Urteil des LSG Hessen vom 01.12.2009

LSG HES: anerkennung, berufskrankheit, form, rücknahme der klage, wahrscheinlichkeit, berufliche tätigkeit, gerichtsakte, einwirkung, entstehung, wirbelsäulenschaden

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Gericht:
Hessisches
Landessozialgericht
3. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 3 U 145/05 WA
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main
vom 26. August 2003 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist in diesem Rechtsstreit die Anerkennung einer
Lendenwirbelsäulen-Berufskrankheit (LWS-BK) nach Nr. 2110 der Anlage zur
Berufskrankheitenverordnung (BKV) streitig. Das Verfahren bezüglich der
Anerkennung einer LWS-BK der Nr. 2108 der Anlage zur BKV wurde abgetrennt
und ruhend gestellt. Bezüglich der Anerkennung einer Halswirbelsäulen-
Berufskrankheit (HWS-BK) gemäß Nr. 2109 der Anlage zur BKV hat der Kläger die
Klage zurückgenommen.
Der 1946 geborene Kläger erlernte den Beruf des Kraftfahrzeugmechanikers und
übte diesen Beruf, unterbrochen durch eine zweijährige Wehrdienstzeit, bis zu
Beginn der 70er Jahre aus. Von Juli 1971 bis Ende Dezember 1995 war er als
selbstständiger Betonpumpenfahrer und Mitunternehmer der Firma MM GmbH &
Co. KG in D-Stadt tätig. Von Juni 1996 bis zum 15. Oktober 1996 arbeitete er als
angestellter Betonpumpenfahrer bei der Firma MM GmbH & Co. KG in DD.
Anschließend war der Kläger arbeitslos und ließ sich zum Heilpraktiker umschulen.
Seit September 1999 betreibt er als Heilpraktiker eine eigene Praxis. Im Juni 1993
wurde beim Kläger, nachdem bereits seit einigen Jahren Wirbelsäulenprobleme
bekannt waren, ein Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 festgestellt und im
Jahre 1995 eine Protrusion im Segment L4/5. Der Kläger bezieht aufgrund des
Wirbelsäulenschadens eine private Berufsunfähigkeitsrente sowie seit September
2000 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit von der Deutschen Rentenversicherung
Hessen.
Die Beklagte veranlasste die Einholung eines Gutachtens im Juni 1993 aufgrund
eines am 6. Dezember 1986 erlittenen Arbeitsunfalles, bei welchem der linke Arm
des Klägers verletzt worden war. Im Rahmen der Begutachtung äußerte er den
Verdacht, dass seine Wirbelsäulenerkrankung auf seine berufliche Tätigkeit
zurückzuführen sei. Es folgte eine Anzeige auf Verdacht des Bestehens einer BK
des Arbeitgebers des Klägers, der Firma MM im September 1993.
Die Beklagte holte daraufhin eine Arbeitgeberauskunft zu Art und Ausmaß der
wirbelsäulenbelastenden Tätigkeit samt einer Fotodokumentation ein, zog das
Vorerkrankungsverzeichnis der AOK sowie der privaten Krankenversicherung bei
als auch Befundberichte des behandelnden Arztes für Neurologie und
Chirotherapie Prof. Dr. J. sowie des Orthopäden Dr. SX. sowie diverse Röntgen- und
CT-Aufnahmen. Zudem holte die Beklagte eine Stellungnahme des beratenden
Arztes Dr. AAH. vom 10. Dezember 1993 ein, der darin ausführte, dass der
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Arztes Dr. AAH. vom 10. Dezember 1993 ein, der darin ausführte, dass der
Wirbelsäulenschaden des Klägers auf eine anlagebedingte Wirbelsäulenfehlform
zurückzuführen und daher nicht beruflich verursacht sei. Schließlich holte die
Beklagte eine Stellungnahme der Landesgewerbeärztin vom 22. Februar 1994 ein,
die sich dieser Beurteilung des beratenden Arztes anschloss mit der Begründung,
dass der Bandscheibenschaden L5/S1 auf die anlagebedingte deutliche
linkskonvexe Skoliose mit einer Aufbaustörung in den Segmenten L4/5 und S1
zurückzuführen sei.
Durch zwei Bescheide mit Datum vom 26. April 1994 lehnte die Beklagte die
Anerkennung als BK nach Nr. 2108 bzw. nach Nr. 2110 der Anlage zur BKV ab und
begründete dies damit, dass die hierzu erforderlichen medizinischen
Voraussetzungen nicht vorlägen. Es spreche mehr dafür, dass der
Wirbelsäulenschaden auf die anlagebedingte Fehlbildung der Wirbelsäule
zurückzuführen sei, weshalb dahinstehen könne, ob die beruflichen Tätigkeiten
geeignet gewesen seien, eine bandscheibenbedingte Erkrankung zu verursachen.
Der Kläger legte hiergegen Widerspruch mit dem erklärten Ziel der Anerkennung
seiner Wirbelsäulenschäden als BK ein. Zur Begründung legte er eine
Bescheinigung von Prof. Dr. U. der Orthopädischen Universitätsklinik AAB. vom 31.
Mai 1994 vor, in welcher ausgeführt wird, dass die Frage der BK nicht eindeutig zu
beantworten sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 19. April 1995 wies die Beklagte
den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück, bezog sich jedoch
ausschließlich auf die BK Nr. 2110 der Anlage zur BKV. Zuvor hatte sie einen CT-
Befund des Radiologen Dr. O. vom 27. März 1995 beigezogen. Sie begründete dies
damit, dass weder die arbeitstechnischen noch die medizinischen
Voraussetzungen für die Anerkennung einer Lendenwirbelsäulen(LWS)-Erkrankung
als BK vorlägen.
Auf die hiergegen zwecks Anerkennung einer BK der Nrn. 2108 sowie 2110
erhobene Klage vom 8. Mai 1995 vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main
(Sozialgericht) hat das Sozialgericht ein chirurgisches Sachverständigengutachten
bei Prof. Dr. W. eingeholt, der in seinem Gutachten vom 13. Dezember 1999
ausgeführt hat, dass beim Kläger starke anlagebedingte Vorschäden der
Wirbelsäule vorlägen, so dass das Bandscheibenleiden rechtlich wesentlich
hierdurch und nicht durch die beruflichen Einwirkungen verursacht worden sei. Auf
Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) holte das Sozialgericht
ein orthopädisches Sachverständigengutachten bei Prof. Dr. U./Dr. ED. ein, die in
ihrem Gutachten vom 30. Mai 2000 feststellten, dass das Krankheitsbild im
Segment L3 bis L5/S1 durchaus belastungskonform sei und als Folge der
beruflichen Exposition interpretiert werden könne. Allerdings gebe es beim Kläger
zwei konstitutionell bedingte Vorschäden an der Wirbelsäule, nämlich einen
abgelaufenen Morbus Scheuermann im Bereich der mittleren und unteren
Brustwirbelsäule (BWS) und oberen LWS, die schwere Veränderungen vor allem im
BWS-Bereich hervorgerufen hätten und die sich sowohl in einer Fehlstellung der
BWS mit verstärkter Kyphosierung als auch in einem hieraus resultierenden
Verschleiß der betroffenen Wirbelsäulensegmente äußern würden. Zudem liege
eine skoliotische Fehlstellung der Wirbelsäule vor, die sowohl die BWS in Form einer
rechtskonvexen Ausbiegung als auch die LWS in Form einer linkskonvexen
Ausbiegung betreffe. Die Kombination zweier Erkrankungen im Bereich der
Wirbelsäule wirke sich gesamtheitlich betrachtet extrem ungünstig aus. Aufgrund
der bestehenden Fehlstellung und der damit verbundenen Fehlbelastung sei ein
Verschleiß der Wirbelsäulensegmente sicherlich auch ohne die hier angeführten
beruflichen Belastungen zu erwarten gewesen und wäre auch erfolgt, wenn der
Kläger einen weniger wirbelsäulenbelastenden Beruf ausgeübt hätte. Des Weiteren
fänden sich im Halswirbelsäulen(HWS)- und BWS-Bereich die degenerativen
Veränderungen, die denen im LWS-Bereich entsprächen. Im Ergebnis führten die
Sachverständigen aus, dass der Schaden an der unteren LWS als BK
anzuerkennen sei, sofern die bis dahin umstrittenen arbeitstechnischen
Voraussetzungen tatsächlich zu bejahen seien.
