Urteil des LSG Hessen vom 03.04.1991

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Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 03.04.1991 (rechtskräftig)
Sozialgericht Kassel S 3 U 198/83
Hessisches Landessozialgericht L 3 U 563/89
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 9. Juli 1985 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Beklagte verpflichtet ist, die volle Verletztenrente gegen Zurückzahlung der Abfindungssumme
nach § 618 a Reichsversicherungsordnung (RVO) a.F. i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 2 der Zweiten Verordnung über die
Abfindung von Unfallrenten (2. UV-AbfindungsVO) vom 10. Februar 1928 (RGBl. I, S. 22) wieder zu bewilligen.
Der im Jahre 1915 geborene Kläger hatte wegen eines im Jahre 1931 erlittenen Arbeitsunfalls mit Verlust des linken
Beins im Oberschenkel Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 66 2/3 bezogen. Ab Mai
1953 wurde er zu 2/3 nach der seinerzeit in Kraft befindlichen 2. UV-AbfindungsVO mit einem Betrag von 12.057,00
DM abgefunden, wobei der Berechnung des Abfindungskapitals das 11,9 fache der abzufindenden Jahresrente
zugrunde gelegt wurde (Bescheid vom 10. Februar 1953). Mit dem Abfindungsbetrag erwarb der Kläger ein Grundstück
in auf dem er ein Eigenheim mit Einliegerwohnung errichtete. Dieses verkaufte er im Jahre 1974 zu einem Kaufpreis
von 128.000,00 DM und erwarb ein anderes Grundstück in auf dem er wiederum ein Eigenheim erstellte. Den Verkauf
des Grundstücks begründete der Kläger u.a. damit, daß er ein ebenerdiges Wohnhaus habe bauen müssen, weil er die
16 Stufen zu seinem ersten Wohnhaus und die 14 Stufen im Haus nicht mehr habe bewältigen können. Seit 1.
September 1975 ist der zuletzt als Oberamtsrat und Verwaltungsleiter der Kreisverwaltung berufstätige Kläger
pensioniert. Wegen zwischenzeitlicher Verschlimmerung der Stumpfverhältnisse im Bereich des linken Beins setzte
die Beklagte die unfallbedingte MdE auf 80 v.H. fest und gewährte dem Kläger deswegen ab 1. September 1981 eine
entsprechende Verletztenrente unter Anrechnung der zu 2/3 abgefundenen Rententeile.
Den nach zwei erfolglosen Anträgen in den Jahren 1966 (Verfahren – S-3/UG-221/66 – L-3/U-720/65) und 1974
(Verfahren – S-3/UG-152/74 – L-3/U-798/75) im Juni 1983 erneut gestellten Antrag des Klägers auf Gewährung der
ungekürzten Rente gegen Rückzahlung der Abfindungssumme lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 8. August
1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. November 1983 ab, weil die zwischenzeitliche
Verschlimmerung der Unfallfolgen, die durch die vorgenommene Rentenerhöhung sogar zu einer wirtschaftlichen
Besserstellung des Klägers geführt habe, weder als "anderer wichtiger Grund” noch als "unbillige Härte” im Sinne des
§ 10 Abs. 1 Satz 1 und 2 der 2. UV-AbfindungsVO zu werten sei.
Die dagegen erhobene Klage blieb erfolglos (Urteil des Sozialgerichts (SG) Kassel vom 9. Juli 1985). Die Berufung
des Klägers wies der Senat durch Urteil vom 28. Mai 1986 mit der Begründung zurück, daß eine Verschlimmerung
von Unfallfolgen bei sogenannten großen Verletztenrenten, durch die eine schon zuvor bestehende
Schwerbehinderteneigenschaft nicht berührt werde, keinen wichtigen Grund im Sinne der 2. UV-AbfindungsVO
darstelle und andere Umstände, die auf das Vorliegen eines solchen wichtigen Grundes schließen lassen könnten,
weder vorgetragen noch ersichtlich seien.
