Urteil des LSG Hessen vom 14.03.2017

LSG Hes: kov, entstehungsgeschichte, sitte, kollision, unterhaltspflicht, absicht, amtshilfe, hessen, elternrente, zeugnisverweigerungsrecht

Hessisches Landessozialgericht
Beschluss vom 15.01.1975 (rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 11 R 2/73
Hessisches Landessozialgericht L 5 B 16/73
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Vorsitzenden der 11. Kammer des Sozialgerichts
Frankfurt/Main vom 21. März 1973 aufgehoben.
Gründe:
Der Vater der Beschwerdeführerin, G. K., bezieht Elternrente nach dem Bundesversorgungsgesetz – BVG –. Mit
Schriftsatz vom 2. Januar 1973 ersuchte das Versorgungsamt G. das Sozialgericht Frankfurt/Main, die
Beschwerdegegnerin im Wege der Amtshilfe nach § 14 VfG (KOV) als Auskunftsperson über ihre Familien- und
Einkommensverhältnisse ab 1. Januar 1972 zu vernehmen; außerdem sei der Einkommensnachweis ihres
Ehemannes ab 1. Juli 1971 notwendig. Vor dem Sozialgericht verweigerte die Beschwerdegegnerin am 20. März 1973
die Aussage. Hierauf erklärte das Sozialgericht Frankfurt/Main mit Beschluss vom 21. März 1973 die
Zeugnisverweigerung der Beschwerdegegnerin für rechtmäßig; auf die Begründung des Beschlusses wird verwiesen.
Hiergegen erhob das Land Hessen, vertreten durch das Landesversorgungsamt, Beschwerde, welcher der
vorinstanzliche Richter nicht abhalf.
Die Beschwerde ist zulässig; sie ist insbesondere fristgerecht und nach § 172 SGG statthaft.
Die Beschwerde ist auch begründet. Die Beschwerdegegnerin war entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht
zur Verweigerung ihres Zeugnisses berechtigt. Nach § 14 Abs. 1 VfG (KOV) besteht für Auskunftspersonen ein
solches Verweigerungsrecht unter anderem nur unter Beachtung von §§ 383, 385 Zivilprozeßordnung (ZPO). Nach §
383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO war die Beschwerdegegnerin zwar an sich deshalb zur Verweigerung des Zeugnisses
berechtigt, weil sie als Tochter des Versorgungsberechtigten mit diesem in gerader Linie verwandt ist. Diese Regelung
verfolgt den Zweck, den in ihr genannten Personen-Konfliktslagen zu ersparen. (vgl. Stein-Jonas, 19. Aufl. Anm. 1 a)
zu § 383 ZPO).
Vorliegend kam das Zeugnisverweigerungsrecht jedoch nach der Ausnahmevorschrift des § 385 Abs. 1 Nr. 3 ZPO im
Wegfall, wonach im Falle des § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO der Zeuge das Zeugnis über Tatsachen nicht verweigern darf,
welche die durch das Familienverhältnis bedingten Vermögensangelegenheiten betreffen. (vgl. auch Beschluss des
Landessozialgerichts Schleswig-Holstein vom 18.7.1968 bei Breithaupt 1968, S. 1062; ebenso im Ergebnis an Behling
in "Der Versorgungsbeamte” 1963 S. 15). Diese Ausnahmeregelung ist nach ihrer Entstehungsgeschichte (vgl. RGZ
Band 40 S. 347 ff.) darin begründet, daß die fraglichen Angelegenheiten nach herrschender Sitte lediglich im
Familienkreis verhandelt werden und in Streitigkeiten über solche Angelegenheiten das Recht der
Zeugnisverweigerung mit den Interessen anderer Familienmitglieder leicht in Kollision treten kann. Auch nach Stein-
Jonas (a.a.O. Anm. I 3 zu § 385 ZPO, ähnlich Wieczorek 2. Aufl. Anm. B IV b 2 zu § 385 ZPO) setzt die genannte
Regelung Vermögensangelegenheiten voraus, die durch das Familienverhältnis des Zeugen bedingt sind, (z.B.:
Unterhaltungsansprüche) wogegen es nicht darauf ankommt, ob der Rechtsstreit selbst auf diesem Verhältnis beruht.
Nach dem Zweck der Vorschrift gehören hierher auch Rechtsgeschäfte allgemeiner Art unter Angehörigen, sofern sie
nur im konkreten Falle durch das Familienverhältnis bedingt waren. Auch nach der Rechtsprechung des früheren
Reichsgerichts a.a.O. ist lediglich entscheidend, daß die konkrete Vermögensangelegenheit ihre Grundlage im
Familienverband hat. Letzteres war aber vorliegend ohne Zweifel der Fall, weil die Beschwerdegegnerin über
Tatsachen aussagen sollte, welche für das Bestehen einer familienrechtlichen Unterhaltspflicht erheblich waren.
Dagegen vermag der Senat der anhand einer Entscheidung des Bayerischen Landessozialgericht dargelegten
Auffassung von Wolf (KOV 1967 S. 161) und dem hierauf fußenden Beschluss des 3. Senats des Hessischen
Landessozialgerichts vom 9. Mai 1968 – L-3/B-44/67 – nicht zu folgen, zumal hierbei die oben näher dargelegte
Entstehungsgeschichte des Gesetzes nicht ausreichend und zutreffend berücksichtigt ist. Vor allem ist aber die
genannte abweichende Auffassung auch mit der aus § 14 VfG (KOV) erkennbare Absicht des Gesetzgebers, die §§
383, 385 ZPO auch auf Versorgungsstreitigkeiten unbeschränkt anzuwenden, nicht zu vereinbaren.
Da somit die Zeugnisverweigerung der Beschwerdegegnerin nicht rechtmäßig war, war, wie geschehen, zu
beschließen.
Dieser Beschluss ist nach § 177 SGG nicht anfechtbar.