Urteil des LSG Hessen vom 02.03.2004
LSG Hes: ukraine, erwerbsunfähigkeit, wartezeit, geistige behinderung, putzfrau, erfüllung, raumpflegerin, arbeitsmarkt, anfang, sicherheit
Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 02.03.2004 (rechtskräftig)
Sozialgericht Kassel S 8 RJ 1058/00
Hessisches Landessozialgericht L 2 RJ 407/02
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 13. Februar 2002 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Für die 1972 in der Ukraine geborene Klägerin ist ihre Prozessbevollmächtigte durch das Amtsgericht A-Stadt zur
Betreuerin bestellt. Der Aufgabenkreis umfasst u.a. die Geltendmachung von Ansprüchen auf Rente.
Bei der Klägerin wurde seit früher Kindheit eine geistige Unterentwicklung festgestellt und sie befand sich seit 1978 in
psychiatrischer Behandlung. Seit 1. Februar 1991 bezog sie in der Ukraine wegen der seit Kindheit gegebenen
Behinderung Invalidenrente der Invaliditätsgruppe II (mittelschwere Behinderung) des insgesamt 3-stufigen Systems
der Eingruppierung. Bis zur Vollendung ihres 16. Lebensjahres besuchte die Klägerin eine Sonderschule. Für die Zeit
nach dem 1. September 1988 enthält ihr Arbeitsbuch Eintragungen über eine Beschäftigung als Putzfrau in der Zeit
vom 1. September bis 21. November 1988, vom 3. Dezember 1990 bis 17. Dezember 1993 (0,5 Stelle), als Sanitäterin
vom 3. Januar bis 12. Februar 1994 und wieder als Putzfrau vom 15. Februar 1994 bis 30. April 1998. Darüber hinaus
hat die Klägerin eine Bescheinigung der kommerziellen Industrie Investbank AG der X. vom 20. Mai 1998 über eine
Beschäftigung in der Zeit vom 19. August 1994 bis 21. April 1998 für monatlich 70 Grivny vorgelegt. Hinsichtlich der
beruflichen Tätigkeit der Klägerin hat ihre vom Sozialgericht als Zeugin gehörte Mutter ergänzt, die erste Tätigkeit als
Putzfrau in einer Sonderschule sei zu schwer gewesen. Anschließend habe sie 2 Jahre lang keine Arbeit gefunden.
Sie habe ihrer Tochter dann doch eine Putzstelle in einem kleinen Friseursalon verschaffen können. Die Friseurin sei
zwar mit der Arbeitsleistung nicht so zufrieden gewesen. Insgesamt habe die Tochter dort 8 Jahre bis zum Wegzug in
die Bundesrepublik Deutschland gearbeitet. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf Angaben der Mutter der Klägerin
(Anlage zur Sitzungsniederschrift des Sozialgerichts vom 2. Mai 2001) und im neuro-psychiatrischen Gutachten vom
25. Juli 2001 der Frau Dr. C. (Bl. 14) Bezug genommen. Ergänzend hat die Klägerin einen Lohnnachweis für die Jahre
1992 bis 1998 übersandt und mitgeteilt, dass sie neben den normalen Lohnzahlungen auch am Trinkgeld beteiligt
gewesen sei.
Seit 29. Mai 1998 hat die Klägerin ihren ständigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Sie ist als
Spätaussiedlerin nach § 4 des Bundesvertriebenengesetzes anerkannt (Bescheinigung der Flüchtlingsdienststelle des
H-Kreises vom 10. August 1998). Am 28. Juli 1998 wurde die Klägerin in der neurologischen Ambulanz der D., D-
Stadt, untersucht und die Diagnose einer Minderbegabung bei frühkindlichem Hirnschaden gestellt.
Unter Vorlage eines Befundberichts vom 2. November 1998 des Internisten Dr. E. und des Arztbriefes der
neurologischen Ambulanz vom 29. Juli 1998 beantragte die Klägerin am 22. Oktober 1998 bei der Beklagten die
Gewährung von Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit. In ihrer Stellungnahme nach Aktenlage vom 14.
