdB
bewertete er mit 30. Den Widerspruch des Klägers wies er mit Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 1989 zurück,
wobei er die Behinderung zu 1) um "Bluthochdruck” ohne Änderung des GdB ergänzte.
Auf seine am 19. Juni 1989 beim Sozialgericht Kassel erhobene Klage hat dieses Befundberichte bei Dr. E.
(Orthopäde, K.) vom 12. Oktober 1990 und Dr. F. vom 7. Dezember 1990 eingeholt. Im Anschluß an eine ergänzende
Auskunft des Dr. E. vom 12. Januar 1991 hat Dr. K. für den Beklagten am 12. März 1991 zu den medizinischen
Unterlagen Stellung genommen.
Das Sozialgericht hat darüber hinaus ein internistisches Sachverständigengutachten bei Dr. R. (K.) in Auftrag
gegeben. Dieser hat in seinem Gutachten vom 31. August 1991 ausgeführt, daß der 1985 eingetretene
Herzhinterwandinfarkt sich nunmehr weitgehend stabilisiert habe. Die Ausbelastungsherzfrequenz werde bei 100 Watt
Belastung fast erreicht. Unter Berücksichtigung der mangelnden Schmerzempfindlichkeit des Klägers sei die
Reduzierung des GdB von ursprünglich 50 auf nunmehr 30 nach Heilungsbewährung und Stabilisierung der
Verhältnisse gerechtfertigt. Wegen einer Verschlimmerung der arteriellen Durchblutungserkrankung sei der GdB
insgesamt jedoch nunmehr mit 60 anzunehmen. Nach einer Stellungnahme des Dr. K. für den Beklagten vom 6.
November 1991 hat der Beklagte mit Neufeststellungsbescheid vom 21. November 1991 den Gesamt-GdB auf 40
angehoben. Die im Bescheid vom 29. Dezember 1988 benannte Behinderung zu 1) sei mit einem Einzel-GdB von 30
und die dort benannte Behinderung zu 2) nunmehr mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Das Sozialgericht hat
des weiteren ein orthopädisches Sachverständigengutachten bei Dr. E. (K.) in Auftrag gegeben. In diesem Gutachten
vom 8. Oktober 1992 kommt er zusammenfassend zu dem Ergebnis, daß der Gesamt-GdB 50 betragen müsse. Nach
Stellungnahme von Dr. von F. für den Beklagten vom 24. November 1992 und ergänzender Stellungnahme des Dr. E.
vom 20. Dezember 1992 hat der Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht Kassel
vom 20. April 1993 ohne Erhöhung des Gesamt-GdB als weitere Behinderung festgestellt: Degenerative Wirbelsäulen-
und Hüftgelenksveränderungen. Mit Urteil vom 20. April 1993 hat das Sozialgericht Kassel die Klage, soweit sie über
den Bescheid vom 21. November 1991 und das Anerkenntnis aus der mündlichen Verhandlung vom 20. April 1993
hinausgeht, abgewiesen. Zum Inhalt der Entscheidungsgründe wird auf das den Beteiligten bekannte Urteil verwiesen.
Gegen dieses dem Kläger am 4. Mai 1993 und dem Beklagten am 30. April 1993 zugestellte Urteil haben der Kläger
am 17. Mai 1993 und der Beklagte am 7. September 1993 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.
Der Kläger begehrt die Feststellung eines GdB von 50.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 20. April 1993 sowie den Bescheid des Beklagten
vom 29. Dezember 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Mai 1989, dieser in Gestalt des
Bescheides vom 21. November 1991 und des Anerkenntnisses des Beklagten vom 20. April 1993 hinsichtlich der
Höhe des GdB aufzuheben und die Anschlußberufung zurückzuweisen.
Der Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 20. April 1993 aufzuheben und die Klage
abzuweisen sowie die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil grundsätzlich für zutreffend. Er ist allerdings der Auffassung, daß
der Erlaß eines Anerkenntnisurteils im vorliegenden Fall nicht gerechtfertigt gewesen sei. Zum einen hätte er ein
derartiges Anerkenntnis in der mündlichen Verhandlung vom 20. April 1993 auf Grundlage der medizinischen
Erkenntnisse nicht abgeben dürfen. Darüber hinaus handele es sich bei dem Anerkenntnis lediglich um die
Feststellung von Diagnosen, die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts keinen Verfügungssatz im
Bescheid bilden könnten. Damit läge bereits kein Anerkenntnis an sich vor. Im übrigen sei das Anerkenntnis, da der
Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 20. April 1993 nicht anwesend gewesen sei, nicht unverzüglich
angenommen worden, so daß es als nicht mehr rechtlich existent angesehen werden müsse.
