Urteil des LSG Hessen vom 29.06.2005

LSG Hes: eheähnliche gemeinschaft, wohnung, stadt, schutz der menschenwürde, sozialhilfe, eidesstattliche erklärung, erlass, anfang, fahrzeug, kennzeichen

Hessisches Landessozialgericht
Beschluss vom 29.06.2005 (rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 45 AS 22/05
Hessisches Landessozialgericht L 7 AS 1/05 ER
I. Die Antragsgegnerin wird unter Abänderung des Beschlusses des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 14.
Februar 2005 verpflichtet, den Antrag- stellern für die Zeit ab 27. Januar 2005 vorläufig Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts ohne Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen des A. E. in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
II. Die Antragsgegnerin hat den Antragstellern die außergerichtlichen Kosten der Verfahren zu erstatten.
III. Den Antragstellern wird für das Beschwerdever- fahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt B., B-Stadt,
beigeordnet.
Gründe:
I.
Die Antragsteller begehren im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Zahlung von Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts.
Die Antragstellerin zu 1. ist die Mutter der 1987, 1989 und 1991 geborenen Antragsteller/innen zu 2. – 4. Leiblicher
Vater der Antragstellerin zu 4. ist der im Jahre 1964 in Marokko geborene A. E. (E.). Dieser zahlt seinem Kind
Unterhalt zu Händen der Antragstellerin zu 1. in Höhe von monatlich 150 Euro.
Jedenfalls bis Juli 2004 wohnten die Antragsteller in A-Stadt in der B. Straße XXX. In dieser Wohnung hatte auch E.
ein Zimmer, welches er nach Angaben der Antragstellerin zu 1. gelegentlich genutzt hat. Durch Bescheid vom 6.
November 2003 versagte das Sozialamt der Stadt A-Stadt den Antragstellerinnen zu 1. und 4 wegen Vorliegens einer
eheähnlichen Gemeinschaft die Gewährung von Leistungen der Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz
(BSHG). Dagegen legte die Antragstellerin zu 1. Widerspruch ein mit der Begründung, dass sie nicht mit E. in einer
"Wohngemeinschaft" lebe. Dieser sei zwar für die Wohnung in der B. Straße XXX gemeldet gewesen, die Meldung
habe jedoch die Funktion gehabt, dass er seinen Pkw weiterhin in Deutschland zulassen könne. Er habe jedoch in der
fraglichen Zeit in M. gewohnt. Demgegenüber erhielten die Antragsteller zu 2 u. 3 weiterhin Sozialhilfeleistungen, da
die Antragsgegnerin den E. im Rahmen der Bedarfs- bzw. Einsatzgemeinschaft nach § 11 BSHG für diese Kinder, die
nicht Kinder des E. sind, nicht berücksichtigte.
Am 22. Juni 2004 schloss die Antragstellerin zu 1. einen Mietvertrag über eine 4-Zimmer-Wohnung in der A-Straße in
A-Stadt. Das Mietverhältnis sollte am 15. Juli 2004 beginnen; nach einer Melderegisterauskunft erfolgte der Einzug
der Antragsteller in die neue Wohnung, für die eine Kaltmiete in Höhe von 550 Euro zu zahlen war, am 1. August
2004.
Am 21. Oktober 2003 wurde durch das Sozialamt der Stadt A-Stadt ein Hausbesuch in der Wohnung der Antragsteller
durchgeführt. Nach dem Vermerk des Mitarbeiters H. befand sich in der Wohnung auch E., der sich jedoch nicht habe
zeigen wollen. Auf E. seien ca. 11 Kfz. zugelassen. Auf die Antragstellerin zu 1. sei kein Kfz. zugelassen. Die
Wohnung sei normal ausgestattet, keine wertvollen Möbel. Auffällig sei gewesen, dass in jedem Zimmer der 4-
Zimmer-Wohnung ein Fernseher vorhanden gewesen sei. Die Antragstellerin zu 1. habe u.a. angegeben, dass E. die
meiste Zeit bei ihr in der Wohnung sei und dass sie mit ihm in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebe. Nach dem
Bericht der Mitarbeiters N. hatte die Antragstellerin zu 1. zugegeben, dass E. derzeit fest dort mit wohne; er reise
öfters mal zu seinen Eltern nach M ... Sie habe Angst, sich von ihm abhängig zu machen aufgrund ihrer Erfahrungen
in erster Ehe. Sie habe bestätigt, dass E. den Haushalt mitbewirtschafte, so habe er Sachgegenstände wie Fernseher
und andere Elektrogeräte besorgt.
