Urteil des LSG Hessen vom 22.01.2009

LSG Hes: fehlende rechtsmittelbelehrung, verfahrensmangel, behörde, beweismittel, verfahrensrecht, einheit, gebühr, zwangsvollstreckung, einzug, bestandteil

Hessisches Landessozialgericht
Beschluss vom 22.01.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Gießen S 9 KR 7/08
Hessisches Landessozialgericht L 1 KR 164/08 NZB
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Gerichtsbescheid des Sozialgerichts
Gießen vom 29. Mai 2008 wird zurückgewiesen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung der Erledigungsgebühr für das Widerspruchsverfahren streitig.
Mit Bescheid vom 7. Februar 2007 stellte die Beklagte gegenüber dem Kläger fest, dass sich die Grundlage für die
Berechnung seiner Beiträge ab dem 15. Mai 2006 geändert habe und ein Betrag in Höhe von 793,05 EUR
nachzuzahlen sei. Hiergegen legte der Klägervertreter mit Schreiben vom 14. Februar 2007 Widerspruch ein. Zu
dessen Begründung wies er auf die fehlende Rechtsmittelbelehrung und deren Folgen hin. Er widerrief die
Einzugsermächtigung des Klägers und führte aus, ein Einzug über die Einziehungsstelle während der aufschiebenden
Wirkung des Widerspruchs sei unzulässig. Schließlich führte er aus, dass der Kläger seinen Mitwirkungspflichten
nachgekommen sei und die Beklagte den Kläger nicht belehrt habe. Die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen
Herstellungsanspruchs lägen daher vor. Mit Änderungsbescheid vom 15. Februar 2007 hob die Beklagte den Bescheid
vom 7. Februar 2007 auf.
Der Klägervertreter beantragte mit Kostenrechnung vom 20. Februar 2007 von der Beklagten die Erstattung der
Rechtsanwaltskosten und machte neben der Geschäftsgebühr, der Auslagenpauschale und einer
Kopierkostenpauschale auch die Erledigungsgebühr gemäß Nr. 1002 des Vergütungsverzeichnisses zum
Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV RVG) geltend. Mit Bescheid vom 2. November 2007 teilte die Beklagte dem
Klägervertreter mit, dass die Erledigungsgebühr nicht zu erstatten sei, da dem Widerspruch "ohne weitere Erledigung"
abgeholfen worden sei. Hinsichtlich der geltend gemachten Kopierkostenpauschale verwies sie darauf, dass diese
nicht Bestandteil des Vergütungsverzeichnisses des RVG sei. Den hiergegen eingelegten Widerspruch begründete der
Klägervertreter damit, dass er zur einvernehmlichen Erledigung beigetragen habe. Den Widerspruch wies die Beklagte
mit Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 2007 zurück. Der Anspruch auf eine Erledigungsgebühr setze eine
qualifizierte anwaltliche Tätigkeit voraus, die über die bloße Einlegung eines Widerspruchs hinausgehe.
Gegen diesen Widerspruchsbescheid erhob der Kläger am 4. Januar 2008 Klage beim Sozialgericht Gießen. Mit
Gerichtsbescheid vom 29. Mai 2008 wies das Sozialgericht die Klage ab und ließ die Berufung nicht zu.
Am 4. Juli 2008 hat der Kläger gegen den seinem Prozessbevollmächtigten am 6. Juni 2008 zugestellten
Gerichtsbescheid Nichtzulassungsbeschwerde erhoben. Die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung, da die
Klärung der Rechtsfrage für eine Vielzahl von Fällen von Bedeutung sei. Nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofes (BGH) sei die Erledigungsgebühr zu erstatten, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise
nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsaktes durch anwaltliche
Mitwirkung erledigt habe. Sein Widerspruchsschreiben habe auf die Erledigung der Sache abgezielt. Er habe auf die
Bedeutung der fehlenden Rechtsmittelbelehrung hingewiesen und die Aussetzung der Zwangsvollstreckung begehrt.
Die Erledigungsgebühr sei auch keine Aussöhnungsgebühr. Der Gerichtsbescheid weiche zudem von der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ab, da die Voraussetzungen für den Anfall der Erledigungsgebühr vorlägen.
Da die Vergütungsvorschriften nicht zutreffend angewandt worden seien, liege ferner ein Verfahrensmangel vor.
Der Kläger beantragt, die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gießen vom 29. Mai 2008
zuzulassen.
Die Beklagte beantragt, die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung zurückzuweisen.
Sie hat darauf verwiesen, dass es sich bei der Erledigungsgebühr nicht um eine reine Erfolgsgebühr handele.
