Urteil des LSG Hessen vom 12.03.2002

LSG Hes: witwenrente, elterliche sorge, arbeitslosenhilfe, auskunft, erwerbstätigkeit, krankengeld, hinterbliebenenrente, arbeitsamt, betrug, differenzmethode

Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 12.03.2002 (rechtskräftig)
Sozialgericht Wiesbaden S 12 RJ 269/00
Hessisches Landessozialgericht L 12/13 RJ 1171/00
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Wiesbaden vom 28. August 2000 wird
zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung einer Hinterbliebenenrente an die frühere Ehefrau - Geschiedenenwitwenrente - nach § 243
Sozialgesetzbuch 6. Buch - SGB VI.
Die 1947 geborene Klägerin war mit dem Versicherten E. W., geboren 1939 und verstorben am 18. November 1991,
seit dem 18. März 1966 verheiratet. Die Ehe wurde durch Urteil des Landgerichts L. am 2. Juli 1975 aus Verschulden
des Versicherten rechtskräftig geschieden. Die Eheleute vereinbarten in dem Scheidungstermin in einem Vergleich die
Zahlung eines Unterhaltszuschusses von 200,00 DM durch den Versicherten an die Klägerin, begrenzt auf die Dauer
eines Jahres. Daneben sollte der Versicherte einen monatlichen Kindesunterhalt von 150,00 DM in diesem Zeitraum
für das gemeinsame Kind, geboren 1966, für das die Klägerin die elterliche Sorge zugesprochen bekam, zahlen. Ab
dem Zeitpunkt des Wegfalls des Unterhaltszuschusses der Klägerin sollte der Unterhaltsanspruch des Kindes gegen
den Versicherten 200,00 DM betragen. Der Versicherte heiratete am 6. Januar 1989 wieder. Die Witwe erhielt durch
Bescheid vom 29. September 1993 eine Witwenrente aus der Versicherung des E. W. ab dem 1. Dezember 1991. Sie
heiratete am 31. August 2000 erneut und beantragte am 5. September 2000 die Gewährung einer
Witwenrentenabfindung. Diese wurde ihr durch Bescheid vom 26. Oktober 2000 in Höhe des vierundzwanzigfachen
des Betrags des monatlichen Durchschnittsbetrags der Witwenrente - in den letzten 12 Monaten vor deren Wegfall -
mit einem Gesamtbetrag von 4.919,82 DM gewährt. Zugleich hob die Beklagte den Bescheid über die Gewährung der
Witwenrente ab dem 12. September 2000 auf.
Die Klägerin hat nach einer Schneiderlehre 1961/1962 bis 1966 als Schneiderin und dann als Näherin ab Oktober 1969
bis August 1971 gearbeitet. Zwischen September 1971 und März 1979 war sie nicht berufstätig. Seit dem 1. April
1979 war sie als Güteprüferin bei der Firma B. und D. GmbH tätig. Am 4. Oktober 1990 erkrankte sie arbeitsunfähig
und beantragte am 7. Juni 1991 eine Rente wegen Erwerbsminderung bei der Beklagten. Sie bezog seit dem 1.
November 1990 Übergangsgeld und dann Krankengeld von der AOK Hessen und zwar vom 1. Juli 1991 bis 30.
September 1991 in Höhe von 5.036,40 DM und vom 1. Oktober 1991 bis zum 31. Dezember 1991 in Höhe von
5.273,10 DM. Der letzte Pflichtbeitrag wurde für sie am 31. Oktober 1990 für ein Bruttoentgelt von 2.806,10 DM
entrichtet. Die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, die ihr durch Bescheid vom 20. Februar 1992 ab dem 11. Januar
1991 gewährt wurde, betrug in der Zeit vom 11. Januar 1991 bis 30. Juni 1991 einschließlich Zuschuss zur
Krankenversicherung und abzüglich Krankenversicherungsbeitrag 790,45 DM sowie ab dem 1. Juli 1991 830,27 DM.
Übergangsgeld wurde in Höhe eines kalendertäglichen Betrages von 28,15 DM ab dem 1. November 1990 und in Höhe
von 41,97 DM kalendertäglich ab dem 16. November 1990 gewährt.