Wegen der weiteren Einzelheiten sowie zum Vorbringen der Beteiligten im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte
sowie den Inhalt der Verwaltungsakte des Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist,
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig, denn sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt sowie an sich
statthaft (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz –SGG–, § 4 Abs. 6 Schwerbehindertengesetz –SchwbG–). Die an keine
besonderen Zuständigkeitsvoraussetzungen gebundene unselbständige Anschlußberufung des Beklagten vom 7.
September 1993 ist ebenfalls statthaft (§ 202 SGG i.V.m. §§ 521, 522 ZPO).
Die Berufung des Klägers ist auch begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 20. April 1993 kann soweit es
die Herabsetzung des GdB betrifft keinen Bestand haben. Der Bescheid des Beklagten vom 29. Dezember 1988 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Mai 1988 und dieser in Gestalt des Neufeststellungsbescheides
vom 21. November 1991 sowie des Anerkenntnisses des Beklagten aus der mündlichen Verhandlung vom 20. April
1993 ist hinsichtlich der Höhe des GdB rechtswidrig. Der Kläger wird dadurch in seinen Rechten verletzt. Es hat bei
dem Bescheid vom 7. Februar 1986 zu verbleiben.
Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Bescheides vom 7. Februar 1986 durch den Neufeststellungsbescheid vom
29. Dezember 1988 war § 48 Sozialgesetzbuch 10. Buch (SGB 10). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die
Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlaß eines
Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Im Gegensatz zur
Auffassung des Beklagten ist eine derartige wesentliche Änderung im vorliegenden Fall nicht eingetreten.
Im Ausgangsbescheid vom 7. Februar 1986 wird als Behinderung eine Herzleistungsminderung nach Infarkt
festgestellt. Gestützt hatte der Beklagte diese Feststellung auf den Heilverfahrensentlassungsbericht des
Anschlußheilverfahrens in dem Herz- und Kreislaufzentrum XY. vom 30. Dezember 1985. Dort wird im Hinblick auf
das letzte durchgeführte Belastungs-EKG vom 21. November 1985 ein Abbruch nach drei Minuten bei 100 Watt
wegen peripherer Erschöpfung bei Erreichen einer Herzfrequenz von 136/Min., ohne Angina pectoris beschrieben.
Unter Berücksichtigung der Anhaltspunkte (vgl. Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen
Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz –AHP–, Herausgeber: Bundesminister für Arbeit und
Sozialordnung, Bonn 1983), an die der Senat zwar rechtlich nicht gebunden ist, die er aber im Interesse einer
Gleichbehandlung aller Betroffenen seiner ständigen Rechtsprechung im Schwerbehindertenrecht und sozialen
Entschädigungsrecht zugrunde legt, führt diese verbliebene Leistungsfähigkeit zu einem GdB von 30.
