Urteil des LSG Hessen vom 23.07.1999

LSG Hes: wiedereinsetzung in den vorigen stand, treu und glauben, anzeige, arbeitsausfall, arbeitsamt, zahl, gerichtsakte, verfügung, fristende, kurzarbeit

Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 23.07.1999 (rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 14 Ar 1130/94
Hessisches Landessozialgericht L 10 AL 508/97
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 23. Januar 1997 wird
zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Kurzarbeitergeld (KuG) für den Zeitraum vom 1. April 1993 bis zum 30.
Juni 1993.
Mit Schreiben vom 30. März 1993 zeigte die Klägerin, die in O. eine Maschinenfabrik betreibt, eine Minderung der
regelmäßigen betriebsüblichen wöchentlichen Arbeitszeit für den Bereich Fertigung und Hilfsbetriebe mit Wirkung vom
1. April 1993 bis voraussichtlich zum 31. Juli 1993 an. Mit Bescheid vom 30. März 1993 teilte die Beklagte der
Klägerin mit, die aufgrund der Anzeige über Arbeitsausfall vorgenommene Prüfung habe ergeben, daß die in den §§ 63
und 64 Abs. 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) genannten Voraussetzungen für die Gewährung von KuG erfüllt seien
und deshalb den vom Arbeitsausfall betroffenen Arbeitnehmern ab dem 1. April 1993 für die Zeit des Vorliegens der
Anspruchsvoraussetzungen, längstens jedoch bis zum 31. Juli 1993 KuG, gewährt werde. Weiter wies der Bescheid
unter anderem daraufhin, daß KuG jeweils für einen Zeitraum von mindestens vier Wochen zu beantragen und der
Antrag in doppelter Ausfertigung innerhalb einer Ausschlußfrist von drei Monaten beim Arbeitsamt einzureichen sei;
die Ausschlußfrist beginne mit Ablauf des Kalendermonats, in dem die Tage lägen, für die die Leistungen begehrt
würden. Aufgrund von Anträgen, die nach Ablauf der jeweils maßgeblichen Ausschlußfrist beim Arbeitsamt eingingen,
könnten keine Leistungen gewährt werden.
Am 14. Oktober 1993 reichte die Klägerin Anträge auf Gewährung von KuG und Zuschüssen zur Rentenversicherung
für die Gewährungszeiträume vom 1. April bis zum 30. April 1993 im Gesamtbetrag von 65.527,95 DM, für die Zeit
vom 1. Mai bis zum 31. Mai 1993 (74.300,41 DM) und für die Zeit vom 1. Juni bis zum 30. Juni 1993 (42.346,10 DM)
ein. Auf Nachfrage der Beklagten bestätigte die Klägerin, daß im Juli 1993 keine Kurzarbeit mehr stattgefunden habe.
Mit Bescheid vom 18. Oktober 1993 lehnte die Beklagte die Gewährung von KuG und Zuschüssen zu den
Rentenversicherungsbeiträgen für die Gewährungszeiträume vom 1. April 1993 bis zum 30. Juni 1993 ab. Die
Leistungsanträge seien nicht innerhalb der Ausschlußfrist von drei Monaten (§ 72 Abs. 2 AFG) bei dem zuständigen
Arbeitsamt eingereicht worden. Den Widerspruch der Klägerin vom 11. November 1993 wies die Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 2. März 1994 zurück. Die Ausschlußfrist für KuG beginne, wie sich aus den Hinweisen im
Zulassungsbescheid ergebe, mit dem Ablauf des Kalendermonats, in dem die Tage lägen, für die Leistungen begehrt
würden. Die Klägerin habe Leistungen letztmals für Ausfallstunden im Monat Juni 1993 beantragt, so daß die
Ausschlußfrist am 1. Juli 1993 begonnen und am 30. September 1993 geendet habe, weshalb die am 14. Oktober
1993 eingegangenen Erstattungsanträge verspätet seien.
Die Klägerin erhob am 7. April 1994 Klage zum Sozialgericht Frankfurt am Main. Sie machte geltend, nachdem die
Beklagte in dem Bescheid vom 30. April 1993 für den Zeitraum vom 1. April bis 31. Juli 1993 die
Anspruchsvoraussetzungen für das Vorliegen von KuG ausdrücklich bestätigt habe, habe sie – die Klägerin – davon
ausgehen können, daß die Ausschlußfrist erst nach dem 31. Juli 1993 zu laufen beginne.
