Urteil des LSG Hessen vom 25.04.2007

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Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 25.04.2007 (rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 22 EG 2174/03
Hessisches Landessozialgericht L 6 EG 2/07
I. Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 9. März 2007
aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird an das Sozialgericht Frankfurt am Main zurückverwiesen.
II. Die Kostenentscheidung bleibt dem Sozialgericht vorbehalten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Aufhebung und Rückforderung von Erziehungsgeld in der Zeit ab dem 13. März 2002
streitig. Der Rückforderungsbetrag beläuft sich auf 2.760,- EUR.
Die 1970 geborene Klägerin ist die Mutter des 2002 geborenen Kindes B. Für dieses Kind bezog die Klägerin aufgrund
ihres Antrags vom 14. Februar 2002 unter Anrechnung des gezahlten Mutterschaftsgeldes ab der Geburt von B. das
budgetierte Erziehungsgeld nach Maßgabe von § 5 Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) in ungeminderter Höhe
(Bescheid vom 15. März 2002).
Aufgrund von Hinweisen Dritter wurden vom Hessischen Landesamt für Versorgung und Soziales F-Stadt in der
zweiten Jahreshälfte 2002 Ermittlungen darüber angestellt, inwieweit B. von seiner Mutter während des
Erziehungsgeldbezugs noch erzogen und betreut wurde. Im Zusammenhang damit teilte der Kreisausschuss des
Kreises O-Stadt dem Hessischen Amt für Versorgung und Soziales mit Schreiben vom 12. September 2002 mit, im
März 2002 sei B. als voraussichtlich vorübergehende Maßnahme in Verwandtenpflege zu den Großeltern A. gegeben
worden. Dabei sei vereinbart worden, dass die Kindeseltern weiterhin einen engen Kontakt zu dem Kind halten sollten,
was sich auch gut habe realisieren lassen, da Großeltern und Eltern im gleichen Haus wohnten. Im Juni 2002 seien
die Eltern von B. nach O-Stadt verzogen. Die Großeltern bezögen für B. Verwandtenpflegegeld.
Zu einer möglichen Aufhebung der erfolgten Erziehungsgeldbewilligung wurde die Klägerin in der Folgezeit angehört.
Sie teilte mit, sie lebe mit ihren Eltern – also den Großeltern von B. – in einer Wohngemeinschaft. Ihr sei vom
Jugendamt bestätigt worden, dass ihr auch weiterhin Erziehungsgeld zustehe. Sie habe deshalb auch lediglich eine
Teilzeittätigkeit aufgenommen, um den Anspruch auf Erziehungsgeld nicht zu verlieren.
Durch Bescheid vom 14. Oktober 2002 hob das Hessische Amt für Versorgung und Soziales die Bewilligung des
Erziehungsgeldes mit Wirkung ab dem 13. März 2002 auf. Zur Begründung wurde ausgeführt, seit dem 12. März 2002
lebe die Klägerin mit ihrem Kind nicht mehr in einem Haushalt; Benjamin werde von der Klägerin auch nicht mehr
erzogen und betreut. In Höhe der seit dem 13. März 2002 erfolgten Überzahlung sei die Klägerin deshalb nach § 50
Sozialgesetzbuch X (SGB X) zur Erstattung des geleisteten Erziehungsgeldes verpflichtet.
Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 6. Mai 2003 zurückgewiesen. Nach
den aktenkundigen Unterlagen lebe B. nicht mehr im Haushalt der Klägerin. Die Klägerin selbst betreue und erziehe B.
auch nicht mehr, wie dies in § 1 Abs. 1 Nr. 3 BErzGG vorausgesetzt werde. Die von der Klägerin angeführte häusliche
Nähe rechtfertige die Weitergewährung von Erziehungsgeld nicht. Die bereits erbrachten Leistungen für die Zeit vom
13. März 2002 bis zum 12. September 2002 in Höhe von 2.760,- EUR seien deshalb von der Klägerin zu erstatten.
Die Klägerin hat hiergegen vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main Klage erhoben. Sie hat im Verfahren S 22 EG
2174/03 vorgetragen, zum Jahreswechsel 2002/2003 sei sie mit ihren Eltern – den Großeltern von B. –
übereingekommen, dass die Pflege von B. durch die Großeltern ganz übernommen werde. Bis zu diesem Zeitpunkt
sei es jedoch dabei geblieben, dass sie - die Klägerin - nachts, morgens und mittags Benjamin versorgt habe. Dass
B. vormittags und nachmittags bei den Großeltern verblieben sei, stehe deshalb einem fortdauernden Anspruch auf
Erziehungsgeld jedenfalls bis zum Jahreswechsel 2002/2003, als sie zu ihrem Ehemann nach O.-Stadt gezogen sei,
nicht entgegen. Überdies sei bei der Aufhebungsentscheidung die Härtereglung in § 1 Abs. 5 BErzGG
unberücksichtigt geblieben. Bedingt durch die Alkoholsucht ihres Ehemannes und die von ihm begangenen Straftaten
sei für sie eine in jeder Beziehung schwierige Lage auch in wirtschaftlicher Hinsicht entstanden, aufgrund derer die
Aufhebung und Rückforderung der gewährten Leistungen nicht gerechtfertigt sei.
