Urteil des LSG Hessen vom 18.03.2004

LSG Hes: soziale sicherheit, erwerbsunfähigkeit, hessen, wartezeit, beratungspflicht, militärdienst, abgabe, nachzahlung, einzahlung, republik

Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 18.03.2004 (rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 31 RJ 4489/01
Hessisches Landessozialgericht L 12 RJ 836/03
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 12. Juni 2003
abgeändert und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 19. September 2001 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 29. November 2001 verurteilt, dem Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bereits ab
1. August 1996 zu gewähren.
Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bereits ab 1. März 1996 statt der ab 1. Mai
2001 bewilligten Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Am 25. März 1996 beantragte der Kläger bei der LVA Hessen die Gewährung einer Rente wegen Erwerbs- bzw.
Berufsunfähigkeit und gab in seinem Rentenantrag folgende Beschäftigungszeiten in Deutschland an:
- Juli 1990 bis November 1990 Stanzer in Metall- und Druckgussfabrik, - Juni 1992 bis Februar 1993 Gebäudereiniger.
Ferner nannte er folgende Tätigkeiten in der Türkei:
- 1978 bis 1985 Arbeiter in der Autowerkstatt in der Türkei und von - 1983 bis 1985 Türkisches Militär, - 1985 bis 1989
Busfahrer in der Türkei.
Der Beklagten, die sodann als Verbindungsstelle eingeschaltet worden war, übersandte der Kläger den
Beschäftigungsfragebogen für türkische Versicherte vom 21. Juni 1996, in dem er Folgendes angegeben hatte:
- 1983 bis 1985 Türkisches Militär - Soldat, - 1985 bis 1988 Selbständiges Unternehmen - Busfahrer - ohne
Rentenversicherung.
Mit Schreiben vom 5. Juli 1996 gab die Beklagte das Verfahren wieder an die LVA Hessen ab, weil der Kläger keine
Beiträge zur türkischen Rentenversicherung entrichtet habe und der Militärdienst nicht der Versicherungspflicht in der
türkischen Rentenversicherung unterliege. Eine Leistung nach Abschnitt V des deutsch-türkischen
Sozialversicherungsabkommens komme daher nicht in Betracht.
In seiner für die LVA Hessen erstellten gutachtlichen Stellungnahme vom 15. Mai 1996 kam Dr. W. nach Auswertung
der beigezogenen medizinischen Befunde zu dem Schluss, das Leistungsvermögen des Klägers sei spätestens seit
6. Februar 1995 vollständig aufgehoben gewesen wegen Behcet’scher Erkrankung mit erheblicher Sehminderung.
Mit Bescheid vom 11. September 1996 lehnte die LVA Hessen den Rentenantrag des Klägers ab, weil die allgemeine
Wartezeit mit nur 43 anrechenbaren Monaten nicht erfüllt gewesen sei.
Im Rahmen des anschließenden Widerspruchverfahrens stellte die LVA Hessen mit Bescheid vom 15. April 1997
Kinderberücksichtigungszeiten zu Gunsten des Klägers fest und wies mit Widerspruchsbescheid vom 9. Dezember
1997 den Widerspruch des Klägers zurück.
Seine hiergegen beim Sozialgericht Frankfurt am Main erhobene Klage blieb erfolglos (Gerichtsbescheid vom 12. Juni
1998 - Az.: S 31 RJ 112/98). Auf seine beim Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingelegte Berufung (Az.:
L 12 RJ 1266/98), mit der er geltend machte, Beiträge für Beschäftigung und Wehrdienst in der Türkei entrichtet zu
haben, verglich er sich mit der LVA Hessen am 31. August 1999 dahingehend, dass sein Rentenantrag vom 25. März
1996 unter Zugrundelegung eines Versicherungsfalls vom 6. Februar 1995 neu zu bescheiden sei, wenn
Beitragszeiten in der Türkei in der Zeit von 1979 bis 1983 nachgewiesen würden. In diesem Fall sollte eine Abgabe an
die Verbindungsstelle erfolgen. Die Beteiligten des seinerzeitigen Verfahrens erklärten den Rechtsstreit damit für
erledigt.