Januar 1999 führte die medizinische Beraterin der Beklagten, Frau Dr. F., aus, es handele sich bei der Klägerin um
eine geistige Behinderung, die seit Geburt bestehe. Die Klägerin habe in der ehemaligen UdSSR seit 1991 eine
Invaliditätsrente erhalten; die angegebene Berufstätigkeit als Raumpflegerin ganztägig habe sie mit Hilfe der Mutter
verrichten können. Daraufhin lehnte die Beklagte den Rentenantrag der Klägerin mit Bescheid vom 22. Januar 1999
ab, weil die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Die Klägerin sei schon bei Eintritt ins
Erwerbsleben erwerbsunfähig gewesen; auch ein Rentenanspruch nach § 44 Abs. 3 Sozialgesetzbuch (SGB) VI sei
nicht gegeben. Der dagegen erhobene Widerspruch wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 11. Juli 2000
zurückgewiesen. Die Klägerin sei bereits zum Zeitpunkt der Aufnahme ihrer Tätigkeit als Putzfrau am 1. September
1988 erwerbsunfähig gewesen. Sie habe damit Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erst, wenn sie die
Wartezeit von 20 Jahren erfüllt habe (§ 44 Abs. 1 SGB VI a.F). Bisher seien jedoch nur 7 Jahre und 8
Kalendermonate Beitragszeit nachgewiesen.
Die Klägerin erhob dagegen am 21. Juli 2000 beim Sozialgericht Kassel Klage. Sie legte einen Leistungsbescheid des
Arbeitsamtes G. zur beruflichen Eingliederung Behinderter vom 25. April 2000 vor, ferner Lohnnachweise für die Jahre
1992 bis 1998. Es habe sich im Laufe des Verfahrens bestätigt, dass sie niemals gemeinsam mit ihrer Mutter eine
Stellung als Reinigungskraft inne gehabt habe. Bei der ersten Arbeitsstelle habe ihr lediglich in den Abendstunden die
Mutter geholfen, um zu gewährleisten, dass sie die Arbeit schaffte. Den zweiten Arbeitsplatz, den sie im Alter von 18
Jahren bekommen habe, habe sie 8 Jahre hindurch ohne Hilfe der Mutter bewältigen können. Dies lasse darauf
schließen, dass sie sehr wohl zu dieser Zeit - sicherlich mit Einschränkungen - erwerbsfähig gewesen sei und nach
entsprechender Anleitung, einfachste Tätigkeiten habe erledigen können. Dies sei heute nicht mehr der Fall, so dass
die Voraussetzungen für eine Erwerbsunfähigkeitsrente gegeben seien. Die Beklagte verblieb demgegenüber bei ihrer
Auffassung, dass unter Berücksichtigung einer erheblichen geistigen und körperlichen Retadierung eine regelmäßige
Tätigkeit unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes in Deutschland mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit nicht möglich geworden wäre. Die Klägerin habe weder derzeit noch in der Vergangenheit
verantwortlich oder eigenständig arbeiten können. Die Bedingungen, die offensichtlich in der Ukraine eine Tätigkeit als
Putzfrau in einem kleinen Friseurgeschäft ermöglicht hätten, seien auf die Bedingungen des allgemeinen
Arbeitsmarktes in Deutschland nicht übertragbar. Die Beklagte hat noch einen Versicherungsverlauf vom 24.
Dezember 2000 zu den Akten gereicht.
Das Sozialgericht zog die Akte der Klägerin vom Arbeitsamt G. bei, holte Befundberichte ein von dem Internisten Dr.