Zuletzt teilte das Sozialamt der Stadt A-Stadt der Klägerin durch Bescheid vom 28. Oktober 2004 mit, dass unter
Berücksichtigung ihrer geänderten wirtschaftlichen bzw. persönlichen Verhältnisse die Sozialhilfe für die Antragsteller
zu 2. u. 3 neu berechnet worden sei. Nach dieser Berechnung habe die Antragstellerin zu 1. ab Oktober 2004 bis auf
Weiteres Anspruch auf Sozialhilfe in Höhe von 754,51 Euro.
Am 16. November 2004 beantragte die Antragstellerin zu 1. für sich und ihre Kinder Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Dabei gab sie an, mit ihren drei Kindern im
gemeinsamen Haushalt zu leben. Die Kinder B. und C. (die Antragsteller zu 2 u. 3) hätten als Einkünfte Kindergeld
und Sozialhilfe, ihre Tochter D., die Antragstellerin zu 4., verfügte über Kindergeld und Unterhaltszahlung (150 Euro).
Durch Bescheid vom 29. Dezember 2004 lehnte die Antragsgegnerin die Zahlungen von Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Antragstellerin zu 1. und die mit ihr in der Bedarfsgemeinschaft lebenden
Personen für die Zeit ab 1. Januar 2005 ab. Zur Begründung führte sie aus, dass die Antragstellerin zu 1. mit E. in
eheähnlicher Gemeinschaft lebe. Dieser sei ja immer noch in der A-Straße gemeldet. Die eheähnliche Gemeinschaft
sei auch durch den Hausbesuch des Ermittlungsdienstes am 21. Oktober 2003 bestätigt worden. E. gehöre somit
nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 b SGB II zur Bedarfsgemeinschaft. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II sei hilfebedürftig, wer seinen
Lebensunterhalt und den in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht ausreichend aus Einkommen und
Vermögen sichern könne. Als Partner habe E. nach § 60 Abs. 4 Nr. 1 SGB II auf Verlangen Auskünfte über sein
Einkommen abzugeben. Somit hätten als Einkünfte nicht nur die Mietanteile des E. angegeben werden müssen, er
hätte als Lebenspartner mit seinem Einkommen im Antrag auf Arbeitslosengeld angegeben werden müssen.
Hiergegen legten die Antragstellerinnen am 26. Januar 2005 Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden ist.
Mit am 27. Januar 2005 eingegangenem Schriftsatz vom 26. Januar 2005 haben die Antragsteller den Erlass einer
einstweiligen Anordnung beantragt, mit der sie die vorläufige Gewährung von Leistungen nach dem SGB II begehren.
Zur Begründung haben sie im Wesentlichen ausgeführt, dass E. die Wohnung in der B. Straße in A-Stadt seit 2003
nicht mehr zu Wohnzwecken regelmäßig genutzt habe. Er sei nur gelegentlich nach Deutschland gekommen, z. B. zu
dem Geburtstag seiner Tochter und habe dann ein paar Tage in seinem Zimmer gewohnt. Im Jahre 2004 habe sich E.
nur sehr sporadisch dort aufgehalten. Zuerst in der Zeit Anfang März bis Anfang Mai 2004, als er einer Bitte der
Antragstellerin zu 1. gefolgt sei, in Deutschland zu verweilen, damit sie ihrer Arbeit nachgehen könne. E. habe
praktisch die Osterferien abgedeckt und noch eine Zeit danach. Anfang Mai sei er dann nach M. zurückgekehrt,
obwohl die Antragstellerin zu 1. weiter gearbeitet habe. Außerdem sei E. in der Zeit Ende August bis Anfang
September 2004 für etwa eine Woche nach Deutschland in Zusammenhang mit dem Geburtstag seiner Tochter
gekommen. Dann sei er noch im Oktober für ca. 10 Tage und über die Weihnachtsfeiertage für 5 Tage in Deutschland
gewesen. Die Gesamtdauer seines Aufenthaltes in Deutschland im Jahre 2004 habe damit weniger als drei Monate
betragen. Seit dem Umzug bewohnten die Antragsteller eine kleinere Wohnung mit 4 Zimmern und einer Fläche von
115 qm. Die beiden Mädchen (die Antragstellerinnen zu 2 u. 4) hätten ein Zimmer, der Antragsteller zu 3. und die
Antragstellerin zu 1. hätten jeweils 1 Zimmer. Das vierte Zimmer werde als Wohn- und Esszimmer genutzt; die Küche
sei sehr klein. Die Gegenstände, die E. früher in seinem Zimmer gehabt habe, seien im Wesentlichen in den Keller
gelagert worden.