Der Versicherte war seit dem 16. September 1991 arbeitslos und bezog seit dem 16. September 1991
Arbeitslosenhilfe. Er war zunächst als Bauhelfer, von 1959 bis Dezember 1978 als Kraftfahrer und vom 1. Februar
1979 bis zum 30. Dezember 1990 bei der Firma E. N. KG - zuletzt - als Auszeichner erwerbstätig. Am 16. September
1991 beantragte er Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Zunächst erhielt der Versicherte Lohnfortzahlung, bezog dann
vom 5. November 1990 bis 15. September 1991 Krankengeld und vom 16. September 1991 bis 18. November 1991
Arbeitslosenhilfe vom Arbeitsamt L ... Durch Bescheid vom 3. Februar 1993 bewilligte die Beklagte dem Versicherten
eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab dem 1. September 1991. Als Versicherungsfall nahm sie den 24. September
1990 an. Vom 1. September 1991 bis 18. November 1991 betrug der monatliche Rentenzahlbetrag 1.243,99 DM.
Am 10. Mai 1999 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Geschiedenenwitwenrente bei der Beklagten. Im
Verlaufe des Verfahrens gelangte eine Auskunft des W. N. für die Firma E. N. - die seit 1994 abgemeldet ist - vom 21.
August 1999 zu den Akten. Aus dieser ergibt sich, dass von dort keine betrieblichen Versorgungsleistungen gezahlt
worden sind. Die Klägerin übersandte neben dem Scheidungsurteil weitere Unterlagen betreffend die Scheidung.
Darunter befindet sich auch ein Schreiben vom 14. März 1984 mit dem der Versicherte aufgefordert wurde,
rückständige Unterhaltsleistungen für den Sohn zu begleichen. Durch Bescheid vom 15. September 1999 lehnte die
Beklagte die Gewährung der beantragten Leistung ab. Zur Begründung führte sie aus, dass der Versicherte zum
Zeitpunkt des Todes nicht zum Unterhalt gegenüber der Klägerin verpflichtet gewesen sei, da sein eigenes
Einkommen den Selbstbehalt von 1.400,00 DM unterschritten habe. Tatsächlichen Unterhalt habe er in dem letzten
Jahr vor seinem Tode nicht geleistet. Außerdem komme auch ein Anspruch nach § 243 Abs. 3 SGB VI nicht in
Betracht, da die Klägerin zur Zeit weder ein Kind erziehe, noch berufs- oder erwerbsunfähig sei oder das 60.
Lebensjahr vollendet habe. Im Widerspruch vom 7. Oktober 1999 machte die Klägerin geltend, dass sie einen
Unterhaltsanspruch dem Grunde nach gegen den Versicherten gehabt habe. Es sei lediglich nicht möglich gewesen
diesen durchzusetzen. Durch Bescheid vom 2. Dezember 1999 änderte die Beklagte die Begründung des
ablehnenden Bescheides ab und führte aus, dass die Klägerin bereits deswegen keinen Anspruch auf eine
Geschiedenenwitwenrente nach § 243 Abs. 3 SGB VI habe, weil die Witwe des Versicherten eine Hinterbliebenenrente
beziehe. Durch Widerspruchsbescheid vom 10. März 2000 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 22. März 2000 Klage vor dem Sozialgericht Wiesbaden erhoben. Zur Begründung führt
sie aus, dass sie einen Unterhaltsanspruch gegen den Versicherten gehabt habe. Die Zahlungspflicht des
Versicherten sei trotz des Unterhaltsverzichts nicht aufgehoben gewesen. Die Zahlung einer Witwenrente sei kein
negatives Tatbestandsmerkmal. Durch Gerichtsbescheid vom 28. August 2000 hat das Sozialgericht die Klage
abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klägerin im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem
Tode des Versicherten keinen Unterhaltsanspruch gegen diesen gehabt habe.
Gegen den der Klägerin am 4. September 2000 zugestellten Gerichtsbescheid hat diese am 5. September 2000
Berufung bei dem Sozialgericht Wiesbaden eingelegt.