Auf die – im Wege der Nichtzulassungsbeschwerde zugelassene – Revision des Klägers hat das Bundessozialgericht
(BSG) mit Urteil vom 1. März 1989 das Urteil des Senats vom 28. Mai 1986 aufgehoben und den Rechtsstreit zur
erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Zwar
habe nach den getroffenen Feststellungen ein die Wiederbewilligung des abgefundenen Rententeils rechtfertigender
wichtiger Grund im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 der 2. UV-AbfindungsVO nicht vorgelegen. Der Antrag des Klägers
auf Wiederbewilligung des abgefundenen Rententeils sei jedoch unabhängig von dem Vorliegen eines wichtigen
Grundes unter dem vom Kläger geltend gemachten und von der Beklagten auch geprüften Gesichtspunkt der
unbilligen Härte im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 2 der 2. UV-AbfindungsVO zu prüfen. Damit seien nur solche
Umstände gemeint, die nicht oder jedenfalls nicht ausschließlich unter Satz 1 der genannten Vorschrift zu
subsumieren seien. Im wesentlichen handele es sich um solche nach dem Zeitpunkt der Abfindung eingetretene
Umstände, die zu einer außergewöhnlichen Verschlechterung der Situation des Verletzten, beispielsweise auf
wirtschaftlichem Gebiet, geführt hätten. So etwa müsse der Wiederbewilligung der Rente bzw. des Rententeils
existentielle Bedeutung zukommen. Für die Entscheidung, ob beim Kläger eine unbillige Härte vorliege und ihm
demgemäß gegen Rückzahlung der Abfindungssumme der erloschene Rententeil wiederzubewilligen sei, fehle es
jedoch an den erforderlichen Tatsachenfeststellungen.
In dem neu eröffneten Berufungsverfahren hat der Kläger geltend gemacht, daß außergewöhnliche, vom Regelfall
abweichende und eine unbillige Härte begründende Umstände darin zu sehen seien, daß die Abfindung ihm zwar einen
Grundstückserwerb, nicht aber eine wirtschaftliche Grundsicherung auf Dauer verschafft habe, da er das durch die
Abfindung mitfinanzierte Haus mit einer Gesamtwohnfläche von 110 qm wegen einer schon vor 1974 eingetretenen
wesentlichen Verschlimmerung der Unfallfolgen und der Unmöglichkeit, die insgesamt 30 Treppen zum Haus und im
Haus hochzusteigen, nicht mehr habe bewohnen können und sich gezwungenermaßen ein neues, ebenerdiges
einfaches Einfamilienhaus mit einer Wohnfläche von 125 qm habe bauen müssen. Dieser Tatbestand sei von
vergleichbarem Gewicht wie die in § 10 Abs. 1 Satz 1 der 2. UV-AbfindungsVO als wichtiger Grund anerkannte
Weiterveräußerung des Grundstücks "zur Erlangung einer anderen Erwerbsmöglichkeit”, da er ebenso wie derjenige,
der aus beruflichen Gründen seinen Wohnort wechsele, auf ein neues Haus angewiesen gewesen sei. Existentielle
Bedeutung im Sinne des zurückverweisenden Urteils habe die Wiederbewilligung des abgefundenen Rententeils für ihn
jedenfalls deshalb, weil der wegen der Unfallfolgen erforderlich gewordene Umzug in ein neu errichtetes Haus zu einer
unzumutbaren Schuldenbelastung geführt habe, die weiterhin andauere. Denn zur Finanzierung des zweiten Hauses
habe er neben dem Verkaufserlös für das erste Haus in Höhe von 128.000,00 DM abzüglich 8.000,00 DM Altschulden
noch Darlehen in Höhe von rund 160.000,00 DM aufnehmen müssen, die sich noch heute auf ca. 70.000,00 DM
beliefen und die er, sofern es bei der jetzigen Situation bleibe, trotz der monatlichen Zahlung für Zinsen und Tilgung zu
Lebzeiten nicht mehr zurückzahlen könne. Insofern sei zu befürchten, daß seine Ehefrau nach seinem Ableben u.U.
