Urteil des LSG Hessen vom 15.03.2017

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Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 13.12.1977 (rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt
Hessisches Landessozialgericht L 1 Ar 1158/75
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 4. November 1975 wird
zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte an Arbeiter der Klägerin für die Zeit vom 3. bis 7. Februar 1975
Schlechtwettergeld (SWG) zu zahlen hat.
In dieser Zeit war im Betrieb der Klägerin, einem Unternehmen des Baugewerbes, witterungsbedingter Arbeitsausfall
für 5 Arbeiter auf der Baustelle "Ersatzübergang M” entstanden, wie auch in der Woche vorher vom 27. bis 31. Januar
1975.
Das Arbeitsamt O. hatte auf die tägliche Schlechtwetteranzeige für den Zeitraum vom 2. Januar bis 15. März 1975
verzichtet.
Mit Abrechnungsliste für den Monat Februar 1975, die am 18. März 1975 beim Arbeitsamt einging, beantragte die
Klägerin die Leistung von SWG u.a. für den angeführten Arbeitsausfall. Die Beklagte kürzte die Abrechnungsliste
jedoch um das SWG für diesen Arbeitsausfall um 1.104,40 DM, weil insoweit der Arbeitsausfall nicht angezeigt
worden sei; sie zahlte lediglich den so gekürzten Betrag an die Klägerin aus (Bescheid vom 8. April 1975). Mit ihrem
Widerspruch machte die Klägerin den witterungsbedingten Arbeitsausfall auf der Baustelle "Ersatzübergang M” erneut
geltend und gab an, daß sie die Schlechtwetteranzeige (Sammelanzeige) am 7. Februar 1975 (Freitag) an das
Arbeitsamt abgesandt habe. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg; er wurde mit Widerspruchsbescheid vom 6. Mai 1975
zurückgewiesen.
Mit ihrer Klage trug die Klägerin vor, die Sammelanzeige sei von dem Leiter ihres Lohnbüros, S., am 7. Februar 1975
auf dem Formular der Bundesanstalt für Arbeit – BA – angefertigt, unterschrieben, in einen Briefumschlag gesteckt
und sodann der Registratorin, Frau K., zum Zwecke der Expedition übergeben worden. Der Bote D. habe diesen Brief
an selben Tage beim Postamt in F.-F. – aufgeliefert. Erstmals durch den Bescheid vom 8. April 1975 habe sie
erfahren, daß die Anzeige nicht beim Arbeitsamt eingegangen sei. Die Klägerin legte eine Fotokopie der bei ihr
abgelegten Durchschrift der Anzeige vor, ein Vermerk über den Tag der Absendung der Anzeige oder der Ablage der
Durchschrift ist nicht enthalten.
Das Sozialgericht erhob Beweis durch Vernehmung des Leiters des Lohnbüros der Klägerin, S., und des für die
Klägerin tätigen Boten, D. Der Zeuge S. bekundete, er sei für die Schlechtwetteranzeigen zuständig, wenn diese für
kleinere Baustellen zu erstatten seien. In diesen Fällen werde er angerufen und von dem witterungsbedingten
Arbeitsausfall unterrichtet. Bei größeren Baustellen der Klägerin, bei denen ein Baukaufmann tätig sei, würden die
Anzeigen unmittelbar von diesem erstellt. Nach der Fertigung der Anzeige durch ihn gelangten sie in einen
Postabgangskasten und würden von der Registratorin K. zur Expedition gebracht. Frau K. veranlasse insbesondere
das Frankieren der Briefe. Die bei der Expedition eingehende Post werde alsdann regelmäßig von dem nicht in der
Firma beschäftigten Boten, dem Zeugen D., zur Post gebracht. Nach Eingang des Ablehnungsbescheides sei er von
der Geschäftsführung nach der Absendung der Schlechtwetteranzeigen für die Zeit vom 3. bis 7. Februar 1975 gefragt
worden. Er habe die Frage der Absendung bejahen können, weil er in dem dafür vorgesehenen Ordner eine
Durchschrift der (von ihm gefertigten) Anzeige gefunden habe. Wenn sich derartige Durchschriften fänden, sei davon
auszugehen, daß die Anzeige abgesandt worden sei. In der streitbefangenen Zeit habe es sich jedoch um eine
typische Schlechtwetterzeit gehandelt. Ob in dieser Zeit an mehrere Arbeitsämter Anzeigen zu senden gewesen
seien, könne er heute nicht mehr sagen. Ausgangsstempel würden bei abgehenden Schreiben bei der Klägerin nicht
verwendet. Es werde ein Freistempler benutzt. Für die freigestempelte Post werde ein Postbuch nicht geführt.