Unter Ziff. 26.9 der AHP (vgl. a.a.O., S. 66 und 67) wird ein GdB von 20 bis 40 bei Herzschäden mit
Leistungsbeeinträchtigung bei mittelschwerer Belastung, Beschwerden und Auftreten pathologischer Meßdaten bei
Ergometerbelastung mit 75 Watt (mindestens 3 Minuten) angegeben. Ausweislich des zuvor benannten Berichtes war
dem Kläger sogar eine Belastung bis zu 100 Watt unter Medikation mit Nifedipin und Abbruchs wegen peripherer
Erschöpfung zumutbar. Abschließend wird in diesem Bericht festgestellt, daß der Kläger bis zu einer 75 Wattstufe
dosierte Bewegungsübung und balneophysikalischen Maßnahmen beschwerdefrei toleriert habe. Damit kommt nach
den AHP ein GdB von 40, also am oberen Rand, bei dieser Belastbarkeitsstufe nicht in Betracht. Wegen des
Abbruchs bei peripherer Erschöpfung nach 3 Minuten 100 Wattbelastung ist jedoch über den unteren Rand eines GdB
von 20 hinauszugehen, so daß der eingangs benannte GdB von 30 leistungsangemessen ist. Auch im
Neufeststellungsbescheid vom 29. Dezember 1988 nimmt der Beklagte einen Einzel-GdB von 30 für die nunmehr
folgendermaßen bezeichnete Behinderung: Herzleistungsminderung bei coronarer Herzkrankheit mit Infarkt nach
Heilungsbewährung an. Dies wird durch das Gutachten des Dr. R. vom 31. August 1991 ebenfalls bestätigt. Er
begründet einen Einzel-GdB von 30 damit, daß bei der Fahrradergometrie die Ausbelastungsherzfrequenz bei 100
Watt fast erreicht werde. Wenn sich auch eine geringfügige Verschiebung in dem Nachaußentreten des Zustandes
und der Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen durch den Herzinfarkt zwischen 1986 und 1988 bzw. 1991
(Neufeststellungsbescheid vom 21. November 1991) ergeben haben mag, so ist der GdB unter Berücksichtigung der
Anhaltspunkte und der verbliebenen Leistungsfähigkeit des Klägers nach dem Herzinfarkt vom 30. September 1985
gleichbleibend mit 30 anzusetzen. Der höhere GdB im Ausgangsbescheid vom 7. Februar 1986 beruht damit nicht auf
der tatsächlich nach dem Herzinfarkt verbliebenen Leistungsbeeinträchtigung des Klägers, sondern auf der
Einräumung einer Heilungsbewährung. Diese ist nach Ziff. 26.9 (vgl. AHP, a.a.O., S. 67) für ein Jahr nach dem
Herzinfarkt vorgesehen. Insoweit heißt es in den AHP, daß nach einem Herzinfarkt die MdE-Bewertung vor allem
nach der verbliebenen Leistungsbeeinträchtigung zu erfolgen habe, allerdings sei ein Jahr der Heilungsbewährung
abzuwarten und während dieser Zeit, auch bei relativ geringer Leistungsbeeinträchtigung, die MdE um mindestens 50
v.H. anzunehmen. Eine derartige Vorgehensweise war dem Kläger jedoch aus dem Bescheidtext des Bescheides
vom 7. Februar 1986 nicht ersichtlich. Soll aber eine wesentliche Änderung angenommen werden, wegen Ablaufs der
Heilungsbewährung, so ist es notwendig, daß der Behinderte die Einräumung der Heilungsbewährung aus dem
Bescheid oder den begleitenden Umständen auch tatsächlich entnehmen kann. Ansonsten kann nicht von einer
wesentlichen Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB 10 ausgegangen werden.
Die Einräumung einer Heilungsbewährung wird vom Senat zwar nicht als zum Verfügungssatz gehörig angesehen, so
daß der Herabsetzungsbescheid, hier der Neufeststellungsbescheid vom 29. Dezember 1988 in der Fassung des
Bescheides vom 21. November 1991 und des Anerkenntnisses vom 20. April 1993, nicht bereits deswegen
rechtswidrig ist, weil der Beklagte eine derartige Verfügung gar nicht getroffen hat. Die Einräumung von
Heilungsbewährung ist vielmehr, wie der Senat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
und des Landessozialgerichts Berlin annimmt, Teil der Begründung des Bescheides (vgl. hierzu Entscheidung des
BSG vom 6. Dezember 1989 – 9 RVs 3/89, SozR 3870, § 4 SchwbG Nr. 3, S. 10, 11; Urteil des 13. Senats des LSG
Berlin vom 25. Februar 1992, S. 14 ff, so wohl auch Jäger, MdE und "Heilungsbewährung”, insbesondere bei
Krebserkrankungen – rechtliche Aspekte, MedSach 94, 47, 51). Ebensowenig wie es sich bei der Bezeichnung der