Während des erstinstanzlichen Verfahrens sind Stellungnahmen der Beklagten im
Hinblick auf die Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen durch ihren
Technischen Aufsichtsdienst (TAD) vom 22. April 1999 sowie vom 10. Januar 2001
erfolgt. Letzterer zufolge ist isoliert betrachtet weder für die BK 2108 noch für die
BK 2110 eine ausreichende Gefährdung gegeben. Trotzdem ergebe sich anhand
der zuletzt vorgestellten Rechnungsmodelle eine theoretische Belastung
hinsichtlich der Kombinationswirkung zwischen beiden BKen, weshalb insgesamt
von einer Gefährdung auszugehen sei.
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Im Anschluss hat das Sozialgericht eine gutachterliche Stellungnahme nach
Aktenlage beim Orthopäden Dr. AC. veranlasst, der bereits ein Rentengutachten in
einem mit der Deutschen Rentenversicherung geführten Parallel-Rechtsstreit im
Hinblick auf eine bestehende Erwerbsunfähigkeit am 7. Dezember 2000 erstellt
hatte (Rechtsstreit Az.: S-6/RJ – 1935/97). Dr. AC. ist zu dem Ergebnis gelangt,
dass die LWS-Erkrankung des Klägers mit Wahrscheinlichkeit beruflich bedingt sei,
weil diese bei Abwägung der verschiedenen Ursachen eine wesentlich
bedeutendere Rolle als dem Vorschaden zukäme, so dass die beruflichen Einflüsse
den Wirbelsäulenschaden wesentlich mitverursacht hätten. Die MdE betrage 30
v.H.
Die Beklagte hat daraufhin eine Stellungnahme ihres beratenden Arztes Prof. Dr.
KK. vom 20. September 2002 vorgelegt, zu welcher das Gericht eine ergänzende
Stellungnahme bei Dr. AC. vom 29. Januar 2003 eingeholt hat, der an seiner
Auffassung festgehalten hat. Ebenso ist Prof. Dr. KK in einer weiteren
Stellungnahme vom 28. April 1999 bei seiner Meinung verblieben. Mit Schreiben
vom 19. August 2003 hat Dr. AC. festgestellt, dass für den Kläger im Zeitpunkt
des Bandscheibenvorfalls vom 18. Juni 1993 eine Zwangsunterlassung der
beruflichen Tätigkeit bestanden und zu diesem Zeitpunkt die MdE bei 20 v.H.
gelegen habe. Ab dem 7. Dezember 2000, dem Tag der Begutachtung, sei die
MdE mit 30 v.H. zu bewerten.
Das Sozialgericht hat durch Urteil vom 26. August 2003 die Klage abgewiesen mit
der wesentlichen Begründung, inzwischen sei unstreitig, dass beim Kläger bei
kumulierter Betrachtung der beruflichen Einwirkungen die arbeitstechnischen
Voraussetzungen der BK-Ziffern 2108 sowie 2110 erfüllt seien. Dennoch könne der
LWS-Schaden nicht als BK anerkannt werden, da nicht hinreichend wahrscheinlich
sei, dass das klinische Beschwerdebild des Klägers im LWS-Bereich durch die
Berufstätigkeit als Betonpumpenfahrer wesentlich mitverursacht worden sei. Das
Vorliegen der sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen bilde keinen
Anscheinsbeweis für eine berufliche Verursachung. Erforderlich sei zudem eine
dem Alter des Versicherten vorauseilende Bandscheibendegeneration in Form
osteochondrotischer und spondylotischer Reaktionen sowie ein grundsätzlich von
oben nach unten hin qualitativ zunehmendes mehrsegmentales Schadensbild. Im
vorliegenden Fall fänden sich vorauseilende Veränderungen ausschließlich in
einem oder zwei Segmenten, so dass es am mehrsegmentalen schweren und
insbesondere seitengleich symmetrisch ausgebildeten Schadensbild fehle. Auch
hinsichtlich des seit 1993 bestehenden Bandscheibenleidens im Segment L5/S1
seien nur ein kleines linksorientiertes und isoliertes Bandscheibenleiden
computertomographisch lokalisierbar. Hingegen würden keine Begleitreaktionen
eines chronischen Bandscheibenleidens in Form einer verstärkten Verdichtung der
Stütz- und Deckplatte des betroffenen Bewegungssegmentes oder wesentliche
spondylotische Randzackenbildungen nachgewiesen. Dem Gutachten des Dr. AC.
sei nicht zu folgen, weil es gravierende Mängel aufweise und sich insbesondere
nicht mit der Frage des BK-relevanten Krankheitsbildes befasse. Gegen die
berufliche Verursachung spreche auch, dass sich der Wirbelsäulenschaden des
Klägers seit Aufgabe der beruflichen Tätigkeit im Oktober 1996 stark
verschlimmert habe und der Kläger deswegen seit September 2000
erwerbsunfähig sei. Hingegen schreite nach medizinisch-wissenschaftlichen
Erkenntnissen eine beruflich bedingte Wirbelsäulenerkrankung nach Beendigung
der wirbelsäulenbelastenden Tätigkeit gerade nicht fort, weshalb in den BK-Ziffern
2108 bis 2110 auch jeweils der Unterlassungszwang normiert sei. Nach Auffassung
der Kammer sei der Schaden in der Wirbelsäule mit Wahrscheinlichkeit auf die
konstitutionsbedingten Veränderungen der BWS/LWS infolge einer
durchgemachten Scheuermann´schen Erkrankung sowie einer skoliotischen
Verbiegung der LWS, die mit einer rechtskonvexen Seitverbiegung der BWS und
linkskonvexen Verbiegung der LWS einhergehe, zurückzuführen.
Gegen das am 24. September 2003 der Prozessbevollmächtigten des Klägers
zugestellte Urteil richtet sich dessen Berufung vom 21. Oktober 2003. Der Senat
hat Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen
Sachverständigengutachtens bei Oberarzt Dr. S. vom 13. August 2004. Der
Sachverständige führt in seinem Gutachten aus:
„Eindeutig qualitative Befundunterschiede zwischen Lendenwirbelsäule und
Halswirbelsäule sind nicht zu erkennen. Nur für die Lendenwirbelsäule des
Versicherten kommt jedoch eine berufsbedingte, exogene, Überbelastung in
Betracht, und nicht für die Halswirbelsäule. Weder hat Herr S. als
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Betracht, und nicht für die Halswirbelsäule. Weder hat Herr S. als
Betonpumpenfahrer regelmäßig und langdauernde schwere und sperrige, eine
Kopfwegdrehung erfordernde, Lasten auf einer Schulter getragen, noch hat er an
seiner Halswirbelsäule ein bei einer Berufskrankheit nach Ziffer 2109 der Anlage
zur Berufskrankheitenverordnung zu erwartendes röntgenmorphologisches
Schadensbild mit altersnormüberschreitenden Degenerationszeichen auch an der
physiologisch weniger stark belasteten, und deshalb im Alltagsfalle auch weniger
stark von Degenerationsprozessen betroffenen oberen Halswirbelsäule proximal
von C3. Dieses Mitbetroffensein der beruflich nicht belasteten Halswirbelsäule
spricht gegen die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Berufskrankheit nach
Ziffer 2108 oder 2110 oder beider zusammen, so wie auch Prof. Dr. RO. und Prof.
Dr. KK. gewertet hatten. Die von den Vorgutachtern thematisierten Fehlstatiken
(Skoliose) und Fehlanlagen (Morbus Scheuermann) beeinflussen das klinische Bild
bei Herrn E. zusätzlich mit, sind auch eher keine eigentlichen Auslöser der
primären Lendenwirbelsäulenverletzung bei L5/S1.
