Urteil des LSG Hessen vom 29.06.2005

LSG Hes: befreiung von der versicherungspflicht, eingliederung, sozialversicherung, auszahlung, zuschuss, arbeitsmarkt, arbeitslosigkeit, beendigung, verordnung, notlage

Hessisches Landessozialgericht
Beschluss vom 29.06.2005 (rechtskräftig)
Sozialgericht Wiesbaden S 16 AS 33/05 ER
Hessisches Landessozialgericht L 7 AS 22/05 ER
I. Die Beschwerde des Antragsstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 10. Mai 2005 wird
zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine außergericht- lichen Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt die volle Auszahlung des ihm bewilligten Existenzgründerzuschusses in Höhe von Euro
1.800,- ohne Anrechnung als Einkommen für beantragte Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Zweites Buch -
(SGB II).
Der Antragsteller stellte mit Antrag vom 5. Januar 2005 einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 18. Februar 2005 wurden dem Antragsteller und seiner
Ehefrau antragsgemäß die entsprechenden Leistungen für den Zeitraum vom 26. Januar 2005 bis zum 31. März 2005
bewilligt. Im vorgenannten Bescheid wurde der Antragsteller unter der Rubrik "Zur Berechnung der Leistungen nach
SGB II" darauf hingewiesen, dass er verpflichtet sei, darüber zu informieren, wenn der Bescheid Tatbestände nicht
enthalte, die für die Höhe der Leistungen nach dem SGB II maßgeblich seien.
Ausweislich des Bescheides der Bundesagentur für Arbeit vom 14. März 2005 beantragte der Antragsteller am 8.
Dezember 2004 für die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit ab dem 31. Dezember 2004 einen
Existenzgründungszuschuss für die Zeit vom 31. Dezember 2004 bis 30. Dezember 2005 in monatlicher Höhe von
EUR 600. Der Existenzgründungszuschuss wurde dem Antragssteller nachträglich ab dem 31. Januar 2005
überwiesen.
Mit Schreiben vom 18. Februar 2005 meldete die Antragsgegnerin bei der Agentur für Arbeit in A-Stadt einen
Erstattungsanspruch gemäß § 104 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch – (SGB X) an, da nach ihrer Kenntnis der
Antragsteller bei der Bundesagentur einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II gestellt und bewilligt bekommen
habe.
Am 16. März 2005 teilte die Agentur für Arbeit der Antragsgegnerin mit, dass der Existenzgründungszuschuss dem
Antragsteller nach § 421 l SGB III in Höhe von monatlich 600 Euro ab dem 31. Dezember 2004 gewährt worden sei
und bat um die Bezifferung des geltend gemachten Erstattungsanspruchs der Antragsgegnerin.
Daraufhin teilte die Antragsgegnerin der Agentur für Arbeit mit, dass in dem Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 1.
März 2005 insgesamt 1.920,18 Euro an den Antragsteller gezahlt worden sei. Die Arbeitsagentur erstattete der
Antragsgegnerin den Betrag von Euro 1.800.
Laut Schreiben der Antragsgegnerin vom 1. April 2005 im erstinstanzlichen Verfahren habe sie bei einer nochmaligen
Überprüfung festgestellt, dass der Antragsgegnerin von der Agentur für Arbeit 485,44 Euro zuviel erstattet worden sei,
da der Antragsteller erst ab dem 26. Januar 2005 Leistungen nach dem SGB II erhalten habe. Die Antragsgegnerin
beabsichtige, den von der Bundesagentur für Arbeit zu Unrecht erhaltenen Betrag an diese zurück zu überweisen.
Nach Kenntnis der Antragsgegnerin hat der Antragsteller bei der Agentur für Arbeit gegen die Erstattung zugunsten
der Antragsgegnerin Widerspruch eingelegt.
Die beim Sozialgericht Wiesbaden am 24. März 2005 beantragte einstweilige Anordnung lehnte das Sozialgericht
Wiesbaden mit Beschluss vom 10. Mai 2005 ab. Zur Begründung wird u.a. ausgeführt, dass die Anrechnung des
Existenzgründungszuschusses nach § 421 l Sozialgesetzbuch - Drittes Buch – (SGB III) auf das Einkommen des
Antragstellers im Rahmen des § 11 SGB II rechtlich nicht zu beanstanden sei. Das Sozialgericht führt aus:
"Nach § 421 I SGB III haben Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen hauptberuflichen Tätigkeit die
Arbeitslosigkeit beenden, unter den dort genannten Voraussetzungen Anspruch auf einen monatlichen
Existenzgründungszuschuss in Höhe von 600 EUR im Jahr. Der Existenzgründungszuschuss ist im Rahmen der
Einkommensermittlung nur dann anrechnungsfrei, wenn es sich um zweckbestimmte Einnahmen handelt (§ 11 Abs. 3
Nr. 1 a SGB II). Zweckbestimmte Einnahmen sind solche, die einem anderen Zweck als die Leistungen nach diesem
Buch dienen, also einem anderen Zweck als der Bestreitung des Lebensunterhaltes oder der Arbeitseingliederung
(Hendelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, § 11 Rdnr. 213 m.w.N.; Brühl in LPK-SGB II, § 11 Rdnr. 41). Zwischen der
zweckbestimmten Leistung und den Leistungen nach dem SGB II darf keine Zweckidentität bestehen (Hengelhaupt in
Hauck/Noftz, SGB II, § 11 Rdnr. 213 mw.N.). Bei den Existenzgründungszuschüssen handelt es sich nicht um
zweckbestimmte Einnahmen im Sinne des § 11 Abs. 3 Nr. 1 a SGB II, die bei der Anrechnung als Einkommen
unberücksichtigt bleiben. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende umfasst nach § 1 Abs. 2 SGB II Leistungen zur
Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit, insbesondere durch Eingliederung in Arbeit und zur Sicherung
des Lebensunterhaltes. Der Eingliederung in Arbeit dient auch die Gewährung des Existenzgründungszuschusses.