Die Antragsgegnerin ist diesem Vorbringen entgegengetreten. Das Vorliegen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft
bzw. Partnerschaft sei anzunehmen. E. sei fortlaufend in der früheren und jetzigen Wohnung polizeilich gemeldet.
Daneben sei er wiederholt bei durchgeführten Hausbesuchen angetroffen worden. Es sei auch von einer
Einstehungsgemeinschaft auszugehen. In ihrem Widerspruch gegen den Bescheid vom 6. November 2003 habe die
Antragstellerin selbst angegeben, dass sich E. längere Zeit in Deutschland aufhalte und auch Betreuungsleistungen
für die Kinder erbringe. Vor allem habe die Antragstellerin zu 1. Zugang zu dem Konto des E. "Unterstellt, dieser habe
sich in der Vergangenheit tatsächlich teilweise im Ausland aufgehalten, so sei aufgrund des offensichtlichen
Einstehens füreinander und der wirtschaftlichen Verflechtungen weiter vom Bestehen einer eheähnlichen
Gemeinschaft bzw. Partnerschaft auszugehen. E. habe außerdem zum 1. August 2002 ein Gewerbe angemeldet, das
weiterhin bestehe. Offen bleibe, welche Mittel E. besitze und in welchem Umfang diese zur Bedarfsdeckung der
Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft einzusetzen seien. Jedenfalls sei es den Antragstellern über 14 Monate möglich
gewesen, den Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel (Sozialhilfe) zu sichern. Bisher sei nicht
dargelegt worden, wie dies bewerkstelligt worden und warum dies jetzt nicht mehr möglich sei. Insgesamt sei die
wirtschaftliche Lage der Bedarfsgemeinschaft ungeklärt und nicht belegt. Da Leistungen des SGB II, wie ehemals
Leistungen nach dem BSHG, nur bedarfsabhängig zu gewähren seien, sei auch im vorliegenden Fall von dem durch
die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) entwickelten Grundsatz auszugehen, dass das
Nichtvorhandensein eigener Mittel negatives Tatbestandsmerkmal für den Anspruch auf Sozialhilfe sei. Danach gehe
die Nichtaufklärbarkeit eines anspruchsbegründenden Tatbestandes zu Lasten desjenigen, der das Bestehen eines
Anspruchs behauptet.
Nach Trennung der zunächst verbunden gewesenen Verfahren hat das Sozialgericht Frankfurt am Main (SG) durch
Beschluss vom 14. Februar 2002 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Die begehrte
einstweilige Anordnung sei bereits deshalb abzulehnen, weil nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen
Überprüfung eine Erfolgsaussicht im Hauptsacheverfahren nicht gegeben sei. Aufgrund des Akteninhalts und unter
Berücksichtigung des Vorbringens der Antragsteller und der Antragsgegnerin lägen nach dem derzeitigen Sach- und
Streitstand die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II nicht vor.
Gegen diesen ihnen am 16. Februar 2005 zugestellten Beschluss wenden sich die Antragsteller mit ihrer am 24.
Februar 2005 eingegangenen Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat (Beschluss vom 28. Februar 2005). Sie
wiederholen im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen. Die Antragstellerin zu 1. trägt außerdem vor, seit Januar 2005
Werkverträge über monatlich 300 Euro abgeschlossen zu haben. E. zahle für seine Tochter weiterhin monatlich 150
Euro Unterhalt und als Mietzuschuss bis einschließlich April 2005 weitere 70 Euro.
