Urteil des LSG Hessen vom 15.03.2017
LSG Hes: arbeitsunfall, vegetatives syndrom, gutachter, beweisantrag, trauma, wissenschaft, arteriosklerose, erwerbsfähigkeit, firma, prokurist
Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 04.07.1979 (rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 3 U 169/75
Hessisches Landessozialgericht L 3 U 889/77
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 1. Juli 1977 aufgehoben
und die Klage abgewiesen.
II. Die Anschlußberufung des Klägers wird zurückgewiesen.
III. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung der Dauerrente.
Der im Jahre 1913 geborene Kläger erlitt bei einem Arbeitsunfall am 6. September 1975 neben multiplen
Schnittverletzungen eine Gehirnerschütterung. Die Beklagte holte das neurologisch-psychiatrische Gutachten des Dr.
S. ( ) vom 19. August 1974 ein, das dieser am 7. Dezember 1974 ergänzte. Dieser Gutachter vertrat die Auffassung,
daß der Kläger bereits vor dem Arbeitsunfall vorgeschädigt gewesen sei; es habe ein ausgedehntes psycho-
vegetatives Syndrom mit Fehlregulationen und Leistungsabfall bestanden, das durch die Gehirnerschütterung einen
Potenzierungseffekt erfahren habe. Die bereits vorher bestandenen Beschwerden hätten sich hierdurch intensiviert;
sie träten verstärkt auf. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit – MdE – betrage für die Zeit vom 1.
November 1973 bis zum 30. April 1974 50 v.H., vom 1. Mai bis zum 31. Oktober 1974 35 v.H. und vom 1. November
1974 bis zum 30. April 1975 20 v.H. Danach sei eine Nachuntersuchung angezeigt. Die Beklagte ließ sich hierzu von
dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. (W.) am 23. Januar 1975 beraten. Dieser Arzt stimmte der MdE-
Bewertung des Dr. S. zu, vertrat aber die Auffassung, daß dem Unfallereignis nicht ein Potenzierungseffekt
zukomme, sondern am ehesten eine einmalige abgegrenzte Verschlimmerung anzunehmen sei. Mit Bescheid vom 13.
Mai 1975 gewährte die Beklagte wegen eines abklingenden postcommotionellen Beschwerdesyndroms bei
unfallunabhängigen cerebrovasculären Störungen und psycho-vegetativen Fehlregulationen mit Leistungsabfall eine
vorläufige Verletztenrente entsprechend dem Vorschlag der von ihr gehörten Gutachter. Über den 30. April 1975
hinaus lehnte sie die Gewährung einer Rente ab, da die Erwerbsfähigkeit durch die Unfallfolgen nicht mehr in
rentenberechtigendem Grade gemindert sei.
Gegen diesen am gleichen Tage mit Einschreiben an ihn abgesandten Bescheid hat der Kläger bei dem Sozialgericht
Frankfurt am Main – SG – am 23. Mai 1975 Klage erhoben und geltend gemacht, daß in dem Unfallfolgezustand keine
Besserung eingetreten sei.
Das SG hat von Amts wegen das nervenfachärztliche Gutachten des Dr. H (F.) vom 26. Juli 1976 eingeholt. Dieser
Sachverständige hat den Arztbericht des Hausarztes des Klägers Dr. O. (H.) vom 2. August 1976 beigezogen und in
seinem Gutachten ausgeführt, daß die Gehirnerschütterung zu einer abgegrenzten Verschlimmerung eines
vorbestehenden unfallunabhängigen cerebralen Leidens geführt habe. Dieses setze seinen Schicksalsmäßigen
Verlauf in einem höheren Niveau fort. Insoweit sei über den 30. April 1975 hinaus eine unfallbedingte MdE um 20 v.H.
anzunehmen. Nachdem die Beklagte hierzu die gutachtliche Stellungnahme des Nervenfacharztes Dr. P. (V.) vom 13.
Dezember 1976 vorgelegt hatte, hat das SG unter Berufung auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. Haibach mit
Urteil vom 1. Juli 1977 den angefochtenen Bescheid abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger über den 30.
April 1975 hinaus Verletztenrente nach einem Grad der MdE um 20 v.H. zu gewähren.
Gegen dieses ihr am 3. August 1977 zugestellte Urteil hat die Beklagte bei dem Hessischen Landessozialgericht
schriftlich am 29. August 1977 Berufung eingelegt.
Es ist im Berufungsverfahren zunächst ergänzend der Sachverständige Dr. H. am 1. April 1978 schriftlich und am 12.