Erforderlich sei vielmehr ein besonderes Bemühen des Rechtsanwaltes um eine Einigung. Der Klägervertreter habe
hingegen lediglich Widerspruch eingelegt und diesen begründet.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Akteninhalt Bezug genommen sowie auf den der
Akte der Beklagten, die zum Verfahren beigezogen worden ist.
II.
Die zulässige Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ist
unbegründet.
Gemäß § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn
1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, 2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts,
des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des
Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder 3. ein der Beurteilung des
Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung
beruhen kann.
Keiner dieser Zulassungsgründe liegt hier vor.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG, wenn die Entscheidung des
Rechtsstreits von einer bisher nicht geklärten Rechtsfrage abhängt, deren Klärung über den Einzelfall hinaus im
allgemeinen Interesse liegt, um die Einheit und Entwicklung des Rechts zu fördern (st. Rspr. seit BSG, Urteil vom 20.
Dezember 1955 – 10 RV 225/54 – BSGE 2, 129 [132f.]; Meyer-Ladewig in: ders./Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 144
Rdnr. 28). Die von dem Kläger aufgeworfene Frage der Voraussetzungen für die Erstattung einer Erledigungsgebühr
gemäß Nr. 1002 VV RVG ist bereits höchstrichterlich geklärt. Das Bundessozialgericht hat mit Urteil vom 7.
November 2006 (B 1 KR 13/06 R - USK 2006-151; nachfolgend BSG, Urteil vom 21. März 2007 - B 11a AL 53/06 R -
SGb 2007, 291 f.) entschieden, dass eine Erledigungsgebühr nur dann anfällt, wenn die Tätigkeit des Rechtsanwalts
über die bloße Einlegung und Begründung des Widerspruchs hinausgeht. Nicht ausreichend ist danach die umgehende
vollständige Abhilfe der Behörde ohne besondere anwaltliche Aktivität. Auch nach dem bis zum 30. Juni 2004
geltenden § 24 BRAGO war das Erfordernis eines "besonderen Bemühens" des Rechtsanwalts um eine
außergerichtliche Erledigung des Rechtsstreits erforderlich (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006, a.a.O., mit
weiteren Nachweisen). Ein solches Bemühen ist bei der Mitwirkung des Anwalts beim Abschluss eines
(streitbeendenden) Vergleichsvertrages (BSG, Urteil vom 7. November 2006, a.a.O.) sowie bei der unaufgeforderten
Beibringung neuer Beweismittel zu entscheidungserheblichen Tatsachen (BSG, Urteil vom 2. Oktober 2008 – B 9/9a
SB 5/07 R – juris) anzunehmen. Damit ist die streitgegenständliche Rechtsfrage durch das Bundessozialgericht
bereits geklärt.
Eine so genannte Divergenz (§ 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG) ist für den Senat nicht erkennbar. Nach der bereits angeführten
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erfüllt das Verhalten des Klägervertreters nicht die Voraussetzungen der
Nr. 1002 VV RVG. Dieser hat lediglich Widerspruch eingelegt und diesen begründet. Unmittelbar danach hat die
Beklagte abgeholfen. Ein besonderes Bemühen des Klägervertreters um eine außergerichtliche Erledigung des
Rechtsstreits ist daher nach den Maßstäben der angeführten Rechtsprechung nicht erkennbar. Der Gerichtsbescheid
des Sozialgerichts Gießen weicht daher nicht von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ab. Dies gilt
gleichermaßen hinsichtlich der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Dieser hat zwar entschieden, dass für die
Mitwirkung bei der Erledigung des Verfahrens gebührenrechtlich jede Tätigkeit des Verteidigers genügt, die zur
Förderung der Verfahrenseinstellung geeignet ist (Urteil vom 18. September 2008 - IX ZR 174/07 - MDR 2008, 1366).
Die insoweit maßgebliche Erledigungsgebühr gemäß Nr. 5115 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG stimmt jedoch nicht mit der
Gebühr nach Nr. 1002 VV RVG überein, da Nr. 5115 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG - anders als Nr. 1002 VV RVG - eine den
Grad der Mitwirkung konkretisierende Regelung aufweist und sich Sinn und Zweck der beiden Regelungen
unterscheiden (s. BGH, a.a.O.).
Auch ein für § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG relevanter Verfahrensmangel liegt nicht vor. Dieser kann insbesondere nicht in
einer nach Auffassung des Klägervertreters unrichtigen Anwendung des Gebührenrechts liegen, da es sich hierbei
nicht um Verfahrensrecht handelt.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).