E. vom 5. November 2000 mit Arztbrief der C. vom 29. Juli 1998 und der Frau Dr. H., Amtsärztlicher Dienst beim H-
Kreis vom 8. November 2000 und erhob Beweis durch Vernehmung der Mutter der Klägerin als Zeugin, weswegen auf
die Anlage zur Sitzungsniederschrift vom 2. Mai 2001 verwiesen wird. Anschließend erhob das Sozialgericht noch
Beweis durch Einholung eines neuropsychiatrischen Gutachtens vom 25. Juli 2001 der Frau Dr. C ... Nach den
Feststellungen der Sachverständigen leidet die Klägerin an einer geistigen Behinderung auf intellektuellem und
affektiv-emotionalem Gebiet. Aus neuro-psychiatrischer Sicht sei sie nicht in der Lage, Tätigkeiten von
wirtschaftlichem Nutzen zu verrichten. Die Klägerin befinde sich aktuell im zweiten Jahr in einer Werkstatt für
Behinderte in J ... Das festgestellte Leistungsvermögen habe aus neuro-psychiatrischer Sicht bereits länger als 3
Kalendermonate vor Rentenantragstellung bestanden. Die Aussage, dass die angegebene Berufstätigkeit als
Raumpflegerin ganztägig mit Hilfe der Mutter verrichtet wurde, könne in dieser Form nicht gestützt werden. Eine
begründete Aussicht auf Besserung des Gesundheitszustandes der Klägerin mit Auswirkung auf die Anpassungs- und
Umstellungsfähigkeit sei nicht gegeben.
Durch Urteil vom 13. Februar 2002 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen
aus, die Klägerin habe zwar die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren unter Berücksichtigung der in der Ukraine
zurückgelegten Zeiten aufzuweisen. Aus dem eindeutigen Wortlaut des § 44 Abs. 1 Satz 3 SGB VI folge jedoch, dass
die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit zeitlich vor dem Eintritt der Erwerbsunfähigkeit vorgelegen haben müsse. Die
Klägerin habe zwar in der Ukraine in einem Friseurgeschäft gearbeitet und grundsätzlich komme einer tatsächlichen
Berufsausübung in der Regel ein stärkerer Beweiswert zu als sonstigen Umständen, jedoch könne im vorliegenden
Fall nicht unbeachtet bleiben, dass die Klägerin ausweislich der eingeholten Befundberichte sowie insbesondere des
neurologisch-psychiatrischen Sachverständigengutachtens bereits seit ihrer Kindheit unter einer erheblichen geistigen
und körperlichen Retadierung leide, die eine regelmäßige Tätigkeit unter Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes
in Deutschland mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unmöglich gemacht hätte. Voraussetzung dafür, dass
eine tatsächliche Arbeitsleistung die von medizinischen Sachverständigen angenommene Berufs- bzw.
Erwerbsunfähigkeit widerlegen könne, sei eine Arbeitsleistung als Ausdruck eines echten Leistungsvermögens. Auch
nach der Zeugenaussage der Mutter sei nach Auffassung der Kammer davon auszugehen, dass die Klägerin nicht als
vollwertige Arbeitskraft gearbeitet habe. Bei der Arbeitsstelle habe es sich um ein Entgegenkommen gehandelt,
welches u.a. aufgrund des Umstandes, dass es in den ehemaligen sozialistischen Staaten offiziell keine
Arbeitslosigkeit gegeben habe und somit auch für schwerbehinderte Menschen Beschäftigungen ermöglicht wurden,
die einigermaßen vergleichbar mit den Tätigkeiten von Behinderten in sog. Behindertenwerkstätten in der
Bundesrepublik Deutschland seien. Wenn man berücksichtige, dass das Fremdrentengesetz eine Integration von
Vertriebenen und Flüchtlingen in die deutsche Sozialversicherung im Sinne einer Eingliederung bewerkstelligen solle,
so heiße dies doch zugleich, dass durch die Anwendung des Fremdrentengesetzes keine Besserstellung von
Flüchtlingen und Vertriebenen gegenüber bundesdeutschen Versicherten erfolgen solle. Ebenso wie ein originärer
bundesdeutscher Versicherter, der unter den gleichen Bedingungen, die die Klägerin aufweise, ebenfalls nicht in den
Genuss einer Erwerbsminderungsrente hat kommen können, da er aufgrund seiner Behinderungen auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt der Bundesrepublik Deutschland niemals eine Anstellung gefunden hätte, könne die
