Urteil des LSG Hessen vom 15.02.2010

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Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 15.02.2010 (rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 16 R 509/08
Hessisches Landessozialgericht L 2 R 362/09
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 9. Oktober 2009
wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger eine neue Versicherungsnummer unter
Zuerkennung des Geburtsjahres 1960 zu erteilen.
Der in Äthiopien/Eritrea geborene Kläger lebt seit 1984 in der Bundesrepublik Deutschland. Im Jahre 1992 erteilte die
Beklagte dem Kläger auf der Grundlage seiner Angaben die Versicherungsnummer 12121212.
Im Jahre 2001 erhielt der Kläger eine Urkunde des eritreischen Außenministeriums, in der bestätigt wird, dass der
Kläger am 1. Mai 1960 geboren worden sei. Am 27. März 2007 entschied das Amtsgericht A. durch Beschluss in der
Personenstandsache des Klägers, dass er im Jahre 1960, nicht im Jahre 1964, geboren worden sei.
Im Dezember 2007 beantragte der Kläger die Änderung seiner Versicherungsnummer. Diesen Antrag lehnte die
Beklagte mit Bescheid vom 27. Dezember 2007 ab. Für die gesetzliche Rentenversicherung sei das Geburtsdatum
maßgebend, dass sich aus der ersten Angabe des Berechtigten gegenüber einem Sozialleistungsträger oder
gegenüber dem Arbeitgeber ergebe. Auch wenn in dem Heimatland des Klägers nachträglich eine Änderung des
Geburtsdatums in der Personenstandsurkunde vorgenommen worden sei, bestehe gleichwohl kein Anspruch auf die
Vergabe einer neuen Versicherungsnummer. Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte
mit Bescheid vom 16. Juni 2008 zurück. Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig. Der Kläger habe keinen
Anspruch auf Neuvergabe bzw. Berichtigung seiner Versicherungsnummer. Die Voraussetzungen des § 33a
Sozialgesetzbuch I (SGB I) lägen nicht vor. Der Kläger habe keine vor dem 10. März 1992 (der Vergabe der
Versicherungsnummer) ausgestellte Urkunde vorgelegt, die das Geburtsdatum 1. Mai 1964 als unzutreffend und das
Geburtsdatum 1. Mai 1960 als zutreffend feststellten. Die Bescheinigung der Heimatbehörde, in der das
Geburtsdatum mit dem 1. Mai 1960 benannt werde, datiere vom 6. Juli 2001 und sei damit nach der Vergabe der
Versicherungsnummer ausgestellt worden.
Gegen den Widerspruchsbescheid erhob der Kläger am 4. Juli 2008 Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main.
Er verfolgte sein Begehren auf Änderung der Versicherungsnummer weiter.
Das Sozialgericht zog die Unterlagen zu der Personenstandssache des Klägers vom Amtsgericht A-Stadt und die
Ausländerakte des Klägers vom Ordnungsamt der Stadt A. bei. Nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 105
Sozialgerichtsgesetz (SGG) wies das Sozialgericht die Klage durch Gerichtsbescheid vom 9. Oktober 2009 ab. Zur
Begründung seiner Entscheidung führte es im Wesentlichen aus, für den Bereich der Sozialversicherung komme eine
Änderung des Geburtsdatums nicht in Frage. Die Voraussetzungen des § 33a SGB I stünden dem entgegen. Diese
Vorschrift verstoße auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes. Vielmehr sei es gerade umgekehrt.
Angesichts des seit langer Zeit in Europa praktizierten Beurkundungswesens könne nämlich kein Europäer sein
Geburtsdatum beliebig verändern, dieses Sonderrecht nehme alleine der Kläger für sich in Anspruch. Der Beschluss
des Amtsgerichts A-Stadt vom 27. März 2007 habe sozialversicherungsrechtlich keinerlei Bedeutung, da insoweit
allein § 33a SGB I maßgeblich sei. Im Übrigen überzeuge das abgelaufene Personenstandsverfahren in keiner Weise.