Die Tätigkeitsaufgabe als Betonpumpenfahrer zum Jahre 1996 wird den
degenerativen Veränderungen an der Wirbelsäule von Herrn E. mitgeschuldet
gewesen sein. Sie ist aber weder auf eine Erkrankung nur an der
Lendenwirbelsäule zurückzuführen, noch gar ausschließlich auf eine dortige
bandscheibenbedingte Erkrankung.“
Im Hinblick auf eine bis dato nicht beschiedene BK 2109 der Anlage zur BKV und
einer Stellungnahme des TAD der Beklagten vom 24. Januar 2005 hat der Senat
das Verfahren am 28. Juni 2005 ruhend gestellt, welches nach Erlass eines die
Anerkennung einer BK 2109 der Anlage zur BKV ablehnenden Bescheides vom 7.
Juli 2005 wieder fortgeführt wurde. Der Senat hat nach Vorlage weiterer
Stellungnahmen des TAD vom 22. Juni 2007 und 24. September 2007 auf Antrag
des Klägers nach § 109 SGG ein arbeitsmedizinisches Sachverständigengutachten
bei Prof. Dr. Dr. A. vom 8. August 2008 zusammen mit einem radiologischen
Zusatzgutachten von Dr. B. vom 12. Mai 2008 sowie einem nervenärztlichen
Zusatzgutachten von Dr. C. vom 28. Januar 2008 veranlasst. Dr. C. führt in seinem
Gutachten Folgendes aus:
Bei bekannter degenerativer Wirbelsäulenerkrankung werden vom Patienten
belastungsabhängige Missempfindungen im Dermatom L5 im Sinne eines
intermittierenden sensiblen L5 Syndroms angegeben, die angesichts der
subklinischen Veränderungen in den technischen Zusatzuntersuchungen plausibel
sind. Nach Lage der Akten hatte Herr Prof. J. 1997 ein intermittierendes
Wurzelreizsyndrom L5 ebenso wie eine beginnende Polyneuropathie diagnostiziert,
präzisere Angaben in Form eines neurologischen Untersuchungsbefundes sind
dem Bericht nicht beigefügt.
In der Untersuchung von Prof. Dr. W. wird ein pseudoradikuläres Syndrom im Sinne
einer Empfindungsstörung im Bereich der Oberschenkelrück- und -außenseite am
linken Bein angegeben, am rechten Oberschenkel eine nicht näher erklärbare
Umfangsdifferenz.
In den übrigen zur Verfügung stehenden Untersuchungsberichten wurden keine
neurologischen Auffälligkeiten angegeben. Dabei bleibt zu erwähnen, dass in der
neurologischen Untersuchung im Jahr 2000 bei der Messung des Tibialis-SEP’s eine
grenzwertige Seitenlatenz von 2,8 msec bestanden hat. Auffällig erscheint auch
die damals noch unauffällige motorische Nervenleitgeschwindigkeit des Nervus
peronaeus, die ebenfalls die Funktionsfähigkeit der L5-Wurzel wiedergibt, so dass
die jetzt beobachteten elektrophysiologischen Veränderungen auch in den
vergangenen 7 Jahren sich ereignet haben können.
Im Bereich der HWS-Erkrankung keine Ausfälle zu verzeichnen. Im Bereich der
Lendenwirbelsäule waren klinisch ebenfalls keine neurologischen Ausfälle zu
verzeichnen, subklinisch wurde eine motorische und sensible Funktionsstörung der
L5 Wurzel links dargestellt. Hinweise auf eine Polyneuropathie, wie von einem
Vorgutachter berichtet, ergaben sich nicht.
Die neurologischen Funktionsausfälle wurden nur an der Lendenwirbelsäule
gefunden.
Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit auf Grund neurologischer Funktionsstörungen
liegt nicht vor, die Beurteilung der ausgeprägten orthopädischen Veränderungen
und Funktionsstörungen sollte vom Orthopäden eingeschätzt werden.
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Prof. Dr. Dr. A. führt in seinem Gutachten Folgendes aus:
Bei dem Kläger liegt nach der Einstufung durch die Konsensus-Arbeitsgruppe des
Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften zur Begutachtung der
Berufskrankheit 2108 die Fallkonstellation B 3 vor, die wie folgt gekennzeichnet ist:
1. Vorliegen der beruflichen Voraussetzungen zur Entwicklung einer
Berufskrankheit 2108.
2. Bandscheibenbedingte Erkrankung in Form einer Chondrose Grad II oder höher
und/oder Vorfall im Segment L5/S1 und/oder L4/L5.
3. Keine wesentlichen außerberuflich bedingten konkurrierenden
Ursachenfaktoren.
4. Keine Begleitspondylose.
Bei dieser Fallkonstellation bestand innerhalb der Konsensus-Arbeitsgruppe des
Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften zur Begutachtung der
Berufskrankheit 2108 kein Konsens in Bezug auf die Empfehlung einer
Anerkennung oder Ablehnung (Bolm-Audorff et al. 2005a, siehe Anlage 1, Seite
217, rechte Spalte, Absatz 8). Die Fallkonstellation B 3 unterscheidet sich von der
Fallkonstellation B1 mit den Kennzeichen:
1. Vorliegen der beruflichen Voraussetzungen zur Entwicklung einer
Berufskrankheit 2108.
2. Bandscheibenbedingte Erkrankung in Form einer Chondrose Grad II oder höher
und/oder Vorfall im Segment L5/S1 und/oder L4/L5.
3. Keine wesentlichen außerberuflich bedingten konkurrierenden
Ursachenfaktoren.
4. Vorliegen einer Begleitspondylose,
bei deren Vorliegen die Konsensus-Arbeitsgruppe die Anerkennung einer
Berufskrankheit 2108 empfohlen hat (Bolm-Audorff et al. 2005a, siehe Anlage 1,
Seite 217, rechte Spalte, Absatz 2), lediglich durch das Merkmal
Begleitspondylose. Bezüglich der Bedeutung dieses Merkmals für die
Zusammenhangsbegutachtung bei der Berufskrankheit 2108 konnte in der
Konsensus-Arbeitsgruppe keine Übereinstimmung gefunden werden. Die
unterschiedlichen Auffassungen sind der Veröffentlichung der Konsensus-
Arbeitgruppe zu entnehmen (Bolm-Audorff et al. 2005a, siehe Anlage 1, Seite 219-
222). Der Forderung einiger Sachverständiger, dass eine Berufskrankheit 2108 nur
anerkannt werden könne, wenn eine Begleitspondylose oder nach früherer
Normenklatur sog. belastungsadaptive Reaktionen vorliegen, kann ich inhaltlich
nicht zustimmen.
Dieser Auffassung des Vorgutachters kann ich mich inhaltlich nicht anschließen,
weil der jetzige radiologische Zusatzgutachter zu dem Ergebnis kam, dass sich in
der Computertomographie der Lendenwirbelsäule des Klägers vom 18.05.1993 ein
Bandscheibenvorfall Grad II im Segment L5/S1 nachweisen ließe, der den linken
Recessus lateralis einenge, so dass eine Wurzelreizung S1 möglich sei (Anlage 2,
Seite 4). Ferner verkennt der Vorgutachter, dass der Bandscheibenprolaps nach
der Röntgenklassifikation der Konsensus-Arbeitsgruppe des Hauptverbandes der
Gewerblichen Berufsgenossenschaften zur Begutachtung der Berufskrankheit
2108 generell als altersuntypisch einzustufen ist. Auch bedarf es für die Diagnose
eines Bandscheibenvorfalls nicht der vom Zusatzgutachter zusätzlich geforderten
sekundären Veränderungen in Form einer verstärkten Verdichtung der Stütz- und
Deckplatten der betroffenen Bewegungssegmente oder wesentlicher
spondylotischer Randzackenbildung (Bolm-Audorff et al. 2005a, siehe Anlage 1,
Seite 215, Übersicht 8).