nicht mehr in der Lage sein werde, das Haus zu halten. Grund für diese Situation sei auch, daß er eine ihm seinerzeit
angebotene und mit einer Beförderung verbundene Versetzung nach H. ab 1. April 1974, die im übrigen bei Verkauf
des Hauses eine Rückabwicklung der Abfindung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 der 2. UV-AbfindungsVO problemlos
möglich gemacht hätte, wegen der Unfallfolgen habe ausschlagen müssen und die Unfallfolgen 1975 dann auch zu
seiner frühzeitigen Pensionierung verbunden mit weiteren Einkommenseinbußen geführt hätten. Insgesamt habe er
dadurch einen Ausfall von rund 50.000,00 DM gehabt. Von seinen monatlichen Einkünften, von denen er auch die
zusätzlichen Aufwendungen für seine Behinderung und die Ausgaben für das wegen der Behinderung unbedingt
erforderliche Kfz abdecken und Instandsetzungsarbeiten am Haus bestreiten müsse, sei ihm und seiner Ehefrau
wegen der Zins- und Tilgungsleistungen für das Haus zeitweilig – z.B. in den Jahren 1974 bis 1979 – weniger
verblieben, als vergleichbaren Sozialhilfeempfängern. Da er bereits im Jahre 1966 wegen der Absehbarkeit der
Unbewohnbarkeit des alten Hauses die Wiederbewilligung des abgefundenen Rententeils unter Anerkennung einer
unbilligen Härte beantragt habe, sei für die Beurteilung, ob eine solche Härte vorliege, auf die Situation zur Zeit der
Errichtung des neuen Hauses in den Jahren 1973 bis 1975 abzustellen, in denen er auch seelisch und körperlich stark
belastet gewesen sei. Auch seine derzeit verbesserten Einkünfte in Höhe von insgesamt 4.429,12 DM (Pension als
Oberamtsrat, Angestelltenrente, 1/3 Unfallrente), von denen nach Abzug der Ausgaben für das Haus in Höhe von
810,00 DM (Zinsen, Tilgung, sonstige Kosten, Steuern usw.) für seinen Lebensunterhalt und den seiner Ehefrau
3.600,00 DM verblieben, reichten nicht aus, um die Kosten für dringend notwendige Isolierarbeiten zur Reduzierung
des Heizölverbrauchs (35.000,00 DM) oder für die Anschaffung eines neuen Heizkessels mit Brenner (15.000,00 DM)
sowie für Malerarbeiten und Außenanlagen (12.000,00 DM) aufzubringen. Zu der Verschlechterung seines
Gesundheitszustandes und seiner wirtschaftlichen Lage aufgrund der Unfallfolgen komme hinzu, daß bei der
Abfassung der 2. UV-AbfindungsVO im Jahre 1928 von einer Lebenserwartung von 55 Jahren ausgegangen worden
sei, während diese heute bei 70 Jahren liege und die Unfallrenten in den letzten 40 Jahren um das 7 bis 10 fache
gestiegen seien. Obgleich die Abfindung der wirtschaftlichen Stärkung des Verletzten dienen solle, habe sie bei ihm
letztendlich zu einer untragbaren Schuldenbelastung geführt und sich zu einer "enorm teuren Hypothek” entwickelt, die
in ihrem Ausmaß 1953 von niemandem vorhersehbar gewesen und nach dem Sinn und Zweck der gesetzlichen
Vorschriften und der 2. UV-AbfindungsVO nicht beabsichtigt gewesen sei. Ohne die Inanspruchnahme der Abfindung
hätte er heute keinerlei Schulden. Auch hätte er wahrscheinlich das erste Haus zur Finanzierung des im Jahre 1974
notwendig gewordenen ebenerdigen Neubaus nicht verkaufen müssen.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 9. Juli 1985 sowie den Bescheid der Beklagten vom
8. August 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. November 1983 aufzuheben und die Beklagte zu
verurteilen, den abgefundenen Zahlbetrag des Rententeils entgegenzunehmen und die Verletztenrente ungekürzt
auszuzahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, daß der Wiederbewilligung des Rententeils für den Kläger keine existentielle Bedeutung
zukomme und damit auch die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 2 der 2. UV-AbfindungsVO nicht erfüllt seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vertrags der Beteiligten wird auf den Akteninhalt,
einschließlich den der Verwaltungsakten der Beklagten (5 Bände) und der Gerichtsakten – S-3/UG-221/66, S-3/UG
152/74, S-3/U-166/80, S-3/U-198/83 und S-3/U-226/83, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind,
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet. Auch die nach Zurückverweisung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht
vorzunehmende weitere Prüfung ergibt nicht, daß dem Kläger die durch die Abfindung erloschenen Rententeile gegen
Rückzahlung des Abfindungsbetrages wiederzubewilligen sind.