Die Antragsgegnerin trägt ergänzend vor, dass die Antragstellerin zu 1. auch aktuell falsche Angaben gemacht habe.
So habe sie auf dem "Vermögenszusatzfragebogen" angegeben, dass keine Kraftfahrzeuge vorhanden wären. Dies
stehe im Widerspruch zu den Ermittlungen. Danach sei auf die Antragstellerin zu 1. seit dem 30. Juni 1998 ohne
Unterbrechung und auch aktuell bis zumindest 7. Februar 2005 ein Kfz. mit dem Kennzeichen XXXXX zugelassen.
Nach ständiger Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zum BSHG seien allein durch die Haltung eines Kfz. schon
Zweifel an der Hilfebedürftigkeit gerechtfertigt. Die Haltung eines Kfz. aus Mitteln der Sozialhilfe sei nicht leistbar
gewesen. Die Antragstellerin zu 1. habe jedoch sogar ein Fahrzeug nach Einstellung der Hilfegewährung nach dem
BSHG und angeblicher Mittellosigkeit gehalten. Insofern und insbesondere deshalb seien erhebliche Zweifel an der
wirtschaftlichen Situation der Antragstellerin zu 1. begründet.
Die Antragstellerin zu 1. hat daraufhin unter dem 8. April 2005 eine eidesstattliche Erklärung abgegeben, der zufolge
sie das Kfz. mit dem Kennzeichen XXXXX im Jahre 1999 verkauft habe und seitdem nicht mehr im Besitz des
Fahrzeugs sei. Zugleich hat sie eine Kopie des Kaufvertrages vom 29. Juli 1999 über den Verkauf des genannten
Fahrzeugs vorgelegt. Des Weiteren hat sie eidesstattlich versichert, dass sich E. jetzt eine Wohnung gesucht habe,
weil sie weder wisse wie es weitergehen solle noch was aus ihr und ihren Kindern werde. Gegenüber dem
Berichterstatter des vorliegenden Beschwerdeverfahrens, den die Antragstellerin zu 1. am 20. Juni 2005
unaufgefordert aufgesucht hat (vgl. dazu den Vermerk vom 20. Juni 2005), hat die Antragstellerin zu 1. versichert,
dass sie mit E. nicht in eheähnlicher Gemeinschaft lebe, dieser inzwischen auch nicht mehr in der A. Straße wohne
und dort seit dem 1. Mai 2005 auch nicht mehr gemeldet sei.
Nach Verbindung der Verfahren der Antragsteller zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung (Beschluss des
Senats vom 2. Mai 2005) beantragen die Antragsteller
unter Abänderung des Beschlusses des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 14. Februar 2005 die Antragsgegnerin
im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen vorläufig bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens
ab 1. Januar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu bewilligen, und zwar an die
Antragstellerin zu 1. in Höhe von 620,26 Euro, an die Antragsteller zu 2. und 3 in Höhe von jeweils 273,06 Euro, und
an die Antragstellerin zu 4. in Höhe von 113,06 Euro,
hilfsweise, ihnen vorläufig bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens ab 1. Januar 2005 Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlichem Umfang zu gewähren.
sowie den Antragstellern für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B. zu
bewilligen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie wiederholt und vertieft ihr bisheriges Vorbringen. Besonders weist sie auf eine offensichtliche Nutzung von
Internet, Telefon und Handy seitens der Antragstellerin zu 1. und darauf hin, dass E. für das gemeinsame Kind
Betreuungsleistungen übernommen habe.
Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten auf den Inhalt der Akte der Antragsgegnerin, der Sozialhilfeakten
sowie der Gerichtsakten, die dem Senat vorgelegen haben, Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist begründet. Das SG hat zu Unrecht die Voraussetzungen für den Erlass der beantragten
einstweiligen Anordnung verneint.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in
Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden
Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.
Nach Satz 2 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug
auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile
notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen
Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der die Antragsgegnerin im Wege
des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt,
der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus.
Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander, es besteht vielmehr eine
Wechselbeziehung der Art, als die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw.
Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch
und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (Meyer-
Ladewig, a.a.O., Rdnrn. 27 und 29 m.w.N.): Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder
unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich
abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen
offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem
Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen
Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine
vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer
Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen Belange des Antragstellers
umfassend in die Abwägung einzustellen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)
müssen sich die Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. zuletzt BVerfG,
Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05).