Ferner spreche gegen die Anerkennung einer Berufskrankheit 2108 bei dem
Kläger, dass bei diesem keine mahrsegmentalen Bandscheibenvorfälle vorlägen
(siehe Seite 28 des o.g. Gutachtens, Blatt 109 der Gerichtsakte 1).
Die Forderung des Gutachters, für die Anerkennung einer Berufskrankheit 2108
müsse eine polysegmentale Bandscheibenerkrankung der LWS vorliegen, ist
umstritten. Weder der Legaldefinition der Berufskrankheit 2108, noch der
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umstritten. Weder der Legaldefinition der Berufskrankheit 2108, noch der
Amtlichen Begründung der Bundesregierung zu dieser Berufskrankheit
(Bundesrats-Drucksache 773/92, Seite 8), noch dem Amtlichen Merkblatt der
Bundesregierung zur Berufskrankheit 2108 (BMA 1993) ist zu entnehmen, dass
eine monosegmentale Erkrankung der Lendenwirbelsäule nicht als Berufskrankheit
2108 anerkannt werden kann, wie es der Vorgutachter fordert. Im Gegensatz zur
Annahme des Vorgutachters enthält das Amtliche Merkblatt der Bundesregierung
zur Berufskrankheit 2108 unter Ziffer 3 „Krankheitsbild und Diagnose“ die
Ausführung, dass monoradikuläre und polyradikuläre lumbale Wurzelsyndrome
zum Krankheitsbild der Berufskrankheit 2108 gehören (BMA 1993, Seite 51). Für
die Anerkennung von monosegmentalen bandscheibenbedingten Erkrankungen
spricht ebenfalls die Aufnahme des Bandscheibenvorfalls in die Liste der
bandscheibenbedingten Erkrankungen nach der Amtlichen Begründung der
Bundesregierung zur BK 2108 (BR-Drucksache 773/92, S. 8) geht zurück auf
mehrere epidemiologische Fall-Kontroll-Studien, die einen Zusammenhang
zwischen beruflichen Entwicklungen des lumbalen Bandscheibenvorfalls
nachwiesen (Braun 1969, Kelsey et al. 1984, Heliövaara 1967, Jørgensen et al.
1994, Hofmann et al. 1998). Diese epidemiologischen Studien sind von
Bedeutung, weil es sich beim lumbalen Bandscheibenvorfall nach der Studie nach
Brüske-Hohlfeld et al. (1990) in 90, 3 v.H. um eine monosegmentale Erkrankung,
in 9,5 v.H. der Fälle um eine bisegmentale Erkrankung und nur in 0,2 v.H. der Fälle
um eine polysengmentale Erkrankung handelt. Keiner der o.a. epidemiologischen
Fall-Kontroll-Studien ist zu entnehmen, dass der Zusammenhang zwischen
beruflichen Wirbelsäulenbelastungen und dem erhöhten Risiko für die Entwicklung
eines lumbalen Bandscheibenvorfalls an einen polysegmentalen Befall geknüpft
ist.
Bei dem Kläger besteht eine bandscheibenbedingte Erkrankung der
Lendenwirbelsäule in Form eines Bandscheibenprolaps’ L5/S1, der erstmals am
18.05.1993 und erneut am 27.03.1995 diagnostiziert wurde. Zum
Begutachtungszeitpunkt bestanden bei dem Kläger bandscheibenbedingte
Erkrankungen der Lendenwirbelsäule in Form einer altersuntypischen Chondrose
mit Bandscheibenverschmälerung Grad II in den Segmenten L2/L3 und L4/L5. Der
ursprünglich im Segment L5/S1 diagnostizierte Bandscheibenprolaps hatte sich
zum Untersuchungszeitpunkt zurückgebildet. Die dort diagnostizierte
Bandscheibenprotrusion führe jedoch zu einer diskogenen Stenose des linken
Neuroforamens, wobei eine Wurzelreizung L5 möglich sei.
Unabhängig von der bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule
bestehen bei dem Kläger Zeichen eines abgelaufenen Morbus Scheuermann im
Bereich der HWS, BWS und LWS sowie einer geringfügigen S-förmigen Skoliose im
Bereich der LWS und BWS.
Bei dem Kläger sind aus meiner Sicht die beruflichen Voraussetzungen für die
Entwicklung einer Berufskrankheit 2108 und 2110 erfüllt (siehe Abschnitt 1 der
Beurteilung).
Den Zusammenhang zwischen der beruflichen Einwirkung und der bei dem Kläger
bestehenden bandscheibenbedingten Erkrankungen der Lendenwirbelsäule im
Sinne einer Berufskrankheit 2108 und 2110 nehme ich mit Wahrscheinlichkeit an
(im Einzelnen siehe Abschnitt 2 der Beurteilung). Eine Berufskrankheit 2109 ist in
meinen Augen nicht wahrscheinlich (siehe Abschnitt 2 der Beurteilung.
Die bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule hat wegen der
Diagnose eines altersuntypischen Bandscheibenprolaps L5/S1 aus
arbeitsmedizinischer Sicht 07/1996 zur Unterlassung der gefährdenden Tätigkeit
gezwungen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt schätze ich wegen der verminderten Fähigkeit zur Rotation,
Seitneigung und Ventralflexion der Lendenwirbelsäule auf 20 v.H. Eine
eigenständige MdE im Bereich der HWS lässt sich wegen unauffälliger
Funktionsfähigkeit nicht begründen.
Der Senat hat des Weiteren eine ergänzende Stellungnahme beim
Sachverständigen Prof. Dr. Dr. A. vom 15. Juli 2009 eingeholt in welcher er
ausführt:
Nach dem radiologischen Zusatzgutachten im Rahmen meines o.g. Gutachtens
durch Herr PD Dr. B., radiologische Gemeinschaftspraxis am WR.Hospital, vom
12.05.2008 ist bei dem Kläger erstmals ein altersuntypischer
Bandscheibenschaden in Form eines Bandscheibenprolaps’ Grad II im Segment
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Bandscheibenschaden in Form eines Bandscheibenprolaps’ Grad II im Segment
L5/S1 in der Computertomographie der Lendenwirbelsäule vom 18.05.1993
nachweisbar (siehe S. 4 des Zusatzgutachtens, Blatt 252 der Gerichtsakte). Im
Gegensatz zur Annahme der beklagten Berufsgenossenschaft entwickelte sich bei
dem Kläger in der Folgezeit keine Verschlimmerung der bandscheibenbedingten
Erkrankung der Lendenwirbelsäule. Vielmehr war in der Computertomographie der
Lendenwirbelsäule vom 27.03.1995 der Bandscheibenprolaps Grad II im Segment
L5/S1 weiter unverändert nachweisbar (siehe S. 5-6 des o.g. Zusatzgutachtens,
Blatt 653-654 der Gerichtsakte). In den Röntgenbildern der Lendenwirbelsäule in
zwei Ebenen vom 20.09.1996, 26.08.1998, 23.05.2000, 07.12.2000 und
28.04.2008 war jeweils keine altersuntypische Chondrose mit
Bandscheibenverschmälerung der Lendenwirbelsäule nachweisbar (siehe S. 6-7, 9-
10, 12-13 und 17-18 des o.g. Zusatzgutachtens, Blatt 654-655, 657-658, 660-661
und 665-666 der Gerichtsakte). In der Magnetresonanz-Tomographie der
Lendenwirbelsäule vom 25.01.2008 hatte sich der 1995 nachgewiesene
Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 rückgebildet (siehe S. 14-15 des o.g.
Zusatzgutachtens, Blatt 662-663 der Gerichtsakte).
Im Gegensatz zur Auffassung der beklagten Berufsgenossenschaft gibt es keine
gesicherten Erkenntnisse in der medizinischen Wissenschaft über den Verlauf einer
bandscheibenbedingten Erkrankung im Sinne der Berufskrankheit 2108 und 2110
nach Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit im Vergleich zu einer
altersvergleichbaren Gruppe von Beschäftigten mit bandscheibenbedingten
Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch außerberufliche Ursachen. Insofern
wäre es selbst bei einem Fortschreiten der bandscheibenbedingten Erkrankung
nach Unterlassung der gefährdenden Tätigkeit unzulässig, daraus auf eine
außerberufliche Verursachung zu schließen.