Das BSG hat im zurückverweisenden Urteil bestätigt, daß auf den vorliegenden Streitfall nicht die am 1. Juli 1963 in
Kraft getretene Vorschrift des § 611 Abs. 2 RVO n.F., sondern wegen der tiefgreifenden Unterschiede der
Abfindungsregelungen alten und neuen Rechts bei größeren Renten § 618 a RVO a.F. i.V.m. § 10 Abs. 1 der 2. UV-
AbfindungsVO vom 10. Februar 1928 weiter anzuwenden ist. Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 der 2. UV-AbfindungsVO kann
auf Antrag die durch die Abfindung erloschene Rente gegen Rückzahlung der Abfindungssumme wiederbewilligt
werden, wenn der Abgefundene zur Erlangung einer anderen Erwerbsmöglichkeit das Grundstück weiterveräußert oder
wenn andere wichtige Gründe vorliegen. Nach Satz 2 der Vorschrift darf der Antrag nicht abgelehnt werden, wenn dies
eine unbillige Härte für den Verletzten bedeuten würde.
Bei der Anwendung des § 10 Abs. 1 der 2. UV-AbfindungsVO ist der Senat an die Rechtsauffassung des BSG im
zurückverweisenden Urteil gebunden (§ 170 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz –SGG–), daß der Antrag des Klägers auf
Wiederbewilligung des abgefundenen Rententeils unabhängig von dem Vorliegen eines wichtigen Grundes unter dem
Gesichtspunkt der unbilligen Härte im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 2 der 2. UV-AbfindungsVO zu prüfen ist. Das heißt,
daß der mit dieser Regelung bei Vorliegen einer unbilligen Härte eingeräumte Rechtsanspruch auf Wiederbewilligung
des abgefundenen Rententeils nicht erst bzw. überhaupt nur dann gegeben sein kann, wenn die für die
Ermessensentscheidung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 der 2. UV-AbfindungsVO normierten Tatbestandsvoraussetzungen
vorliegen. Im wesentlichen hat das BSG hierzu ausgeführt, daß dem unbestimmten Rechtsbegriff der "unbilligen
Härte” im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 2 der 2. UV-AbfindungsVO nur solche Umstände unterfallen, die nicht oder
jedenfalls nicht ausschließlich unter Satz 1 der Vorschrift zu subsumieren seien, denen aber ein solches Maß an
Bedeutung zukomme, daß es der Verordnungsgeber für gerechtfertigt gehalten habe, anstelle des in § 10 Abs. 1 Satz
2 der 2. UV-AbfindungsVO der Verwaltung zugebilligten Ermessens dem Verletzten einen Rechtsanspruch auf
Wiederbewilligung der abgefundenen Rente zuzubilligen. Von einer unbilligen Härte könne nur gesprochen werden,
wenn der zu betrachtende Einzelfall sich gegenüber den übrigen, den gleichen Vorschriften unterliegenden Fällen
eindeutig in Richtung eines unbilligen Ergebnisses heraushebe. Da mit der Abfindung der Lohnersatzfunktion der
Rente auf andere Weise, nämlich dahin Rechnung getragen werden solle, daß nunmehr das ersatzweise gewährte
Kapital den Grunderwerb ermögliche und dadurch eine wirtschaftliche Grundsicherung erreicht werde, könnten mit der
eine Wiederbewilligung der erloschenen Rente bzw. des Rententeils rechtfertigenden unbilligen Härte im wesentlichen
solche nach dem Zeitpunkt der Abfindung eingetretenen Umstände gemeint sein, die zu einer außergewöhnlichen
Verschlechterung der Situation des Verletzten, beispielsweise auf wirtschaftlichem Gebiet, geführt hätten. So etwa
müsse der Wiederbewilligung der Rente bzw. des Rententeils "existentielle Bedeutung” zukommen. Als Beispielsfall
einer unbilligen Härte wurde insoweit die Ehescheidung eines Gastwirts genannt, der deswegen seine Gastwirtschaft
aufgeben mußte, dadurch also existentiell in eine Notlage geraten war.