Der Zeuge D. der für die Klägerin die Botengänge tätigt, sagte aus, die ausgehende Post sei vormittags bis 13.00 Uhr
und nachmittags ab 17.00 Uhr – Freitag ab 14.00 Uhr – bei der Klägerin abzuholen und dem Postamt zu bringen.
Diese Aufgaben würden regelmäßig durch ihn ausgeführt, im Ausnahmefall auch durch seine Ehefrau. Ob er am 7.
Februar 1975 den erwähnten Botendienst ausgeführt habe, könne er heute mit Sicherheit nicht mehr sagen. Er könne
jedoch mit Sicherheit sagen, daß der Auftrag noch am gleichen Tage – wegen der Benutzung des Freistemplers –
durch Aufgabe beim Postamt ausgeführt worden sei. Wegen der Menge der jeweiligen Post könne er sich an den
konkreten Vorgang der Absendung einer Anzeige an das Arbeitsamt O. am 7. Februar 1975 nicht mehr erinnern. Die
Post werde von ihm in einem offenen Behältnis befördert. Verluste seien jedoch unwahrscheinlich, weil sie von ihm
bemerkt werden würden.
Das Sozialgericht Frankfurt am Main wies mit Urteil vom 4. November 1975 die Klage ab mit der Begründung, die
Klägerin habe nicht beweisen können, daß die Sammelanzeige beim Arbeitsamt eingegangen sei, was zu ihren Lasten
gehe. Das Sozialgericht ließ die Berufung gegen das Urteil zu.
Gegen dieses ihr am 2. Dezember 1975 zugestellte Urteil richtet sich die am 17. Dezember 1975 beim Hess.
Landessozialgericht eingegangene Berufung der Klägerin, mit der sie ihr Begehren auf Auszahlung von 1.104,40 DM
an SWG weiterverfolgt. Sie meint, die Aussagen der Zeugen S. und D. hätten hinreichend ergeben, daß die
Sammelanzeige noch am 7. Februar 1975 zur Post aufgeliefert worden sei. Die Anzeige habe sie unverzüglich
wiederholt, nachdem sie von deren Verlust durch den Bescheid vom 8. April 1975 Kenntnis erhalten habe. Die
Klägerin ist ferner der Auffassung, die Beklagte habe ihr 9 % Zinsen an Rechtshängigkeit zu leisten.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 4. November 1975 aufzuheben sowie den
Bescheid der Beklagten vom 8. April 1975 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Mai 1975 abzuändern
und die Beklagte zu verurteilen, ihr 1.104,40 DM nebst 9 % Zinsen ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie erkennt zwar den witterungsbedingten Arbeitsausfall in der Zeit vom 3. bis 7. Februar 1975 auf der Baustelle
"Ersatzübergang M.” an, lehnt jedoch die Zahlung des SWG weiterhin ab, weil die Anzeige über den Arbeitsausfall
nicht unverzüglich erstattet worden sei. Sie hält den Nachweis der rechtzeitigen Aufgabe der Anzeige zur Post durch
die Klägerin für nicht geführt.
Die beigeladene Betriebsvertretung der Klägerin hat keinen Antrag gestellt.
Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Leistungsakten der Beklagten, der Gegenstand der
mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Die ordnungsgemäß geladene Beigeladene war im Termin am 13. Dezember 1977 nicht vertreten.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Denn sie ist form- und fristgerecht eingelegt und durch Zulassung statthaft.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Die Voraussetzungen für das von der Klägerin als Hauptanspruch geltend
gemachte SWG sind nicht erfüllt.
Die Beklagte hat zwar alle Voraussetzungen für die Auszahlung des SWG hinsichtlich der streitigen Zeit an die
Klägerin bejaht und lediglich angenommen, daß der Arbeitsausfall dem Arbeitsamt nicht unverzüglich angezeigt
worden ist (§ 84 Abs. 1 Nr. 3 AFG). Nach dieser Vorschrift ist aber die unverzügliche Anzeige des Arbeitsausfalls eine
– materiell-rechtliche – Voraussetzung für den Anspruch auf SWG. Diese Voraussetzung liegt hier nicht vor, weil der
Nachweis dafür fehlt, daß der im Betrieb der Klägerin für die Anfertigung und Versendung der Anzeige Verantwortliche
die (Sammel-)Anzeige noch am 7. Februar 1975 zum Postversandt gebracht hat.
Hierauf ist es im vorliegenden Fall entscheidend abzustellen. Denn die für den Anspruch auf Erstattung des SWG
erforderliche materiell-rechtliche Wirkung entfaltet eine verspätet eingegangene Anzeige ebenso wie eine auf dem
Übermittlungsweg verlorengegangene, aber nach Kenntnis des Verlustes unverzüglich nachgeholte Anzeige nur dann,
wenn keine säumige Absendung vorliegt (vgl. BSG Urt. vom 23.6.1976 – 12//RAr 157/74 –). Demnach ist der
Anzeigende, wenn er – wie hier – für die Übermittlung die übliche Versendungsart des einfachen Briefes wählt, seiner
Obliegenheit (vgl. dazu BSG Urt. v. 21.6.1977 – 7 RAr 7/6 –) der unverzüglichen Anzeige in vollem Umfang erst dann
nachgekommen, wenn er diesen Brief noch rechtzeitig am Ausfalltag bzw. bei einer Sammelanzeige am letzten
Arbeitstag der Kalenderwoche (§ 15 Abs. 3 Winterbau-Anordnung) zur Post gibt (vgl. BSG SozR 4100 E 84 AFG,
BSG Urteile vom 25.10.1976 – 12/7 RAr 93/76, vom 16.12.1976 – 12 RAr 30/76 – und vom 21.6.1977 – 12/7 RAr
127/76) sowie darüberhinaus – bei der verlorenen Anzeige – diese auch unverzüglich wiederholt (vgl. Urteil des BSG
vom 23.6.1976 a.a.O.).
Wurde die Anzeige selbst jedoch nicht unverzüglich abgesandt, so ist sie grundsätzlich nicht wirksam erstattet
worden (vgl. BSG, Urt. v. 2.9.1977 – 12/7 RAr 91/76 –). Durch die unverzügliche Wiederholung der Anzeige allein, die
hier bereits mit dem am 18. März 1975 beim Arbeitsamt eingegangenen SWG-Leistungsantrag für den Monat Februar
1975 (Abrechnungsliste) erfolgt ist (vgl. BSG Urt. v. 25.10.1976 – 12/7 RAr 33/75), wird das Merkmal der
"unverzüglichen Anzeige des Arbeitsausfalls” (§ 84 Abs. 1 Nr. 3 AFG) deshalb nicht erfüllt.