Sie hält im Berufungsverfahren an der zuvor geäußerten Rechtsauffassung fest und beantragt, den Gerichtsbescheid
des Sozialgerichts Wiesbaden vom 28. August 2000 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15. September 1999 in
der Fassung des Änderungsbescheides vom 2. Dezember 1999 und des Widerspruchsbescheides vom 10. März 2000
aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 1. Juni 1999 eine Geschiedenenwitwenrente in gesetzlicher
Höhe aus der Versicherung des E. W. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie vertritt weiterhin die Auffassung, dass die Klägerin keinen Unterhaltsanspruch gegen den Versicherten zumindest
bis zum 1. September 2002 habe und deswegen auch keine Geschiedenenwitwenrente, als Ersatz für die mit dem
Tod des Versicherten entgangene Unterhaltsleistung, habe gewährt werden können. Zugleich hat sie ausgeführt, dass
die Beigeladene durch Bescheid vom 26. Oktober 2000 ab dem 1. September 2000 eine Witwenrentenabfindung
wegen der Wiederverheiratung erhalten habe. Die Klägerin hätte - im Falle des Unterhaltsanspruchs gegen den
Versicherten - ab dem 1. Juni 1999 einen zwischen ihr und der Witwe aufgeteilten Rentenanspruch vor dem 1.
September 2002 haben können. Einen Anspruch aus § 243 Abs. 3 SGB VI könne ab dem Beginn des 25.
Kalendermonats nach der Wiederverheiratung der Witwe bestehen, wenn die Klägerin die dortigen
Anspruchsvoraussetzungen erfülle.
Die Beigeladene stellt keinen eigenen Antrag.
Der Senat hat die Witwe des Klägers durch Beschluss vom 7. März 2001 beigeladen und Ermittlungen zu der genauen
Höhe des Entgelts des Versicherten vor November 1991 bei dem Arbeitsamt L. und der AOK Hessen angestellt. Das
Arbeitsamt konnte zur Höhe der Arbeitslosenhilfe zunächst keine Auskunft geben. Erst als die AOK Hessen am 29.
September 2001 die Höhe des Krankengeldes und des vorherigen Entgelts mitgeteilt hatte, bezifferte das Arbeitsamt
L. die Höhe der dortigen Leistung. Es wird insoweit Bezug genommen auf die Auskunft vom 15. November 2001.
Wegen der weiteren Einzelheiten sowie zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts-
und der Verwaltungsakten der Beklagten, einschließlich der Verwaltungsakte über die Klägerin und der Beigeladenen,
der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, denn sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie an sich statthaft (§§ 143, 151
Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Wiesbaden vom 28. August 2000
ist zur Zeit nicht zu beanstanden. Der Bescheid der Beklagten vom 15. September 1999 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 10. März 2000 ist rechtmäßig. Die Klägerin wird dadurch zur Zeit in ihren Rechten nicht
verletzt. Die Beklagte könnte zwar verpflichtet sein, der Klägerin ab dem 1. September 2002 eine große Witwenrente
aus der Versicherung des E. W. zu gewähren. Zur Zeit ist die Berufung jedoch unbegründet. Die Klägerin hat keinen
Anspruch auf die Gewährung dieser Leistung. Nach § 243 Abs. 2 SGB VI besteht ein Anspruch auf eine große
Witwenrente auch für geschiedene Ehegatten,
1. deren Ehe vor dem 1. Juli 1977 geschieden ist, 2. die nicht wieder geheiratet haben und 3. die im letzten Jahr vor
dem Tode des Versicherten Unterhalt von diesem erhalten haben oder im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor
dessen Tode einen Anspruch hierauf hatten und 4. die entweder a) ein eigenes Kind oder ein Kind des Versicherten
erziehen (§ 46 Abs. 2), b) das 45. Lebensjahr vollendet haben, c) erwerbsgemindert sind, d) vor dem 2. Januar 1961
geboren und berufsunfähig (§ 240 Abs. 2) sind oder e) am 31. Dezember 2000 bereits berufsunfähig oder
erwerbsunfähig waren und dies ununterbrochen sind, wenn der Versicherte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat und
nach dem 30. April 1942 gestorben ist.