Der Senat hatte in seinem vom BSG aufgehobenen Urteil die in § 10 Abs. 1 Satz 1 der 2. UV-AbfindungsVO
enthaltenen Tatbestandsvoraussetzungen verneint. Nach den seinerzeit getroffenen und vom Kläger mit
Verfahrensrügen nicht wirksam angegriffenen Feststellungen ist diese Beurteilung auch vom Revisionsgericht für
zutreffend erachtet worden. Neue Gesichtspunkte, die eine andere Betrachtung rechtfertigen könnten, haben sich im
neu eröffneten Berufungsverfahren nicht ergeben. Es ist weiterhin unstreitig, daß der Kläger sein Grundstück in für
dessen Erwerb ihm seinerzeit die Abfindung gewährt wurde, nicht "zur Erlangung einer anderen Erwerbsmöglichkeit”,
sondern zur Erlangung besserer Wohnbedingungen weiterveräußert hat. Andere wichtige Gründe, unter denen nur
solche Umstände zu verstehen sind, die in ihrer Bedeutung jedenfalls annähernd dem vorgenannten Beispielsfall
entsprechen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Ebensowenig liegen Umstände vor, die eine "unbillige Härte” im
Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 2 der 2. UV-AbfindungsVO bzw. einen Anspruch des Klägers auf Wiederbewilligung des
abgefundenen Rententeils wegen "existentieller Bedeutung”, vornehmlich unter dem Gesichtspunkt der Gefährdung
der wirtschaftlichen Existenz, begründen könnten, der vom BSG im Urteil vom 18. Dezember 1979 – 2 RU 51/77 auch
– noch – im Rahmen des § 10 Abs. 1 Satz 1 der 2. UV-AbfindungsVO unter dem unbestimmten Rechtsbegriff des
"wichtigen Grundes” geprüft wurde.
Zunächst ist festzustellen, daß die vom Kläger angeführten allgemeinen Umstände wie längere Lebensdauer und
unerwartet hohe Rentensteigerungen sowie das damit verbundene Risiko, einen höheren oder auch wesentlich
höheren Betrag als die Abfindungssumme zu verlieren, nach dem zurückverweisenden Urteil des BSG nicht nur nicht
die Annahme "anderer wichtiger Gründe” im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 der 2. UV-AbfindungsVO rechtfertigen,
sondern auch für das Vorliegen einer "unbilligen Härte” im Sinne des Satzes 2 dieser Vorschrift nicht ausreichen (vgl.
auch BSG, Urteil vom 18. Dezember 1979 a.a.O.). Hiervon sind alle Verletzten betroffen, die nach altem Recht unter
vergleichbaren Voraussetzungen abgefunden worden sind, so daß der Fall des Klägers sich insoweit gegenüber den
übrigen, den gleichen Vorschriften unterliegenden Fällen nicht eindeutig in Richtung eines besonders unbilligen
Ergebnisses heraushebt.