Zweck der Regelung des § 421 I SGB III ist u. a. die Beendigung und Beseitigung von Arbeitslosigkeit von
Arbeitnehmern durch Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit (vgl. Bericht der Kommission Moderne
Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, hrsg. vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung 2002, S. 163; Link in
Hennig, SGB III, Stand Juni 2004, § 421 I Rdnr. 3). Der Existenzgründungszuschuss dient damit wie die
Grundsicherung für Arbeitsuchende der Eingliederung des Betreffenden in den Arbeitsmarkt. Zwischen beiden
Leistungen ist daher Zweckidentität gegeben. Auch die Gesetzesbegründung sieht einen konkreten
Verwendungszweck nicht vor. Nach der Begründung des Gesetzesentwurfs kann der von der Bundesagentur für
Arbeit erbracht Zuschuss für die Beitragszahlungen zur Sozialversicherung verwendet werden (vgl. BT-Drs. 15/26, S.
22 f. zu § 421 m des Entwurfs). Dabei geht der Gesetzgeber davon aus, dass die Empfänger des
Existenzgründungszuschusses üblicherweise diese Zahlungen zu leisten haben. Eine Festlegung auf diesen Zweck
besteht aber nicht. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Bezieher von Leistungen nach dem SGB
II den Existenzgründungszuschuss nicht für Beitragszahlungen zur Sozialversicherung benötigen. Die Pflichtbeiträge
zur Sozialversicherung werden nämlich als Leistung der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II von der
Bundesagentur für Arbeit übernommen (Brünner in LPK-SGB II, § 26 Rdnr. 5 m.w.N.). Bei Befreiung von der
Versicherungspflicht besteht ein Anspruch auf Zuschuss zu den Versicherungsbeiträgen.
Die Anrechnung des Existenzgründungszuschusses als Einkommen ist auch nicht nach anderen Vorschriften
ausgeschlossen. Insbesondere ist der Existenzgründungszuschuss nicht nach § 1 der Verordnung zur Berechnung
von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld
(Alg II-VO) anrechnungsfrei. Die allein in Betracht kommende Bestimmung des § 1 Abs. 1 Nr. 2 Alg II-VO betrifft
Zuwendungen Dritter, die wie die zweckbestimmten Einnahmen nach § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II einem anderen Zweck
als die Leistungen nach dem SGB II dienen. Das ist – wie bereits ausgeführt – bei dem Existenzgründungszuschuss
nicht der Fall."
Auf die übrigen Ausführungen wird Bezug genommen.
Am 12. Mai 2005 hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt. Diese wird damit begründet, dass er sich mit den
Gründen des angefochtenen Beschlusses nicht einverstanden erklären könne. Der Antragsteller beantragt,
die Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm die durch die Agentur für Arbeit bewilligten
Leistungen (Existenzgründerzuschuss in Höhe von 1.800 Euro) für die Monate 1/05 bis 3/05 in voller Höhe
auszuzahlen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der
Verwaltungsakten (3 Bände) der Antragsgegnerin Bezug genommen. Sämtliche Akten sind Gegenstand der
Entscheidungsfindung gewesen.
II.
Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, gerichtet auf die komplette
Auszahlung von Euro 1.800 für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 31. März 2005.
Der erkennende Senat lässt ausdrücklich die Frage der Zulässigkeit, ob der Antragsteller sein Verfahren gegen die
zuständige Antragsgegnerin gerichtet hat, ob die akute Notlage allenfalls in der Zeit vom 24. März (Stellung des
Eilantrags beim Sozialgericht Wiesbaden) bis zum 31. März 2005 bestanden hat und ob der Antragsteller überhaupt
antragsbefugt ist, offen.
Erkennbar kommt es dem Antragsteller allein auf die Frage an, ob das bewilligte Arbeitslosengeld II mit dem
bewilligten Existenzgründungszuschuss nach § 421 l SGB III verrechnet werden darf. Dies ist eindeutig der Fall, da
zwischen der Gewährung des Existenzgründungszuschusses und Leistungen nach dem SGB II Zweckidentität
besteht. Existenzgründungszuschüsse sind zu berücksichtigendes Einkommen im Rahmen des § 11 SGB II, da es
sich bei ihnen nicht um zweckbestimmte Einnahmen im Sinne des § 11 Abs. 3 Nr. 1 a SGB II handelt. Da das
Beschwerdevorbringen des Antragstellers keinerlei neue Aspekte oder Argumente enthält, bezieht sich der
erkennende Senat in vollem Umfang auf die diesbezüglichen Ausführungen des Sozialgerichtes zur Sach- und
Rechtslage und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die angefochtene Entscheidung (§ 153 Abs. 2
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Entscheidung ist unanfechtbar gemäß § 177 SGG.