Urteil des LSG Hessen vom 17.10.2005

LSG Hes: persönliche daten, notlage, sozialleistung, arbeitslosenhilfe, unverzüglich, obliegenheit, erfüllung, aufwand, erlass, arbeitsvermittler

Hessisches Landessozialgericht
Beschluss vom 17.10.2005 (rechtskräftig)
Sozialgericht Kassel S 21 AS 168/05 ER
Hessisches Landessozialgericht L 9 AS 69/05 ER
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 12. August 2005 wird
zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II.
Der Antragsteller bezog in der Vergangenheit Arbeitslosenhilfe von der Agentur für Arbeit in Kassel. Im August 2004
übersandte die Bundesagentur für Arbeit dem Antragsteller einen Antragsvordruck für Leistungen nach dem SGB II
mit dem Hinweis, dass nur bei rechtzeitiger Abgabe des Antrages zum 1. Januar 2005 eine Leistungsgewährung
erfolgen könne. Außerdem erfolgte zum 8. Oktober 2004 an den Antragsteller eine Einladung zur persönlichen
Antragsabgabe bei der Personalentwicklungs- und Beratungsgesellschaft (PEBG), der der Antragsteller ohne
Rückmeldung nicht nachkam.
Im Rahmen eines Gespräches beim Arbeitsvermittler stellte der Antragsteller am 19. Januar 2005 einen formlosen
Antrag auf Leistungen nach dem SGB II. Der Arbeitsvermittler habe dem Antragsteller nochmals einen
Antragsvordruck mit der Bitte um persönliche Abgabe ausgehändigt und ihn aufgefordert, unter Hinweis auf seine
Mitwirkungspflichten nach §§ 60, 66 SGB I, die zur Leistungsgewährung erforderlichen Unterlagen beizubringen.
Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 20. Mai 2005 begehrte der Antragsteller erneut Leistungen nach dem SGB II von der
Antragsgegnerin. Zur Begründung gab er an, er habe sich, da er seit Januar 2005 keine Leistungen erhalten habe, mit
Nothilfedarlehn über Wasser gehalten. Einen formlosen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II habe er nicht erst am
19. Januar 2005, sondern bereits am 1. Januar 2005 gestellt, und zwar habe er den Antrag in den Briefkasten der
Agentur für Arbeit in Kassel eingeworfen. Einen Formularantrag habe der Antragsteller nicht abgegeben, da er davon
überzeugt sei, dass er hierzu nicht verpflichtet sei. Im Formularantrag seien persönliche Daten gefordert worden, die
keinen inhaltlichen Bezug zum Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hätten.
Mit Schreiben vom 6. Juni 2005 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, es müssten sämtliche erforderliche
Daten erhoben werden, um eine Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II treffen zu
können. Daher sei es unerlässlich, dass das 6seitige Antragsformular inklusive der erforderlichen Zusatzblätter
vollständig ausgefüllt und unterschrieben eingereicht werde. Der dem Antragsteller zugegangene Formularsatz
entspreche dem aktuellen Stand und die geforderten Angaben stünden in direktem Zusammenhang mit den
gesetzlichen Vorgaben.
Mit beim Sozialgericht Kassel am 14. Juni 2005 eingegangenen anwaltlichen Schriftsatz vom 13. Juni 2005 hat der
Antragsteller um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung hat er angegeben, die formlos gestellten
Anträge auf Leistungen nach dem SGB II reichten seiner Auffassung nach aus, um die persönlichen und
wirtschaftlichen Daten zu ermitteln. Im Übrigen seien die Daten der Antragsgegnerin in vollem Umfang bekannt, da der
Antragsteller früher Arbeitslosenhilfe bezogen habe. Er sei daher nicht verpflichtet, das Antragsformular auszufüllen.
Mit Beschluss vom 12. August 2005 hat das Sozialgericht Kassel den Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung abgelehnt. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, es fehle bereits an der Glaubhaftmachung eines
Anordnungsgrundes, soweit der Antragsteller Leistungen für die Zeit vor Eingang des Eilantrages bei Gericht begehre.
Im Übrigen habe der Antragsteller einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Dabei könne es letztlich
dahinstehen, ob der Antragsteller verpflichtet sei, den Vordruck zu verwenden oder ob es ausreiche, die für die
Ermittlung des Sachverhalts erforderlichen Informationen auf andere Weise der Antragsgegnerin zugänglich zu
machen. Der Antragsteller habe nämlich einen Hilfebedarf nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Zum einen begründe
allein der Umstand, dass der Antragsteller den Antrag nicht ausgefüllt habe, Zweifel an seiner Hilfebedürftigkeit.
Würde die von dem Antragsteller geschilderte Notlage tatsächlich bestehen, wäre zu erwarten gewesen, dass er die
erforderlichen Angaben der Behörde unverzüglich übermittelt. Seine handschriftliche Aufstellung vom 8. Juni 2005
reiche in keiner Weise aus, um seinen Hilfebedarf glaubhaft zu machen.
Der Beschluss wurde dem Bevollmächtigten des Antragstellers am 16. August 2005 zugestellt.
