Urteil des LSG Hessen vom 14.03.2017

LSG Hes: berufsausbildung, vergütung, avg, erwerbstätigkeit, anwärter, waisenrente, widerruf, unterstand, dienstzeit, arbeitskraft

Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 19.02.1974 (rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt
Hessisches Landessozialgericht L 2 An 808/72
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 13. Juli 1972 wird
zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin erhält von der Beklagten Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit seit dem 1. September 1968
(Bescheid 19. Februar 1969). Zu dieser Rente wurde ein Kinderzuschuss für ihren 1950 geborenen Sohn R. gewährt,
der sich seit dem 1. September 1968 als Verwaltungslehrling (Lehrlingsrolle Nr. 67/67) bei der Allgemeinen
Ortskrankenkasse (AOK) FF. in Berufsausbildung befand. Die Lehre war am 31. August 1970 beendet. Darum stellte
die Beklagte mit dem Schreiben vom 19. Juni 1970 die Zahlung des Kinderzuschusses ein.
Am 23. Oktober 1970 beantragte die Klägerin die Wiedergewährung des Kinderzuschusses für ihren Sohn R., der am
Vorbereitungsdienst zum gehobenen Verwaltungsdienst teilnehme. Sie bezog sich dabei auf eine Bescheinigung der
AOK FF. vom 30. September 1970, nach der R. P. (künftig R.P.) ab 1. Oktober 1970 zum Vorbereitungsdienst zum
gehobenen Verwaltungsdienst gemäß der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für den Verwaltungsdienst bei den
Trägern der Sozialversicherung zugelassen worden ist. Seit dem 1. September 1970 erhielt R.P. eine monatliche
Vergütung nach Bundesangestelltentarif (BAT)/OKKen vom 25. August 1961 nach den Sätzen der Gruppe VII in Höhe
von 1.071,– DM. Durch Beschluss des Vorstandes der AOK vom 16. April 1971 wurde er mit Wirkung ab 1. Mai 1971
in das dienstordnungsmäßige Angestelltenverhältnis auf Widerruf als Inspektor-Anwärter übernommen; die zuletzt
bezogene BAT-Vergütung von 1.071,– DM wurde ihm für die Dauer des Vorbereitungsdienstes für den gehobenen
Verwaltungsdienst als Unterhaltszuschuss weiter gewährt. Diesen Unterhaltszuschuss bezog er in unveränderter
Höhe bis zur Ablegung der Inspektorenprüfung und Übernahme in das Beamtenverhältnis im April 1973. Während des
Vorbereitungsdienstes war R.P. im wesentlichen zwei Abteilungen der AOK zur Ausbildung zugewiesen. In der
Abteilung Nr. 32.5, in der die von dem Regelfall abweichenden Rechtsfälle gesammelt und bearbeitet wurden, hatte er
Bescheide vorzubereiten und zu entwerfen, die Versicherungspflicht oder -freiheit von Arbeitnehmern zu überprüfen,
an Betriebsprüfungen teilzunehmen, statistische Erhebungen anzustellen, sie auszuwerten und zu registrieren. Auf
diese Weise wurde er mit dem größten Teil der der AOK zugewiesenen Verwaltungsaufgaben vertraut gemacht. Eine
eigene Entscheidungsbefugnis stand ihm nicht zu; seine Entscheidungsvorschläge, die oftmals noch von mehreren
Sachbearbeitern überprüft und ergänzt wurden, hatte er mit dem zuständigen Abteilungsleiter zu besprechen. In der
Abteilung Nr. 32.5, in der mehrere Sachgebiete zentral zusammengefasst sind, wurde er mit allen dort vorkommenden
Verwaltungsarbeiten vertraut gemacht und zur Bearbeitung anstehender Rechtsfragen herangezogen. Zum 1. Oktober
1971 wurde er in die Abteilung 41 für allgemeine Leistungen versetzt, die in Bar- und Sachleistungen untergliedert ist.
Hier wurde er abwechselnd in beiden Abteilungen eingesetzt. Daneben arbeitete er in der Abteilung für
Ersatzforderungen und Regressansprüche. Die einzelnen ihm zugewiesenen Aufgabenbereiche im Schalterdienst, als
Prüfer, als stellvertretender Schaltervorsteher und Zuarbeiter waren ihm jeweils nur kurzfristig, höchstens für zwei
Monate übertragen. Als stellvertretender Schaltervorsteher stand er unter der Überwachung des Abteilungsleiters.