Die Klägerin erfüllt die Tatbestandsvoraussetzungen des § 243 Abs. 2 Nrn. 1, 2 und 4 lit. b, c, d, e SGB VI. Die Ehe
der Klägerin wurde vor dem 1. Juli 1977, nämlich am 2. Juli 1975 rechtskräftig geschieden. Sie hat auch ausweislich
der Aktenlage nicht wieder geheiratet. Sie hatte zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten und der
Rentenantragstellung das 45. Lebensjahr vollendet, denn sie ist am 22. März 1947 geboren und ist seit dem 1.
November 1990 erwerbsunfähig. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 243 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI sind jedoch, worauf
in dem Bescheid der Beklagten vom 15. September 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. März
2000 sowie im erstinstanzlichen Urteil zutreffend hingewiesen wurde, nicht gegeben. Die Klägerin hat in dem letzten
Jahr vor dem Tode des Versicherten unstreitig von diesem keinen Unterhalt erhalten. Aus den Akten ergibt sich zwar,
dass die Klägerin unter Hinweis auf den in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht L. geschlossenen
Vergleich am 14. März 1984 den Versicherten aufgefordert hatte seinen Unterhaltsverpflichtungen nachzukommen.
Allerdings betraf dies nur den Unterhalt für das gemeinsame Kind und nicht den für die Klägerin. Der Versicherte hat
dieser Aufforderung auch nicht Folge geleistet.
Die Klägerin hatte auch im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten keinen
Unterhaltsanspruch gegen diesen. Zur Bestimmung des wirtschaftlichen Dauerzustandes bieten sich hier
verschiedene zeitliche Rahmen an, nämlich die Jahresfrist bis zum Tode des Versicherten (vgl. hierzu Entscheidung
des BSG vom 19. März 1997 - 5 RJ 16/95, SozR 3 - 2200 § 1265 Nr. 15, S. 100) vom 1. November 1990 bis 31.
Oktober 1991, aber auch die Zeit ab dem 16. September 1991, dem Beginn des Arbeitslosenhilfebezuges. Der Senat
ist der Auffassung, dass der letzte wirtschaftliche Dauerzustand sich im vorliegenden Fall auf den Zeitraum vom 16.
September 1991 bis zum 18. November 1991 zu erstrecken hat. Die von dem Versicherten ab diesem Zeitpunkt
bezogene Arbeitslosenhilfe - er wurde ab diesem Zeitpunkt von dem Krankengeldbezug ausgesteuert, war deutlich
niedriger als das Krankengeld. So betrug der Krankengeldanspruch ausweislich der Auskunft der AOK vom 11. März
1992 71,50 DM täglich und damit mindestens 2.145,00 DM monatlich. Die Arbeitslosenhilfe betrug nach der Auskunft
des Arbeitsamtes L. vom 15. November 2001 1.232,40 DM oder 1.118,00 DM monatlich, je nach Steuerklasse. Da
das Ende des Krankengeldbezuges durch Aussteuerung herbeigeführt wurde, war nicht damit zu rechnen, dass sich
die Einkommensverhältnisse des Versicherten wesentlich bessern konnten. Dies gilt jedenfalls bis zur Gewährung der
Rente wegen Erwerbsminderung, was allerdings erst durch Bescheid vom 3. Februar 1993 erfolgte. Die
Arbeitslosenhilfe war also die Leistung, die den wirtschaftlichen Verhältnissen des Versicherten in den nächsten zwei
Jahren, wenn er nicht gestorben wäre, das Gepräge hätte geben sollen. In diesem Zeitraum hatte die Klägerin keinen
Unterhaltsanspruch gegen den Versicherten.