Juli 1978 mündlich gehört worden. Er hat erneut darauf hingewiesen, daß dem Arbeitsunfall nicht nur die Qualität einer
Gelegenheitsursache zukomme, sondern dieser dazu geführt habe, daß sich die vorbestandenen cerebralen
Störungen auf einem höheren Niveau fortentwickelten.
Ferner ist von Amts wegen das Gutachten des Prof. Dr. L. (Zentrum für Neurochirurgie am Klinikum der J-Universität
G. vom 27. März 1979 eingeholt worden. In diesem vertritt der Sachverständige Prof. Dr. L. unter Auswertung eines
Computertomogramms – CT – die Auffassung, daß der arteriosklerotisch vorgeschädigte Kläger bei dem Arbeitsunfall
lediglich eine leichte Gehirnerschütterung erlitten habe, die spätestens mit dem Ablauf des Monats April 1975
abgeklungen gewesen sei. Die von dem Sachverständigen Dr. H. vertretene Ansicht, daß die Vorerkrankung infolge
der Gehirnerschütterung auf einem wesentlich höheren Niveau fortschreite und daher eine unfallbedingte MdE um 20
v.H. seit dem 1. Mai 1975 gerechtfertigt sei, stehe nicht im Einklang mit den herrschenden Erkenntnissen der
medizinischen Wissenschaft. Die von Dr. H. herangezogenen medizinischen Schriftsteller seien mit ihren Hypothesen
wissenschaftlich nicht anerkannt und würden bei allen einschlägigen Veröffentlichungen zur Neurotraumatologie nicht
mehr berücksichtigt. Der von U. zitierte Aufsatz aus dem Jahre 1976 stelle lediglich Sekundärliteratur dar. Wegen der
weiteren Einzelheiten wird auf das Gutachten des Prof. Dr. L. verwiesen.
Der Kläger hat am 12. Juli 1978 Anschlußberufung eingelegt und sich auf die ergänzenden Stellungnahmen des
Sachverständigen Dr. H. berufen. Ferner bringt er vor: Das Gutachten des Prof. Dr. L. sei in seiner Zurückweisung der
Ansicht des Dr. H. zu rigoros. Er rege an, dazu von Amts wegen von Prof. Dr. V. (G.) ein Obergutachten einzuholen.
Sollte das Gericht dieser Anregung nicht folgen, so werde er dann erst entscheiden können, ob er einen Beweisantrag
nach § 109 Sozialgerichtsgesetz – SGG – stellen werde (Schriftsatz vom 14. Mai 1979).
In der mündlichen Verhandlung am 4. Juli 1979 hat der Kläger sodann beantragt, die Berufung zurückzuweisen und –
im Wege der Anschlußberufung – das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 1. Juli 1977 sowie den
Bescheid der Beklagten vom 13. Mai 1975 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1.
November 1973 bis zum 30. April 1975 eine Verletztenrente nach einer MdE um 60 v.H. und ab 1. Mai 1975 nach
einer MdE um 20 v.H. zu gewähren, hilfsweise, ein Sachverständigen-Gutachten von Prof. Dr. V. Direktor der
Niedersächsischen Krankenhäuser, einzuholen und zwar von Amts wegen, hilfsweise nach § 109 SGG.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 1. Juli 1977 aufzuheben und die Klage
abzuweisen sowie die Anschlußberufung zurückzuweisen.
Sie legt die gutachtlichen Stellungnahmen des Neurochirurgen Dr. med. M. (K.) und des Neurophysiologen Prof. Dr.
med. H. (Neurochirurgische Universitätsklinik B. vom 15. Mai und 11. September 1976 vor und führt aus: Es
entspräche einem allgemeinen medizinischen Erfahrungssatz, daß Gehirnerschütterungen nach Ablauf einer
bestimmten Zeit folgenlos abklingen würden. Damit habe sich der Sachverständige Dr. H. im Gegensatz zu Prof. Dr.
L. nicht auseinandergesetzt. Auch enthielten dessen Gutachten und ergänzenden Stellungnahmen keine eindeutige
Abgrenzung von Umfang und Ausmaß der durch die Gehirnerschütterung hervorgerufenen Verschlimmerung. Es
müsse, da der Kläger unter einer fortschreitenden Hirnarteriosklerose leide, wie die gehörten Gutachter und
Sachverständigen ansonsten ausgeführt hätten, vielmehr angenommen werden, daß die bestehende
Leistungseinschränkung nunmehr allein von diesen unfallunabhängigen cerebro-vasculären Leiden verursacht werde.