Eine Unterschriftsbefugnis stand ihm in dieser Eigenschaft nicht zu. Die mit R.P. zur gleichen Zeit in Ausbildung
stehenden Inspektoren-Anwärter waren in gleicher Weise wie er eingesetzt. Alle 14 Tage hatten die Inspektoren-
Anwärter an einem ganztägigen theoretischen Kursus teilzunehmen. Der Stellen- oder Abteilungsleiter hatte sie
theoretisch zu unterweisen, mindestens wöchentlich einen halben Tag lang. In dem zur Pflicht gemachten
Fernunterricht hatten die Inspektoren-Anwärter schriftliche Arbeiten anzufertigen, deren Unterlagen sie während ihrer
Dienstzeit zusammen trugen, die sie aber nach ihrer Dienstzeit zu Hause erledigten. In der Zeit vom 8. Februar bis
16. März 1973 nahm R.P. an einem Internatslehrgang für die B-Prüfung teil.
Die Beklagte lehnte mit ihrem Bescheid vom 5. Januar 1971 die Gewährung des Kinderzuschusses zur Rente der
Klägerin mit der Begründung ab, dass die Ausbildung zum Vorbereitungsdienst für den gehobenen Verwaltungsdienst
mit der Zahlung von vollen Dienstbezügen nach dem BAT/OKKen verbunden sei.
Mit ihrer Klage machte die Klägerin geltend, dass die gewährte Vergütung dem Bestehen eines echten
Ausbildungsverhältnisses nicht widerspreche. Die seitherige Vergütung werde nach der neuen Dienstordnung der AOK
FF., da ein Anstellungsverhältnis auf Widerruf bestehe, zur Wahrung des Besitzstandes als Unterhaltszuschuss in
Höhe von DM 1.071,– weiter gewährt und nehme an einer Steigerung nicht teil.
Die Beklagte trug demgegenüber vor, dass die Dienstbezüge es dem Sohn R. ermöglichten, seinen Lebensunterhalt
selbst zu bestreiten. Der Kinderzuschuss habe Unterhaltsersatzfunktion, so dass er wegfalle, bzw. nicht zu gewähren
sei, wenn der Unterhalt des Kindes durch Einkünfte aus eigener Erwerbstätigkeit gesichert sei.
Das Sozialgericht Frankfurt/Main hob mit dem Urteil vom 13. Juli 1972 den Bescheid der Beklagten auf und
verpflichtete sie, der Klägerin für ihren Sohn R. ab 1. Oktober 1970 für die weitere Dauer der Berufsausbildung –
längstens bis zur Vollendung seines 25. Lebensjahres – Kinderzuschuss zu ihrer Rente zu zahlen. Zur Begründung
wurde ausgeführt, dass sich der Sohn R. in Berufsausbildung befinde, die nach einer festgesetzten Ausbildungs- und
Prüfungsordnung erfolge. Die Art und Höhe der Vergütung stehe dem nicht entgegen. Bei Beginn des
Vorbereitungsdienstes sei die Vergütung für die Auszubildenden noch nicht dienstordnungsmäßig geregelt gewesen,
so dass eine BAT-Vergütung gezahlt worden sei. Nach der neuen Dienstordnung(DO) der AOK stünde dem Sohn der
Klägerin als Anwärter für den Landesdienst lediglich ein Unterhaltszuschuss zu, der geringer wäre als die jetzt
gewährte Vergütung. Die BAT-Vergütung werde aus Gründen des Besitzschutzes als Unterhaltszuschuss weiter
gewährt und sei keine Fortzahlung von Dienstbezügen. Dafür spreche, dass die Vergütung nicht an Steigerungen der
üblichen Dienstbezüge teilnehme. Mit der allgemeinen Erhöhung der Unterhaltszuschüsse in den letzten Jahren werde
angestrebt, jedem unabhängig von den finanziellen Verhältnissen der Eltern eine Ausbildung zu ermöglichen und den
notwendigen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Er solle nicht nur ein kleiner Beitrag zum Lebensunterhalt des
Auszubildenden sein. Aus diesem Grunde könne aus der Höhe des Unterhaltszuschusses nicht geschlossen werden,
dass es sich nicht um eine Berufsausbildung handele. Weder der Kinderzuschuss noch die Gewährung der
Waisenrente seien von der Bedürftigkeit des Kindes oder des Rentenempfängers abhängig, so dass es nicht
entscheidend sei, ob die Klägerin, ihren Sohn noch unterstütze oder noch unterstützen müsse. Die Ausbildung des
Sohnes werde auch nicht im Rahmen einer Erwerbstätigkeit durchgeführt, weil er nur Angestellter auf Widerruf sei und
auch nach Ablegung der Prüfung keinen Anspruch auf Anstellung oder Beförderung habe.
