Urteil des LSG Hessen vom 20.12.2006

LSG Hes: versorgung, treu und glauben, planwidrige unvollständigkeit, öffentlich, ausnahme, facharzt, berechtigung, trennung, abrechnung, ausschluss

Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 20.12.2006 (rechtskräftig)
Sozialgericht Marburg S 12 KA 889/05
Hessisches Landessozialgericht L 4 KA 44/06
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 29. März 2006 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits auch im zweiten Rechtszug zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Berechtigung des Klägers zur Teilnahme als koordinierender Arzt an der Durchführung
des strukturierten Behandlungsprogramms koronarer Herzkrankheit (DMP - KHK) nach § 137 f Sozialgesetzbuch,
Fünftes Buch (SGB V).
Der Kläger nimmt im Zuständigkeitsbereich der Beklagten an der vertragsärztlichen Versorgung im fachärztlichen
Bereich teil. Außerdem ist er als Belegarzt in einem Kreiskrankenhaus tätig. Mit seiner Teilnahmeerklärung vom 28.
Juli 2004 beantragte er bei der Beklagten die Teilnahme als koordinierender Arzt am DMP - KHK gemäß § 3 der
Vereinbarung (Vb) zur Durchführung des DMP - KHK zwischen der Beklagten und den Landesverbänden der
Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen im Bereich der Beklagten. Die Teilnahme an der fachärztlichen
Versorgung gemäß § 4a Vb beantragte er dagegen nicht. Mit Bescheid vom 3. Mai 2005 lehnte die Beklagte die
Teilnahme an der fachärztlichen Versorgung nach § 4a Vb ab, weil der Kläger nicht die Berechtigung zur Durchführung
der Stressechokardiographie besitze, was nach Anlage 2 Ziffer 1b) Vb Voraussetzung sei. Mit weiterem Bescheid
vom 10. Mai 2005 lehnte die Beklagte unter Korrektur ihres Bescheides vom 3. Mai 2005 auch den Antrag des
Klägers auf Teilnahme als koordinierender Arzt ab, weil er nicht an der hausärztlichen Versorgung teilnehme und auch
nicht am DMP - KHK als Facharzt teilnehme. In dem sich anschließenden Widerspruchsverfahren betonte die
Beklagte, sie sei bemüht, die Rolle der Fachärzte im DMP zu stärken und in den Nachverhandlungen mit den
Kostenträgern die Voraussetzung "Stressechokardiographie" zu überprüfen. Außerdem bat sie den Kläger zu
überdenken, ob er nicht auch einen Antrag auf Teilnahme an der fachärztlichen Versorgung im Rahmen des DMP -
KHK stellen wolle, was dieser jedoch ablehnte. Mit dem dem Kläger am 9. September 2005 zugestellten
Widerspruchsbescheid vom 6. September 2005 wies sie den Widerspruch des Klägers zurück.
Die hiergegen am 5. Oktober 2005 erhobene Klage hat das Sozialgericht Marburg (SG) mit Urteil vom 29. März 2006
abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, nach der auf § 73a SGB V beruhenden Vb zur DMP
- KHK, die sich auf § 137 SGB V stütze, sei der Kläger nicht zur Teilnahme als koordinierender Arzt berechtigt. Nach
§ 3 Abs. 1 Vb sei die Bestätigung der Teilnahme durch die Beklagte erforderlich. Im koordinierenden
Versorgungssektor seien nach § 3 Abs. 2 S. 1 Vb grundsätzlich aber nur an der hausärztlichen Versorgung
teilnehmenden Vertragsärzte teilnahmeberechtigt. § 3 Abs. 2 S. 4 Vb enthalte insoweit abschließend eine Ausnahme,
wonach auch solche zugelassenen Fachärzte an der koordinierenden Versorgung teilnehmen könnten, die zugleich
auch an der fachärztlichen Versorgung gemäß § 4a Vb teilnähmen. Darüber hinaus hätten die Vertragspartner keine
Ausnahme vorgesehen und eine solche könne der Kläger für sich auch nicht beanspruchen, denn die Vertragspartner
seien nicht verpflichtet gewesen, Strukturverträge zugunsten einzelner Leistungserbringer abzuschließen. Ihnen stehe
insoweit ein weiter Beurteilungsspielraum zu.