Behinderungen im Bescheid um einen Verfügungssatz handelt, ist dies bei der Einräumung der Heilungsbewährung
der Fall. In den Bescheiden der Versorgungsverwaltung werden nämlich in der Regel entgegen § 3 Abs. 1 SchwbG
nicht die Auswirkungen von nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigungen, die ihrerseits auf einem
regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruhen, angegeben, sondern es werden diese
Zustände mit medizinischen Diagnosen bezeichnet. Diesen Diagnosen, in den Bescheidtext übernommen, fehlt
jedoch der Entscheidungs- oder Regelungscharakter auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts. Sie stellen lediglich eine
Begründung der Entscheidung über die Höhe des GdB dar. Diese Funktion hat auch die Bezeichnung:
"Heilungsbewährung” in Ergänzung einer derartigen Diagnose im Bescheid. Im Gegensatz zu § 3 Abs. 1 SchwbG wird
nämlich bei der GdB-Bewertung aufgrund einer Auswirkung einer Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem
regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht, in Heilungsbewährung nicht die aktuelle
Auswirkung der Funktionsbeeinträchtigung bewertet, sondern ein Gesundheitszustand während eines gewissen
Zeitablaufs beschrieben. Der auf eine Heilungsbewährung gestützte GdB erlaubt keinen Rückschluß auf die
tatsächliche GdB-Bewertung von Anfang an bzw. die später erreichte GdB-Bewertung. In den Fällen der
Heilungsbewährung setzt die Versorgungsverwaltung unter Berücksichtigung der Anhaltspunkte vielmehr wegen der
Rezidivgefahr oder der Unklarheit der Belastung von Krankheiten für einen bestimmten Zeitraum einen höheren
Behinderungsgrad fest, als den, der der Auswirkung der Funktionsbeeinträchtigung entspricht. Ebenso wie eine
Verdachtsdiagnose, die nach Auffassung des 9. Senats des Bundessozialgerichts die Höhe der MdE beeinflussen
kann und in den Bescheid aufgenommen werden muß (vgl. Entscheidung des BSG vom 6. Dezember 1989, a.a.O., S.
10), gilt dies auch, wenn der Beklagte wegen der Heilungsbewährung einen höheren GdB annimmt, als – etwa bei
einem Herzinfarkt – dieser den tatsächlich verbliebenen Leistungsbeeinträchtigungen des Behinderten entspricht. Nur
bei Aufnahme in den Bescheidtext kann später von einer wesentlichen Änderung im Sinne des § 48 SGB 10
ausgegangen werden (vgl. insoweit Entscheidung des LSG Berlin, a.a.O., S. 12, Jäger, a.a.O., S. 51).
Dies bedeutet, daß die mangelnde Begründung der Höhe des GdB durch Benennung der Heilungsbewährung, zwar
nicht zur Rechtswidrigkeit des Ausgangsbescheides führt, dem steht insoweit auch § 41 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 35 SGB
10 entgegen. Unter Berücksichtigung des Empfängerhorizontes muß aber davon ausgegangen werden, daß bei
mangelnder Begründung des Ausgangsbescheides dem Adressaten eine wesentliche Änderung nach objektiven
Kriterien nicht ersichtlich sein kann bzw. nicht ersichtlich ist. Dies ist jedoch nach § 48 Abs. 1 SGB 10 für eine
Aufhebung wegen einer wesentlichen Änderung erforderlich. § 48 Abs. 1 SGB 10 knüpft nämlich ausschließlich an die
erkennbar gewordene Tatsachenlage an (vgl. insoweit Entscheidung des BSG vom 6. Dezember 1989, a.a.O., S. 12).
Dies gilt um so mehr, als der Senat mit dem 9. Senat des Bundessozialgerichts von einer besonderen
Begründungspflicht im Schwerbehindertengesetz ausgeht. Im Schwerbehindertenrecht ist der Begründungszwang
nämlich verstärkt und besonders im Gesetz hervorgehoben. Nach § 4 Abs. 1 SchwbG stellen die
Versorgungsbehörden nicht nur den GdB, sondern gerade auch das Vorliegen einer Behinderung fest. Die
festzustellende Behinderung ist damit, anders als bei sonstigen Begründungen, grundsätzlich nicht entbehrlich. Erst in
Verbindung mit dieser Feststellung wird der Verwaltungsakt, der die Höhe des GdB regelt, inhaltlich hinlänglich
bestimmt und nachprüfbar (vgl. Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 6. Dezember 1989, a.a.O., S. 11).