Die Beklagte überprüfte durch Anfrage beim türkischen Sozialversicherungsträger erfolglos das Vorliegen von
Beitragszeiten in der türkischen Sozialversicherung und lehnte mit Bescheid vom 30. April 2001 den Antrag des
Klägers erneut ab, weil unter Zugrundelegung des Eintritts des Versicherungsfalles der Erwerbsunfähigkeit am 6.
Februar 1995 auf die allgemeine Wartezeit nur 4 Jahre und 8 Monate anzurechnen gewesen seien. Der Bescheid
enthielt darüber hinaus folgenden Zusatz:
"Nach Art. 60 Buchstabe F des Türkischen Sozialversicherungsgesetzes (Gesetz Nr. 506) können türkische
Versicherte für die Zeit ihres Militärdienstes Beiträge zur türkischen Rentenversicherung nachzahlen. Die
nachgezahlten Beiträge sind nach türkischem Recht auch auf einen bereits eingetretenen Leistungsfall, mit Wirkung
von dem der Einzahlung der Nachzahlung folgenden Monatsersten, anrechenbar. Nach Art. 27 des deutsch-türkischen
Sozialversicherungsabkommens werden diese Beiträge auch zur Erfüllung der deutschen Wartezeit mit den
deutschen Versicherungszeiten zusammengerechnet. Nach Eingang der Bestätigung des türkischen
Versicherungsträgers über die erfolgte Nachentrichtung werden wir diesen Bescheid aufheben und einen neuen
Bescheid erteilen".
In dem sich anschließenden Widerspruchsverfahren ging das Schreiben des türkischen Versicherungsträgers vom 23.
Mai 2001 bei der Beklagten ein, wonach dort für die Zeit vom 15. Februar 1983 bis 30. September 1983 73 Tage
Beitragszeiten und für den Militärdienst vom 8. November 1983 bis 8. Mai 1985 540 Tage Beitragszeiten gespeichert
seien. Die Beiträge für den Militärdienst seien am 2. April 2001 nachentrichtet worden.
Hierauf bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 19. September 2001 Rente wegen voller
Erwerbsminderung ab 1. Mai 2001 unter Zugrundelegung des Eintritts des Leistungsfalles am 6. Februar 1995.
Den hiergegen mit dem Ziel eines Rentenbeginns bereits ab 1. März 1996 eingelegten Widerspruch vom 25. Oktober
2001 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29. November 2001 zurück.
Die daraufhin am 28. Dezember 2001 beim Sozialgericht Frankfurt am Main erhobene Klage hat dieses nach
Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 12. Juni 2003 abgewiesen (Az.: S 31 RJ 4489/01) und sich zur
Begründung auf den Widerspruchsbescheid der Beklagten bezogen. Ergänzend hat das Sozialgericht u. a. ausgeführt,
die Formulierung in Art. 27 Satz 2 des deutsch-türkischen Sozialversicherungsabkommens (SVA) lasse nur den
Schluss zu, dass damit Art. 60 F des Türkischen Sozialversicherungsgesetzes anzuwenden sei, wonach
nachgezahlte Beiträge mit Wirkung von dem der Einzahlung der Nachzahlung folgenden Monatsersten anrechenbar
seien, weshalb auch die Wartezeit erst ab diesem Zeitpunkt erfüllt sei.
Gegen den ihm am 24. Juli 2003 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 6. August 2003 Berufung eingelegt,
zu deren Begründung er vorträgt, die Beklagte habe es versäumt, ihn rechtzeitig bei Antragstellung im März 1996 über
die Nachentrichtungsmöglichkeit nach türkischem Sozialversicherungsrecht zu beraten, weshalb er im Rahmen eines
sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen sei, als habe er von der Nachentrichtungsmöglichkeit für die
Militärzeit bereits bei Antragstellung Gebrauch gemacht. Selbst wenn die im April 2001 nachentrichteten Beiträge erst
mit Wirkung ab 1. Mai 2001 wirksam geworden seien, sei ihm die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit im Rahmen eines
sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs somit bereits ab 1. März 1996 zu gewähren. Darüber hinaus gebe es aber
weder im türkischen noch im deutschen oder internationalen Sozialrecht eine Regelung des Inhalts, dass die
Nachentrichtung von Beiträgen für eine Militärzeit einen Rentenanspruch erst ab dem Zeitpunkt begründe, ab dem die
Beitragszahlung tatsächlich erfolgt sei. Mangels gesetzlicher Grundlage könne die Auffassung der Beklagten nicht
zutreffend sein.
Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 12. Juni 2003 aufzuheben und
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 19. September 2001 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom
29. November 2001 zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bereits ab 1. August 1996 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie nimmt auf die Begründung des angegriffenen Gerichtsbescheides Bezug und ist der Auffassung, ihre
Beratungspflicht gegenüber dem Kläger nicht verletzt zu haben, weil die Notwendigkeit der Nachentrichtung freiwilliger
Beiträge nicht erkennbar gewesen sei.
Wegen weiterer Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und
Rentenakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte durch Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung in Abwesenheit der Beklagten entscheiden, denn
diese ist trotz ordnungsgemäßer Ladung unter Hinweis auf die Folgen des Ausbleibens unentschuldigt nicht
erschienen (entsprechend §§ 110, 126 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte sowie an sich statthafte (§§ 143, 144, 151 SGG),
Berufung ist auch sachlich begründet.
Der angegriffene Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 12. Juni 2003 und der Rentenbescheid
der Beklagten vom 19. September 2001, der die vorangegangenen Bescheide ersetzt hat, in Gestalt des
Widerspruchbescheides vom 29. November 2001 sind abzuändern, denn dem Kläger steht aufgrund seines
Rentenantrages vom 25. März 1996 ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gemäß § 44 Sechstes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der bei Rentenbeginn geltenden Fassung (a.F.) ab 1. August 1996 zu.
Zwar hat das Sozialgericht zutreffend ausgeführt, dass nach Art. 27 Satz 2 des Abkommens zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über soziale Sicherheit vom 30. April 1964 (BGBl. 1965 II, Seite
1.170) in der Fassung des Änderungsabkommens vom 28. Mai 1969 (BGBl. 1972 II, Seite 2) und des
Zwischenabkommens vom 25. Oktober 1974 (BGBl. 1975 II, Seite 374) und des Zusatzabkommens vom 2.
November 1984 (BGBl. 1986 II, Seite 1.040) welches durch das Zustimmungsgesetz vom 13. September 1965 (BGBl.
II, Seite 1.169) rechtswirksam geworden ist, sich das Ausmaß der Anrechnungsfähigkeit von Versicherungszeiten,
deren Anrechnungsfähigkeit sich nach türkischem Recht richtet, ebenfalls nach türkischem Recht richten muss.
Somit hängt die Anrechnungsfähigkeit der für den türkischen Wehrdienst geleisteten Beiträge auf den hier geltend
gemachten Leistungsanspruch ausschließlich von der Rechtswirksamkeit der erfolgten Beitragsentrichtung nach
türkischem Recht ab (so schon: Bundessozialgericht - BSG - Urteil vom 21. Februar 1989 - Az.: B 5/4a RJ 35/87;
siehe auch BSG - Urteil vom 7. Juli 1998 - Az.: B 5 RJ 2/98 R). Die für den geltend gemachten Leistungsanspruch
des Klägers auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit notwendige allgemeine Wartezeit von 5 Jahren Beitragszeiten (§§ 44
Abs. 1 Ziff. 3, 50 Abs. 1 Satz 1, 51 Abs. 1 SGB VI - a. F.) ist aber erst durch die nach türkischem Recht für die
Wehrdienstzeit vom 8. November 1983 bis 8. Mai 1985 nachentrichteten Beiträge zur türkischen Rentenversicherung
erfüllt. Nach Auskunft der Beklagten, die als zuständige Verbindungsstelle die maßgeblichen türkischen Vorschriften
mit Schriftsatz vom 5. März 2004 übersandt hat, beruht das Recht zur freiwilligen Versicherung insoweit auf Art. 60
Buchstabe F des Türkischen Sozialversicherungsgesetzes Nr. 506 (in der Fassung des Gesetzes Nr. 3.279 vom 29.