Aus den genannten Gründen vermag in meinen Augen die Stellungnahme der
beklagten Berufsgenossenschaft nicht zu überzeugen, so dass ich dem Senat
weiter die Anerkennung einer Berufskrankheit 2108 und 2110 bei dem Kläger
empfehle. Wegen der grundsätzlichen Frage, ob bei Vorliegen der Fallkonstellation
B 3 unter bestimmten Bedingungen die Anerkennung einer Berufskrankheit 2108
oder 2110 in Frage kommt, bitte ich den Senat um Prüfung, ob dies als
Begründung für die Zulassung der Revision beim Bundessozialgericht ausreicht
oder nicht.
Der Kläger vertritt die Auffassung, dass bei ihm die Voraussetzungen für die
Anerkennung einer BK Nr. 2108 bzw. BK Nr. 2110 der Anlage zur BKV vorlägen,
insbesondere sei dies aufgrund des zuletzt eingeholten Gutachtens bei Prof. Dr.
Dr. A. nachgewiesen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 26. August 2003
aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 26. April 1994 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 19. April 1995 aufzuheben und die Beklagte zu
verurteilen, seine Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit nach Ziffer 2110 der
Anlage zur BKV anzuerkennen und in gesetzlicher Höhe zu entschädigen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Sie vertritt im Wesentlichen die Auffassung, dass auch durch das Gutachten von
Prof. Dr. Dr. A. die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Wirbelsäulen-BK
nicht nachgewiesen seien. Zwar seien die arbeitstechnischen Voraussetzungen für
das Vorliegen der BKen nach Nrn. 2108/2110 erfüllt. Jedoch läge nach den
Ausführungen des Gutachters beim Kläger nach der Einstufung durch die
Konsensusarbeitsgruppe des Hauptverbandes der Gewerblichen
Berufsgenossenschaft zur Begutachtung der BKen der Wirbelsäule eine
Fallkonstellation nach B3 vor, nach welcher die Konsensusarbeitsgruppe keine
Übereinstimmung hinsichtlich der Empfehlung zur Anerkennung eines ursächlichen
Zusammenhangs gefunden habe. Daher handele es sich bei der Einschätzung
durch den Gutachter um eine solche, die von anderen Bewertungen namhafter
Gutachter der Konsensusarbeitsgruppe abweiche, weshalb es nicht als gesichert
gelten könne, dass im Falle des Klägers mit der in der gesetzlichen
Unfallversicherung geforderten hinreichenden Wahrscheinlichkeit die
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Unfallversicherung geforderten hinreichenden Wahrscheinlichkeit die
Bandscheibenschäden auf wirbelsäulenbelastende berufliche Tätigkeiten eines
Versicherten zurückzuführen sind.
Bezüglich der Anerkennung einer BK Nr. 2108 der Anlage zur BKV hat der Senat
durch Beschluss vom 1. Dezember 2009 das Verfahren abgetrennt und mit
gleichem Datum ausgesetzt, um der Beklagten die Gelegenheit zur Durchführung
des bisher fehlenden Vorverfahrens gemäß § 78 SGG zu geben. Bezüglich der BK
Nr. 2109 der Anlage zur BKV hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 1.
Dezember 2009 die Klage zurückgenommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten auch im Vorbringen der Beteiligten wird auf die
Gerichtsakte sowie die Beklagtenakte Bezug genommen, deren Inhalt Gegenstand
der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe
Nach der erfolgten Abtrennung des die BK Nr. 2108 der Anlage zur BKV
betreffenden Berufungsverfahrens und Rücknahme der Klage auf Anerkennung
einer BK Nr. 2109 war Streitgegenstand dieses Berufungsverfahrens allein die
Anerkennung und Entschädigung einer BK der Nr. 2110 der Anlage zur BKV.
Die form- und fristgerecht erhobene Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151
Abs. 1 SGG), aber nicht begründet, da das Sozialgericht und Beklagte die
Anerkennung und Entschädigung einer LWS-BK nach § 9 Abs. 1 Sozialgesetzbuch –
7. Band (SGB VII) i.V.m. Nr. 2110 der Anlage zur BKV zu Recht abgelehnt haben.
BKen sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung
durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet
und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit
erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche
Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der
medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen
bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem
Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Nach Ziffer 2110 der Anlage zur
BKV gehören hierzu bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule
durch langjährige, vorwiegend vertikale Einwirkung von Ganzkörperschwingungen
im Sitzen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die
Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit
ursächlich waren oder sein können sowie nach Ziffer 2109 der Anlage zur BKV
bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule durch langjähriges
Tragen schwerer Lasten auf der Schulter, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten
gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das
Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.
Voraussetzung für die Feststellung jeder Erkrankung als BK ist, dass die
versicherte Tätigkeit, die schädigenden Einwirkungen sowie die Erkrankung, für die
Entschädigungsleistungen beansprucht werden, i. S. des Vollbeweises
nachgewiesen sind. Eine Tatsache ist danach bewiesen, wenn sie in so hohem
Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger
Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens nach allgemeiner
Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen
(s. BSGE 45, 1, 9 sowie BSGE 19, 52, 53 und BSGE 7, 103, 106). Erforderlich ist
eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit, nach der kein vernünftiger
Mensch mehr am Vorliegen der vorgenannten Tatbestandsmerkmale zweifelt
(BSGE 6, 144 vgl. auch Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz mit Erläuterungen, §
118, Rdnr. 5). Darüber hinaus muss die sog. haftungsbegründende Kausalität
zwischen den Einwirkungen und der erforderlichen Erkrankung zumindest mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit bejaht werden. Dies ist dann der Fall, wenn bei
vernünftiger Abwägung aller für und gegen den Zusammenhang sprechenden
Umstände die für den Zusammenhang sprechenden Erwägung so stark
überwiegen, dass die dagegen sprechenden billigerweise für die Bildung und
Rechtfertigung der richterlichen Überzeugung außer Betracht bleiben können (s.
BSG vom 2. Juni 1959, SozR § 542 Reichsversicherungsordnung –RVO– a. F. Nr.
20). Jedoch ist der ursächliche Zusammenhang nicht bereits dann wahrscheinlich,
wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (BSGE 60, 58, 59).
Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkungen und Erkrankungen im
BK-Recht gilt, wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung, die Theorie
der wesentlichen Bedingung (s. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 sowie B 2
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der wesentlichen Bedingung (s. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 sowie B 2
U 26/04 = BSGE 96, 196 – 209). Die Theorie der wesentlichen Bedingung basiert
auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie, nach der
Ursache eines Erfolges jedes Ereignis ist, das nicht hinweg gedacht werden kann,
ohne dass der Erfolg entfiele (sog. ). Aufgrund der
Unbegrenztheit der Bedingungstheorie werden im Sozialrecht als rechtserheblich
aber nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum
Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. „Wesentlich“ ist nicht
gleichzusetzen mit „gleichwertig“ oder „annähernd gleichwertig“. Auch eine nicht
annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu
bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die
anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Gesichtspunkte für die
Beurteilung der Wesentlichkeit einer Ursache sind insbesondere die versicherte
Ursache bzw. das Ereignis als solches, einschließlich der Art und des Ausmaßes
der Einwirkung, konkurrierende Ursachen unter Berücksichtigung ihrer Art und
ihres Ausmaßes, der zeitliche Ablauf des Geschehens und Rückschlüsse aus dem
Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, den Befunden und Diagnosen der
erstbehandelnden Ärzte sowie der gesamten Krankengeschichte. Trotz dieser
Ausrichtung am individuellen Versicherten ist der Beurteilung des
Ursachenzusammenhangs im Einzelfall der aktuelle wissenschaftliche
Erkenntnisstand über die Ursachenzusammenhänge zwischen Ereignissen und
Gesundheitsschäden zugrunde zu legen.