Sowohl Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. §
86 b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen. Dabei sind, soweit im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch
auf die Erfolgsaussichten abgestellt wird, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu
prüfen (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05). Die Glaubhaftmachung bezieht sich im Übrigen
lediglich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde
Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des
Anordnungsgrundes (vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O., Rdnrn. 16b, 16c, 40; Berlit, info also 2005, 3, 8).
Ausgehend von diesen Grundsätzen war dem Antrag der Antragsteller zu entsprechen. Anordnungsanspruch und
Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht. Im Fall der Antragsteller geht der Senat zum einen davon aus, dass die
Erfolgsaussichten einer Klage im Hauptsacheverfahren zumindest offen sind. Ohne den Erlass der einstweiligen
Anordnung würde ihnen zudem ein gegenwärtiger erheblicher Nachteil drohen, der nicht hinzunehmen ist.
Gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Gesetz Personen, die das 15. Lebensjahr
vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind sowie ihren
gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben. Zu den zu gewährenden Leistungen gehören als Arbeitslosengeld II
insbesondere die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für
Unterkunft und Heizung (§ 19 Satz 1 Nr. 1 SGB II). Nicht erwerbsfähige Angehörige, die mit erwerbsfähigen
Hilfebedürftigen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten grundsätzlich Sozialgeld, das die sich aus § 19 Satz 1
Nr. 1 SGB II ergebenden Leistungen umfasst (§ 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB II). Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1
SGB II, wer seinen Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden
Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Mitteln oder aus den zu berücksichtigenden Einkommen oder
Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern
anderer Sozialleistungen erhält. § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II bestimmt, dass bei Personen, die in einer
Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen sind. Zur
Bedarfsgemeinschaft gehört als Partner des erwerbsfähigen Hilfsbedürftigen auch die Person, die mit ihr in
eheähnlicher Gemeinschaft lebt (§ 7 Abs. 3 Nr. 3 b SGB II).
Vom Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts ist im Falle der Antragsteller, die, soweit es die Antragstellerinnen zu 1 und 4 betrifft, lediglich über
geringfügige Einkünfte verfügen, auszugehen. Nach dem im Eilverfahren feststellbaren Sachverhalt ist der
Lebensunterhalt der Antragsteller auch nicht durch anrechenbare Mittel Dritter gesichert. Insbesondere kann nicht vom
Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft der Antragstellerin zu 1. mit E. ausgegangen werden. Für eine
entsprechende Annahme fehlt es an zeitnahen eindeutigen Hinweisen.
Eine eheähnliche Gemeinschaft ist allein die auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft eines Mannes und einer Frau,
die daneben keine weiteren Lebensgemeinschaften gleicher Art zulässt und sich – im Sinne einer Verantwortungs-
und Einstehensgemeinschaft – durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Paare
füreinander begründen, also über eine reine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft - hinausgeht (BVerwG, Urteil
vom 17. November 1992 – 1 BvL 8/87, BVerwGE 87, 234, 264; Bundessozialgericht – BSG, Urteil vom 17. Oktober
2002 – B 7 AL 96/00 R). Kriterien für die Ernsthaftigkeit einer Beziehung im vorbezeichneten Sinne sind insbesondere
deren Dauerhaftigkeit und Kontinuität und eine bestehende Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft, daneben aber
auch weitere Umstände, etwa die gemeinsame Versorgung von Angehörigen. Dagegen setzt die Annahme einer
eheähnlichen Gemeinschaft nicht die Feststellung voraus, dass zwischen den Partnern geschlechtliche Beziehungen
bestehen (BSG a.a.O.). Das Vorliegen einer derartig charakterisierten Gemeinschaft, in der ein gegenseitiges
Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens von beiden Personen erwartet werden kann, ist derzeit jedenfalls
nicht überwiegend wahrscheinlich.