Anders als bei der dem Bundessozialgericht im Juni 1989 zur Entscheidung vorliegenden Fallgestaltung (a.a.O.)
wußte der Kläger im vorliegenden Fall nicht, warum der GdB im Ausgangsbescheid vom 7. Februar 1986 mit 50
festgesetzt wurde. Er konnte diesem Bescheid lediglich entnehmen, daß die GdB-Feststellung auf einer
Herzleistungsminderung nach Infarkt beruhte. Daß sich die Höhe des GdB wegen Abwartens der Heilungsbewährung
nach Ablauf der Heilungsbewährung mindern könnte, war für ihn damit nicht ersichtlich. Dies wurde ihm erst mit
Anhörungsschreiben vom 4. November 1988 mitgeteilt. Damit kann aber auch keine wesentliche Änderung durch
Ablauf der Heilungsbewährung im vorliegenden Fall angenommen werden. Der Gesundheitszustand des Klägers an
sich hat sich, wie eingangs bereits ausgeführt, abgesehen von dem Ablauf der Heilungsbewährung und dem
Hinzukommen weiterer Erkrankungen, im Hinblick auf die verbliebene Leistungsbeeinträchtigung nach Herzinfarkt,
nicht geändert.
Bereits aus diesem Grunde kann auch der Bescheid vom 29. Dezember 1988 nicht in einen solchen nach § 45 SGB
10 umgedeutet werden. Materiell-rechtlich war der Bescheid vom 7. Februar 1986 nicht von Anfang an rechtswidrig,
denn der Beklagte hatte zu Recht einen GdB von 50 während der Zeit der Heilungsbewährung angenommen. Im
übrigen gilt hier, daß die Frist des § 45 Abs. 3 SGB 10 bei Erteilung des Neufeststellungsbescheides vom 29.
Dezember 1988 bzw. zum Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senates bereits verstrichen war bzw. ist.
Die unselbständige Anschlußberufung des Beklagten ist unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 20.
April 1993 ist hinsichtlich des Urteilsausspruchs in form eines Anerkenntnisurteils nicht zu beanstanden. Der mit
Generalvollmacht des Beklagten ausgestattete Vertreter des Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung vor
dem Sozialgericht Kassel vom 20. April 1993 hat zur Niederschrift der mündlichen Verhandlung erklärt, daß er ohne
Erhöhung des Gesamt-GdB folgende Gesundheitsstörungen als Behinderungen bereit sei festzustellen: "Degenerative
Wirbelsäulen- und Hüftgelenksveränderungen”. Diese Erklärung wurde ihm vorgelesen und von ihm genehmigt. Einen
Anfechtungsgrund hinsichtlich dieses Anerkenntnisses hat der Beklagte nicht vorgetragen. Ein solcher ist dem Senat
auch nicht ersichtlich.
Soweit der Beklagte die Auffassung vertritt, daß ein nicht unverzüglich angenommenes Anerkenntnis rechtlich nicht
existent sei, vermochte der Senat dieser Rechtsauffassung nicht zu folgen. Ein von der Verwaltung abgegebenes
Anerkenntnis bindet diese, unabhängig davon, ob der Empfänger das Anerkenntnis annimmt oder nicht. Dies gilt erst
recht für ein vor Gericht abgegebenes Anerkenntnis, wenn zudem ein Anerkenntnisurteil ergeht.
Ebensowenig ist es für den Senat nachvollziehbar, wenn der Beklagte nunmehr vorträgt, daß sein autorisierter
Vertreter keinen Rechtsanspruch anerkannt hätte, denn er hätte lediglich Diagnosen als Behinderungen anerkannt und
damit ein Element der Begründetheit und nichts, was zum Verfügungssatz eines Bescheides gehöre. Auch dies
vermag nichts an der Prozeßhandlung des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 20. April 1993 zu ändern.
Es wird insoweit auf die vorangegangenen Ausführungen zur Begründetheit von Bescheiden im
Schwerbehindertenrecht und die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hierzu verwiesen. Im übrigen gilt,
daß der Beklagte an Prozeßerklärungen seiner Vertreter gebunden ist, sofern er rechtlich über den Gegenstand der
Prozeßerklärung disponieren kann. Dies ist vorliegend gegeben. Die Ausführungen des Beklagten im
Berufungsverfahren sind daher insoweit rechtlich bedeutungslos.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht gegeben sind.