Urteil des LSG Hessen vom 29.11.1994

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Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 29.11.1994 (rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 22 Eg 999/92
Hessisches Landessozialgericht L 6 Eg 91/94
I. Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 3. Januar 1994
aufgehoben. Unter Aufhebung des Bescheides vom 30. Januar 1992 und des Widerspruchsbescheides vom 3. April
1992 wird das beklagte Land verurteilt, der Klägerin für die Betreuung und Erziehung des Pflegekindes D. J. in der Zeit
ab dem 4. Dezember 1991 Erziehungsgeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
II. Das beklagte Land hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Erziehungsgeld für die Betreuung und Erziehung des Pflegekindes D.
J. der Klägerin in der Zeit ab dem 4. Dezember 1991 streitig.
Die Klägerin ist verheiratet. Sie lebt mit ihrem Ehemann in einem gemeinsamen Haushalt. Jedenfalls in der
unmittelbar nach dem 4. Dezember 1991 liegenden Zeit war die Klägerin nicht berufstätig.
Am 4. Dezember 1991 wurde von den Eheleuten K. das 1991 in XY. geborene Kind D. J. in unbefristete Vollzeitpflege
nach §§ 27, 33 Sozialgesetzbuch VIII – Kinder- und Jugendhilfe – (SGB VIII) aufgenommen. Die unbefristete
Pflegeerlaubnis wurde durch das Jugendamt der Stadt XY. erteilt. Das Pflegeverhältnis besteht seit dem 4. Dezember
1991 ununterbrochen fort.
Die leibliche Mutter von D. J. ist am 13. August 1974 geboren. Vor der Geburt ihres Kindes hatte sie zunächst die
Absicht gehabt, ihr Kind zur Adoption freizugeben. Nach der Geburt nahm sie von dieser Absicht wieder Abstand.
Bis zur Aufnahme von D. J. in der Familie der Klägerin lebte D. in einem Kleinkinderheim.
Am 23. Dezember 1991 beantragte die Klägerin die Gewährung von Erziehungsgeld nach dem
Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) für die Erziehung und Betreuung von D. J ... Durch Bescheid vom 30. Januar
1992 wurde dieser Antrag abgelehnt. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 3.
April 1992 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, § 1 Abs. 1 Nr. 2 BErzGG setze die rechtliche und
tatsächliche Personensorge für das in den Haushalt der Klägerin aufgenommene Kind voraus. Diese Voraussetzung
sei im Falle von D. J. nicht erfüllt. Nach § 38 KJHG seien den Pflegeeltern mit der Aufnahme eines Pflegekindes
lediglich Teile der Personensorge übertragen worden, sofern die leiblichen Eltern dieser Regelung nicht widersprächen.
Da nur Teile der Personensorge übertragen seien, komme ein Anspruch auf Erziehungsgeld nicht in Betracht.
Die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Frankfurt am Main durch Gerichtsbescheid vom 3. Januar 1994
abgewiesen. Das Sozialgericht hat die Auffassung vertreten, ein Anspruch auf Erziehungsgeld scheide deshalb aus,
weil der Klägerin das Personensorgerecht für das Kind D. J. nicht zustehe. Die in § 1 Abs. 1 BErzGG getroffene
Regelung rechtfertige sich daraus, daß erst das Sorgerecht das Rechtsverhältnis begründe, aus dem die Verpflichtung
zur Betreuung und Erziehung des Kindes fließe (Hinweis auf BR Drucks. 350/85, S. 14). An dieser, im Wortlaut des
Gesetzes deutlich gewordenen Auffassung habe der Gesetzgeber bis heute festgehalten. Ein auf die Änderung des §
1 Abs. 1 Nr. 2 gerichteter Gesetzentwurf der Fraktion der Grünen vom 18. Mai 1990 (BT Drucks. 11/7193), der die
Streichung der Beschränkung auf sorgeberechtigte Personen zum Inhalt gehabt habe, habe keine politische Mehrheit
gefunden. Ein Vorschlag zur Einführung einer Härteregelung z.B. für Großeltern ohne Sorgerecht (Hinweis auf Bericht
des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit vom 14. Juni 1989 – BT Drucks. 11/4776, S. 3 f.), sei
bei der Neufassung des Bundeserziehungsgeldgesetzes vom 30. Juni 1989 (BGBl. I, S. 1297) ebenfalls nicht
berücksichtigt worden. Die getroffene Regelung verstoße auch nicht gegen höherrangiges Recht. Insbesondere
gebiete es der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) nicht, daß das Erziehungsgeld auch solchen
Personengruppen zukommen müsse, denen das Personensorgerecht nicht zustehe. Insbesondere sei es
grundsätzlich nicht als sachfremd anzusehen, wenn der Gesetzgeber eine staatliche Sozialleistung nur dann vorsehe,
wenn neben bestimmten tatsächlichen Umständen auch die rechtlichen Voraussetzungen für eine dauerhafte
Beziehung zwischen der Betreuungsperson und dem Kind vorlägen. Die Einführung des § 38 SGB VIII mit Wirkung
vom 1. Januar 1991 habe zwar zu einer Vertretungsmöglichkeit in der Ausübung der elterlichen Sorge geführt, jedoch
nur insoweit, als der Personensorgeberechtigte nicht etwas anderes erkläre. Letztlich sei die Vertretungsmöglichkeit
damit von der Zustimmung des eigentlichen Personensorgeberechtigten abhängig, so daß die grundlegende rechtliche
Beziehung weiterhin zwischen dem Kind und dem Personensorgeberechtigten bestehe, also gerade diejenige
Beziehung, die das Rechtsverhältnis begründe, aus dem die Verpflichtung zur Betreuung und Erziehung des Kindes
fließe.