Mit Urteil vom 23. Januar 1997 wies das Sozialgericht die Klage ab. Es nahm auf die Gründe der angefochtenen
Verwaltungsentscheidungen Bezug und führte ergänzend aus, daß Verfahren über die Gewährung von KuG sei gemäß
§ 72 AFG dreistufig ausgestaltet. Voraussetzung für die Leistungsgewährung sei eine Anzeige gemäß § 72 Abs. 1
AFG, ein Anerkennungsbescheid für das Vorliegen der betrieblichen Voraussetzungen für die Gewährung von KuG
gemäß § 72 Abs. 1 Satz 4 AFG und eine Antragstellung gemäß § 72 Abs. 2 AFG. Alle drei Voraussetzungen müßten
kumulativ vorliegen, damit KuG gewährt werden könne. Hinsichtlich der Antragsfrist des § 72 Abs. 2 AFG knüpfe die
gesetzliche Regelung ausdrücklich nach ihrem Wortlaut an den Ablauf des letzten Kalendermonats an, für den
Leistungen auf KuG beantragt worden seien. Nach der insoweit unmißverständlichen gesetzlichen Regelung sei nicht
maßgeblich der Zeitraum, für welchen das Vorliegen der betrieblichen Voraussetzungen für die Gewährung von KuG
bejaht worden sei, sondern ausschließlich der Kalendermonat, in dem die Tage lägen, für die KuG beantragt worden
sei. Somit sei von einem Beginn der Ausschlußfrist am 1. Juli 1993 und einem Fristende am 30. September 1993
auszugehen. Die erst am 14. Oktober 1993 bei der Beklagten eingegangenen Anträge seien damit verfristet; eine
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne aufgrund der Tatsache, daß es sich um eine gesetzliche Ausschlußfrist
handele, nicht erfolgen. Der Auffassung der Klägerin, sie sei nicht hinreichend über den Lauf der Ausschlußfrist
belehrt worden, habe die Kammer nicht folgen können. Der Anerkennungsbescheid vom 30. April 1993 habe
ausführlich und unmißverständlich auf den Beginn dieser Frist hingewiesen.
Gegen dieses ihr am 14. März 1997 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 14. April 1997 Berufung eingelegt. Sie
meint, der Antrag auf Gewährung von KuG sei von ihr bereits mit der Kurzarbeitsanzeige vom 30. März 1993 gestellt
worden. KuG werde gemäß § 72 Abs. 2 Satz 2 AFG auf Antrag gewährt. Wenn also die Beklagte mit dem Bescheid
vom 30. April 1993 KuG explizit "gewähre”, so habe diesem Gewährungsschreiben schon vom Gesetz her ein Antrag
vorausgehen müssen, der in der Mitteilung vom 30. März 1993 gesehen werden könne. Mit der Arbeitsausfallanzeige
sei, wie Ziffer 9 dieser Erklärung zeige, KuG bereits beantragt worden.
Ferner sei zu beachten, daß die Beklagte in ihrem Bescheid vom 30. April 1993 – fett gedruckt – folgendes ausführe:
"Sind seit dem letzten Tage, für den KuG gewährt wurde, drei Monate verstrichen, so kann KuG nur nach erneuter
Erstattung einer Anzeige über Arbeitsausfall gewährt werden.” Wenn das Arbeitsamt also für einen Zeitraum vom 1.
April 1993 bis zum 31. Juli 1993 KuG gewähre, so könne der darauffolgende Satz nur so verstanden werden, daß die
Frist am 1. August 1993 zu laufen beginne.
Die Berufung der Beklagten auf eine etwa versäumte Ausschlußfrist verstoße außerdem gegen den Grundsatz von
Treu und Glauben. Da die Beklagte KuG bereits mit Schreiben vom 30. April 1993 "gewährt” habe, sei eine spätere
Berufung auf eine Verfristung der Mitteilung des endgültigen Zeitraums rechtsmißbräuchlich. Dadurch, daß die
Beklagte in dem Bescheid vom 30. April 1993 von "gewähren” spreche, mache sie deutlich, daß sie bereits in der
Mitteilung vom 30. März 1993 den erforderlichen Antrag im Sinne von § 72 Abs. 2 Satz 1 AFG sehe.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 23. Januar 1997 und den Bescheid der
Beklagten vom 18. Oktober 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. März 1994 aufzuheben und die
Beklagte zu verurteilen, ihr Kurzarbeitergeld und Beitragszuschüsse zur Rentenversicherung für die
Gewährungszeiträume vom 1. April 1993 bis zum 30. Juni 1993 in gesetzlichem Umfang zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie macht sich die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils zu eigen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der
Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat es zu Recht abgelehnt, die Beklagte zur Gewährung
von KuG und Beitragszuschüssen zur Rentenversicherung zu verurteilen. Den Arbeitnehmern der Klägerin, deren
Rechte die Klägerin als Prozeßstandschafterin geltend macht (BSG SozR 4100 § 72 Nr. 9), stehen diese Leistungen
nicht zu, weil die Klägerin den nach § 72 Abs. 2 Satz 1 AFG erforderlichen Antrag nicht rechtzeitig, d.h. vor Ablauf der
Ausschlußfrist von drei Monaten gestellt hat. Denn einen Antrag auf KuG hat die Klägerin erst am 14. Oktober 1993
und damit verfristet gestellt. Auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des sozialgerichtlichen Urteils nimmt der
Senat Bezug und sieht gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von weiteren Ausführungen ab. Ergänzend
ist darauf hinzuweisen, daß entgegen der Auffassung der Klägerin ein KuG-Antrag nicht bereits in der Anzeige über
Arbeitsausfall vom 30. März 1993 gesehen werden kann. Ihre Mitteilung in dem Antragsformular, als Zeitraum von
mindestens 4 Wochen, für den KuG beantragt werde (Gewährungszeitraum), gelte die Zeit vom 1. April 1993 bis 30.