Abweichend von einem Arbeitsunfall als einem zeitlich begrenzten Ereignis, das
oftmals relativ eindeutig die allein wesentliche Ursache für einen als Unfallfolge
geltend gemachten Gesundheitsschaden ist, ist die Beurteilung des
Ursachenzusammenhangs bei BKen in der Regel schwieriger. Denn angesichts der
multifaktoriellen Entstehung vieler Erkrankungen, der Länge der zu
berücksichtigenden Zeiträume und des Fehlens eines typischerweise durch
berufliche Einwirkung verursachten Krankheitsbildes bei vielen BKen stellt sich
letztlich oft nur die Frage nach einer wesentlichen Mitverursachung der Erkrankung
durch die versicherten Einwirkungen (s. BSG, Urteil vom 27. Juni 2006, B 2 U 7/05 R
– Juris).
Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts und die Bescheide der Beklagten sind
im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden. Der Kläger hat weder Anspruch auf
Anerkennung einer Lendenwirbelsäulenerkrankung als BK Nr. 2110 der Anlage zur
BKV noch auf Gewährung einer entsprechenden Entschädigung.
Beim Kläger liegen gemessen an diesen Kriterien nicht die Voraussetzungen für
die Anerkennung einer BK Nr. 2110 der Anlage zur BKV vor.
Zwar ist zwischen den Beteiligten letztlich nicht streitig, dass der Kläger die
arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Wirbelsäulen-BK
Nr. 2110 sowie der Nr. 2108 der Anlage zur BKV erfüllt. Durch die
höchstrichterliche Rechtsprechung ist anerkannt, dass wenn bei der Entstehung
einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule berufliche
Einwirkungen im Sinne der Nrn. 2108 und 2110 der Anlage zur BKV
zusammenwirken, beide BKen nebeneinander vorliegen können, auch wenn bei
gesonderter Betrachtung die Orientierungswerte für die jeweiligen schädigenden
Einwirkungen nicht erreicht sind (s. BSG, Urteil vom 27. Juni 2006, Az.: B 2 U 9/05
R, veröffentlicht SGB 2007, 558 bis 562). Kann wie im Fall der
bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS ein bestimmtes Krankheitsbild durch
verschiedene berufliche Einwirkungen verursacht werden, die jeweils für sich
genommen Gegenstand einer eigenen BK sein können, so besteht bei
entsprechender Exposition die Möglichkeit, dass die betreffende Krankheit die
Voraussetzungen zweier oder mehrerer BKen gleichzeitig erfüllt, die dann
nebeneinander anzuerkennen und zu entschädigen sind. Gemäß Nr. 2108 der
Anlage zur BKV können auch bandscheibenbedingte Erkrankungen der
Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder
durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugenhaltung, die zur
Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die
Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder
sein können, als BK anerkannt werden. Wie sich aus der Stellungnahme des TAD
der Beklagten vom 10. Januar 2001 (Bl. 210 ff. Gerichtsakte) ergibt, ist aufgrund
einer Kombinationswirkung von Schwingungsbelastungen und Hebe- und
Tragebelastungen, denen der Kläger im Laufe seines beruflichen Lebens
ausgesetzt war, von einer ausreichenden Gefährdung im Hinblick auf eine
Entstehung einer Erkrankung der LWS mit einer Belastungskennzahl nach dem
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Entstehung einer Erkrankung der LWS mit einer Belastungskennzahl nach dem
Mainz-Dortmunder-Dosis-Modell von 1,83 auszugehen, die somit erheblich höher
ist als 1,0, wobei zu berücksichtigen ist, dass zwischenzeitlich die Anforderungen
an die arbeitstechnischen Voraussetzungen bzw. das Erreichen der
Orientierungswerte durch das Bundessozialgericht herabgesetzt wurden (BSG,
Urteil vom 30. Oktober 2007 – B 2 U 4/06 R).
Allerdings war zwar im vorliegenden Fall mangels Durchführung eines
Vorverfahrens bezüglich der BK 2108 bereits die Klage diesbezüglich unzulässig,
weshalb im Einverständnis der Beteiligten insoweit das Verfahren abgetrennt und
bis zur Durchführung des Widerspruchsverfahrens ausgesetzt wurde. Selbst wenn
man aber zugunsten des Klägers unterstellt, dass die damit im Verfahren auf
Anerkennung einer BK 2110 nicht streitgegenständlichen Einwirkungen durch
schweres Heben und Tragen additiv den Schwingungsbelastungen hinzugerechnet
werden können, kann dennoch keine Anerkennung einer BK 2110 der Anlage zur
BKV erfolgen, weil dann zwar das Vorliegen der arbeitstechnischen, nicht aber das
der arbeitsmedizinischen Voraussetzungen nachgewiesen ist.
Zwar liegt beim Kläger eine bandscheibenbedingte Erkrankung der
Lendenwirbelsäule in Form eines Bandscheibenprolapses bei L5/S1 und einer
fortgeschrittenen Chondrose mit Bandscheibenverschmälerung Grad II in den
Segmenten L2/3 und L4/5 vor. Dies folgt zur Überzeugung des Senates nicht
zuletzt aus dem im Berufungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten
des Prof. Dr. Dr. A. und ist letztlich zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
Jedoch liegen nach Auffassung des Senates nicht die weiteren
arbeitsmedizinischen Voraussetzungen vor, um die beruflichen Belastungen des
Klägers als wesentliche Ursache dieser berufsbedingten LWS-Erkrankung mit der
erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit bejahen zu können. Für die
Anerkennung einer LWS-Erkrankung als BK nach Nr. 2108 bzw. 2110 müssen Art,
Ausprägung und Lokalisation des Krankheitsbildes den spezifischen Einwirkungen
entsprechen. Die bildtechnisch nachweisbaren segmentalen
Bandscheibenveränderungen und deren Folgen müssen das altersdurchschnittlich
zu erwartende Maß übersteigen. Die Lokalisierung der bildtechnisch nachweisbaren
Veränderungen muss mit der Funktionseinschränkung und der beruflichen
Exposition - sog. belastungskonformes Schadensbild - übereinstimmen (vgl.
Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung, Kommentar, Anmerkung
5.3 zu M 2108). Ein als belastungskonform zu bezeichnendes Schadensbild lässt
nach älteren und neueren epidemiologischen Untersuchungen ein dem
Lebensalter vorauseilendes Auftreten osteochondrotischer und spondylotischer
Reaktionen am Achsenorgan bei körperlich überdurchschnittlich belasteten
Personen erwarten. Eine vorzeitige Osteochondrose tritt bevorzugt in den unteren
LWS-Segmenten und eine vorzeitige Spondylose in den oberen LWS-Segmenten
unter eventueller Einbeziehung der unteren BWS-Etagen auf (ständige
Rechtsprechung des erkennenden Senats - beispielsweise Urteile vom 24. Oktober
2001 - L 3 U 408/98 - und vom 25. April 2006 - L 3 U 253/05). Dies entspricht den
Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung der auf Anregung des
Hauptverbandes der Berufsgenossenschaften (HVBG) eingerichteten
interdisziplinären Arbeitsgruppe („Medizinische Beurteilungskriterien zu
bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule“, Bolm-Audorff
u.a., Trauma und Berufskrankheit 2005, S. 211 ff.). Danach gilt bei der sog.