Der Anspruch der Klägerin auf gesetzlichen Unterhalt gegen den Versicherten richtet sich nach § 58 Ehegesetz -
EheG -. Die Ehe der Klägerin ist, wie oben bereits ausgeführt, vor dem 1. Juli 1977 geschieden worden und die
Vorschriften des EheG finden trotz ihrer Aufhebung durch das erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts
vom 14. Juli 1976 hinsichtlich der unterhaltsrechtlichen Regelung weiterhin Anwendung (Art. 12 Nr. 3 Abs. 2 des
ersten Eherechtsgesetzes). Nach § 58 Abs. 1 EheG hat der allein oder überwiegend für schuldig erklärte Mann der
geschiedenen Ehefrau den nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt zu gewähren,
soweit die Einkünfte aus dem Vermögen der Frau und ihre Erträgnisse aus einer Erwerbstätigkeit nicht ausreichen.
Diese Regelung ist nur anzuwenden, wenn die Eheleute für die Zeit nach der Scheidung keinen Unterhaltsvertrag oder
Unterhaltsvergleich geschlossen haben. Die Eheleute hatten im vorliegenden Fall einen Unterhaltsvergleich in der
mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht L. geschlossen. Dieser Unterhaltsvergleich beinhaltet zwar keinen
Unterhaltsverzicht auch für den Fall des Notbedarfs. Andererseits kann ihm doch entnommen werden, dass die
Eheleute sich darüber einig waren, dass die Klägerin lediglich im ersten Jahr nach der Ehescheidung Unterhalt
erhalten sollte. Anschließend sollte nur noch der Sohn Unterhalt erhalten und zwar wegen des Wegfalls des
Ehegattenunterhalts einen um 50,00 DM höheren Unterhalt als im ersten Jahr nach der Scheidung. Hieraus könnte
geschlossen werden, dass die Eheleute einen weiteren Unterhaltsanspruch für die Klägerin über das erste Jahr nach
der Scheidung hinaus ausschließen wollten, wenn auch nicht für den Fall des Notbedarfs. Ob ein solcher Fall im oben
bezeichneten letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vorlag, kann hier zunächst dahingestellt bleiben. Die Klägerin
hatte nämlich ohnehin keinen gesetzlichen Unterhaltsanspruch gegen den Versicherten in dem Zeitraum vom 16.
September 1991 bis 18. November 1991.
Grundsätzlich richtet sich der Umfang des Unterhaltsanspruchs nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten während
der Ehezeit (vgl. Appel, Johannsen, Stephan, Ehegesetz nebst Durchführungsverordnungen, München 1968, 2.
Auflage, § 58 Rdnrn. 390 ff.). Der nacheheliche Unterhalt bemisst sich also nach dem Stand und dem Beruf der
Eheleute zum Zeitpunkt der Scheidung. Dies dient dazu den Standart der Eheleute, den diese während der Ehezeit
hatten, auch nach der Scheidung aufrechtzuerhalten. Die Eheleute waren im vorliegenden Fall beide vor der
Eheschließung erwerbstätig. Während der Ehe wandelte sich dieses Bild, indem die Klägerin nur zwischen 1969 und
1971 einer Erwerbstätigkeit nachging, während der Versicherte durchgehend berufstätig war. Diese Situation war auch
zum Zeitpunkt der Ehescheidung gegeben. Die Klägerin hat allerdings vier Jahre nach der Scheidung ebenfalls wieder
eine Erwerbstätigkeit aufgenommen, die sie auch bis zu ihrer Erkrankung im Oktober 1990 verrichtet hat. Es ist davon
auszugehen, dass dies auch dem Plan der Eheleute entsprach, denn die oben beschriebene vertragliche
Unterhaltsregelung war nur für ein Jahr vorgesehen, also bis der 1966 geborene Sohn 10 Jahre alt war. Der
Versicherte ist auch erst mit seiner Erkrankung im November 1990 aus dem Erwerbsleben ausgeschieden. Die
Erwerbstätigkeit beider Eheleute hat mithin die Zeit vor der Ehe, zum Teil die während der Ehe und die nach der Ehe