Im übrigen beruhe die Beurteilung des Dr. H. nicht auf der in der medizinischen Wissenschaft allgemein anerkannten
Lehrmeinung.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Unfall- und Streitakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die statthatte Berufung ist frist- und formgerecht eingelegt und daher zulässig (§§ 143, 144, 145 SGG).
Sie ist auch im Gegensatz zu der unselbständigen Anschlußberufung des Klägers begründet. Diese mußte
zurückgewiesen werden. Das auf die zulässige Klage ergangene sozialgerichtliche Urteil war aufzuheben, da das SG
den angefochtenen Bescheid zu Unrecht abgeändert hat. Er ist nicht rechtswidrig. Mit diesem hat die Beklagte
zutreffend sowohl für die zurückliegende Zeit vom 1. November 1973 bis zum 30. April 1975 gestaffelt eine
Verletztenrente und ab dem 1. Mai 1975 erstmalig (negativ) die Dauerrente festgestellt (§ 1585 Abs. 2
Reichsversicherungsordnung – RVO –). Dem Kläger steht weder bis zum Ablauf des Monats April 1975 eine höhere
als die ihm gewährte Verletztenrente noch seit dem 1. Mai 1975 überhaupt eine solche zu, da die unfallbedingte MdE
von der Beklagten zutreffend eingeschätzt worden ist (§ 581 Abs. 1 RVO).
Zunächst ist davon auszugehen, daß weder für die von der Beklagten rückwirkend vorgenommene Staffelung des
Grades der MdE noch für die erstmalige Feststellung der Dauerrente im Gegensatz zur Neufeststellung nach § 622
RVO ein Nachweis der wesentlichen Änderung der Verhältnisse erforderlich ist (§ 1585 Abs. 2 S. 2 RVO). Gebunden
ist der Versicherungsträger lediglich an die Grundlagen der Entschädigung (Feststellung einer versicherten Tätigkeit
im Unfallzeitpunkt, Bejahung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Arbeitsunfall und den
Gesundheitsstörungen, Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes), wie sie sich aus dem Bescheid über die
Gewährung der Verletztenrente ergeben (vgl. die ständige Rechtsprechung des Senats, zuletzt im Urteil vom 23. Mai
1979 – L-3/U – 1403/78 – unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 29. März 1957 – 2 RU 129/55 – in E 5, 96; Lauterbach,
Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 4 c zu § 622 RVO). Hierzu ergibt sich, daß die Beklagte weder den Arbeitsunfall als
solchen bestreitet, noch eine früher anerkannte Unfallfolge jetzt nicht mehr anerkennen will. Als Unfallfolge, erkannte
sie in dem angefochtenen Bescheid nämlich lediglich ein "abklingendes postcommotionelles Beschwerde-Syndrom
bei unfallunabhängigen cerebro-vasculären Störungen und psychovegetativen Fehlregulationen mit Leistungsabfall”
an. Sie brachte damit zum Ausdruck, daß nur vorübergehend eine unfallbedingte Gehirnerschütterung bestanden
habe, die sich seit dem 1. Mai 1975 nicht mehr wesentlich erwerbsmindernd auswirke. Das folgt außerdem aus der
Rentenbegrenzung bis zum 30. April 1975.
Das Gesamtergebnis der Beweisaufnahme ergibt zudem, daß entgegen dem angefochtenen Urteil die Beklagte
zutreffend nur ein abklingendes postcommotionelles Beschwerdesyndrom angenommen hat. Daß die durch den
Arbeitsunfall erlittene Gehirnerschütterung zu einer abgegrenzten, richtunggebenden wesentlichen Verschlimmerung
eines bereits vorstehenden cerebro-vasculären Syndroms mit psychovegetativen Fehlregulationen und Leistungsabfall
geführt habe, dieses Leiden auf einem wesentlich höheren Niveau nunmehr seinen schicksalsmäßigen Verlauf weiter
nehme und ein so meßbarer Schub dieses vorbestehenden, anlagebedingten Leidens einen höheren Grad der MdE bis
zum 30. April 1975 und seit dem 1. Mai 1975 einen Grad der MdE um 20 v.H. bedinge, ist nach den Gutachten der
Professoren L. und H. sowie der Dres. M., P. und M. nicht haltbar.