Für das Verfahren S 22 EG 2174/03 vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main wurde der Klägerin durch Beschluss
des Senats vom 9. Februar 2004 im Beschwerdeverfahren L 6 B 82/03 EG Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres
Prozessbevollmächtigten bewilligt. In diesem Beschluss hat der Senat hervorgehoben, dass nach dem Vortrag der
Klägerin im sozialgerichtlichen Verfahren für den streitbefangenen Zeitraum die Voraussetzungen für den Anspruch
auf Erziehungsgeld nach wie vor gegeben sein könnten. Es werde dem Sozialgericht obliegen, die hierfür
maßgeblichen tatsächlichen Feststellungen zu treffen, deren Ergebnis zumindest offen sei.
Durch Gerichtsbescheid vom 9. März 2007 hat das Sozialgericht Frankfurt am Main die Klage abgewiesen. Zur
Begründung hat das Sozialgericht auf die seiner Auffassung nach zutreffende Begründung des Bescheides und des
Widerspruchsbescheides hingewiesen und ergänzend ausgeführt, die Leistungsberechtigung scheitere bereits daran,
dass B. nicht mehr im Haushalt der Klägerin gelebt habe, wie dies nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 BErzGG Voraussetzung für
den Leistungsanspruch sei. Dies stehe aufgrund der Auskunft des Jugendamtes des Kreises O.-Stadt vom 12.
September 2002 fest. Die Härteregelung in § 1 Abs. 5 BErzGG lasse insoweit keine Ausnahme zu.
Gegen den der Klägerin am 15. März 2007 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 5. April 2007
eingegangene Berufung. Die Klägerin vertritt weiterhin die Auffassung, ihr habe das bewilligte Erziehungsgeld
zugestanden. Die Auskunft des Jugendamtes des Kreises O.-Stadt beweise nicht, dass eine Haushaltsaufnahme und
eine persönliche Betreuung und Erziehung von B. ab dem 13. März 2002 nicht mehr vorgelegen habe. Auch der
Umstand, dass offenbar Verwandtenpflegegeld an die Großeltern von Benjamin gezahlt worden sei, stehe dem
Anspruch auf Erziehungsgeld nicht entgegen, zumal nicht gesichert sei, ob die anscheinend erfolgte Bewilligung
dieses Verwandtenpflegegeldes gegenüber den Großeltern von B. rechtmäßig gewesen sei. Jedenfalls bis zum
Jahresende 2002/2003 könne die Fortdauer der Haushaltsaufnahme und die fortdauernde Erziehung und Betreuung
durch sie – die Klägerin – nicht in Abrede gestellt werden. Eine durchzuführende Beweisaufnahme z.B. durch
Einvernahme der Großeltern von B. werde dies bestätigen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 9. März 2007
sowie den Bescheid des beklagten Landes vom 14. Oktober 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6.
Mai 2003 aufzuheben.
Das beklagte Land hat bisher noch keinen Antrag gestellt.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird im Übrigen auf den gesamten
weiteren Inhalt der Gerichtsakte, die beigezogene Verwaltungsakte des Hessischen Amtes für Versorgung und
Soziales F-Stadt. sowie die Gerichtsakte in dem Verfahren L 6 B 82/03 EG Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig.
Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Abs. 1 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist mit der Maßgabe der Aufhebung des sozialgerichtlichen Gerichtsbescheides und der
Zurückverweisung der Sache an das Sozialgericht gemäß § 159 SGG auch begründet. Denn das sozialgerichtliche
Urteil leidet an einem wesentlichen Verfahrensmangel (§ 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Die verfahrensfehlerhafte
Vorgehensweise des Sozialgerichts kann aus der Sicht des Senats nicht mehr als ordnungsgemäße Grundlage für
eine zwischen den Beteiligten zu treffende Entscheidung angesehen werden. Der Senat hat deshalb von seinem ihm
eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht, in der Sache nicht selbst zu entscheiden, sondern in diesem
Ausnahmefall den Rechtsstreit an das Sozialgericht zurück zu verweisen (vgl. insoweit Meyer-Ladewig, SGG, 8.