Die Beklagte wendet sich mit ihrer am 24. August 1972 eingegangenen Berufung gegen das ihr am 31. Juli 1972
zugestellte Urteil. Nach ihrer Meinung hängt die Entscheidung des Rechtsstreites davon ab, ob sich der Sohn der
Klägerin in einer "Berufsausbildung” i.S. des § 39 Abs. 3 Satz 2 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) befinde. Dies
sei nicht der Fall. Nicht jede Ausbildung, der sich ein Kind – oder eine Waise – nach Vollendung des 18. Lebensjahres
unterziehe, sei als Schuld – oder Berufsausbildung anzusehen. Der allgemein sozialpolitische Sinn und Zweck des
Kinderzuschusses – der Waisenrente – als Unterhaltsersatz, sowie der Vergleich mit den anderen Alternativen in § 39
Abs. 3 AVG und 44 AVG machten deutlich, dass die Regelungen über einen zeitlich verlängerten Anspruch auf
Kinderzuschuss bzw. Waisenrente diejenigen Fälle erfassen sollten, in denen ein Kind anders als im angenommenen
Regelfall auch nach Vollendung des 18. Leben Jahres noch auf elterliche Unterhaltsleistungen angewiesen sei, weil es
sich nicht selbst unterhalten könne. Eine Berufsausbildung könne daher einen Anspruch auf verlängerten
Kinderzuschuss nur dann begründen, wenn das Kind infolge dieser Ausbildung daran gehindert sei, sich selbst seinen
Lebensunterhalt zu verdienen. Eine Berufsausbildung liege dann nicht vor, wenn die Ausbildung sich im Rahmen einer
Berufstätigkeit vollziehe, die den vollen Unterhalt des Kindes sichere, so dass es auf elterliche Unterhaltsleistungen
nicht mehr angewiesen sei. Der Sohn der Klägerin erhalte nicht etwa nur einen Unterhaltszuschuss oder eine
Ausbildungsbeihilfe, sondern die volle Vergütung eines Berufstätigen, die nicht wesentlich geringer sei als das
Einkommen in dem angestrebten Beruf.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 13. Juli 1972 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und bezieht sich auf den unstreitigen Sachverhalt und ihren Klagevortrag. Ihr
Sohn habe während des Vorbereitungsdienstes keine selbstverantwortliche Tätigkeit auszuüben gehabt. Erst nach der
bestandenen Prüfung habe er die Befähigung für seine Laufbahn erhalten. Er habe, entgegen der Ansicht der
Beklagten, keine Dienstbezüge, sondern einen Unterhaltszuschuss bezogen. Die Höhe des Einkommens könne nur
als Indiz in den Fällen von Bedeutung sein, in denen es zweifelhaft sei, ob überhaupt ein Ausbildungsverhältnis
vorliege.