April 1986). Auf einen bereits eingetretenen Leistungsfall werden nach den zitierten Bestimmungen des türkischen
Rechts die nachgezahlten Beiträge aber erst mit Wirkung von dem der Einzahlung der Nachzahlung folgenden
Monatsersten an rechtswirksam, weshalb der auf diese Beiträge gestützte Anspruch des Klägers auf Rente wegen
Erwerbsunfähigkeit nicht früher beginnen kann.
Über die Möglichkeit der Nachentrichtung von Beiträgen an den türkischen Sozialversicherungsträger für die Zeit des
Militärdienstes hätte die Beklagte den Kläger aber schon anlässlich der Antragstellung nach Eingang des vom Kläger
ausgefüllten Beschäftigungsfragebogens vom 21. Juni 1996 noch vor Abgabe des Rentenverfahrens an die LVA
Hessen mit Schreiben vom 5. Juli 1997 beraten müssen. Der Kläger ist deshalb aufgrund eines sozialrechtlichen
Herstellungsanspruchs so zu stellen, als habe er die Beiträge für seinen Militärdienst in der Türkei schon im Juli 1996
an den türkischen Sozialversicherungsträger nachentrichtet. Dann aber waren die Voraussetzungen für eine Rente
wegen Erwerbsunfähigkeit bereits ab Juli 1996 erfüllt und damit die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. August
1996 zu zahlen (§ 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI - a. F.). Bei der hierbei zu Grunde liegenden Fiktion einer früheren
Beitragszahlung handelt es sich um eine zulässige Amtshandlung, die in ihrer wesentlichen Struktur im Gesetz
vorgesehen ist (so etwa die Vermutung der Beitragszahlung gemäß § 199 SGB VI oder die Fiktion rechtzeitig
gezahlter Pflichtbeiträge im Rahmen der Nachversicherung gemäß § 185 Abs. 2 Satz 1 SGB VI).
In sachlicher Hinsicht ist ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch von der Rechtsprechung des BSG unter
folgenden Voraussetzungen bejaht worden:
1. Vorliegen einer Pflichtverletzung, die sich der Sozialleistungsträger im Verhältnis zum Berechtigten zurechnen
lassen muss,
2. Eintritt eines rechtlichen Nachteils oder Schadens beim Berechtigten,
3. Kausalzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem Schadenseintritt,
4. Möglichkeit der Herstellung des Zustandes, der ohne die Pflichtverletzung eingetreten wäre (siehe etwa: BSG -
Urteil vom 17. August 2000 - Az.: B 13 RJ 87/98 R m. w. N.).
Die Beklagte hat die ihr gegenüber dem Kläger gemäß § 14 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) bestehende
Beratungspflicht verletzt. Danach hat jeder Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten nach diesem
Gesetzbuch. Zuständig für die Beratung sind die Leistungsträger, denen gegenüber die Rechte geltend zu machen
oder die Pflichten zu erfüllen sind. Zwar hat sich der Kläger nicht ausdrücklich im Rahmen seines Rentenantrages
vom 25. März 1996 mit einem konkreten Beratungsbegehren an die Beklagte gewandt. Bei einem konkreten Anlass
hat der Versicherungsträger aber auf klar zu Tage tretende Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, die sich
offensichtlich als zweckmäßig aufdrängen und die von jedem verständigen Versicherten mutmaßlich genutzt würden
(ständige Rechtsprechung des BSG, siehe Urteil vom 17. August 2000 a. a. O.). Zwar bezieht sich die
Beratungspflicht nach § 14 SGB I nach ihrem Wortlaut nur auf Rechte und Pflichten nach dem Sozialgesetzbuch.