Klägerin nicht dadurch in den Genuss einer Rente gelangen, dass ihr eine Arbeitsleistung in der Ukraine ermöglicht
worden sei. Bei der Tätigkeit der schwer geistig und körperlich retardierten Klägerin, die unter den besonderen
Umständen eines sozialistischen Landes beschäftigt gewesen sei, habe es sich nach der Überzeugung der Kammer
um keine vollwertige Arbeitsleistung gehandelt, der ein höherer Beweiswert zukomme als den Feststellungen der
Gerichtssachverständigen. Die Klägerin sei von Anfang an nicht in der Lage gewesen, einer regelmäßigen Tätigkeit
nachzugehen bzw. auch nur 2 Stunden leichte Tätigkeiten täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Es
könne kein Leistungsfall festgelegt werden, da davon ausgegangen werden müsse, dass sie von Anfang am
erwerbsunfähig gewesen sei, als sie die Tätigkeit als Putzfrau in dem Friseurgeschäft aufgenommen habe. Für eine
weitere Befragung der Mutter der Klägerin zum Gesundheitszustand während der Beschäftigungszeit in der Ukraine
habe das Sozialgericht mangels Substantiierung keine Veranlassung gesehen.
Gegen das ihr am 14. März 2002 zugestellte Urteil richtet sich die von der Klägerin am 12. April 2002 eingelegte
Berufung. Die Klägerin trägt vor, zum Zeitpunkt der Arbeitsaufnahme als Reinemachefrau im Jahre 1988 sei sie
erwerbsfähig gewesen, sicher mit Einschränkungen aufgrund ihres Krankheitsbildes. Sie habe selbständig ihre
Arbeitsstätte aufgesucht und ohne Hilfe und Unterstützung, insbesondere im Friseursalon und in einer Bank, über 8
Jahre gearbeitet. Die Arbeit sei auch wirtschaftlich verwertbar gewesen und habe dem Tätigkeitsfeld einer
Reinemachefrau entsprochen. Ohnehin sei bisher unberücksichtigt geblieben, dass sie zur gleichen Zeit neben der
Putzstelle im Friseursalon noch eine weitere bei einer Bank inne gehabt habe. In diesem Zusammenhang hat die
Klägerin eine Bescheinigung der Kommerziellen Industrieinvestbank AG der X. vom 20. Mai 1998 über ihre dortige
Beschäftigung vom 19. August 1994 bis 21. April 1998 zu den Akten gereicht. Eine wesentliche Verschlechterung im
Gesundheitszustand sei mit dem Wechsel der Übersiedlung nach Deutschland eingetreten. Dies habe die als Zeugin
gehörte Mutter der Klägerin beschrieben. Auf dieses Problem sei auch die Sachverständige Frau Dr. C. nicht
eingegangen. Die Einstufung in die Invaliditätsgruppe II sei wegen bedingter Erwerbsfähigkeit erfolgt. Jedoch gebe es
zahlreiche Ausnahmen, so auch in ihrem Fall, denn sie habe 8 Jahre als Raumpflegerin gearbeitet. Dabei hätten die
Arbeitsbedingungen denen des hiesigen Arbeitsmarktes entsprochen und sie hätte auch in Deutschland in einer Bank
oder einem Friseursalon als Putzfrau arbeiten können. Erst bei einer Zuordnung zur Gruppe I sei von einer
tatsächlichen Erwerbsunfähigkeit auszugehen, wie sich aus der vom Senat eingeholten Auskunft des Instituts für
Ostrecht e.V. (IOM) vom 27. November 2002 herleiten lasse. Mit der Invaliditätsgruppe II habe sie lediglich niedere
Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erledigen können, die schlechter bezahlt worden seien. In den
übersandten Mitteilungen des Ministeriums der Sozialversicherung der Ukrainischen SSR werde auch letztlich
bestätigt, dass sie Tätigkeiten einer Raumpflegerin sowie Hilfsarbeiten als Sanitäterin ausgeübt habe und die
Tätigkeiten auch anerkannt gewesen seien.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß), das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 13. Februar 2002 aufzuheben und die
Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22. Januar 1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juli
2000 zu verurteilen, ihr ab 1. November 1998 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise, Rente wegen
Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Ausweislich des übersandten Versicherungsverlaufs vom 4.
