Urteil des LSG Hessen vom 18.02.2011

LSG Hes: firma, arbeitslosigkeit, unverzüglich, unterzeichnung, unterhaltung, merkblatt, nebenbeschäftigung, nebeneinkommen, erwerbstätigkeit, rückerstattung

Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 18.02.2011 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 26 AL 271/07
Hessisches Landessozialgericht L 7 AL 121/09
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 15. Juni 2009 aufgehoben
und die Klage abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander für beide Instanzen keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig die Aufhebung der Bewilligung und Erstattung von Arbeitslosengeld sowie der
Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung im Zeitraum 13. Juni 2006 bis 9. Juli 2006 in Höhe von insgesamt
845,02 EUR.
Die 1959 geborene Klägerin war bis September 2005 als kaufmännische Sachbearbeiterin versicherungspflichtig
beschäftigt. Seit 1. September 2004 übte sie auch eine Nebentätigkeit bei der Firma C. als Mitarbeiterin im
Ordnungsdienst auf der Basis einer 400,00 EUR Tätigkeit (monatlich) aus. In ihrem Antrag auf Arbeitslosengeld vom
12. Oktober 2005 gab sie diese Tätigkeit mit sechs bis acht Stunden wöchentlich an. Mit Bescheid vom 14. Oktober
2005 bewilligte die Beklagte Arbeitslosengeld ab 1. Oktober 2005.
Ab 10. Juli 2006 stand die Klägerin wieder in einem Beschäftigungsverhältnis.
Aufgrund einer Überschneidungsmitteilung vom 28. Februar 2007 wurde bekannt, dass die Klägerin vom 13. Juni 2006
bis 15. Juni 2006 eine Tätigkeit bei der Firma D. ausgeübt hatte. Diese teilte in der Arbeitsbescheinigung vom 9. März
2007 mit, dass die Klägerin bei ihr in diesem Zeitraum beschäftigt gewesen sei. Die durchschnittliche regelmäßige
Arbeitszeit habe 22,6 Stunden/Woche betragen.
Mit Bescheid vom 15. März 2007 hob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld auf und forderte für die Zeit
vom 13. Juni 2006 bis 9. Juli 2006 das gezahlte Arbeitslosengeld in Höhe von 676,08 EUR zurück; ebenso die in
diesem Zeitraum gezahlten Beiträge zur Krankenversicherung (151,10 EUR) und zur Pflegeversicherung (17,84 EUR).
Der Widerspruch vom 27. März 2007 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 2007 zurückgewiesen.
Hiergegen hat die Klägerin am 7. Juni 2007 bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main Klage erhoben und vorgetragen,
bei der Firma D. sei ihr eine Teilzeittätigkeit mit circa 20 Stunden pro Woche angeboten worden. Sie habe dann drei
Tage zur Probe gearbeitet. Es sei ihr dann mitgeteilt worden, dass für den Rest des Monats kein neuer Einsatz für sie
anstehe und die Tätigkeit in den kommenden Monaten auf Abruf erfolge.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass mit der Aufnahme dieser Beschäftigung, die die Klägerin der Beklagten nicht
mitgeteilt habe, die Arbeitslosigkeit erloschen sei.
Das Sozialgericht hat von der Firma D. den Arbeitsvertrag vom 19. Mai 2006 sowie die Abrechnung für den Monat
Juni 2006 beigezogen und mit Urteil vom 15. Juni 2009 die Bescheide der Beklagten aufgehoben. In den
Entscheidungsgründen hat es ausgeführt: Zwar erlösche die Wirkung der Arbeitslosmeldung mit Aufnahme einer nicht
geringfügigen Beschäftigung, wenn der Arbeitslose die Beschäftigungsaufnahme nicht unverzüglich mitteile. Die
Klägerin habe auch mehr als geringfügig gearbeitet. Diese zeitliche Inanspruchnahme an drei Tagen habe jedoch der
Erprobung gedient und nicht der Normalarbeitszeit entsprochen. Nach dem Arbeitsvertrag sei die Klägerin als "flexible
Teilzeitkraft auf Abruf und nach Vereinbarung Kassieren/Verkaufen" eingestellt worden. Der Arbeitsvertrag enthalte
keine Regelungen zu Lage und Dauer der Arbeitszeit. Es sei daher § 12 Abs. 1 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes
(TzBfG) anzuwenden, wonach eine wöchentliche Arbeitszeit von 10 Stunden als vereinbart gelte, wenn die Dauer der
wöchentlichen Arbeitszeit nicht festgelegt sei. Damit schließe eine solche geringfügige Beschäftigung die
Arbeitslosigkeit der Klägerin nicht aus. Die dreitägige Erprobung mit 22,6 Stunden sei vor diesem Hintergrund als
gelegentliche Abweichung von geringer Dauer und damit als unerheblich anzusehen.