Nach dem bislang festgestellten Sachverhalt wohnte E. – wie die Antragsteller – in der B. Straße XXX in A-Stadt. In
dieser Wohnung hatte er ein Zimmer und war auch dort gemeldet. E. zahlte an die Antragstellerin zu 1. einen
Mietanteil. Entsprechende Feststellungen sind auch für die Zeit nach dem Umzug in die A-Straße zu treffen. Der
Mietvertrag über die Wohnung wurde allein von der Antragstellerin zu 1. geschlossen, E. zahlte an diese eine anteilige
Miete von 70 Euro. Selbst wenn unterstellt wird, dass E. nicht nur ein Zimmer, sondern auch Teile der
Wohnungseinrichtung, wie Kühlschrank und Waschmaschine, benutzt hat, kann aus diesen Umständen allenfalls das
Bestehen einer Wohn- und Zweckgemeinschaft geschlossen werden. Das Zusammenleben unter eine Meldeanschrift
stellt noch kein Indiz für das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft im Sinne einer Verantwortungs- und
Einstehensgemeinschaft, insbesondere in den Notfällen des Lebens, dar. Dies entspricht im Übrigen der
Rechtsprechung sowohl des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 87, 234, 264) als auch des
Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 98, 195, 198 f.).
Eine andere Beurteilung rechtfertigt auch nicht das Ergebnis des Hausbesuches der Antragsgegnerin vom 21. Oktober
2003. Zwar hatte die Antragstellerin zu 1. nach dem Bericht des Mitarbeiters der Antragsgegnerin H. eingeräumt, dass
E. die meiste Zeit bei ihr in der Wohnung sei und dass sie mit ihm in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebe. Dabei
erscheint aber schon zweifelhaft, ob der Antragstellerin zu 1. der Bedeutungsinhalt des Begriffs "eheähnliche
Gemeinschaft", wie er von der Rechtsprechung verstanden wird, bewusst gewesen ist. Jedenfalls bezog sich die
Erklärung allein auf die Verhältnisse in der früheren Wohnung B. Straße XXX, nicht aber auf die Zeit nach dem Umzug
und insbesondere auf den Zeitraum, für den die Antragsteller Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende
geltend machen. Für diese Leistungen, die der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens dienen, hat jedoch
das Bundesverfassungsgericht zu Recht entschieden, dass bei der Prüfung der Voraussetzungen eines Anspruchs
auf Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums, soweit es – wie vorliegend – um die Beurteilung der
Hilfebedürftigkeit geht, nur auf die gegenwärtige Lage abgestellt werden darf. Umstände der Vergangenheit dürfen nur
insoweit herangezogen werden, als sie eindeutige Erkenntnisse über die gegenwärtige Lage des Anspruchstellers
ermöglichen (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BVR 569/05). Dies gilt nach den weiteren Ausführungen des
Bundesverfassungsgerichts in dieser Entscheidung sowohl für die Feststellung der Hilfebedürftigkeit selbst als auch
für die Überprüfung einer Obliegenheitsverletzung nach §§ 60, 66 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I), wenn
über den Anspruch anhand eines dieser Kriterien entschieden werden soll. Existenzsichernde Leistungen dürfen nicht
aufgrund bloßer Mutmaßungen verweigert werden, insbesondere wenn sich diese auf vergangene Umstände stützen.
Auch die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung hat im Übrigen betont, dass Gegenstand des einstweiligen
Rechtsschutzes allein die Beseitigung einer gegenwärtigen Notlage und damit eine Regelung für die Gegenwart und
die nächste Zukunft sei. Vorgänge in der Vergangenheit könnten deshalb nur dann die Rechtslage beeinflussen, wenn
sie in die Gegenwart weiterhin fortwirkten (Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 21.
März 2003 – 2 MB 31/03 – info also: 2004, 226, 227).