bis zum Tode des Versicherten geprägt und stellt damit die Grundlage für die Bewertung der wirtschaftlichen
Verhältnisse dar (s. auch Entscheidung des BSG vom 22. Juni 1972 - Az.: 12 RJ 36/72 -, SozR Nr. 62 zu § 1265
RVO). Wenn, wie im vorliegenden Fall, zwischen der Scheidung und der maßgeblichen Bemessungszeit ein längerer
Zeitraum liegt, dann sind im Übrigen die Änderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse in die Bewertung
einzubeziehen. Dies gilt zumindest dann, wenn sie über einen längeren Zeitraum die wirtschaftliche Grundlage geprägt
haben und sich ergibt, dass die zum Zeitpunkt der Scheidung voraussehbare Einkommensentwicklung sowie die
seitdem eingetretenen Änderungen im Wesentlichen der allgemeinen Entwicklung entsprochen haben, das spätere
Einkommen mithin noch das eheliche Lebensniveau widerspiegelt. Dann bedarf es im Hinblick auf die sich
entsprechenden Lebensverhältnisse nicht der Projektion der ehelichen Lebensverhältnisse zum Zeitpunkt der
Scheidung auf den Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs (vgl. hierzu auch Entscheidungen des BSG vom 29. April
1997, 4 RA 38/96, BSGE 80, 198 - 205 und vom 13. August 1981 – 11 RA 48/80, SozR 2200 § 1265 Nr. 56, S. 188 ff.
m.w.N.). Es ist demnach davon auszugehen, dass beide Eheleute Einkommen aus eigener Erwerbstätigkeit hatten,
woraus sich letztendlich auch ihre Ansprüche auf Sozialversicherungsleistungen ergaben. Dies gilt um so mehr, wenn
wie im vorliegenden Fall die geschiedene Ehefrau im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tode des
geschiedenen Ehemannes über ein höheres Einkommen aus Sozialversicherungsleistungen verfügte als er.
Grundsätzlich gilt, dass die ehelichen Lebensverhältnisse bei Doppelverdienern von dem Gesamtnettoeinkommen
geprägt werden, das grundsätzlich jedem von ihnen zur Hälfte zusteht (vgl. Entscheidung des BSG vom 29. April
1997 - a.a.O.). Dies gilt auch, wenn beide Eheleute zum Zeitpunkt des Todes ihren Lebensunterhalt aus
Sozialversicherungsleistungen bestreiten. Wird von dieser Quote abgewichen, müssen besondere Gründe vorliegen.
Solche sind hier nicht gegeben. In einem solchen Fall kann es dahinstehen, ob zur Unterhaltsberechnung die
Differenzmethode oder die Anrechnungsmethode oder die modifizierte Anrechnungsmethode anzuwenden sind.
Sowohl nach der Anrechnungs- als auch der Differenzmethode ergibt sich im vorliegenden Fall kein
Unterhaltsanspruch der Klägerin, da diese, wie bereits ausgeführt, im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand über ein
höheres Einkommen aus Krankengeld als der Versicherte aus Arbeitslosenhilfe verfügte. Die Klägerin hatte einen
Krankengeldanspruch von 1.757,70 DM monatlich und der Versicherte einen Arbeitslosenhilfeanspruch von entweder
1.232,40 DM oder 1.118,00 DM monatlich - je nach Steuerklasse -. Nach der Anrechnungsmethode (1.757,70 DM +
1.232,40 = 2.990,10 DM: 2 = 1.495,05 DM - 1.757,70 DM = 0 DM) und der Differenzmethode (1.232,40 DM - 1.757,70
DM = 0 DM) ergibt sich ein Unterhaltsanspruch der Klägerin von 0 DM. Gleiches gilt im Übrigen auch, wenn keine
hälftige Quotelung erfolgt, sondern der Anspruch der Klägerin mit 1/3 bis 3/7 des Gesamteinkommens angesetzt wird
- unter Berücksichtigung dessen, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Ehescheidung nicht erwerbstätig war. Weder
nach der Anrechnungs-, noch nach der Differenzmethode verbleibt ein rechnerischer Unterhaltsanspruch.