"Andere wichtige Gründe” oder eine "unbillige Härte” lassen sich auch nicht aus dem vom Kläger in erster Linie
geltend gemachten Sachverhalt herleiten, daß er im Jahre 1974 wegen einer Verschlimmerung der Unfallfolgen und
einer sich für ihn dadurch ergebenden Unbewohnbarkeit des durch die Teilabfindung mitfinanzierten und auf einer
Anhöhe errichteten Eigenheims gezwungen gewesen sei, dieses zu veräußern und auf einem anderen Grundstück ein
ebenerdiges Haus zu bauen. Insoweit ist es unerheblich, ob die Unfallfolgen bzw. eine – entgegen den vorliegenden
Gutachten schon für den damaligen Zeitpunkt behauptete – Verschlimmerung tatsächlich den alleinigen oder einen
wesentlichen Grund für die Neuerrichtung eines Eigenheims darstellten. Denn unabhängig von der Frage, ob die für
das Vorliegen eines anderen wichtigen Grundes oder einer unbilligen Härte angeführten Umstände durch die
Unfallfolgen verursacht sein müssen oder nicht, ist als Ergebnis des Verkaufs und Neuerwerbs eines Hauses durch
den Kläger jedenfalls keine außergewöhnliche Verschlechterung der Verhältnisse des Klägers festzustellen und zwar
weder seiner allgemeinen Lebensverhältnisse noch – was letztlich entscheidend ist – seiner wirtschaftlichen
Verhältnisse. Der Kläger ist seither zwar nicht mehr Eigentümer des Grundstücks in und des darauf im Jahre 1953
errichteten zweigeschossigen Hauses mit 110 qm Wohnfläche, durch das er u.a. mit Hilfe des abgefundenen
Rententeils eine wirtschaftliche Grundsicherung erreicht hatte. Er ist jedoch nunmehr Eigentümer eines Grundstücks
in und eines darauf errichteten, seinen Vorstellungen und Bedürfnissen besser entsprechenden ebenerdigen
Eigenheims mit einer Wohnfläche von 129,29 qm. Für den Erwerb dieses Grundstücks und Eigenheims wurden als
Eigenmittel der Erlös aus dem Verkauf des ersten, durch Teilabfindung mitfinanzierten Hauses in Höhe von
128.000,00 DM abzüglich 8.000,00 DM noch bestehender Schulden eingesetzt. Dadurch hat der Kläger eine
Wertsteigerung, zumindest aber eine Werterhaltung seines Vermögens und eine gleichgeartete wirtschaftliche
Grundsicherung erreicht. Der Verschuldung durch die im Jahre 1974 zusätzlich aufgenommenen Darlehen in Höhe von
rund 160.000,00 DM, die heute noch mit etwa 70.000,00 DM valutieren, steht ein entsprechender Wertzuwachs durch
den 1974 im Vergleich zum alten Hausgrundstück auch mehr als doppelt so teuren neuen Haus – und Grundbesitz
sowie die allgemeine Werterhöhung gegenüber. Bei unbefangener Betrachtung haben sich die wirtschaftlichen
Verhältnisse des Klägers im Sinne einer Grundsicherung durch Haus- und Grundbesitz insgesamt eher wesentlich
verbessert, keinesfalls aber verschlechtert. Daß der Kläger ohne die Abfindung noch besser gestellt wäre, weil er
nach seiner Berechnung bei Auszahlung der vollen Rente keine Schulden mehr hätte oder haben müßte oder gar
zusätzlich noch das erste Haus besäße, betrifft im Ergebnis wiederum nur die vom Kläger geltend gemachten
allgemeinen Umstände und begründet keine Situation, die nach den Vorstellungen des Verordnungsgebers zur
Wiederbewilligung des erloschenen Rententeils unter dem Gesichtspunkt der "unbilligen Härte” führen kann.
Diese läßt sich auch nicht mit der Entwicklung der Einkommens Verhältnisse des Klägers begründen. Insbesondere
ist weder vorgetragen noch ersichtlich, daß der Kläger im Hinblick auf geringe Einkünfte und/oder außergewöhnliche
Belastungen Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz bezieht oder als Empfänger einer solchen Leistung in
Betracht käme. Soweit letzteres unter Bezugnahme auf im einzelnen nicht näher belegte Angaben über das
steuerpflichtige Jahreseinkommen in den Jahren 1975 bis 1979 zwischen rund 5.000,00 DM und 14.500,00 DM sowie
eine Aufstellung über monatliche Einkünfte und Ausgaben im Jahre 1974 behauptet wird, ist dies im einzelnen nicht
nachvollziehbar und auch nicht entscheidungserheblich. Für den maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung
und auch des angefochtenen Bescheides der Beklagten vom 8. August 1983 (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 3.