Die von der Antragsgegnerin zur Begründung der eheähnlichen Gemeinschaft herangezogenen Umstände stützen sich
im Wesentlichen auf in der Vergangenheit liegende Tatsachen, die vor allem auf Erkenntnissen nach besagtem
Hausbesuch vom 21. Oktober 2003 beruhen. Soweit die Antragsgegnerin die Hilfebedürftigkeit der Antragsteller unter
Verweis auf ein auf die Antragstellerin zu 1. zugelassenes Kfz. bezweifelt, beruhen diese Zweifel auf gegenwärtige
Umstände. Die Antragstellerin zu 1. hat jedoch diese Zweifel in ihrer eidesstattlichen Erklärung vom 8. April 2005
unter Vorlage der Kopie des Kaufvertrages vom 29. Juli 1999 über den Verkauf des Kfz. ausgeräumt. Unabhängig
davon handelt es sich bei dem Fahrzeug mit dem Kennzeichen XXXXX um ein älteres Fahrzeug von nicht
erheblichem Wert, zu dessen vorrangigem Einsatz die Antragstellerin zu 1. nicht verpflichtet wäre. Nach § 12 Abs. 3
Satz 1 Nr. 2 SGB II ist nämlich ein angemessenes Kraftfahrzeug für jeden in der Bedarfsgemeinschaft lebenden
erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nicht als Vermögen zu berücksichtigen. Der Umstand, dass sich E. (zeitweise) um
seine leibliche Tochter kümmert und diese betreut, ist zwar ein Indiz für das Bestehen einer eheähnlichen
Gemeinschaft, darf aber auch nicht verabsolutiert werden. Er beweist nur ein Einstehen für die Antragstellerin zu 3.,
nicht aber zwangsläufig auch ein Einstehen für die übrigen Antragsteller, namentlich die Antragstellerin zu 1. als
angebliche Partnerin einer eheähnlichen Gemeinschaft. Ein gegen das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft
sprechendes Indiz, nämlich der Abschluss des Mietvertrages für die neue Wohnung allein durch die Antragstellerin zu
1., hat die Antragsgegnerin im Übrigen bisher unberücksichtigt gelassen.
Der Senat verkennt nicht, dass die Feststellung einer eheähnlichen Gemeinschaft die Antragsgegnerin vor erhebliche
Probleme stellt, zumal sie – wie sie vorgetragen hat – nicht über polizeiliche oder steuerbehördliche
Ermittlungsmöglichkeiten verfügt. Hierauf vermag sich die Antragsgegnerin jedoch solange nicht zu berufen, als sie
nicht alle Erkenntnismöglichkeiten zur Frage des Bestehens einer eheähnlichen Gemeinschaft ausgeschöpft hat. In
Fällen der vorliegenden Art erfordert der Ermittlungsgrundsatz des § 20 SGB I vor allem die Anhörung derjenigen
Person, die als Partner der Hilfesuchenden angesehen wird, wenn diese das Vorliegen einer eheähnlichen
Gemeinschaft verneint. Dies ist vorliegend nicht geschehen, obwohl die Antragstellerin zu 1. die eheähnliche
Gemeinschaft bestritten hatte. Von E. hat die Antragsgegnerin bei oder nach Stellung des Antrags vom 16. 11. 2004
keine Stellungnahme eingeholt.
Die Hilfebedürftigkeit der Antragsteller kann auch nicht - wie es die Antragsgegnerin tut - mit dem Hinweis darauf
verneint werden, es sei der Antragstellerin über 14 Monate möglich gewesen, den Lebensunterhalt ohne
Inanspruchnahme von Sozialhilfe zu sichern; sie hätten bisher nicht dargelegt, wie dies bewerkstelligt worden sei und
warum dies jetzt nicht mehr möglich sei. Ganz abgesehen davon, dass das Sozialamt der Stadt A-Stadt jedenfalls für
die Antragsteller zu 2. und 3. die Sozialhilfe ab Oktober 2004 weiter bewilligte und diese Leistung zu Händen der
Antragstellerin zu 1. in Höhe von 754,51 Euro zahlte, so dass durch Einschränkung auf das existentiell zwingend
Erforderliche und Inanspruchnahme von Privatdarlehen sowie – von der Antragstellerin zu 1. eingeräumt –
Ladendiebstählen eine Überlebensmöglichkeit möglich erscheint, war es schon nach früherem Sozialhilferecht
unstatthaft, einem Hilfesuchenden die Gewährung der Hilfe zum Lebensunterhalt zunächst zu verweigern und ihm
dann entgegenzuhalten, dass bereits das Überleben ohne die verweigerte Hilfe Zweifel an der Hilfebedürftigkeit
begründe (Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 21. März 2003 – 2 MB 31/03 – info also:
2004, 226). Dieser Grundsatz gilt ohne Weiteres auch im Leistungsrecht des SGB II, in dem die Hilfebedürftigkeit als
Voraussetzung der Leistungsberechtigung bestimmt ist. Nur wenn die Antragsgegnerin unter Angabe von Tatsachen
konkret vorgetragen hätte, über welches – bisher verschwiegene – Einkommen die Antragsteller aktuell verfügen, so
dass diesen auch eine Widerlegung im Rahmen ihrer Mitwirkungspflichten möglich gewesen wäre, könnte von
berechtigten Zweifeln an der Hilfsbedürftigkeit ausgegangen werden und diese ein Gewicht erlangen, dass die
Ablehnung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts rechtfertigte (vgl. auch den bereits zitierten Beschluss
des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 sowie den Beschluss des Schleswig-
Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts a.a.O.). Dafür reicht auch die Behauptung der Antragsgegnerin nicht aus, die
Antragstellerin zu 1. nutze offensichtlich Internet, Telefon und Handy.