Gegen den der Klägerin am 4. Januar 1994 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 14. Januar 1994
eingegangene Berufung. Die Klägerin ist der Auffassung, es sei nicht erforderlich, über den Gesetzeswortlaut von § 1
Abs. 1 Nr. 2 BErzGG hinaus in einer erweiternden Auslegung auf nicht sorgeberechtigte Personen hinauszugehen.
Vielmehr ergebe sich aus der Regelung in § 38 SGB VIII, daß ihr die Personensorge tatsächlich zustehe. Nach § 38
Abs. 1 SGB VIII sei die pflegende Person berechtigt, den Personensorgeberechtigten in der Ausübung der elterlichen
Sorge zu vertreten. Gemeint sei also das gesamte dem Interesse des minderjährigen Kindes dienende gesetzliche
Schutzverhältnis (Hinweis auf Palandt-Diederichsen, 53. Aufl., Einf. vor § 1626, Rdnr. 3), ohne daß dies in der Sache
auf Teilbereiche beschränkt wäre. Soweit das Sozialgericht darauf abstelle, daß die Berechtigung zur Vertretung in der
Ausübung der elterlichen Sorge nur insofern bestehe, als nicht der Personensorgeberechtigte etwas anderes erkläre,
rechtfertige dies nicht die Annahme, die grundlegende rechtliche Beziehung bestehe weiterhin zwischen dem Kind und
dem "eigentlichen” Personensorgeberechtigten. Die "eigentliche” Personensorgeberechtigte, nämlich die leibliche
Mutter von D. J., habe ihr gegenüber keinerlei Einschränkungen ausgesprochen. Dies könne nur so verstanden
werden, daß ihr – der Klägerin – die Personensorge in vollem Umfang zustehe. Die Aufrechterhaltung der
Personensorgeberechtigung der leiblichen Mutter sei reiner Formalismus, der sich im tatsächlichen Leben des Kindes
in keiner Weise auswirke. Der Bundesgerichtshof (Hinweis auf Urteil vom 24. April 1990 = BGHZ 111, 168, 173) habe
bei der Beurteilung der Rechtsbeziehungen den tatsächlichen Gegebenheiten wesentlich mehr Raum zugestanden, als
dies etwa das Bundessozialgericht (Hinweis auf Urteil vom 9. September 1992 – 14 b/4 REg 15/91) tue. Der BGH
gehe von einer Wechselwirkung zwischen dem tatsächlichen Lebensbereich und den darauf einwirkenden rechtlichen
Regelungen aus. Dieser durch die Sorgerechtsbeziehung geprägte Lebensbereich bestehe vorliegend allein zwischen
ihr und dem von ihr betreuten Kind. Das Kind lebe bei ihr, sie kümmere sich um alles. Dazu habe sie auch die
rechtlichen Möglichkeiten, denn sie vertrete die leibliche Mutter in der Ausübung der elterlichen Sorge in vollem
Umfang und von dieser unbeschränkt. Zwischen dem Kind und der leiblichen Mutter bestehe dagegen allein das
abstrakte Sorgerecht, das weder durch einzelne Rechtshandlungen je ausgeübt werde, noch durch tatsächliche
Handlungen mit Leben erfüllt sei. Auch die vom Bundessozialgericht angesprochene Dauerhaftigkeit der Beziehung
sei in ihrem Falle gegeben. Es dränge sich förmlich auf, einer Pflege nach § 33 SGB VIII mit der Rechtsfolge des §
38 SGB VIII die vom Bundessozialgericht geforderte Dauerhaftigkeit zuzusprechen. Denn § 33 nenne zwei mögliche
Formen der Vollzeitpflege, nämlich eine zeitlich befristete Erziehungshilfe und eine auf Dauer angelegte Lebensform.