Auf den Inhalt der Renten- und Streitakten sowie der Personalakten wird im übrigen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte und auch statthafte Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat richtig
erkannt, dass es sich bei der von dem Sohn der Klägerin im Oktober 1970 begonnenen Ausbildung um eine echte
Berufsausbildung i.S. von § 39 Abs. 3 S. 2 AVG gehandelt hat. "Berufsausbildung ist die Ausbildung für einen
zukünftig gegen Entgelt auszuübenden Lebensberuf, welche die Arbeitskraft des Auszubildenden ausschließlich oder
überwiegend in Anspruch nimmt.” (vgl. Wilke, Handkommentar zum Bundesversorgungsgesetz (BVG) § 33 b, Erl.V;
BSG 25, 276, 277). Der Beklagten kann daher nicht gefolgt werden, wenn sie meint, die Weitergewährung der
bisherigen Angestelltenvergütung an R.P. nach Beginn des Vorbereitungsdienstes – anstelle eines sonst
festzusetzenden Unterhaltszuschusses – schließe eine Berufsausbildung im üblichen Sinne aus, es handele sich
lediglich um eine Gelegenheit zur weiteren Ausbildung eines bereits Berufstätigen unter Fortzahlung der bisherigen
vollen Gebührnisse. Ihr Hinweis auf die Entscheidung des 4. Senates des BSG vom 6. April 1965 – Az.: 4 RJ 479/61
(BSG in SozR Nr. 15 zu § 1267 RVO) ist nicht stichhaltig. Der 4. Senat hielt vielmehr seine früher vertretene
Auffassung in BSG 9, 196, 198, 199 ausdrücklich aufrecht. Er hat in einem anders gelagerten Fall entschieden, dass
ein Polizeibeamter auf Probe, der vor seiner Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit bei voller Weiterzahlung seiner
Beamtenbezüge an einem Lehrgang in einer Polizeischule teilzunehmen hatte, sich während dieser Zeit nicht in
Berufsausbildung i.S. von § 1265 RVO befindet. Auch der vom 10. Senat des BSG am 12. Juli 1966 – Az.: 10 RV
879/64 entschiedene Fall betrifft einen anderen, nicht mit dem vorliegenden vergleichbaren Sachverhalt.
Der Sohn der Klägerin befand sich bis zum 31. März 1973 in einer echten Berufsausbildung (Plog-Wiedow,
Bundesbeamtengesetz Anm. 7 zu § 5). Er durchlief während dieser Zeit verschiedene Abteilungen der AOK zu seiner
Information, in Kursen wurde seine Ausbildung in theoretischer Hinsicht ergänzt. Als Inspektorenanwärter musste er
während seines Vorbereitungsdienstes in der vorgeschriebenen Zeit – ohne eigenverantwortliche Tätigkeit – bei
praktischer Unterweisung zu seiner Information tätig sein. Er war in zwei Abteilungen der AOK eingesetzt, in denen
zentral die von dem Regelfall abweichenden Rechtsfragen zu erörtern und zu entscheiden waren. Es handelte sich
nach der Darstellung der Klägerin dabei um Abteilungen, in denen nahezu alle Verwaltungsaufgaben und Rechtsfälle
zu erledigen waren, die auf die Ausbildungsbehörde zukommen. Dieser Sachverhalt ist unstreitig; die Tatsache wird
von der Beklagten zugestanden. Bei der Erledigung der ihm zugewiesenen Aufgaben unterstand R.P. der Anleitung
und Aufsicht des Stellen- oder Abteilungsleiters, er war grundsätzlich nicht zeichnungsberechtigt (höchstens nur für
ganz geringe Beträge), seine Arbeiten wurden überprüft und von dem Abteilungsleiter mindestens 1 mal wöchentlich in
einer theoretischen Unterweisung besprochen. Er unterstand einzelnen Sachbearbeitern, da die Abteilungen in
mehrere Sachbereiche aufgegliedert waren. Er hatte die gleiche Ausbildung wie die anderen Inspektorenanwärter, die
mit ihm zur gleichen Zeit in den verschiedenen Ausbildungsabteilungen eingesetzt waren, gleichgültig ob sie mit dem
Abitur als Inspektorenanwärter aufgenommen waren oder ob sie – wie der Kläger – über eine Verwaltungsprüfung den
Befähigungsnachweis zur Aufnahmeanwartschaft in den gehobenen Dienst erlangt hatten. Seine Arbeitskraft war
durch die Ausbildung voll in Anspruch genommen; einen Teil der schriftlichen Hausarbeiten hatte er im Rahmen eines
ihm zur Pflicht gemachten Fernkursus nach Dienstschluss zu erbringen.
Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten erhielt er während der Dauer seiner Ausbildung keine Dienstbezüge,
sondern einen Unterhaltszuschuss, der kein Entgelt für geleistete Dienste war. Der Unterhaltszuschuss diente
ausschließlich dem Zweck, was das Sozialgericht richtig erkannt hat die wirtschaftliche Lage des R.P. zu erleichtern
und eine wirtschaftliche Hilfe für die Bestreitung seines Lebensunterhalts zu gewähren (Plog/Wiedow a.a.O. § 79 a
Anm. 3). Zu Unrecht weist die Beklagte auf die Höhe der von R.P. bezogenen "Vergütung” hin und zieht daraus den
Schluss, dass er sich nicht mehr in Berufsausbildung befand. Die Höhe des bezogenen Unterhaltszuschusses ist im
Hinblick darauf, dass § 39 Abs. 3 Satz 2 AVG keinerlei Einschränkungen bezüglich eines etwaigen Einkommens der
in der Berufsausbildung Befindlichen enthält, genau so unbeachtlich wie die Form, in der er gewährt wird (so BSG 25,
276, 278). Dem Sohn der Klägerin wurde, worauf die ausbildende AOK hinweist, als einem bereits im öffentlichen
Dienst beschäftigt gewesenen Angestellten – als Bewerber für den Vorbereitungsdienst – die "bisherige” Vergütung
nach den geltenden Bestimmungen als Unterhaltszuschuss weiter gewährt, ohne dass sie an den üblichen
Steigerungen teilnahm. Daraus erhellt, dass ein echter Unterhaltszuschuss, nicht aber ein Arbeitsentgelt gewährt
worden war. Er war eine wirtschaftliche Hilfe für den Auszubildenden, nicht aber ein seiner Arbeitsleistung
entsprechendes Entgelt. Der Unterhaltszuschuss wurde für die gesamte Dauer des Vorbereitungsdienstes stets in
Höhe der "zuletzt bezogenen” Vergütung gewährt und nahm nicht an allgemeinen Vergütungserhöhungen teil.
Die Beklagte schließt aus den in § 39 Abs. 3 AVG aufgeführten Gründen, die zur Weitergewährung des
Kinderzuschusses über die Vollendung des 18. Lebensjahres des Kindes hinausführen, dass diese Leistung nur dann
zu gewähren sei, wenn der Unterhalt des Kindes nicht durch eine eigene Erwerbstätigkeit gesichert sei. Die
Unterhaltsersatzfunktion komme in der Aufzählung der einzelnen Weiterzahlungsgründe klar zum Ausdruck. Diese
Auslegung kann dem Wortlaut des Gesetzes jedoch nicht entnommen werden; denn dieser ist eindeutig und nicht
auslegungsfähig. Es kann dahingestellt bleiben, ob eine Regelung – wie sie der Beklagten vorschwebt – billig ist, die
einem in der Berufsausbildung Befindlichen dann den Kinderzuschuss versagt, wenn er einen Unterhaltszuschuss in
Höhe der BAT-Vergütung bezieht.
Der Gesetzeswortlaut kann nicht im Wege einer – wie auch immer vorgenommenen und in jedem Fall unzulässigen –
Auslegung eingeengt werden. Es kann nicht Aufgabe der Sozialgerichte sein, einem vermuteten Willen des
Gesetzgebers durch Auslegung zu entsprechen (so BSG 9, 196, 198, 199). Die Höhe des Einkommens kann nur als
Indiz dafür herangezogen werden, ob überhaupt ein Ausbildungsverhältnis vorliegt. Es ist davon auszugehen, dass
der Gesetzgeber bewusst aus Verwaltungsvereinfachungsgründen darauf verzichtet hat, in jedem Einzelfall die
laufende Überprüfung der Höhe des Einkommens des Auszubildenden zu verlangen. Entgegen der Behauptung der
Beklagten entsprach der Unterhaltszuschuss auch nicht dem Einkommen in dem angestrebten Beruf. Der Senat
vermag auch dem Hinweis der Beklagten auf die Unterhaltsersatzfunktion des Kinderzuschusses nicht zu folgen.
Nicht alle Hinterbliebenenrenten haben Ersatzfunktion, denn die Witwenrente wird z.B. gewährt, ohne dass zu prüfen
ist, ob der verstorbene Versicherte seine Frau tatsächlich unterhalten hat oder ob sie bedürftig ist und eine
Unterhaltsverpflichtung des Versicherten bestand. Auch einer verheirateten Waisen wird für die Dauer der
Berufsausbildung die verlängerte Waisenrente gewährt ohne Rücksicht auf den Unterhaltsanspruch gegen den
Ehegatten nach § 1360 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). In § 39 Abs. 3 AVG ist der Leitgedanke der
Unterhaltsersatzfunktion außer Betracht geblieben, eine Regelung, die der Gesetzgeber hätte treffen können; ihm kam
es jedoch auf den Nachweis eines Einkommens des Auszubildenden nicht an. Jedenfalls hätte die Auffassung der
Beklagten eine ausdrückliche, also wörtliche Regelung finden müssen. Es ist nicht Aufgabe der Sozialgerichte, durch
eine einengende Auslegung des § 39 Abs. 3 AVG von der gesetzlichen Regelung abzuweichen.