April 1993, entspricht nicht den Erfordernissen, welche die Rechtsprechung an einen wirksamen KuG-Antrag im Sinne
von § 72 Abs. 2 Satz 1 AFG stellt. Denn § 72 AFG normiert, worauf das Sozialgericht zutreffend hingewiesen hat, ein
mehrstufiges Verfahren, welches mit der Anzeige von Arbeitsausfall beginnt, was die Prüfung der betrieblichen
Voraussetzungen für die Gewährung von KuG (§§ 63, 64 Abs. 1 AFG) einleitet. Hiervon getrennt verlangt § 72 Abs. 2
Satz 1 AFG einen ausdrücklichen KuG-Antrag. Das schließt es zwar nicht aus, daß nach den allgemeinen
Grundsätzen der Auslegung von Willenserklärungen bereits in einer Arbeitsausfallanzeige zugleich ein Antrag auf KuG
gesehen werden kann. Dies setzt allerdings deutliche Anhaltspunkte für eine besondere Antragstellung voraus. Denn
typischerweise ist – angesichts zahlreicher Unwägbarkeiten vor allem hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung –
in der Regel ein den Zeitraum des § 64 Abs. 1 Nr. 3 AFG benennender und daher bestimmter KuG-Antrag erst im
Nachhinein möglich (BSG SozR 4100 § 63 Nr. 1 Seite 8 f.).
Vorliegend hat die Klägerin ein von der Beklagten zur Verfügung gestelltes Formular verwendet, welches diese für die
Anzeige des Arbeitsausfalls und den Nachweis der betrieblichen Voraussetzungen des KuG entworfen hat. Für die
Beantragung des KuG selbst dient dieses Formular nicht; hierfür stellt die Beklagte andere Formulare zur Verfugung,
wie sie der Klägerin als Anlage zum Anerkennungsbescheid vom 30. April 1993 übermittelt wurden und von denen die
Klägerin auch Gebrauch gemacht hat. Angesichts dessen ist es ausgeschlossen, die Frage im Antragsformular nach
dem Gewährungszeitraum für KuG bereits als entsprechende Antragstellung zu interpretieren; diese Frage zielt
vielmehr auf die betriebliche Voraussetzung des § 64 Abs. 1 Nr. 3 AFG, wonach der Arbeitsausfall in einem
zusammenhängenden Zeitraum von mindestens vier Wochen stattfinden muß. Hingegen setzt ein hinreichend
bestimmter Antrag auf KuG voraus, daß neben dem Gewährungszeitraum die Zahl der verkürzt arbeitenden
Arbeitnehmer, die Zahl der auf sie entfallenden Ausfallstunden sowie der ungefähre Gesamtbetrag des KuG sowie der
Beitragszuschüsse bezeichnet wird (Gagel/Bieback, Kommentar zum AFG, § 72 Rdnr. 142 m.w.N.). Diese Angaben
hat die Klägerin erst in ihren KuG-Anträgen vom 14. Oktober 1993 gemacht.
Die Berufung auf die Versäumung der Ausschlußfrist stellt sich auch nicht als Rechtsmißbrauch dar. Hierfür ist
Voraussetzung, daß die Beklagte durch die Verletzung einer ihr obliegenden Betreuungspflicht die Versäumung der
Ausschlußfrist verursacht hat (BSG SozR 4100 § 72 Nr. 2). Eine solche Pflichtverletzung der Beklagten ist indes
nicht zu erkennen. Die Argumentation der Klägerin, da die Beklagte bereits in dem Bescheid vom 30. April 1993 KuG
"gewährt” habe, habe sie deutlich gemacht, daß sie bereits in der Mitteilung der Klägerin vom 30. März 1993 den
erforderlichen Antrag auf Gewährung von KuG sehe, geht am Inhalt dieses Bescheides vorbei. Denn in diesem wird,
nachdem der Verfügungssatz das Vorliegen der KuG-Voraussetzungen dem Grunde nach bejaht hat, ausdrücklich
ausgeführt, daß das KuG jeweils für einen Zeitraum von mindestens vier Wochen zu beantragen sei, und insoweit auf
die entsprechenden Antragsvordrucke verwiesen, die dem Anerkennungsbescheid beigefügt waren; gleichzeitig wird
daraufhingewiesen, daß der Antrag in doppelter Ausfertigung innerhalb einer Ausschlußfrist von drei Monaten beim
Arbeitsamt einzureichen sei und die Ausschlußfrist mit Ablauf des Kalendermonats beginne, in dem die Tage lägen,
für die die Leistungen begehrt würden. Angesichts dessen war die Klägerin nicht nur über das Erfordernis eines
ausdrücklichen Leistungsantrags, sondern ebenso über die dafür geltende Ausschlußfrist eindeutig informiert. Soweit
sie sich demgegenüber auf einen anderen Passus in dem Bescheid beruft, betrifft dieser schon nach seinem Wortlaut
nicht die Frage der einzuhaltenden Antragsfrist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, die Entscheidung über die Zulassung der Revision auf § 160 Abs. 2
SGG.