In ihrem Fall liege eine Dauerpflege vor. Deshalb könne auch der Auffassung des Senats hierzu im Urteil vom 30. Juni
1993 (L-6/Eg-162/93) nicht gefolgt werden. Sofern man diese Dauerhaftigkeit nicht unmittelbar aus § 38 SGB VIII
ableiten wolle, könnten in ihrem Falle jedenfalls aus den tatsächlichen Umständen Schlußfolgerungen im Hinblick auf
die geforderte Dauerhaftigkeit der Beziehung gezogen werden.
Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 3. Januar 1994 sowie den
Bescheid der Beklagten vom 30. Januar 1992 und den Widerspruchsbescheid vom 3. April 1992 aufzuheben und das
beklagte Land zu verurteilen, ihr in der Zeit ab dem 4. Dezember 1991 für die Erziehung und Betreuung ihres
Pflegekindes D. J. Erziehungsgeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Das beklagte Land beantragt, die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Das beklagte Land halt die sozialgerichtliche Entscheidung für zutreffend. Es geht davon aus, daß auf die
Pflegeeltern lediglich die tatsächliche Personensorge delegiert worden sei. Eine Regelung, allein aufgrund der
Delegation der tatsächlichen Personensorge die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Erziehungsgeld
zu bejahen, habe der Gesetzgeber jedoch nicht getroffen. § 38 Abs. 1 SGB VIII sehe nur eine Vertretung in der
Personensorge vor, sofern nicht der Personensorgeberechtigte etwas anderes erkläre. Zu den in § 38 SGB VIII
genannten besonderen Bereichen gehöre das Geltendmachen und Verwalten von Unterhalts-, Versicherungs-,
Versorgungs- und sonstigen Sozialleistungen. Dieses Vertretungsrecht reiche jedoch nicht aus, um die
Anspruchsvoraussetzungen auf Erziehungsgeld zu begründen.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vertrags der Beteiligten wird im übrigen auf den gesamten weiteren
Inhalt der Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten (GZ.: XXXXX) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG –) ist zulässig.
Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Abs. 1 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist auch begründet. Der Klägerin steht für die Erziehung und Betreuung des Kindes D. J. für die Zeit ab
dem 4. Dezember 1991 Erziehungsgeld in gesetzlicher Höhe zu.
Nach § 1 Abs. 1 BErzGG hat Anspruch auf Erziehungsgeld, wer einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt
im Geltungsbereich dieses Gesetzes hat (Nr. 1), mit einem Kind, für das ihm die Personensorge zusteht, in einem
Haushalt lebt (Nr. 2), dieses Kind selbst betreut und erzieht (Nr. 3) und keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt
(Nr. 4).
Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3 und Nr. 4 BErzGG liegen für die auf die Aufnahme der Pflege von D.
J. folgende Zeit vor und sind zwischen den Beteiligten auch nicht umstritten.
Aber auch die Voraussetzung des § 1 Abs. 1 Nr. 2 BerzGG ist gegeben. Die Klägerin lebt mit D. J. in einem
gemeinsamen Haushalt. Ihr steht im Sinne der genannten Bestimmung auch die Personensorge zu. Die noch im Urteil
des Senats vom 30. Juni 1993 (L-6/Eg-162/93) vertretene gegenteilige Auffassung hält der Senat nicht mehr aufrecht.
Zwar ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 9. September 1992 – 14 b/4 REg 19/91 =
SozR 3 7383 § 1 Nr. 9) "Personensorge” kein auslegungsfähiger Begriff der Umgangssprache, sondern ein in § 1626
Abs. 1 Satz 2 BGB definierter Begriff des Familienrechts. Die elterliche Sorge umfaßt danach die Sorge für die
Person des Kindes (Personensorge) und die Sorge für sein Vermögen (Vermögenssorge).
Diesem Sorgerecht steht nach Auffassung des Bundessozialgerichts weder die tatsächlich dauerhaft ausgeübte
Sorge, noch die dem Pflegeberechtigten nach dem 8. Buch des Sozialgesetzbuches – Kinder- und Jugendhilfe –
(SGB VIII) übertragene Ausführung der Personensorge gleich, so daß der Pflegeperson kein Erziehungsgeld zustehe.
Diese Auffassung wird vom Senat jedenfalls für die vorliegende Fallgestaltung nicht geteilt.