Dezember 2000 sei dort neben der Tätigkeit als Reinemachefrau im Friseurgeschäft auch die der Bank als
Mehrfachbeschäftigung festgestellt. Schließlich spreche der Bezug einer Rente der Invalidität der Kindheit der 2.
Gruppe seit 1. Februar 1991 dafür, dass die Klägerin von Anfang an gesundheitlich nicht in der Lage gewesen sei,
eine leichte und einfachste Erwerbstätigkeit auf Dauer unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes in
Deutschland durchzuführen. Bei Invaliden der Gruppe II habe entweder dauernde völlige Arbeitsunfähigkeit vorgelegen
oder ein Zustand, in dem bestimmte Tätigkeiten nur unter speziell geschaffenen Bedingungen möglich gewesen seien.
Bei der Klägerin habe schon bei Eintritt in die Versicherung Erwerbsunfähigkeit vorgelegen. Die Vorschrift des § 43
Abs. 6 SGB VI eröffne Versicherten, die bei Eintritt in das Erwerbsleben bereits voll erwerbsgemindert waren oder die
vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert wurden, den Zugang zu einer Rente wegen voller
Erwerbsminderung entsprechend dem bisherigen Recht (§ 44 Abs. 3 SGB VI a.F.) allerdings erst nach einer Wartezeit
von 20 Jahren (240 Kalendermonaten).
Auf Veranlassung des Senats hat die Klägerin den ihr vorliegenden Auszug aus der Patientenkartei der Stadtklinik Nr.
7 K., Gebiet K., vom 20. Februar 2002 zu den Akten gereicht, ferner eine Kostenzusage des LWV Hessen vom 12.
Februar 2002, betreffend die Aufnahme im Arbeitsbereich der Waberner Werkstätten und ärztliche Mitteilungen aus
der Ukraine, die im Rahmen jährlicher Untersuchungen der Klägerin erstellt wurden. Weiter hat der Senat noch eine
Auskunft des IOR vom 27. November 2002 betreffend die Zuordnung der Klägerin zur "Invalidität der 2. Gruppe" und
deren Voraussetzungen eingeholt. Der die Klägerin seit 1988 behandelnde Arzt Dr. E. hat Befundunterlagen übersandt
(Arztbrief der neurologischen Ambulanz der D-klinik vom 27. Juli 1998 und arbeitsmedizinisches Gutachten vom 13.
Dezember 1999). Weiter wurden Akten der Klägerin beigezogen vom Versorgungsamt G. und dem
Landeswohlfahrtverband G ... Schließlich hat der Senat noch eine neuro-psychiatrische Stellungnahme der Frau Dr. C.
vom 12. Januar 2004 nach Aktenlage veranlasst, ob sich unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich erfolgten
weiteren Ermittlungen gegenüber dem Gutachten vom 25. Juli 2001 Änderungen bzw. eine abweichende Beurteilung
ergibt. Nach Auffassung der Sachverständigen liegt bei der Klägerin seit Rentenantragstellung (22. Oktober 1998)
Leistungsunfähigkeit auf Dauer vor, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch schon vorher bestanden
hat.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 2. März 2004 war die Klägerin trotz ordnungsgemäßer Ladung weder
erschienen noch vertreten.
Zur Ergänzung des Tatbestandes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird Bezug genommen auf den
Inhalt der Gerichts- und Beklagtenakte, die vorgelegen haben.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte den Rechtsstreit trotz Ausbleibens der Klägerin bzw. ihrer Prozessbevollmächtigten im Termin zur
mündlichen Verhandlung entscheiden, da die Ladung einen entsprechenden Hinweis enthielt.