Zunächst ist aufgrund der Ermittlungen im Verwaltungsverfahren und in beiden Rechtszügen erwiesen, daß der Kläger
bereits vor dem Arbeitsunfall unter einer psychischen und somatischen Leistungsminderung infolge vasculärer
Arteriosklerose litt. Das haben alle Gutachter und Sachverständigen sowie auch der langjährige Hausarzt des Klägers,
Dr. O., übereinstimmend angenommen. Dazu steht nicht in Widerspruch, wenn sein früherer Arbeitgeber, die Firma O.
F. GmbH (H.) unter dem 11. Juli 1978 bescheinigte, daß er als Prokurist bis zum Arbeitsunfall voll tätig gewesen sei.
Es ist allgemeinkundig, daß ein Trauma oft die arteriosklerotisch begründeten Versagenserscheinungen über die
Merkschwelle hinaushebt. Das ist zudem zutreffend von Prof. Dr. L. dargetan worden.
Ferner sieht der Senat in Übereinstimmung mit den gehörten Gutachtern und Sachverständigen als erwiesen an, daß
der Kläger bei dem Arbeitsunfall lediglich eine leichte Gehirnerschütterung erlitt. Das hat auch der Sachverständige
Dr. H. unter Berücksichtigung der erhobenen Erstbefunde mit seiner Einordnung unter I) der von B. entwickelten
Tabelle (vgl. Liniger-Molineus-Mollowitz, Der Unfallmann, 9. Aufl., 1974, S. 192) dargetan. Die Initialsymptome (einige
Zeit der Bewußtlosigkeit, der Bewußtseinsgetrübtheit und Klagen über Übelkeit) waren nicht so schwer, daß mehr als
eine gut rückbildungsfähige Gehirnerschütterung angenommen werden könnte (vgl. Liniger-Molineus-Mollowitz a.a.O.
S. 193 f.; Die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen, Ausgabe 1973, herausgegeben
vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, S. 128). Der Sachverständige Dr. H. hat dazu ausdrücklich
ausgeführt, daß ohne eine cerebrale Vorschädigung seit dem 1. Mai 1975 eine unfallbedingte MdE nicht mehr
angenommen werden dürfe. Er befindet sich damit in Übereinstimmung mit Prof. Dr. L. und den anderen Gutachtern.
Soweit er aber meint, die MdE müsse seit dem 1. November 1973 höher und seit dem 1. Mai 1975 mit einer MdE um
20 v.H. bewertet werden, beruht dies erkennbar auf seiner These, daß der cerebrale (arteriosklerotische) Vorschaden
zu einem deutlichen vorzeitigen Schub durch die Gehirnerschütterung gelangte und dieses Leiden nunmehr auf einem
höheren Niveau, als es ohne den Einfluß des Arbeitsunfalls sein würde, weiter verlaufe. Dieser These schließt sich
der Senat nicht an; sie entspricht nicht der allgemein anerkannten medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung, wie
Prof. Dr. L. überzeugend dargetan hat. Der Sachverständige Dr. H. stützt sich zwar auf Veröffentlichungen von
Hallervorden, Quadbeck und Kainarou, Venzlaff und Ullrich aus den Jahren 1957, 1958 und 1976. Die dort vertretenen
Auffassungen sind aber, wie Prof. Dr. L. anhand umfangreicher medizinischer Literatur nachweist, wissenschaftlich
nicht anerkannt; sie werden bei allen einschlägigen Veröffentlichungen zur Neurotraumatologie nicht mehr
berücksichtigt. Bei der Abhandlung von U. aus dem Jahre 1976 handelt es sich zudem nicht um Erkenntnisse
aufgrund eigener Forschung sondern lediglich um sogenannte Sekundärliteratur. Auch das ist von Prof. Dr. L.
nachgewiesen. Nach der herrschenden medizinischen Lehrmeinung kann aber nicht zweifelhaft sein, daß es sich bei
einem leichten Schädel-Hirn-Trauma um ein morphologisch nicht faßbares, reversibles Krankheitsbild des zentralen
Nervensystems handelt. Es ist bisher unbewiesen, daß eine direkte Gewalteinwirkung auf ein vorgeschädigtes Hirn
dieses eher und stärker schädigt als das gesunde Hirn. Ferner ist zu fordern, daß schwere Schädel-Hirn-Traumen und
die nachfolgende Symptomatik in einer festen Relation und die Verschlechterung vorbestehender Symptome in einem
unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Trauma stehen, wie Prof. Dr. L. überzeugend ausgeführt hat. Der
Sachverständige Dr. H. hat hierzu keine ausreichenden Umstände für die Rechtfertigung seiner These dargetan. Der
Hinweis auf den Arztbrief des Dr. O. genügt für sich allein nicht. Demgegenüber ergeben das CT und das von Prof. Dr.