Gegen das ihm am 26. April 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 26. Mai 2006 Berufung zum Hessischen
Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt. Zur Begründung führt er aus, § 3 Abs. 2 S. 4 Vb regele die
Ausnahmefälle hinsichtlich der Teilnahmeberechtigung als koordinierender Arzt nicht abschließend. Außerdem
verstoße die Auslegung der Vb durch das SG gegen den Gleichheitsgrundsatz. Es besteht nämlich kein sachlicher
Grund dafür, dass der Kläger als fachärztlicher Internist und als Diabetologe im Rahmen des DMP - KHK nicht tätig
sein dürfe, während dies hausärztlich tätigen Internisten, Fachärzte für Allgemeinmedizin, praktischen Ärzten oder
Ärzten ohne Gebietsbezeichnung erlaubt sei. Es stehe im Widerspruch zu Sinn und Zweck des DMP - KHK, wenn auf
die Qualifikation des Klägers als Internist und Diabetologe im Rahmen koordinierender Tätigkeit verzichtet werden
müsse. Es sei auch kein rechtfertigender Grund dafür ersichtlich, den Kläger als Voraussetzung für die koordinierende
Tätigkeit zu einer Teilnahme als Facharzt zu zwingen. Entsprechend dem Zweck nach § 3 Abs. 2 S. 5 Vb gehe es
dem Kläger um die Betreuung der Versicherten, die er schon seit mindestens 12 Monaten als Vertragsarzt betreut
habe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 29. März 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des
Bescheids vom 10. Mai 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. September 2005 zu verurteilen, seine
Teilnahme als koordinierender Arzt am DMP - KHK zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie stützt sich auf das angegriffene Urteil des SG und weist darauf hin, dass die Auslegung der Vb durch das SG mit
der Trennung in eine haus- und fachärztliche Versorgungsebene entsprechend den gesetzlichen Strukturvorgaben
nach § 73 Abs. 1 SGB V übereinstimme. Im Übrigen sei der Gestaltungsspielraum der Vertragspartner zu beachten.
Wegen weiterer Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und
Verwaltungsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist sachlich unbegründet
Das SG hat in seinem angegriffenen Urteil bereits zutreffend ausgeführt, dass dem Kläger kein Anspruch gegen die
Beklagte auf Bewilligung der Teilnahme als koordinierender Arzt am DMP - KHK gemäß § 3 Abs. 1 Vb zusteht, weil er
die Teilnahmevoraussetzungen nach § 3 Abs. 2 Vb nicht erfüllt. Insoweit wird auf die Entscheidungsgründe im
angefochtenen Urteil des SG, die sich der Senat zu Eigen macht, Bezug genommen und von einer weiteren
Darstellung derselben abgesehen (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).
Insbesondere folgt der Senat der Auslegung von § 3 Abs. 2 Vb durch das SG, wobei es sich bei dem Vertragswerk
um einen Strukturvertrag nach § 73a SGB V handelt. Gemäß § 61 S. 2 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X) in
Verbindung mit § 157 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sind auch öffentlich-rechtliche Verträge, wie der hier zugrunde
liegende Strukturvertrag zum DMP - KHK, so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte
es erfordern. Eine ergänzende Vertragsauslegung kommt nur in Betracht, wenn das Vertragswerk eine planwidrige
Unvollständigkeit enthält, die entsprechend dem hypothetischen Willen der am Vertrag Beteiligten zu schließen wäre.