Aufl., RdNr. 5 ff. zu § 159 m.w.N.).
Nach Auffassung des Sozialgerichts ergibt sich die Rechtmäßigkeit des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheides
des beklagten Landes daraus, dass ab dem 13. März 2002 B. nicht mehr im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 BErzGG dem
Haushalt der Klägerin angehört habe. Aus der Sicht des Sozialgerichts ergibt sich dies aus der im
Verwaltungsverfahren eingeholten Auskunft des Jugendamtes des Kreises O-Stadt vom 12. September 2002.
Allein auf den Inhalt dieser Auskunft durfte das Sozialgericht seine Auffassung indes nicht stützen. Entgegen der
Auffassung des Sozialgerichts lassen sich aus dieser Auskunft schon deshalb keine Rückschlüsse auf die Frage der
Fortdauer der Haushaltsaufnahme ziehen, weil die Auskunft ausdrücklich davon spricht, die Verwandtenpflege sei als
"voraussichtlich vorübergehende Maßnahme" angesehen worden. Selbst wenn man in allen Punkten von der
Richtigkeit dieser Auskunft ausgehen wollte, stünde eine solche vorübergehende Maßnahme der Fortdauer der
Haushaltsaufnahme nämlich nicht entgegen. Zwar setzt das Leben mit einem Kind in einem Haushalt i.S.v. § 1 Abs. 1
Nr. 2 BErzGG grundsätzlich ein räumliches Zusammenleben verbunden mit materieller Vorsorge und immaterieller
Zuwendung (vgl. z.B. BSG Urteil vom 8.12.1993 – 10 RKg 8/92 = SozR 3-5870 § 2 Nr. 22 m.w.N.) voraus. Diese
Voraussetzungen können jedoch bei einer Pflege durch die Großeltern auch für die Zeit ab dem 13. März 2002
durchaus auch weiterhin gegeben sein. Denn der Begriff der Haushaltsaufnahme, mit dem sich das Sozialgericht noch
nicht einmal am Rande auseinandergesetzt hat, schließt das Vorhandensein mehrerer Lebensmittelpunkte keinesfalls
aus (BSG a.a.0.). Deshalb muss noch nicht einmal eine Heimunterbringung eine Haushaltsaufnahme zwangsläufig
beenden (vgl. insoweit BSG, Urt. v. 19.11.1997 – 14/10 RKg 18/96 = DBlR 4437a, BKGG § 2, m.w.N.). Mit der vom
Sozialgericht gegebenen Begründung kann deshalb die Haushaltsaufnahme unter keinen denkbaren Umständen
verneint werden.
Auch ansonsten lässt sich aufgrund des bisher feststehenden Sachverhalts nicht abschließend klären, ob der
Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid des beklagten Landes rechtmäßig ist. Schon in seinem Beschluss vom 9.
Februar 2004 im Beschwerdeverfahren L 6 B 82/03 EG hat der Senat darauf hingewiesen, dass etwa bei der
Tatbestandsvoraussetzung des § 1 Abs. 1 Nr. 3 BErzGG die Betreuung von B. durch die Eltern der Klägerin
keinesfalls ausschließt, dass diese Tatbestandsvoraussetzung auch weiterhin bei der Klägerin erfüllt sein kann, wenn
die Betreuung und Erziehung zumindest in einem "erheblichen Umfang" erbracht wird (vgl. z.B. BSG Urteil vom
13.5.1998 – B 14 EG 2/97 R = SozR 3-7833 § 2 Nr. 6).
Beide Sachverhalte - also die Frage der Fortdauer der Haushaltsaufnahme sowie die Frage der Betreuung und
Erziehung - wird das Sozialgericht im Einzelnen weiter aufzuklären haben. Dabei wird, für den Fall, dass insbesondere
eine Betreuung und Erziehung ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr in dem von der Rechtsprechung (a.a.0.)
geforderten Umfang festgestellt werden sollte, vom Sozialgericht auch die Anwendung der Härteregelung des § 1 Abs.
5 BErzGG überprüft werden müssen.
Vollkommen ungeprüft gelassen hat das Sozialgericht im Übrigen die Klärung der Frage, inwieweit die
Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung der Leistungsbewilligung nach den §§ 45 bzw. 48 SGB X
vorliegen. Auch insoweit fehlen im sozialgerichtlichen Gerichtsbescheid jegliche Feststellungen, so dass auch aus
diesem Grund der Senat eine Zurückverweisung an das Sozialgericht für angemessen erachtet.
Das Sozialgericht wird auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden haben.
Die Revision hat der Senat nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht
vorliegen.