neubearbeitete Aufl., Anm. 32–34 zu § 54) sind derartige Verhältnisse jedenfalls auszuschließen. Der Kläger verfügt
und verfügte über gesicherte monatliche Einkünfte in Form einer Pension als Oberamtsrat (netto 1990 2.910,80 DM;
1983 2.829,91 DM), eine Rente aus der Angestelltenversicherung (1990 993,32 DM; 1983 928,00 DM) sowie eine 1/3
Unfallrente (1990 425,00 DM; 1983 372,70 DM) und damit über Monatseinkünfte von derzeit insgesamt 4.429,12 DM
(1983 4.031,61 DM). Selbst wenn er hiervon seine Ehefrau mangels eines eigenen Einkommens mit unterhalten muß,
weitere Einkünfte z.B. aus Vermietung nicht erzielt werden und auch nicht erzielt werden könnten und außer dem
Eigenheim sonstige Vermögenswerte nicht vorhanden sind, kann von wirtschaftlich ungesicherten Verhältnissen oder
gar von einer existentiellen Notlage des Klägers, angesichts derer einer Wiederbewilligung des abgefundenen
Rententeils existentielle Bedeutung zukommen könnte, nicht die Rede sein. Das gilt auch dann, wenn aus dem
monatlichen Einkommen noch ein monatlicher Kapitaldienst für das Haus zuzüglich sonstiger Kosten, Steuern usw. in
Höhe von 810,00 DM (1983 1.830,00 DM) zu leisten ist, zumal der Kläger Mietkosten nicht hat. Insoweit kann
dahinstehen, ob von einer Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz überhaupt erst dann die Rede sein kann, wenn
wegen geringer Einkünfte Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz bezogen werden müssen (so u.U. BSG,
Urteil vom 18. Dezember 1979 – 2 RU 51/77). Davon ist der Kläger jedenfalls weit entfernt. Daß Aufwendungen aus
besonderem Anlaß z.B. für Instandsetzungs- und Verschönerungsarbeiten am Haus oder die Neuanschaffung eines
Heizkessels mit Brenner in der Größenordnung von 35.000,00 DM, 12.500,00 DM oder 12.000,00 DM nicht problemlos
aus den monatlichen Einkünften bestritten werden können, ist nichts ungewöhnliches und begründet unter
Verhältnissen, wie sie beim Kläger vorliegen, allenfalls einen vorübergehenden Liquiditätsengpaß, nicht aber eine auf
eine gewisse Dauer angelegte existentielle Notlage. Es ist auch weder vorgetragen noch ersichtlich, daß der Kläger
deswegen etwa gezwungen sein könnte, sein Haus zu verkaufen.
Eine existentielle Notlage ergibt sich schließlich erkennbar auch nicht daraus, daß der Kläger nach seinem Vortrag
eine Beförderungsstelle ausschlagen und damit auf erhöhte Bezüge verzichten sowie durch den vorzeitigen Eintritt in
den Ruhestand auch frühzeitig eine gewisse Absenkung seiner Einkünfte hinnehmen mußte, gleichgültig ob die
Unfallfolgen dafür verantwortlich waren oder nicht. Entscheidend ist, daß die wirtschaftliche Existenz des Klägers –
ungeachtet evtl. entgangener beruflicher Chancen und finanzieller Nachteile aufgrund der Unfallfolgen – durch den
Haus- und Grundbesitz und die Höhe seiner regelmäßigen monatlichen Einkünfte in durchaus ausreichendem Maße
gesichert ist und er hierfür auf die Wiederbewilligung des abgefundenen Rententeils nicht angewiesen ist. Ebenso ist
es unerheblich, ob der Kläger – wie er meint – beim Verkauf seines mit der Teilabfindung finanzierten Hauses in zum
Zwecke der Annahme einer Beförderungsstelle in einer anderen Stadt oder unter sonstigen Umständen die
Rückabwicklung der Abfindung problemlos hätte erreichen können, da derartige hypothetische Sachverhalte nicht zur
Beurteilung stehen. Letztlich versucht der Kläger im vorliegenden Verfahren ebenso wie in den aufgrund seiner
Anträge aus den Jahren 1966 und 1974 eingeleiteten früheren Verwaltungs- und Gerichtsverfahren mit etwas variierten
Argumenten nur den Fehler rückgängig zu machen, den er seiner Auffassung nach bei nachträglicher Betrachtung mit
der Inanspruchnahme der Kapitalabfindung begangen hat und dessen Folgen ihm um so unerträglicher und
unzumutbarer erscheinen, je größer die Differenz zwischen Abfindungssumme und einbehaltenen Rententeilen mit
zunehmendem Alter sowie unter Berücksichtigung der Rentenerhöhungen wird. Damit kann er jedoch weiterhin keinen
Erfolg haben.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision auf § 160
Abs. 2 SGG.