Konstellation B1 (Bandscheiben L5/S1 und/oder L4/L5 betroffen, Chondrose Grad II
oder höher und/oder Vorfall, Begleitspondylose) der Zusammenhang als
wahrscheinlich. Liegt hingegen keine Begleitspondylose vor, so wird der
Zusammenhang nur dann als wahrscheinlich betrachtet, wenn Höhenminderung
und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben – bei monosegmentaler/m
Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/L5 „black disc“ im MRT in mindestens 2
angrenzenden Segmenten vorliegt oder eine besonders intensive Belastung
bestand oder ein besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen
(Konstellation B2). Soweit weder eine Begleitspondylose noch eines der zuvor
genannten Zusatzkriterien vorliegen (Konstellation B3), ist die Einschätzung des
Zusammenhangs durch die Arbeitsgruppenteilnehmer unterschiedlich. Es
sprechen nach der Mehrheit der Sachverständigen jedoch gewichtige Argumente
gegen einen Zusammenhang und damit das Fehlen einer Begleitspondylose in der
Konstellation B3 gegen eine Expositionsabhängigkeit der bandscheibenbedingten
Erkrankung. In Anhang 1 der Anmerkungen zu den nicht im Konsens beurteilten
Fallkonstellationen weisen Grosser/Schröter auf Studien hin, nach denen deutliche
Höhenminderungen von Bandscheiben in allen Segmenten der LWS bei
Schwerarbeitern deutlich häufiger als in der Normalbevölkerung seien. Auch die
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Schwerarbeitern deutlich häufiger als in der Normalbevölkerung seien. Auch die
Häufigkeit von Spondylosen sei in der belasteten Gruppe in allen Segmenten der
Lendenwirbelsäule deutlich erhöht. Zudem entspreche die Konstellation B3 der
häufigsten Manifestationsform eigenständiger Bandscheibenerkrankungen innerer
Ursache an der LWS. Es existieren keinerlei epidemiologische Arbeiten, welche
nachweisen, dass bei Schadensbildern, die der Konstellation B3 entsprechen, bei
beruflich Exponierten im Vergleich zur Normalbevölkerung statistisch eine
relevante Risikoerhöhung besteht. Die epidemiologische Literatur zu
berufsbedingten Bandscheibenerkrankungen bestätigt eine relative Häufung von
Chondrosen bei schwerer im Vergleich zu leichter Arbeit an der mittleren und
oberen LWS und eine absolute Häufung in den unteren beiden LWS-Segmenten;
dies entspricht auch der aus biomechanischer Sicht zu erwartenden Entwicklung,
während ein mono- und bisegmentaler Befall biomechanisch kaum plausibel ist
(Trauma und Berufskrankheit 2005, S. 219 ff.). Nach Auffassung von S./A.
hingegen sei der hohe Stellenwert, welcher dem Fehlen einer Begleitspondylose
beigemessen werde, wissenschaftlich nicht begründbar. Aber auch von diesen
Autoren wird eingeräumt, dass Patienten mit Chondrose und Spondylose ein
höheres berufliches Erkrankungsrisiko aufweisen (Trauma und Berufskrankheit
2005, S. 221 f.). Die Konsensempfehlungen begründen damit keine Änderung der
oben aufgeführten Rechtsprechung des erkennenden Senats.
Von diesen Erwägungen ausgehend, sind die medizinischen Voraussetzungen für
eine Anerkennung einer LWS-BK der Nr. 2110 der Anlage zur BKV beim Kläger
nicht erfüllt. Ausweislich sämtlicher sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im
Laufe des Gerichtsverfahrens eingeholter Gutachten liegt beim Kläger keine
Begleitspondylose vor. Vielmehr folgt aus dem letzten, aus Sicht des Klägers für
ihn positiven Gutachten des Prof. Dr. Dr. A., dass beim Kläger lediglich eine
bandscheibenbedingte Erkrankung in Form eines Bandscheibenprolaps bei L5/S1
und einer fortgeschrittenen Chondrose mit Bandscheibenverschmälerung Grad II in
den Segmenten L2/3 und L4/5 vorliegt. Nach dem Ergebnis des Gutachtens von
Prof. Dr. Dr. A. liegt damit nur ein sog. bisegmentaler Befund im Sinne eines
Bandscheibenprolaps L5/S1 und einer Bandscheibenverschmälerung in den
Segmenten L2/3 und L4/5 vor. Damit handelt es sich, wie der Sachverständige in
seiner ergänzenden Stellungnahme vom 15. Juli 2009 selbst ausgeführt hat, um
die Fallkonstellation B3 nach den Empfehlungen der Konsensusarbeitsgruppe des
Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften zur Begutachtung der
BKen 2108 und 2110, bei der die Konsensusarbeitsgruppe keine Übereinstimmung
hinsichtlich einer Empfehlung zur Anerkennung eines ursächlichen
Zusammenhangs gefunden hat. Zutreffend weist der Sachverständige im
folgenden darauf hin, dass diese Fallkonstellation B3, die sich von der
Fallkonstellation B1, bei der die Konsensusarbeitsgruppe sich für eine
Anerkennung als BK 2108 und BK 2110 ausgesprochen hat, durch das Merkmal
der Begleitspondylose unterscheidet, dieses Zusatzkriterium aber aus
medizinischen Gründen umstritten ist.
Hinzu kommt, dass ohnehin die Anerkennungsempfehlung in den Konstellationen
B 1 und B 2 nur dann zum Tragen käme, wenn keine wesentlichen konkurrierenden
Ursachenfaktoren erkennbar wären. Vorliegend führen jedoch alle Gutachter
übereinstimmend aus, dass beim Kläger ein abgelaufener Morbus Scheuermann
als konkurrierende Ursache zu beachten sei. Doch selbst wenn man dies als nicht
wesentlichen Faktor außer Acht lässt, liegen die Voraussetzungen weder der
Konstellation B 1 mangels Begleitspondylose noch der B 2 mangels der
erforderlichen Zusatzkriterien vor.
Die Voraussetzungen der Konstellation B2, unter denen auf die Bedingung des
Vorliegens einer Begleitspondylose verzichtet werden kann, liegen beim Kläger
nicht vor. Das Vorliegen einer im MRT gesicherten „black disc“ in mindestens zwei
angrenzenden Segmenten ist nicht gegeben. Der Kläger gehörte auch nicht zu
den „Schwerstarbeitern“, zu denen Transportarbeiter im Umzugsgewerbe oder
Lastenarbeiter in Seehäfen zählen, und hat auch nicht wie diese in weniger als 10
Jahren bereits die Risikodosis durch die Belastungen, denen er unterlag, erreicht.
Schließlich kann auch kein besonders hohes Gefährdungspotential in Folge des
wiederkehrenden Erreichens der Hälfte des MDD-Tagesdosis-Richtwertes durch
hohe Belastungsspitzen angenommen werden. Der Senat hat in seiner bisherigen
Rechtsprechung (Urteil vom 18. August 2009 – L 3 U 202/04) zu der Frage der
Belastungsspitzen ausführlich dargelegt, dass es medizinischerseits ausschließlich
für die medizinischen Pflegeberufe und deren besondere Arbeitsbelastungen und
auch Arbeitsbedingungen entsprechende Nachweise einer erhöhten
Bandscheibenerkrankungsrate nur mono- oder bisegmental am unteren LWS-Ende
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Bandscheibenerkrankungsrate nur mono- oder bisegmental am unteren LWS-Ende
ohne Begleitspondylose gibt. Im Fall des Klägers sind dessen Belastungen nicht
mit den Spitzenbelastungen der Alten- und Krankenpfleger beim Versorgen und
Bewegen immobiler Patienten gleichzusetzen, denn die dort getroffene
Beurteilung findet ihre Begründung nicht allein in den – häufig durchaus
erheblichen - zu hebenden Gewichten der Patienten, sondern insbesondere auch
darin, dass diese Personen sich häufig auch beim Anheben eigenständig und
unkontrolliert bewegen oder ihr Gewicht verlagern, dass sie demzufolge oder
aufgrund der Körpermasse, der Körperkonturen oder der Schmerzhaftigkeit
verletzter oder frisch operierter Körperregionen nur schlecht zu fassen und zu
halten sind und dass dies schließlich zumeist auch noch aus einer biophysikalisch
ungünstigen, vorgebückten Haltung des Pflegenden zu geschehen hat.
Entsprechende epidemiologische Studien zu anderen Berufsgruppen liegen
dagegen nicht vor.