Die Folgenabwägung im Rahmen der Prüfung des Anordnungsgrundes fällt vorliegend zu Gunsten der Antragsteller
aus. Wie ausgeführt dienen die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II der
Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens, mithin der Erfüllung einer verfassungsrechtlichen Pflicht des
Staates, die aus dem Gebot zum Schutz der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot folgt (vgl.
BVerwG Beschluss vom 12. Mai 2005 -1 BVR 569/05 – unter Hinweis auf BVerwGE 82, 60, 80). Ohne den Erlass
einer einstweiligen Anordnung wäre das Existenzminimum der Antragsteller möglicherweise längere Zeit nicht
gedeckt. Diese erhebliche Beeinträchtigung kann auch nachträglich bei einem erfolgreichen Abschluss des
Widerspruchs- oder Klageverfahrens nicht mehr ausgeglichen werden, weil der elementare Lebensbedarf eines
Menschen grundsätzlich nur in dem Augenblick befriedigt werden kann, in dem er entsteht. Insoweit wäre zu Lasten
der Antragsteller eine "Vorwegnahme der Hauptsache" eingetreten. Der zu befürchtenden Beeinträchtigung der
Menschenwürde durch die Vorenthaltung von Leistungen zur Existenzsicherung steht lediglich die Möglichkeit
ungerechtfertigter Geldzahlungen seitens der Antragsgegnerin gegenüber. Vor dem Hintergrund, dass diese im Falle
erfolgloser Rechtsbehelfe von den Antragstellerin grundsätzlich die Rückzahlung von Leistungen geltend machen
kann, die einstweilige Anordnung überdies nur bis zur Erteilung des Widerspruchsbescheides gilt, deren Zeitpunkt die
Antragsgegnerin beeinflussen kann, ist diese Möglichkeit im Rahmen der Folgenabwägung indes von geringem
Gewicht und in Kauf zu nehmen.
Der Senat hat die Antragsgegnerin im Sinne des Hilfsantrags der Antragsteller verpflichtet. Da die konkrete Höhe der
zu gewährenden Leistungen zum Lebensunterhalt auch von der Höhe der von der Antragstellerin zu 1. seit Januar
2005 aus Werkverträgen erzielten Einkünften abhängt, diese aber offensichtlich schwanken, dem Senat aber nicht
genauer bekannt sind und die Antragstellerin zu 1. nach ihrer Erklärung vom 22. Juni 2005 derzeit nicht mehr in einem
Werkvertragsverhältnis steht, hat er von einer Bezifferung der an die Antragsteller zu zahlenden Beträge abgesehen.
Außerdem war die vorläufige Leistungspflicht der Antragsgegnerin auf die Zeit ab 27. Januar 2005 zu begrenzen.
Einen Anordnungsgrund erkennt der Senat in Fällen der vorliegenden Art regelmäßig nicht für die Vergangenheit an,
weil sich die aktuelle Notlage, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu rechtfertigen vermag, erst zum
Zeitpunkt des Eingangs des Antrags bei Gericht dokumentiert. Dies ist hier der 27. Januar 2005.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Den Antragstellern war für das Beschwerdeverfahren gemäß § 73 a SGG i.V.m. 114 ZPO Prozesskostenhilfe zu
bewilligen und ihr Verfahrensbevollmächtigter nach § 121 Abs. 2 ZPO beizuordnen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).