Gegen dieses der Beklagten am 8. Juli 2009 zugestellte Urteil hat sie am 28. Juli 2009 bei dem Hessischen
Landessozialgericht Berufung eingelegt. Sie macht geltend, das Sozialgericht habe nicht die weitere Tätigkeit bei der
Firma C. berücksichtigt. Damit werde die gesetzliche 15-Stunden-Grenze erreicht, beziehungsweise überschritten.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 15. Juni 2009 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und weist darauf hin, dass die gesetzliche Grenze nur geringfügig
überschritten werde und daher unbeachtlich sei.
Der Senat hat von der Firma C. eine Auskunft vom 3. Februar 2011 eingeholt über die Tätigkeit der Klägerin in den
Monaten März 2006 bis Juli 2006.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Akteninhalt Bezug genommen sowie auf den der
Akten der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig und begründet.
Nach § 118 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - SGB III haben Arbeitnehmer Anspruch auf
Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit, die 1. arbeitslos sind, 2. sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und
3. die Anwartschaftszeit erfüllt haben.
Nach § 119 Abs. 1 SGB III ist arbeitslos ein Arbeitnehmer, der 1. nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht
(Beschäftigungslosigkeit), 2. sich bemüht, seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen) und 3. den
Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (Verfügbarkeit).
Nach Abs. 3 dieser Vorschrift schließt die Ausübung einer Beschäftigung, selbständigen Tätigkeit oder Tätigkeit als
mithelfender Familienangehöriger (Erwerbstätigkeit) die Beschäftigungslosigkeit nicht aus, wenn die Arbeits- oder
Tätigkeitszeit (Arbeitszeit) weniger als 15 Stunden wöchentlich umfasst; gelegentliche Abweichungen von geringer
Dauer bleiben unberücksichtigt. Die Arbeitszeiten mehrerer Erwerbstätigkeiten werden zusammengerechnet.
Die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils des Sozialgerichts Frankfurt am Main setzten sich nicht mit der
Tätigkeit der Klägerin bei der Firma C. auseinander sondern heben lediglich auf die Tätigkeit bei der Firma D. ab. Bei
der Frage, ob eine geringfügige Beschäftigung vorliegt, sind jedoch beide Tätigkeiten zu berücksichtigen.
Nach den von der Beklagten und dem Senat eingeholten Auskünften der Firma C. hat die Klägerin im fraglichen
Zeitraum (Woche 12. Juni 2006 bis 18. Juni 2006) dort tatsächlich 5,00 Stunden gearbeitet. Zusammen mit der
Tätigkeit bei der Firma D. (22,6 Stunden) ergibt dies insgesamt eine Tätigkeit von 27,6 Stunden und damit weit über
der gesetzlichen Grenze.
Ob der Argumentation des Sozialgerichts zu folgen ist, wonach für die Tätigkeit bei der Firma D. § 12 Abs. 1 TzBfG
anzuwenden ist, kann offen bleiben, da die Beschäftigung bei der Firma D. aus anderen Gründen keine kurzzeitige
Beschäftigung darstellt und auch keine gelegentliche Überschreitung von geringer Dauer im Sinne von § 119 Abs. 3
S.1 letzter Halbsatz SGB III.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts kommt es für die Beurteilung bei der Bestimmung der Arbeitszeit
vorrangig auf die getroffenen Vereinbarungen und eine vorausschauende Betrachtungsweise, die an die Verhältnisse
zu Beginn der Beschäftigung anknüpft, an (BSG, Urteil vom 29. Oktober 2008 – B 11 AL 44/07 R, Rdnr. 16). Die
Klägerin hat mehrfach vorgetragen, dass sie zur Unterhaltung der Familie auf ein festes Einkommen angewiesen sei.
