Urteil des LSG Hessen vom 18.02.1998

LSG Hes: arbeitslosenhilfe, pfändung, unterhalt, form, stadt, berechtigter, auszahlung, sozialhilfe, beschlagnahme, verwaltungsakt

Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 18.02.1998 (rechtskräftig)
Sozialgericht Kassel S 7 Ar 154/96
Hessisches Landessozialgericht L 6 AL 859/96
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 17. Juni 1996 wird
zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Es geht in dem Rechtsstreit um die Berechtigung der Beklagten zur teilweisen Einbehaltung und Abführung von
Arbeitslosenhilfe aufgrund eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses.
Der 1956 geborene Kläger steht seit Jahren mit Unterbrechungen im Leistungsbezug bei der Beklagten.
Mit Pfändungs- und Überweisungsbeschluß vom 24. September 1991 pfändete das Amtsgericht Kassel (261 M
4426/91) die Forderung des Klägers gegen das Arbeitsamt K. auf Arbeitslosengeld/Arbeitslosenhilfe bis zur
Abdeckung eines Unterhaltsrückstandes in Höhe von DM 43.030,41 nebst laufendem monatlichen Unterhalt in Höhe
von DM 676.–. Vollstreckbare Titel waren Urkunden des Kreisjugendamtes Kassel vom 22.12.1980 (UR 89/1980,
88/1980), des Stadtjugendamtes Kassel vom 4.1.1985 (UR 6/1985, 5/1985) sowie Beschlüsse des Amtsgerichts
Hofgeismar vom 31.1.1989 – (2 H 171/88) und vom 5.7.1989 – (2 H 170/88). Als pfandfreier Betrag wurde DM 772,50
ausgewiesen. Ausweislich der Aufstellung der Beklagten vom 29. November 1996 wurden insgesamt DM 6.100,90
einbehalten und an die Gläubiger abgeführt.
Mit Bescheid vom 26. Mai 1995 bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosenhilfe in Höhe von wöchentlich DM
203,40 bis zum 5. September 1995 bei einem wöchentlichen Abzweigungsbetrag in Höhe von DM 25,08. Mit Bescheid
vom 18. September 1995 bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosenhilfe vom 6.9.1995 bis 5.9.1996 in Höhe von
wöchentlich DM 206,40 bei einem wöchentlichen Abzweigungsbetrag in Höhe von DM 28,08. Beide Bescheide wurden
bestandskräftig.
Mit Bescheid vom 15. Januar 1996 änderte die Beklagte den wöchentlichen Leistungssatz ab 1. Januar 1996
entsprechend Leistungsverordnung 1996 auf DM 214,20 bei gleichbleibendem Abzweigungsbetrag in Höhe von DM
28,08. Mit Bescheid vom 18. Januar 1996 hat die Beklagte, nachdem der Kläger die Lohnsteuerkarte 1996 mit einem
halben Kinderfreibetrag vorgelegt hatte, unter Berücksichtigung des erhöhten Leistungssatzes bei gleichbleibendem
Abzweigungsbetrag den Leistungssatz ab 1. Januar 1996 auf DM 230,40 erhöht. Gegen die Abzweigung hat der
Kläger am 23. Januar 1996 Widerspruch eingelegt mit dem Hinweis, daß er seit 7. Februar 1995 verheiratet sei. Mit
Bescheid vom 25. Januar 1996 hat die Beklagte den wöchentlichen Abzweigungsbetrag für die Zeit ab 15. Januar
1996 auf DM 52,14 erhöht. Mit Widerspruchsbescheid vom 1. Februar 1996 verwarf die Beklagte den Widerspruch als
unzulässig, da die verfahrenstechnisch als Abzweigung vorgenommene Ausführung der Pfändung keinen
Verwaltungsakt darstelle, sondern lediglich die Erfüllung ihrer Verpflichtung als Drittschuldnerin ohne hoheitlichen
Charakter sei. Ausgehend von dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluß vom 24. September 1991 mit einem zu
belassenden Betrag in Höhe von DM 772,50 monatlich ergebe sich die Höhe des pfändbaren Betrages mit DM 28,08
und ab 15. Januar 1996 mit DM 52,14.
Die hiergegen am 5. Februar 1996 erhobene Klage hat das Sozialgericht Kassel mit Gerichtsbescheid vom 17. Juni
1996 abgewiesen im wesentlichen mit der Begründung, die Beklagte sei nicht befugt, über die in § 54 SGB I
genannten Pfändungsvoraussetzungen selbst zu entscheiden. Die Wirkung eines Pfändungs- und
Überweisungsbeschlusses bleibe nach § 836 Abs. 2 ZPO ungeachtet seiner möglichen Unzulässigkeit solange
bestehen, bis er aufgehoben werde und die Aufhebung zur Kenntnis des Drittschuldners – hier des Leistungsträgers –
gelange (vgl. BSG in SozR 3-1200 § 54 SGB I). Es hätte dem Kläger oblegen, beim Amtsgericht die Abänderung
geltend zu machen.