Maßgebend für die Frage, ob eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der Kausalität
im Sinne einer rechtlich wesentlichen Ursache zwischen einer beruflichen
Einwirkung und einem erlittenen Gesundheitsschaden besteht, hat nach ständiger
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts der sog. aktuelle wissenschaftliche
Erkenntnisstand über die Ursachenzusammenhänge zwischen Ereignissen und
Gesundheitsstörungen zu sein. Die Feststellung des jeweils aktuellen
wissenschaftlichen Erkenntnisstandes ist nach der höchstrichterlichen
Rechtsprechung gerade auf Gebieten, die in einer steten Entwicklung begriffen
sind, für eine objektive Urteilsfindung unerlässlich BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 – B
2 U 1/05 R = BSGE 96, 196 – 209). Die Klärung des aktuellen wissenschaftlichen
Erkenntnisstandes macht die Einholung von Sachverständigengutachten und die
eigenständige verantwortliche Beurteilung des konkreten Einzelfalls durch einen
Sachverständigen nicht entbehrlich. Dieser Erkenntnisstand ist aber die Basis für
die Beurteilung des Sachverständigen, von der er nur wissenschaftlich begründet
abweichen kann, und macht sein Gutachten für die Beteiligten und das Gericht
transparent und nachvollziehbar. Denn auch für die Beurteilung des Einzelfalles
kommt es nicht auf die allgemeine wissenschaftliche Auffassung des einzelnen
Sachverständigen an, sondern auf den aktuellen medizinischen Erkenntnisstand.
Ausgangsbasis müssen die Fachbücher und Standardwerke insbesondere zur
Begutachtung im jeweiligen Bereich sein (vgl. z.B. Schönberger/Mehrtens/Valentin,
Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage 2003, S. 517 ff.). Von besonderer
Wichtigkeit für die Beurteilung von Wirbelsäulenerkrankungen sind die
Konsensusempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung der auf Anregung
des Hauptverbandes der Gewerblichen Berufsgenossenschaften eingerichteten
interdisziplinären Arbeitsgruppe aus dem Jahre 2005, auf welche sich auch der
Sachverständige Prof. Dr. Dr. A. zuletzt bezogen hat (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juni
2006 – B 2 U 20/04 R = BSGE 96, 291 – 297).
Sofern Prof. Dr. Dr. A. von den im Konsens getroffenen Empfehlungen abweicht
und auch im Falle des Fehlens eines der alternativen Zusatzkriterien der
Konstellation B2 bei fehlender Begleitspondylose auch für Erkrankungsbilder der
Fallkonstellation B3 von einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit der Verursachung
des Bandscheibenschadens durch die berufliche Einwirkung ausgeht, handelt es
sich um eine wissenschaftliche Einzelmeinung, welche jedoch erkennbar nicht
repräsentativ für den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand ist. Dem Senat
ist die Existenz einer aktuelleren Fassung oder Zusammenstellung der für die
Beurteilung von Wirbelsäulenerkrankungen maßgeblichen Kriterien als die
Konsensusempfehlungen aus dem Jahr 2005 nicht bekannt. Auch der
Sachverständige Prof. Dr. Dr. A. hat das Vorliegen neuerer Erkenntnisse nicht
behauptet, sondern nur mit seiner insoweit abweichenden Meinung argumentiert.
Zwar kann bei Abwägung verschiedener Auffassungen einer nicht nur vereinzelt
vertretenen Auffassung gefolgt werden. Dies gilt aber nur dann, wenn es zu einer
bestimmten Fragestellung keinen aktuellen allgemeinen wissenschaftlichen
Erkenntnisstand gibt (BSG vom 17. Juli 1958, SozR Nr. 33 zu § 128 SGG). Selbst
wenn man im Hinblick auf die Konstellation B 3 davon ausginge, dass mangels
Konsens in der interdisziplinären Fachgruppe hierüber kein aktueller
wissenschaftlicher Erkenntnisstand existiert, müsste zur Anerkennung im Rahmen
der freien Beweiswürdigung gemäß § 128 SGG der Senat zu der Überzeugung
gelangen, dass der Sachverständige Prof. Dr. Dr. A. die überzeugenderen
Argumente anführt. Unter kritischer Würdigung seiner Auffassung führt auch Prof.
Dr. Dr. A. keine Argumente an, warum im Falle eines Bandscheibenschadens in
Form eines Bandscheibenprolaps Grad II im Segment L5/S1, jedoch ohne
belastungsadaptive Reaktionen in Form einer sog. Begleitspondylose und auch
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belastungsadaptive Reaktionen in Form einer sog. Begleitspondylose und auch
ohne Befall von mindestens zwei Nachbarsegmenten beim Kläger eine
hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine berufliche Verursachung gegeben sein
soll, weil die Abgrenzung eines solchen Schadensbildes von solchen, die durch
degenerative Verursachungen gekennzeichnet sind, nicht überzeugend möglich
ist, wie dies die Mehrzahl der an den Konsensusempfehlungen beteiligten
Fachmediziner – vor allem Grosser und Schröter – ausführlich begründet hat.
Deshalb kann auch nicht der bloße Hinweis auf die Langjährigkeit der beruflichen
Hebebelastung dafür ausreichen, die Kausalität zwischen Exposition und
Erkrankung zu beweisen. Die Vermutungsregel des § 9 Abs. 3 SGB VII ist bereits
dann widerlegbar, wenn Anhaltspunkte für eine andere Verursachung bestehen
(vgl. BSG, Urteil vom 30. Januar 2007 – B 2 U 15/05 R - NZS 2007, 594 - 597), als
welche im Falle der Konstellation B 3 ohne Begleitspondylose und weiterer Kriterien
gemäß Konstellation B2 immer die Möglichkeit einer degenerativen Verursachung
zumindest gemäß dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand in Betracht
zu ziehen sind.
Gerade weil im Hinblick auf die Rolle des Fehlens einer sog. Begleitspondylose
innerhalb der Konsensusgruppe keine Einigkeit erzielt werden konnte, verbleibt es
dabei, dass bei fehlender Begleitspondylose nicht auf eine hinreichende
Wahrscheinlichkeit der Verursachung durch die beruflichen Einwirkungen
geschlossen werden kann.
Im Hinblick auf die hier alleine im Streit stehende Anerkennung einer BK Ziffer
2110 der Anlage zur BKV ist zudem zu beachten, dass basierend auf dem
Ergebnis wissenschaftlicher Studien (vgl. Weber, Zeitschrift für Orthopädie 2002,
Heft 5, S. 512 ff.) die Rechtsprechung dieses Senates als ein wesentliches
Kriterium auch das Vorhandensein einer Spondylose am thoracolumbalen
Übergang und der mittleren LWS bis zur Deckplatte des 4. LWK verlangt, weil diese
Schadensverteilung nach langjähriger Einwirkung von Ganzkörperschwingungen
mechanisch aufgrund des Umstands, dass Ganzkörperschwingungen zu einer
besonderen Zugbelastung der Bandscheiben der oberen und mittleren LWS
führen, erklärbar ist (Urteil des Senates vom 6. Dezember 2004 – L 3 U 1459/01).
Auch diese Voraussetzungen sind vorliegend erkennbar nicht gegeben.
Nach den Grundsätzen der im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden objektiven
Beweislast bzw. materiellen Feststellungslast hat derjenige die Folgen der
Nichtfeststellbarkeit einer Tatsache zu tragen, der aus dieser Tatsache ein Recht
oder einen Vorteil herleiten will (s. BSGE 6, 70, 72 sowie BSGE 19, 52, 53). Dies gilt
für alle anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale für die Gewährung einer
Rente und damit auch für die erforderliche Kausalität zwischen den versicherten
Einwirkungen und den festgestellten Gesundheitsbeeinträchtigungen; diese
Feststellungslast trägt in der Regel der Versicherte. Selbst bei erheblichen
Beweisschwierigkeiten lehnt das BSG eine Beweislastumkehr in ständiger
Rechtsprechung ab (BSGE 63, 270, 271; BSG vom 29. Januar 1974, SozR 2200 §
551 Nr. 1).
Insgesamt war daher der Berufung sowie der Klage der Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Nichtzulassung der Revision ergibt sich aus § 160 Abs. 2 SGG, weil die
Voraussetzungen nicht vorlagen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.