Mit dem Bundessozialgericht (a.a.O.) ist allerdings davon auszugehen, daß mit Personensorge tatsächlich das
"Sorgerecht” gemeint ist. Dies läßt sich unmittelbar aus den Materialien zum Entwurf eines Gesetzes über die
Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub entnehmen. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-
Drucks. 10/392, S. 14) wird auf die Notwendigkeit des Vorhandenseins des Sorgerechts ausdrücklich hingewiesen.
Bereits diese Begründung zum Gesetzentwurf läßt jedoch erkennen, daß nicht das "uneingeschränkte” Sorgerecht
Voraussetzung für den Anspruch auf Erziehungsgeld sein soll, sondern daß auch andere Varianten der
Sorgerechtsausübung einen Anspruch auf Erziehungsgeld begründen können. Darauf deutet insbesondere der
Hinweis, wonach auch Minderjährige, deren Sorgerecht ja ebenfalls eingeschränkt ist, für ihre Kinder einen Anspruch
auf Erziehungsgeld haben können.
Da eine Vielzahl weiterer Fälle denkbar sind, in denen das Sorgerecht der Eltern insbesondere durch das
Vormundschaftsgericht eingeschränkt werden kann, ist nach Auffassung des Senats für die Auslegung des Begriffs
der Personensorge in § 1 Abs. 1 Nr. 2 BErzGG maßgebendes Kriterium, inwieweit die Rechtsstellung im Verhältnis
Pflegeperson zu dem in Pflege genommenen Kind in Bezug auf die Personensorge als dauerhaft gesichert angesehen
werden kann.
Auch die Vertretung im Sorgerecht, wie sie in § 38 SGB VIII geregelt ist, kann nach Meinung des Senats eine solche
auf Dauer gesicherte Personensorge im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 BErzGG darstellen.
§ 38 SGB VIII begründet die Berechtigung zur Ausübung des Sorgerechts durch die Pflegeperson, stellt also ein
unmittelbar aus dem Sorgerecht abgeleitetes Recht dar. Wenn die Dauerhaftigkeit dieser Beziehung gesichert ist,
kann nach Auffassung des Senats dieses abgeleitete Recht im Rahmen des § 1 Abs. 1 Nr. 2 BErzGG nicht
unbeachtet bleiben.
Denn gerade die Dauerhaftigkeit aufgrund einer gesicherten rechtlichen Beziehung zwischen Kind und Bezugsperson
ist es, die den Gesetzgeber dazu veranlaßt hat, Ansprüche auf Erziehungsgeld zu begründen, um damit "zu
ermöglichen und zu erleichtern”, daß das Kind in seiner ersten Lebensphase die ständige Betreuung durch eine "feste
Bezugsperson” erhält (BT-Drucks. a.a.O.). Diese Zielrichtung würde verfehlt, wenn trotz des Vorhandenseins einer
solchen "festen Bezugsperson” in Fällen der vorliegenden Art, Erziehungsgeld weder an den an sich
sorgeberechtigten Elternteil, noch an diejenige Bezugsperson erfolgen würde, die als feste Bezugsperson zur
Betreuung und Erziehung zur Verfügung steht und zugleich aus einer gesicherten Rechtsposition heraus das
Vertretungsrecht in der Personensorge ausübt.
Diese gesicherte Rechtsposition ergibt sich unmittelbar aus § 38 SGB VIII. Mit der Einführung dieser Regelung durch
das Gesetz zur Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechts – KJHG – vom 26. Juni 1990 (BGBl. I S. 1163) wurde
die Rechtsstellung der Pflegeeltern gegenüber der zuvor geltenden Rechtslage deutlich gestärkt. Während nämlich
nach § 1630 Abs. 3 BGB eine Übertragung der elterlichen Sorge auf die Pflegeperson vom Antrag der ansonsten
personensorgeberechtigten Eltern abhängt, ist mit Inkrafttreten des KJHG zum 1. Januar 1991 nach § 38 SGB VIII die
Personensorge kraft Gesetzes unmittelbar jedenfalls insoweit auf die Pflegeperson übertragen worden, als sie die für
das Kleinkind in seinen ersten Lebensjahren maßgeblichen Bereiche betrifft.
Auch wenn § 1630 Abs. 3 BGB weiterhin anwendbar bleibt, so ist im Ergebnis diese Regelung weitgehend durch § 38
SGB VIII abgelöst worden und die Bedeutung des § 1630 Abs. 3 BGB demgemäß nur noch gering (Finger, Ausübung
der Personensorge bei Kindern, ZfJ 1990, S. 618–621).