Soweit solche Rechte und Pflichten aber aufgrund gültiger Sozialversicherungsabkommen von Voraussetzungen
abhängig sind, die sich erst aus Rechtsbestimmungen der Abkommensstaaten ergeben, hat zumindest die
Verbindungsstelle den Versicherten auch hierüber zu beraten. Nur so ist es sicherzustellen, dass die auch diesem
Personenkreis vom Gesetzgeber eingeräumten sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden (§ 2 Abs. 2
SGB I). Die Beratungspflicht der Verbindungsstelle bezüglich der Rechtsvorschriften des Abkommensstaates, soweit
sich diese unmittelbar auf Rechte und Pflichten nach dem Sozialgesetzbuch auswirken, stimmt auch mit der Stellung
und den Aufgaben der deutschen Verbindungsstelle nach dem deutsch-türkischen SVA überein. Nach Art. 48 dieses
Abkommens unterrichten sich die zuständigen Behörden gegenseitig über die zur Anwendung dieses Abkommens
getroffen Maßnahmen und die Änderungen und Ergänzungen ihrer Rechtsvorschriften, die die Anwendung dieses
Abkommens berühren. Zur Erleichterung der Durchführung des Abkommens ist für die Rentenversicherung der
Arbeiter die Beklagte als Verbindungsstelle eingerichtet worden (Art. 48 Abs. 2 SVA). Ihr obliegt im Rahmen ihrer
Zuständigkeit darüber hinaus die allgemeine Aufklärung der in Betracht kommenden Personen über die Rechte und
Pflichten nach dem Abkommen (Art. 2 der Vereinbarung zur Durchführung des Abkommens vom 30. April 1964
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über soziale Sicherheit vom 2. November 1984 -
BGBl. 1986 II, Seite 1.055). Eine solche Beratung über die Nachentrichtungsmöglichkeit für Militärdienstzeiten zur
türkischen Sozialversicherung wäre der Beklagten vorliegend möglich und zumutbar gewesen. Dass ihr die hierfür
notwendigen Kenntnisse als Verbindungsstelle vorliegen, muss nach den zuvor zitierten Bestimmungen des
Abkommens unterstellt werden und ergibt sich schließlich auch aus dem Zusatz zum ablehnenden Bescheid vom 30.
April 2001, mit dem die Beklagte genau hierauf - allerdings nicht rechtzeitig - hinwies. Einen solchen Hinweis hätte die
Beklagte schon anbringen können und müssen, nachdem ihr der Rentenantrag des Klägers vom 25. März 1996
zugeleitet worden war. Aus den Angaben des Klägers gegenüber der Beklagten war seinerzeit bereits hinreichend
deutlich erkennbar, dass der Kläger die notwendige Wartezeit für die begehrte Rente für Erwerbs- bzw.
Berufsunfähigkeit nicht erfüllt hatte, diese aber durch Nachentrichtung von Beiträgen für seine Militärzeit in der Türkei
noch hätte erfüllen können. Denn aufgrund seiner Angaben im Beschäftigungsfragebogen für türkische Versicherte
ergab sich für die Beklagte, dass keine Beiträge zur türkischen Sozialversicherung entrichtet worden waren und nach
den Angaben im Rentenantrag die in Deutschland zurückgelegten Beitragszeiten für die Erfüllung der Wartezeit nicht
ausreichend waren. Hingegen waren für die Beklagte seinerzeit keine Anhaltspunkte für das Vorliegen von
Kindererziehungszeiten vorhanden, die der Kläger erst nach Abgabe des Verfahrens an die LVA Hessen erfolglos
geltend machte. Die Beklagte konnte und hat daher auch nicht im Vertrauen auf das Vorliegen weiterer
rentenrechtlicher Zeiten von einer Beratung des Klägers über die in der türkischen Rentenversicherung bestehende
Nachentrichtungsmöglichkeit abgesehen. Die sich nach den Angaben des Klägers gegenüber der Beklagten
aufdrängende Möglichkeit, dass die Wartezeit für die beantragte Rente erst durch die Nachentrichtung von Beiträgen
zur türkischen Rentenversicherung erfüllt sein könnte, durfte die Beklagte nicht, wie geschehen, schlicht unbeachtet