Gegen den ihm am 20. Juni 1996 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 1. Juli 1996 Berufung eingelegt
und vorgetragen, daß er von dem ihm belassenen Betrag bei einer Miete von DM 600,– mit seiner Ehefrau nicht leben
könne. Es sei unlogisch, daß der Landkreis Unterhalt einklage, obwohl er im Gegenzug teilweise Sozialhilfe der Stadt
Kassel beziehe.
Der im Termin am 18. Februar 1998 nicht anwesende und nicht vertretene Kläger beantragt sinngemäß, den
Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 17. Juni 1996 aufzuheben, sowie die Bescheide der Beklagten vom
15. Januar 1996, vom 18. Januar 1996 und vom 25. Januar 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1.
Februar 1996 insoweit aufzuheben, als darin ein Abzweigungsbetrag enthalten ist.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Die Beklagte bezieht sich auf den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid und hat eine Aufstellung über die an die
Gläubiger in der Zeit vom 30. September 1991 bis 5. September 1996 zu Lasten des Klägers einbehaltenen und
abgeführten Beträge – insgesamt DM 6.100,90 – vorgelegt.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten
ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt, § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Berufung ist auch zulässig.
Die Berufung ist jedoch unbegründet.
Der angefochtene Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 17. Juni 1996 ist rechtsfehlerfrei.
Die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 15. Januar 1996, vom 18. Januar 1996 und vom 25. Januar 1996 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Februar 1996 sind zu Recht ergangen.
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Auszahlung der vollen Arbeitslosenhilfe ohne Abzug der
gepfändeten Anteile, die in den angefochtenen Bescheiden als Abzweigung kenntlich gemacht sind. Zutreffend hat die
Beklagte auf den Pfändungs- und Überweisungsbeschluß des Amtsgerichts Kassel vom 24. September 1991 die dem
Kläger zustehende Arbeitslosenhilfe insoweit einbehalten und an die Gläubiger abgeführt, als der im Beschluss
festgesetzte pfandfreie Betrag in Höhe von DM 772,50 überschritten war, §§ 54 SGB I, 828, 829 Abs. 1 Satz 1, 835
Abs. 1, 836 Abs. 2, 850 bis 850 f ZPO.
Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der erkennende Senat auf die Entscheidungsgründe des
erstinstanzlichen Urteils, § 153 Abs. 2 SGG.
Es ist noch zu ergänzen, daß auch die im Urteil des BSG vom 12. Juni 1992 (s.O.) erörterte Frage, ob der
Leistungsträger ggf. verpflichtet sei, bei Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte selbst beim Vollstreckungsgericht
Erinnerung einzulegen, zu keinem abweichenden Ergebnis hinsichtlich des Streitgegenstandes führen kann. Durch die
Pfändung einer Geldforderung tritt die Beschlagnahme (Verstrickung) der Forderung ein (hier der DM 772,50 monatlich
übersteigende Betrag). Solange der Pfändungsbeschluß des Vollstreckungsgerichts nicht geändert bzw. aufgehoben
ist, ist es der Beklagten untersagt, den von der Pfändung erfaßten Teil der Forderung an den Kläger auszuzahlen, der
Schuldner ist nicht mehr berechtigter Zahlungsempfänger und darf nicht mehr Zahlung an sich verlangen; eine
entsprechende Klage wird teils als unzulässig, teils als unbegründet angesehen (vgl. Baumbach/Hartmann, ZPO, 53.
Aufl. § 835, 5 B). Daß gegen den Beschluss des Vollstreckungsgerichts möglicherweise mit Erfolg Erinnerung
eingelegt werden könnte (durch wen auch immer), ändert an dieser Wirkung der Pfändung nichts. Im übrigen war der
Kläger spätestens durch Schriftsatz der Beklagten vom 1. April 1996 darüber informiert worden, daß er Einwände
gegen den Pfändungs- und Überweisungsbeschluß gegenüber dem Vollstreckungsgericht geltend machen müsse,
ohne daß er erkennbar bisher diesen Weg beschritten hat. Nach Auffassung des erkennenden Senats kann der Kläger
gegen die Beklagte jedenfalls für die Zeit keine weitergehenden Ansprüche geltend machen, in der er sich trotz
Kenntnis nicht an das Vollstreckungsgericht (Amtsgericht Kassel, 621 M 4426/91) mit dem Ziel der Änderung bzw.
Aufhebung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom 24. September 1991 gewandt bzw. Erinnerung
eingelegt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen worden, § 160 Abs. 2 Nr.
1 SGG.