Eine solche Lücke liegt jedoch nicht vor. Nach § 3 Abs. 2 S. 1 Vb sollen "grundsätzlich" nur an der hausärztlichen
Versorgung teilnehmende Vertragsärzte als koordinierende Ärzte am DMP - KHK teilnehmen. Dies entspricht der
grundsätzlichen Trennung zwischen hausärztlicher und fachärztlicher Versorgung nach § 73 SGB V, wobei die
hausärztliche Versorgung insbesondere auch die Koordination diagnostischer, therapeutischer und pflegerischer
Maßnahmen umfasst (§ 73 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB V). Damit ist die ausnahmsweise Zulassung eines Facharztes zur
koordinierenden Versorgung nach § 3 Abs. 2 S. 4 Vb bereits eine Durchbrechung des Grundsatzes der Aufteilung
zwischen hausärztlicher und fachärztlicher Versorgung, die im Rahmen des DMP - KHK gerechtfertigt ist, wenn der
Facharzt am DMP - KHK im fachärztlichen Versorgungssektor gemäß § 4a Vb teilnimmt, wie § 3 Abs. 2 S. 4 Vb
ausdrücklich bestimmt. Hierbei handelt es sich um die einzige Ausnahme vom Grundsatz nach § 3 Abs. 2 S. 1 Vb,
die die Vertragspartner vorgesehen haben. Hätten die Vertragspartner der Beklagten, und damit nur einem von
mehreren Vertragspartnern, die Möglichkeit der einseitigen Einführung weiterer Ausnahmen eröffnen wollen, so hätten
sie dies im Vertragswerk schon ausdrücklich zum Ausdruck bringen müssen, denn es entspricht weder im
allgemeinen Geschäftsleben noch im besonderen Verkehr zwischen kassenärztlichen Vereinigungen und Trägern der
gesetzlichen Krankenversicherung der Sitte, einem Vertragspartner die einseitige weitere Ausgestaltung eines
Vertrages zu überlassen. Dies gilt um so mehr, als die Teilnahme als koordinierender Arzt am DMP - KHK die
Möglichkeit der Abrechnung von Sondervergütungen nach § 35 Vb außerhalb der pauschalierten Gesamtvergütung
und neben dem EBM eröffnet, was eine nicht unerhebliche zusätzliche finanzielle Belastung der beteiligten
Krankenversicherungsträger bedeuten kann. Für den Senat besteht daher kein Zweifel, dass § 3 Abs. 2 S. 4 Vb eine
abschließende Ausnahmeregelung enthält und insoweit kein Raum für eine ergänzende Vertragsauslegung besteht.
Die gefundene Vertragsauslegung widerspricht auch keinesfalls dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz gemäß Artikel
3 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Die Ermessens- bzw. Gestaltungsfreiheit ist im Bereich von Abschluss und Ausformung
öffentlich-rechtlicher Verträge, jedenfalls im Rahmen des § 73 a SGB V, größer als bei der Schaffung und
Ausgestaltung des EBM-Ä. Sie unterliegt insoweit einer Begrenzung, als öffentlich-rechtliche Institutionen bei ihrer
Tätigkeit die Grenze der Sachwidrigkeit beachten müssen (so zutreffend: Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 22.
Juni 2005, Aktenzeichen: B 6 KA 20/05 B). Der Ausschluss von nicht an der hausärztlichen Versorgung
teilnehmenden Ärzten der Fachgruppe des Klägers von koordinierenden Aufgaben entspricht, wie bereits dargelegt,
der Systematik des SGB V und ist schon deshalb nicht sachwidrig. Die Begrenzung der ausnahmsweisen Teilnahme
auf solche Fachärzte, die an der fachärztlichen Versorgung im Rahmen des DMP - KHK teilnehmen und damit auch
die qualitativen Voraussetzungen nach Anlage 2 zur Vb (u. a. Stressechokardiographie) erfüllen, entspricht zum einen
dem sachlich gerechtfertigten Bedürfnis einer Qualitätssteuerung aber auch, im Interesse der Beitragssatzstabilität,
einer Begrenzung der zusätzlichen Kosten etwa durch die Abrechnung von Sondervergütungen nach § 35 Vb.
Umgekehrt ist somit kein sachlicher Grund ersichtlich, Fachärzte, die selbst nicht an der fachärztlichen Versorgung
im Rahmen des DMP – KHK teilnehmen, mit koordinierenden Aufgaben zu betrauen. Daher geht auch der Hinweis des
Klägers auf seine angeblich "hausärztliche" Betreuung seiner Patienten fehl, die nicht zu seinen Aufgaben gehört, weil
er nach § 73 Abs. 1a S. 2 SGB V an der fachärztlichen Versorgung teilnimmt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).