Sowohl bei dem Einstellungsgespräch mit der Firma D. als auch bei der Unterzeichnung des Vertrages sei ihr eine
Tätigkeit von 20 Stunden wöchentlich zugesichert worden. Tatsächlich hat die Klägerin dann auch zu Beginn der
Tätigkeit in diesem Rahmen, nämlich 22,6 Stunden wöchentlich, gearbeitet. Wenn die Vertragsparteien jedoch eine
wöchentliche Arbeitszeit vereinbaren, die von Beginn des Beschäftigungsverhältnisses an die Grenze von § 119 Abs.
3 SGB III (weniger als 15 Stunden wöchentlich) überschreiten soll, handelt es sich um keine kurzzeitige
Beschäftigung (BSG a.a.O.). Eine solche Vereinbarung ist dann auch nicht mehr eine gelegentliche Überschreitung
der gesetzlichen Grenze. Dies wäre sie nur dann, wenn sie vorhersehbar war und sich innerhalb des
Beschäftigungsverhältnisses voraussichtlich nicht wiederholt. Im Rahmen einer solchen Beschäftigung kann sich die
Klägerin dann auch nicht darauf berufen, man habe eine Tätigkeit "auf Abruf" vereinbart. Entscheidend ist, dass die
Vereinbarung von vornherein auf eine Überschreitung der Zeitgrenze angelegt war (BSG, a.a.O.).
Nachdem die Tätigkeit der Klägerin nicht nur kurzzeitig gewesen ist und sie dies der Beklagten nicht unverzüglich
mitgeteilt hat, ist die Wirkung der ursprünglichen Arbeitslosmeldung erloschen (§ 122 Abs. 2 Nr. 2 SGB III). Die
Beschäftigungslosigkeit entfällt bereits mit dem ersten Tag, am 13. Juni 2006, an dem die maßgebliche Woche mit
der Überschreitung beginnt, also nicht erst mit der Überschreitung selbst (vgl. Mutschler u.a., SGB III, § 119 Rdnr.
56). Die Erlöschenswirkung der Aufnahme einer mehr als kurzzeitigen Beschäftigung endet dann erst mit der erneuten
persönlichen Vorsprache beziehungsweise im Falle der Klägerin mit dem Ende ihrer Arbeitslosigkeit am 9. Juli 2006
(Aufnahme einer neuen Tätigkeit am 10. Juli 2006).
Die Voraussetzungen von § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X liegen vor. Die unterlassene Mitteilung ist jedenfalls als grob
fahrlässig anzusehen. In ihrem Antrag auf Arbeitslosengeld hat die Klägerin u. a. mit ihrer Unterschrift bestätigt, das
Merkblatt 1 für Arbeitslose erhalten zu haben. Dieses enthält ausführliche Hinweise zu Nebeneinkommen. Im Übrigen
war der Klägerin durch ihre Nebenbeschäftigung bei der Firma C. bekannt, dass beim Bezug von Arbeitslosengeld
hinsichtlich der Arbeitszeit Beschränkungen bestehen. Angesichts ihrer langjährigen Tätigkeit als kaufmännische
Sachbearbeiterin bestehen für den Senat keine Zweifel, dass dies der Klägerin auch bei Anlegung des nach der
Rechtsprechung erforderlichen subjektiven Maßstabes hätte klar sein müssen.
Die Jahresfrist von § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X ist eingehalten. Nach Kenntnis der Überschneidungsmitteilung vom 28.
Februar 2007 hat die Beklagte mit Bescheid vom 15. März 2007 die Bewilligung von Arbeitslosengeld aufgehoben und
die Rückerstattung geltend gemacht. Die Erstattungspflicht für die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung
ergibt sich aus § 335 Abs. 1 SGB III. Hinsichtlich der Höhe der Erstattungsforderung sind von der Klägerin keine
Einwendungen erhoben worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.