L. gefertigte EEG keine Anhaltspunkte für einen Herdbefund. Eine sprunghafte oder plötzliche Verstärkung
unfallunabhängig bestehender Störungen ist nicht erkennbar. Vielmehr ergibt sich aus dem Krankheitsverlauf eine
allgemeine Progredienz der psychopathologischen Auffälligkeiten, denen bei der Untersuchung durch Prof. Dr. L. das
Auftreten sogenannter Primitivreflexe (Palmomentalreflexe, Schnauzphänomen) und eine allgemeine Erweiterung der
inneren und äußeren Liquorräume entsprechen. Das klinische, neurologische und psychische Bild läßt sich danach
mühelos und zweifelsfrei in die Symptomatik eines allgemeinen cerebralen Abbaus bei Hirnarteriosklerose einordnen.
Die allgemeine Hirnsubstanzminderung wird durch die computertomographischen Ergebnisse belegt. Auch insoweit
folgt der Senat den überzeugenden Gutachten des Prof. Dr. L.
Der Sachverhalt bedurfte danach keiner weiteren Aufklärung von Amts wegen, insbesondere nicht durch die Einholung
eines Gutachtens von Prof. Dr. V.
Die Frage, ob eine anlagebedingte Arteriosklerose durch ein Schädeltrauma potenziert werden und dadurch eine
unfallbedingte höhere MdE bzw. überhaupt eine MdE rechtfertigen kann, ist zunächst eine Frage des ursächlichen
Zusammenhangs, die in erster Linie nach medizinischen Gesichtspunkten zu beurteilen ist. Auch hat das Gericht im
Rahmen der richterlichen Überzeugungsbildung alles Erforderliche zu tun, um diese Frage zu klären (§§ 103, 128
SGG), wobei es sich des Urteils fachkundiger Sachverständiger zu bedienen hat. Die Überzeugungsbildung hat sich
dabei an den einschlägigen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen zu orientieren. Maßgebend hierfür ist aber
grundsätzlich die herrschende medizinische Lehrmeinung, soweit sie sich auf gesicherte Erkenntnisse stützen kann
(vgl. BSG, Beschluss vom 18. Oktober 1976 – 9 BV 88/76 – in Breithaupt 1977, 86 f.; Urteil vom 20. September 1977
– 8 RU 24/77 – in SGb 1978, 61). Dabei ist es nicht Aufgabe des Gerichts, sich mit voneinander abweichenden
medizinischen Lehrmeinungen im einzelnen auseinanderzusetzen und darüber zu entscheiden, welche von ihnen
richtig sind (BSG a.a.O.). Jedoch werden die Grenzen des Rechts der freien Beweiswürdigung dann überschritten,
wenn das Gericht; ohne wohlerwogene und stichhaltige Gründe in medizinischen Fragen über die Beurteilung ärztlicher
Gutachter hinausgeht und seine Auffassung an deren Stelle setzt. Diese Grundsätze hat hier der Senat nach den
obigen Darlegungen bei seiner Urteilsfindung berücksichtigt.
Der Senat brauchte auch nicht nach § 109 SGG ein Gutachten von Prof. Dr. V. einzuholen. Dieser erst in der letzten
mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag war als verspätet zurückzuweisen, da er nicht rechtzeitig vorgebracht
worden ist. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers ist ausdrücklich mit der Verfügung vom 11. Mai 1979 unter
Fristsetzung zum 30. Mai 1979 darauf hingewiesen worden, daß ein danach gestellter Beweisantrag nach § 109 SGG
als verspätet angesehen werden könne. Daraus mußte er entnehmen, daß von Amts wegen kein weiteres Gutachten
eingeholt werden würde. Wenn er gleichwohl mit Schriftsatz vom 14. Mai 1979 erklärte, er wolle erst dann, wenn kein
Gutachten von Amts wegen eingeholt werde, darüber entscheiden, ob er danach einen Beweisantrag nach § 109 SGG
stellen wolle, so stellt dieses Verhalten nach der freien Überzeugung des Senats die Absicht dar, das Verfahren zu
verschleppen. Der Antrag ist zudem aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht (§ 109 Abs. 2 SGG).
Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 193, 160 SGG.