Die Klägerin hatte auch keinen Unterhaltsanspruch aus einem sonstigen Grund, etwa dem Unterhaltsvergleich
anlässlich der Scheidung. Aus dem Wortlaut des Vergleichstextes ergibt sich eindeutig, dass die Unterhaltszahlung
durch den Versicherten an die Klägerin nach einem Jahr nach der Rechtskraft des Urteils beendet sein sollte. Einen
weiteren Anspruch kann die Klägerin hieraus ganz eindeutig nicht herleiten. Ob ein Anspruch für den Fall des
Notbedarfs bestanden haben könnte, kann auch hier dahinstehen, denn im Verhältnis zu dem Einkommen des
Versicherten lag bei der Klägerin kein Fall des Notbedarfs vor. Ihr Einkommen aus Krankengeld war, wie bereits zuvor
ausgeführt, höher als das des Versicherten. Die Klägerin hat zur Zeit auch keinen Anspruch auf eine große
Witwenrente nach § 243 Abs. 3 SGB VI ab dem 1. September 2002. Danach besteht ein Anspruch auf eine
Geschiedenenwitwenrente auch ohne Vorliegen der in Abs. 2 Nr. 3 genannten Unterhaltsvoraussetzungen für
geschiedene Ehegatten, die
1. einen Unterhaltsanspruch nach Abs. 2 Nr. 3 wegen des Arbeitsentgelts oder entsprechender Ersatzleistungen oder
wegen des Gesamteinkommens des Versicherten nicht hatten und 2. im Zeitpunkt der Scheidung entweder a) ein
eigenes Kind oder ein Kind des Versicherten erzogen haben (§ 46 Abs. 2) oder b) das 45. Lebensjahr vollendet hatten
und 3. entweder a) ein eigenes Kind oder ein Kind des Versicherten erziehen (§ 46 Abs. 2), b) erwerbsgemindert sind,
c) vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind, d) am 31. Dezember 2000 bereits berufsunfähig waren und
dies ununterbrochen sind oder e) das 60. Lebensjahr vollendet haben, wenn auch vor Anwendung der Vorschriften
über Einkommensanrechnung auf Renten wegen Todes ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente für eine Witwe oder
einen Witwer des Versicherten aus dessen Rentenanwartschaften nicht besteht.
Die Klägerin erfüllt zur Zeit die Voraussetzungen des Abs. 3 Nr. 2 a, denn im Zeitpunkt der Scheidung hat sie das
gemeinsame minderjährige Kind aus der Ehe mit dem Versicherten erzogen. Sie ist auch zum Zeitpunkt der
Rentenantragstellung bereits erwerbsgemindert im Sinne des Abs. 3 Nr. 3 b gewesen. Sie erhält nämlich auf Grund
des Bescheides der Beklagten vom 20. Februar 1992 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Die Voraussetzungen
des letzten Halbsatzes des Abs. 3 - kein Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente für eine Witwe aus der Versicherung
des Verstorbenen - sind zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats nicht gegeben. Für den zwischen der
Rentenantragstellung durch die Klägerin und mindestens dem 31. August 2001 liegenden Zeitraum besteht ein
derartiger Anspruch nicht, denn die Beigeladene - die Witwe des Versicherten - hat Witwenrente aus dessen
Versicherung bzw. ab dem 1. September 2000 eine Witwenrentenabfindung erhalten. Nach § 107 Abs. 1 Satz 2 SGB
VI wird für die Ermittlung anderer Witwenrenten - also auch einer Geschiedenenwitwenrente - aus derselben
Rentenanwartschaft bis zum Ablauf des 24. Kalendermonats nach Ablauf des Kalendermonats der Wiederheirat
unterstellt, dass ein Anspruch auf Witwenrente besteht. Der Ablauf des 24. Kalendermonats ist hier der 31. August
2002, so dass die Voraussetzungen des § 243 Abs. 3 letzter Halbsatz SGB VI ab dem 1. September 2002 vorliegen
könnten. Ob die Klägerin nach dem 31. August 2002 die weiteren Voraussetzungen erfüllt, kann offen bleiben.
Hierüber wird die Beklagte auf den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag zu entscheiden haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht gegeben sind.