Soweit das Bundessozialgericht (a.a.O.) ausführt, die Begründung dieser Rechtsposition hänge "allein von der
faktischen Pflegeposition ab”, und daraus schließt, die Einräumung einer speziellen Rechtsstellung, aus der die
Dauerhaftigkeit des Pflegeverhältnisses abgeleitet werden könnte, werde insoweit nicht vorausgesetzt, kann dem vom
Senat nicht gefolgt werden.
Denn die in § 38 SGB VIII verankerte Vertretungsbefugnis ist von vorneherein auf die Fallgestaltung der §§ 33 und 34
SGB VIII beschränkt und damit auch für Zwecke des Bundeserziehungsgeldgesetzes in einer nachvollziehbaren
Weise abgrenzbar. Die Übertragung und Durchführung der vorliegend zu beurteilenden Vollzeitpflege nach § 33 SGB
VIII ist zudem an die Voraussetzung der Durchführung eines förmlichen Verwaltungsverfahrens gebunden. Die
Aufnahme eines Kindes in Vollzeit-Familienpflege bedarf insbesondere der ausdrücklichen Pflegeerlaubnis (§ 44 SGB
VIII). Deren Rücknahme oder Widerruf setzt ebenfalls ein förmliches Verwaltungsverfahren voraus.
Hinzu kommt: Für D. J. wurde in der Familie der Klägerin nicht lediglich eine befristete Erziehungshilfe nach § 33 Satz
1 1. Alt. SGB VIII geboten, sondern eine auf Dauer angelegte Lebensform (§ 33 Satz 1 2. Alt.), wie dies – worauf die
Klägerin zu Recht verwiesen hat – in dem Umstand zum Ausdruck gekommen ist, daß eine Befristung insoweit
gerade nicht ausgesprochen worden ist.
Ziel eben dieses § 33 SGB VIII ist es, eine "neue stabile Lebensperspektive” für das in Familienpflege aufgenommene
Kind zu erreichen (BT-Drucks. 11/5948, S. 71 f.). Durch die Aufnahme in der Familie der Klägerin wurde dieses Ziel
für D. J., der sich heute noch in dieser Familie befindet, erreicht.
Angesichts des Alters der Kindesmutter und deren persönlichen Verhältnisse war diese Dauerhaftigkeit auch schon
zum Zeitpunkt der tatsächlichen Aufnahme von D. J. am 4. Dezember 1991 zu erwarten gewesen.
Die mit der Familienpflege beabsichtigte Dauerhaftigkeit wird auch durch die Bestimmungen des Bürgerlichen
Gesetzbuches gewährleistet. So ist z.B. die von den leiblichen Eltern des Pflegekindes gewünschte Änderung der
Pflegesituation nach § 1632 Abs. 4 BGB von der Entscheidung des Vormundschaftsgerichtes abhängig. Auch in
dieser Beziehung ist die Dauerhaftigkeit der nach § 33 SGB VIII zustande gekommenen Vollzeit-Familienpflege
sichergestellt.
Die Rechtsposition der Pflegeeltern ist im übrigen bei einem Kleinkind – zumindest für die Dauer des möglichen
Erziehungsgeldbezugs – gerade dadurch gekennzeichnet, daß sich die Ausübungsberechtigung in der Personensorge
tatsächlich nahezu ausschließlich auf diejenigen Regelungsbereiche bezieht, die in § 38 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII
aufgezählt sind, wobei diese Aufzählung – wie durch die Formulierung "insbesondere” in § 38 Abs. 1 SGB VIII deutlich
wird – ohnehin nicht abschließend ist (Finger, a.a.O. S. 621). Mit der Einfügung von § 38 SGB VIII wurde insoweit die
"faktische Elternschaft” (Fricke, Die Wahrnehmung von Angelegenheiten der elterlichen Sorge durch Pflegeeltern oder
Heimerzieher bei bestehender Vormundschaft, Pflegschaft oder Betreuung, ZfJ 1992, S. 305–309) entscheidend
aufgewertet.
All dies rechtfertigt die Annahme, daß die Ausübungsberechtigung in der Personensorge, wie sie vorliegend der
Klägerin in Bezug auf D. J. eingeräumt ist, durchaus dem in § 1 Abs. 1 Nr. 2 BErzGG verwendeten Begriff der
Personensorge zugeordnet werden kann und der Klägerin damit für D. J. in der Zeit ab dem 4. Dezember 1991
Erziehungsgeld zusteht.
Die entgegenstehenden Bescheide der Beklagten sowie der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main
waren demzufolge aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision hat der Senat gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG zugelassen.