Die Berufung der Klägerin ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat mit dem angefochtenen Urteil zutreffend entschieden, dass der Klägerin kein Anspruch auf
Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit zusteht. Der angefochtene Bescheid vom 22. Januar 1999 in Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 2000 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Klägerin war bereits vor
Aufnahme einer Tätigkeit in der Ukraine erwerbsunfähig und sie hat die erforderliche Wartezeit von 20 Jahren mit
anrechenbaren Zeiten nach § 44 Abs. 3 Sozialgesetzbuch (SGB) VI nicht erfüllt.
Der geltend gemachte Anspruch richtet sich noch nach den §§ 43, 44 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000
geltenden Fassung, da er auch Zeiten vor diesem Zeitpunkt erfasst. Die am 1. Januar 2001 geltende Neuregelung
durch das Gesetz zur Reform der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 (BGBl. I,
1827) ist allerdings heranzuziehen, soweit ein Anspruch am 31. Dezember 2000 nicht bestand, aber für die
nachfolgende Zeit in Betracht kommt. Nach den §§ 43 Abs. 1, 44 Abs. 1 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000
geltenden Fassung haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen
Berufsunfähigkeit/Erwerbsunfähigkeit, wenn sie 1. berufs- bzw. erwerbsunfähig sind, 2. in den letzten 5 Jahren vor
Eintritt der Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit 3 Jahre Pflichtbeitragszeiten haben (so genannte 3/5 Belegung) und 3. vor
Eintritt der Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Nach § 44 Abs. 2 Satz 1 SGB VI sind erwerbsunfähig Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht
absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt
oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das 1/7 der monatlichen Bezugsgröße übersteigt. Nach § 50 Abs.1 SGB VI
beträgt die allgemeine Wartezeit für einen Rentenanspruch 5 Jahre. Für die Erfüllung sind auch Fremdrentenzeiten
gemäß §§ 15, 16 FRG zu berücksichtigen (§ 55 Abs. 1 SGB VI). Die Versicherungszeiten können jedoch nur auf die
allgemeine Wartezeit angerechnet werden, wenn der Versicherungsfall nicht bereits vorher eingetreten ist und sich das
versicherte Risiko nicht bereits verwirklicht hat. Für einen Bestandsschutz der der Klägerin in der ehemaligen
Sowjetunion gewährten Invalidenrente im bundesdeutschen Recht gibt es keine Grundlage.
Unter Beachtung dieser Vorgaben hat das Sozialgericht in den Gründen seiner Entscheidung zutreffend dargelegt,
dass die von der Klägerin in der Ukraine zurückgelegten Versicherungszeiten nicht für die Erfüllung der Wartezeit in
Sinne der §§ 43, 44 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI a. F. berücksichtigt werden können, weil die Klägerin niemals erwerbsfähig
war bzw. sein konnte. Der Senat bezieht sich zur Vermeidung von Wiederholungen auf dessen Entscheidungsgründe
(§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG –), denen er sich anschließt.