Den Nachweis der Aufgabe der Sammelanzeige zur Post am letzten Arbeitstag der Kalenderwoche, nämlich am
Freitag, dem 7. Februar 1975, ist hier aber nicht geführt, was zu Lasten der Klägerin geht. Die bei der Klägerin
abgelegte Durchschrift der Anzeige gibt über den Zeitpunkt der Aufgabe zur Post keinen Hinweis. Denn sie enthält
keinen Vermerk über das Datum der Absendung der Anzeige oder der Ablage der Durchschrift. Der Zeuge S. konnte
nur bekunden, daß er den Durchschlag der Anzeige in dem dafür vorgesehenen Ordner aufgefunden habe, nachdem er
von der Geschäftsführung nach Eingang des Ablehnungsbescheides vom 8. April 1975 nach der Absendung gefragt
worden sei. Konkrete Angaben darüber, daß er die Sammelanzeige am letzten Arbeitstag der maßgebenden
Kalenderwoche (7. Februar 1975) gefertigt und insbesondere noch an diesem Tage in den Postabgangskasten und
damit zum Postversand gegeben hat, konnte der Zeuge S. jedoch nicht bekunden. Auch der Zeuge D. konnte sich an
den konkreten Vorgang der Absendung einer Anzeige an das Arbeitsamt O. am 7. Februar 1975 nicht erinnern. Eine
Vernehmung der Registratorin K. als Zeugin brauchte nicht durchgeführt zu werden, weil weitergehende Angaben von
dieser Zeugin nicht zu erwarten waren. Denn die Klägerin hat auf eine ausdrückliche Antrage des Senats, ob die von
ihr als Zeugin benannte Registratorin K. eine konkrete Aussage darüber machen kann, daß die hier in Frage stehende
Sammelanzeige am 7. Februar 1975 dem Zeugen D. zur Auslieferung beim Postamt übergeben wurde, mitgeteilt,
diese Zeugin könne lediglich bekunden, daß sie die Post aus dem Postabgangskasten nehme, frankiere bzw.
freistempele und sodann zum Zwecke der Expedition dem Zeugen D. überantworte. Auf diesen Organisationsablauf
bei der Klägerin, den bereits der Zeuge S. bekundet hat, kommt es jedoch nicht entscheidend an, weil bereits der
konkrete Nachweis fehlt, daß die Sammelanzeige noch am 7. Februar 1975 überhaupt zum Postversand gegeben
worden ist.
Nach allem kann nicht angenommen werden, daß die Klägerin ihre Obliegenheit der unverzüglichen Anzeige in vollem
Umfang nachgekommen ist. Der Pflicht minderer Intensität, wie sie für die Obliegenheit kennzeichnend ist, führt hier
zu keiner anderen Beurteilung. Sie bedeutet nur, daß der Bauunternehmer nicht für ein mögliches Fehlverhalten jedes
seiner Angestellten einzustehen hat, der nur rein tatsächlich dazu beigetragen hat, daß eine Schlechtwetteranzeige
erst verspätete zur Post gegeben wird. Verantwortlich ist er jedoch für solche Personen, die er damit beauftragt hat,
die Schlechtwetteranzeige zusammenzustellen und zum Versand an die Beklagte zu bringen (vgl. dazu die
Ausführung des BSG im Urteil des BSG vom 21.6.1977 – 7 RAr 7/76 –). Dies war aber hier der Zeuge S. der aber zur
Fertigung der Anzeige am Ausfalltag und – insbesondere – zu deren Abgabe zum Postversand keine hinreichend
konkreten Angaben mehr machen konnte. Es fehlt deshalb schon der Nachweis, daß der für die Anfertigung und
Versendung der Schlechtwetteranzeige im Betrieb der Klägerin Verantwortliche die hier in Frage stehende
Ausfallanzeige unverzüglich zum Postversand gegeben hat. Bei dieser Sachlage konnte dahinstehen, ob der Zeuge
S. nach der Organisation der Klägerin überhaupt darauf vertrauen durfte, daß ein Brief mit einer Schlechtwetteranzeige
noch rechtzeitig zur Post gebracht werde, wenn er ihn in den Postabgangskasten gab (vgl. dazu BSG Urt. v.
21.6.1977 a.a.O.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG –.
Die Revision hat der Senat zugelassen, weil er der entschiedenen Rechtssache grundsätzliche Bedeutung
beigemessen hat.