Zwar hat das BSG (BSG 25, 289) zum Anspruch auf Gewährung der sogenannten verlängerten Waisenrente
entschieden, dass es Sinn und Zweck dieser Leistung sei, die Fälle zu erfassen, in denen das Kind – entgegen der
angenommenen Regel – auch nach Vollendung des 18. Lebensjahres noch auf elterliche Unterhaltsleistung
angewiesen ist, weil seine Ausbildung noch nicht abgeschlossen ist und es sich deshalb noch nicht selbst durch eine
Erwerbstätigkeit unterhalten kann (BSG vom 1. Juli 1964 in BSG 21, 185 mit weiteren Hinweisen), doch scheinen die
dort gegebenen Gründe auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. In dem vom BSG entschiedenen Fall handelte es
sich um eine Weiterführung einer bereits abgeschlossenen Berufsausbildung eines Justizsekretärs. Da dieser eine
echte Gegenleistung für die von ihm erbrachten Dienste (Beamtenbesoldung) erhielt, konnte nicht mehr von einem
Unterhaltszuschuss gesprochen werden. Um eine Berufsausbildung handelt es sich dann nicht, insoweit ist dies auch
die Rechtsansicht des erkennenden Senats, wenn sich die Ausbildung im Rahmen einer Erwerbstätigkeit vollzieht, die
den vollen Unterhalt – des Kindes – sichert. Zu fordern ist jedoch, dass es sich um eine "Erwerbstätigkeit” handelt,
die darauf gerichtet ist, durch eine erbrachte Arbeitsleistung den Lebensunterhalt zu gewährleisten. Der
Unterhaltszuschuss des Sohnes der Klägerin bezweckt jedoch nur, die wirtschaftliche Lage während des
Vorbereitungsdienstes zu erleichtern. Dagegen ist es der Zweck der Dienstbezüge eines Beamten, den
Lebensunterhalt zu sichern. In dem von dem BSG 25, 289 entschiedenen Fall wurden die Ansprüche eines Beamten
beurteilt, der für eine andere Berufslaufbahn vorbereitet wurde; er ging während seiner "Ausbildung” den üblichen
dienstlichen Tätigkeiten nach. Das trifft aber nicht auf den Sohn der Klägerin zu. Dieser erhielt nicht die vollen
Dienstbezüge eines Beamten, sondern – wie oben ausgeführt – nur einen Unterhaltszuschuss. Er befand sich in einer
echten Berufsausbildung, das gilt auch dann, wenn es sich – wie hier – um eine auf der bisherigen Ausbildung
aufbauende weitere Ausbildung für eine höhere Stufe innerhalb des gleichen Faches handelt (so BSG 23, 227 = SozR
Nr. 19 zu § 1267 RVO). Der ihm gewährte Zuschuss ist keine Gegenleistung für erbrachte Dienste, er entspricht nicht
der Arbeitsleistung-, sondern ist ein echter Unterhaltszuschuss zur Erleichterung und Sicherung des
Ausbildungszweckes. Maßgebend und damit entscheidend ist, dass die tatsächlich geleisteten Bezüge den Charakter
eines Unterhaltszuschusses haben, sie entsprechen nicht dem einer nominalen Vergütung für einen Berufstätigen.
Nach allem ist festzustellen, dass sich der Sohn der Klägerin noch bis zum 31. März 1973 in Berufsausbildung
befand, für die er nur einen Unterhaltszuschuss erhielt, so dass zu der Versichertenrente, wie das Sozialgericht mit
zutreffender Begründung festgestellt hat, bis zur Erreichung des Ausbildungszieles Kinderzuschuss zu gewähren war.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Rechtsfrage und wegen der Divergenz der
Entscheidungen BSG 25, 276 ff. und BSG 25, 289 ff. wird die Revision zugelassen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.