Auch im Berufungsverfahren sind keine Gesichtspunkte aufgetreten, die zu einer anderen Beurteilung Anlass geben
können. Die Klägerin bezog in der Ukraine bereits seit 1. Februar 1991 eine Rente nach der Invaliditätsgruppe II. Nach
der vom Senat eingeholten Rechtsauskunft des IOR vom 27. November 2002 bedeutet die Invalidität der Gruppe II
"eine stark ausgeprägte Funktionsstörung, die jedoch nicht die Notwendigkeit ständiger fremder Hilfe (Pflege oder
Beaufsichtigung) bedingt, die aber entweder zur völligen dauerhaften Arbeitsunfähigkeit führt oder zu einem Zustand,
in dem bestimmte Tätigkeiten nur unter speziell geschaffenen Bedingungen möglich sind." Wenn die Klägerin damit in
der ehemaligen Sowjetunion Tätigkeiten unter dortigen Arbeitsbedingungen auf einem ihr angepassten Arbeitsplatz
verrichten konnte, die auch in ihrem früheren Arbeitsbuch vermerkt wurden, ist damit nicht bewiesen, dass sie als
Erwerbsfähige im Rahmen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung Arbeiten von wirtschaftlichen Wert verrichten
konnte. Vielmehr war die Klägerin aufgrund ihrer schweren geistigen Behinderung überhaupt nicht in der Lage, eine
Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten, wobei auf bundesdeutsche Standards und nicht die
Besonderheiten im Herkunftsgebiet abzustellen ist. Schon zum Zeitpunkt der Entlassung aus der Sonderschule in der
Ukraine war ihre Behinderung so ausgeprägt, dass sie selbst die grundlegenden Kulturtechniken wie Rechnen,
Schreiben und Lesen nicht erlernen konnte. Das erhebliche Ausmaß der geistigen Behinderung unter Zugrundelegung
der erheblichen, hirnorganisch bedingten Leistungsdefizite lag von Anfang an vor und eine wesentliche
Verschlechterung der gesundheitlichen Situation ist nicht erst nach der Übersiedlung nach Deutschland eingetreten.
Dies folgt zur Überzeugung des Senats aus Art und Umfang der sachverständig festgestellten Behinderungen. Der
Zustand wurde von der Sachverständigen Frau Dr. C. in ihrer neuro-psychiatrischen Stellungnahme nach Aktenlage
vom 12. Januar 2004 nochmals dargestellt und umfassend gewürdigt. Der Senat folgt dieser überzeugenden
Beurteilung. Die Sachverständige hat dazu die im Anschluss an ihr für das Sozialgericht erstelltes Gutachten vom 25.
Juli 2001 beigezogenen Befundunterlagen und das weitere Vorbringen der Klägerseite gewürdigt. Für eine
abweichende Auffassung lagen keine nachvollziehbaren organpathologischen Gründe vor. Soweit sich nach ihrer
Umsiedelung nach Deutschland bei der Klägerin zusätzliche Probleme eingestellt haben, die im Sprach- und
Kulturwechsel anzusiedeln sind, ist dies nach sachverständiger Feststellung kein Hinweis dafür, dass die Klägerin
erst mit ihrer Umsiedlung in die Bundesrepublik Deutschland erwerbsunfähig geworden ist. Auf der Grundlage der
Angaben zu den von der Klägerin ausgeübten Beschäftigungen und dem vorgegeben Leistungsunvermögen war die
Klägerin in ihrem Leben – im rechtlichen Sinne – zuvor niemals erwerbsfähig. Den in der ehemaligen Sowjetunion
unter besonderen Bedingungen verrichteten Tätigkeiten, kommt dabei auch nach Auffassung des Senats kein
gegenteiliger Beweiswert zu, zumal – abgesehen von der Hilfestellung der Mutter der Klägerin – die besonderen
Arbeitsbedingungen in ehemaligen sozialistischen Staaten zu berücksichtigen sind, in denen es offiziell keine
Arbeitslosigkeit gab und auch schwerbehinderte Menschen in Beschäftigungsverhältnissen geführt wurden, die – wenn
überhaupt – in der Bundesrepublik in Behindertenwerkstätten arbeiten würden. Dabei verkennt der Senat nicht, dass
auch ein Behinderter das ihm verbliebene Leistungsvermögen erwerbswirtschaftlich nutzen und damit Arbeitsentgelt
erzielen kann (BSG, Urteil vom 23.4.1990, 5 RJ 50/88). Jedoch kann eine unbesehene Übernahme solcher im
Arbeitsbuch notierten "Beschäftigungszeiten" als Versicherungszeiten in das bundesdeutsche
Rentenversicherungssystem schon aus Gründen der Gleichbehandlung gegenüber bundesdeutschen Versichten nicht
erfolgen. Für die Klägerin wird der Zugang zu einer Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 6 SGB VI (früher:
§ 44 Abs. 3 SGB VI a. F.) erst nach einer Wartezeit von 20 Jahren eröffnet, die noch nicht erfüllt ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da es an den Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG
fehlt.