lassen, sondern hätte in eine konkrete Beratung des Klägers oder aber zumindest in einen entsprechenden Hinweis an
die den Antrag weiter bearbeitende LVA Hessen münden müssen, die nicht über die speziellen Kenntnisse der
Beklagten als Verbindungsstelle verfügt, und die ihrerseits erst hierdurch zu einer umfassenden Beratung des Klägers
imstande gewesen wäre. Die Nachentrichtung von Beiträgen zur türkischen Sozialversicherung war eine sich
offensichtlich als zweckmäßig aufdrängende Möglichkeit, von der jeder verständige Versicherte in der Situation des
Klägers mutmaßlich Gebrauch gemacht hätte, um zeitig einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit
erwerben zu können, zumal unschwer zu erkennen war, dass Kindererziehungszeiten nicht anzurechnen waren. Die
Pflicht zur Beratung kann in jedem Stadium des Verwaltungsverfahrens entstehen. Für die Frage, wann die Beratung
erforderlich wird, ist der jeweilige Beratungsbedarf, der sich im Laufe des Verfahrens nach Art und Umfang verändern
kann, maßgeblich. Wenn erkennbar zu einem späteren Zeitpunkt ein nicht wieder gut zu machender Rechtsverlust
einzutreten droht, ist die Beratung zum frühestmöglichen Zeitpunkt durchzuführen (BSG - Urteil vom 17. August 2000
- a. a. O.). Dass dem Kläger durch die unterbliebene Entrichtung von Beiträgen für seine Militärdienstzeit in der Türkei
ein nicht wieder gut zu machender Rechtsverlust drohen würde, war für die Beklagte als Verbindungsstelle erkennbar.
Darüber hinaus musste ihr klar sein, dass die LVA Hessen, an die sie das Verfahren sodann zuständigkeitshalber und
ohne weitere Hinweise abgab, über die nach dem deutsch-türkischen Sozialversicherungsabkommen bestehenden
Möglichkeiten nicht würde beraten können. Aufgrund der verspäteten Beratung durch die Beklagte hat der Kläger erst
fünf Jahre nach seinem Rentenantrag den begehrten Anspruch erworben, weil er erst im April 2001 die notwendigen
Beiträge an den türkischen Sozialversicherungsträger entrichtet hat. In Anbetracht der vorliegenden Fallgestaltung
kann es nicht zweifelhaft sein, dass er bei Kenntnis über die bestehenden Möglichkeiten die Beiträge sofort nach
einer entsprechenden Beratung durch die Beklagte nachentrichtet hätte. Damit war die Verletzung der Beratungspflicht
durch die Beklagte die wesentliche Ursache für den verzögerten Rentenbeginn, wobei zur Überzeugung des Senats
die Beratung durch die Beklagte spätestens Anfang Juli 1996 hätte erfolgen und der Kläger somit noch im Juli 1996
die Beiträge zur türkischen Sozialversicherung hätte nachentrichten können. Dass er die zur Beitragsnachentrichtung
erforderlichen Mittel hätte aufbringen können, ist aufgrund der im April 2001 erfolgten Nachentrichtung in Höhe von
1.950,- DM zur Überzeugung des Senats nachgewiesen, denn zu dieser Zeit waren seine finanziellen Verhältnisse
jedenfalls nicht besser als im Jahre 1996 und daher seine dementsprechende Einlassung im Schriftsatz vom 17.
Februar 2004 glaubhaft, der zu entnehmen ist, dass er auch 1996 einen Bankkredit in Höhe des
Nachentrichtungsbetrages hätte aufnehmen können, weil seine Ehefrau auch damals über eigenes Erwerbs- bzw.
Erwerbsersatzeinkommen verfügte. Im Übrigen ist die zunächst auf Rentengewährung bereits ab 1. März 1996
gerichtete Berufung durch Klagerücknahme in der Hauptsache erledigt (§ 102 SGG).
Im Rahmen der Kostenentscheidung nach § 193 SGG war zu berücksichtigen, dass der Kläger mit seinem Begehren
weit überwiegend erfolgreich war und damit ein Anspruch auf Kostenerstattung in vollem Umfang billig erschien.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen gemäß § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.