Der Antragsteller hat am 12. September 2005 Beschwerde gegen den Beschluss erhoben. Zur Begründung der
Beschwerde hat der Bevollmächtigte ausgeführt, der Antragsteller befinde sich in einer aktuellen Notlage, da er seit
Januar 2005 keine Leistungen nach dem SGB II bezogen habe. Durch die Nothilfedarlehen sei die Notlage des
Antragstellers nicht behoben. Der am 1. Januar 2005 von dem Antragsteller eingereichte formlose Antrag müsse zur
Bearbeitung der Ansprüche des Antragstellers ausreichen. Die Antragsgegnerin könne sich nicht darauf berufen, dass
ihr die persönlichen Daten des Antragstellers nicht bekannt seien. Die Antragsgegnerin könne nämlich auf die Daten
der Arbeits- und Sozialämter zurückgreifen. Eine Obliegenheit des Antragstellers, das Antragsformular zur
Geltendmachung von Ansprüchen nach dem SGB II auszufüllen, bestehe nicht. Ein Anordnungsgrund bestehe auch
für die Zeit vor Stellung des Eilantrages beim Sozialgericht, da der Antragsteller die Nothilfedarlehen zurückzahlen
müsse.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß, den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 12. August 2005 aufzuheben
und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller ab 1. Januar 2005
Leistungen nach dem SGB II zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie bezieht sich zur Begründung auf die Entscheidung des Sozialgerichts.
Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Verfügung vom 22. September 2005).
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines
vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis getroffen werden, wenn dies zur Abwehr
wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies setzt voraus, dass das Bestehen eines zu sichernden Rechts
(Anordnungsanspruch) und die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft gemacht werden (§ 86 b Abs.
2 Satz 3 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) hat, wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, 1.
alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers
der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen, 2. Änderungen in den Verhältnissen, die für die
Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind,
unverzüglich mitzuteilen. Soweit für die in Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 genannten Angaben Vordrucke vorgesehen sind,
sollen diese benutzt werden (§ 60 Abs. 2 SGB I).
Nach § 65 Abs. 1 SGB I bestehen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 64 nicht, soweit 1. ihre Erfüllung nicht in
einem angemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Sozialleistung oder ihrer Erstattung steht oder 2.
ihre Erfüllung dem Betroffenen aus einem wichtigen Grund nicht zugemutet werden kann oder 3. der Leistungsträger
sich durch einen geringeren Aufwand als der Antragsteller oder Leistungsberechtigte die erforderlichen Kenntnisse
selbst beschaffen kann.
Unter Berücksichtigung dieser Kriterien hat der Antragsteller seine Mitwirkungspflichten aus §§ 60 ff. SGB I nicht
erfüllt. Der Antragsteller hat nicht dargelegt, dass ihm die Verwendung des von der Antragsgegnerin übersandten
Vordruckes aus einem wichtigen Grund nicht zugemutet werden kann (§ 65 Abs. 1 Nr. 2 SGB I). Zwar können mit
dem Vordruck nur die für die beantragte Sozialleistung erheblichen Umstände abgefragt werden. Enthält der Vordruck
darüber hinaus gehende Fragen, etwa weil er für verschiedene Arten von Sozialleistungen benutzt werden soll, kann
der Antragsteller deren Beantwortung ablehnen (Freischmidt in: Hauck/Haines, SGB I, Stand: Oktober 2003, § 60
Rdnr. 20 m.w.N.). Der Antragsteller hat aber schon nicht dargelegt, dass etwa die Beantwortung einzelner Fragen für
die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II nicht erforderlich ist. Er hat lediglich pauschal behauptet, im
Formularantrag seien persönliche Daten gefordert worden, die keinen inhaltlichen Bezug zum Anspruch auf Leistungen
nach dem SGB II hätten. Auch wenn man mit dem Antragsteller eine Verpflichtung zur Verwendung des von der
Antragsgegnerin übersandten Formulars etwa aus datenschutzrechtlichen Erwägungen verneinen würde, wäre der
Antragsteller gehalten gewesen, zumindest die datenschutzrechtlich unbedenklichen Teile des Formulars auszufüllen
bzw. die betreffenden Fragen formlos zu beantworten und die entsprechenden Nachweise zu erbringen (vgl.
Beschluss des erkennenden Senats vom 30. September 2005 – L 9 B 127/05 AS). Dieser Obliegenheit ist der
Antragsteller nicht nachgekommen. Die Mitwirkungspflicht des Antragstellers entfällt auch nicht deshalb, weil sich die
Antragsgegnerin durch einen geringeren Aufwand als der Antragsteller die erforderlichen Kenntnisse selbst beschaffen
kann (§ 65 Abs. 1 Nr. 3 SGB I). Insoweit konnte der Antragsteller nicht auf die bei der Agentur für Arbeit vorliegenden
Daten Bezug nehmen. Eine derartige Bezugnahme auf bereits vorhandene Daten scheidet schon deshalb aus, weil
mit dem übersandten Antragsformular aktuelle Angaben bezogen auf den Beginn des Bewilligungsabschnitts (1.
Januar 2005) zu beantworten waren (vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 30. September 2005 – s.o.).
Im Übrigen hat der Antragsteller auch die behauptete Hilfebedürftigkeit nicht glaubhaft gemacht. Seiner
handschriftlichen Aufstellung vom 8. Juni 2005 lassen sich weder Angaben zu seinen Wohnverhältnissen noch zum
Einkommen und Vermögen entnehmen.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).