Mit seiner am 10. November 2009 eingelegten Berufung richtet sich der Kläger gegen den ihm am 16. Oktober 2009
zugestellten Gerichtsbescheid. Der Kläger wendet ein, insbesondere die Vorschrift des § 33a Abs. 2 Nr. 2 SGB I
verstoße gegen das Grundrecht des Art. 3. Er sei dadurch benachteiligt, dass er keine Möglichkeit habe, die
notwendigen Urkunden vorzulegen, da diese in Eritrea zu diesem Zeitpunkt gar nicht existiert hätten. Es sei kein
sachlicher Grund dafür erkennbar, dass die benannte Vorschrift Änderungen nur zulasse, wenn Urkunden vorgelegt
würden, deren Original vor dem Zeitpunkt der Angabe nach Abs. 1 ausgestellt worden sei. Ein sachlicher Grund für die
Beschränkung auf den Zeitraum der Ausstellung der Urkunde, der vor der erstmaligen Eintragung der
Versicherungsnummer liegen solle, sei nicht ersichtlich. Falls der Gesetzgeber dadurch habe sicherstellen wollen,
dass keine Änderungen aufgrund der Vorlage von gefälschten Urkunden durchgeführt würden, könne dies nicht
überzeugen. Im Übrigen ergebe sich ein Verstoß nach Art. 3 Grundgesetz (GG) aus Folgenden: Sein Heimatland sei
Eritrea. Bei seiner Geburt habe der eritreische Staat allerdings noch nicht existiert. Eritrea sei erst im Jahre 1993
unabhängig geworden. Zum Zeitpunkt seiner Geburt lägen daher keine Dokumente und Urkunden vor, die die
tatsächliche Herkunft und Abstammung belegen könnten. Er sei zum Zeitpunkt seiner Einreise gezwungen gewesen,
seine wahre Identität zu verbergen. Vor seiner Einreise sei er für die eritreische Freiheitsbewegung als Kämpfer tätig
gewesen. Dies sei nicht freiwillig erfolgt. Im Rahmen des Kampfes habe er dann eine schwerwiegende
Schussverletzung erlitten. Er habe die Kampftruppe unerlaubter Weise verlassen und sich nach Deutschland
abgesetzt. Ihm sei bekannt, dass die in Eritrea zurückgebliebenen Familienmitglieder in Gefahr gebracht würden,
wenn in Eritrea bekannt geworden wäre, dass er sich nunmehr in Deutschland aufhalte. Deshalb sei er gezwungen
gewesen, zunächst falsche Identitäten anzugeben. Ihm sei es unmöglich, Urkunden zu besorgen, die vor der
Eintragung ausgestellt worden seien. Solche Urkunden existierten nicht, weder in Äthiopien noch in Eritrea.
Schließlich habe das Amtsgericht A-Stadt die Änderung des Geburtsdatums angeordnet. Es sei kein sachlicher Grund
ersichtlich, warum dies dann nicht bei der Versicherungsnummer der deutschen Rentenversicherung in Hessen
möglich sein solle.
Der Kläger beantragt (sinngemäß), den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 9. Oktober 2009
aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27. Dezember 2007 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2008 zu verurteilen, ihm eine neue Versicherungsnummer unter
Zugrundelegung des Geburtsjahres 1960 zu erteilen.
Die Beklagte beantragt (sinngemäß), die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Rechtsstreites ohne mündliche Verhandlung durch die
Berichterstatterin als Einzelrichterin einverstanden erklärt.
Wegen der Einzelheiten im Übrigen wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakten, die vorgelegen haben, Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Rechtsstreit konnte gemäß §§ 155 Abs. 3 und 4, 124 Abs. 2 SGG durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin
ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, nachdem sich die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise
einverstanden erklärt hatten.
Die Berufung ist zulässig, aber sachlich unbegründet.
Das Sozialgericht hat richtig entschieden, dass die Beklagte nicht verpflichtet ist, dem Kläger eine neue
Versicherungsnummer auf der Grundlage des Geburtsdatums 1960 zu erteilen.
Der Anspruch des Klägers richtet sich ausschließlich nach der Vorschrift des § 33a SGB I. Danach ist das
Geburtsdatum maßgebend, das sich aus der ersten Angabe des Berechtigten gegenüber einem Sozialleistungsträger
ergibt, wenn Rechte oder Pflichten davon abhängig sind, dass eine bestimmte Altersgrenze erreicht oder nicht
überschritten ist. § 33a soll die missbräuchliche Inanspruchnahme von Sozialleistungen in Fällen vermeiden, in denen
aufgrund einer Änderung von Geburtsdaten ein längerer Bezug von Sozialleistungen oder ein früherer Bezug derselben
beantragt wird. Hintergrund dieser Regelung ist, dass ausländische Rechtsordnungen die Möglichkeit vorsehen, das
Geburtsdatum durch eine gerichtliche Entscheidung nachträglich zu ändern, was im deutschen Sozialrecht zu
Vorteilen führen kann, die in der jeweiligen ausländischen Rechtsordnung nicht damit verbunden sind (vgl. BT-Drucks.
13/8994, Seite 67). Die Regelung knüpft an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts an, wonach für inländische
Sozialleistungsträger und Gerichte solche ausländischen Statusentscheidungen mangels Beweiskraft grundsätzlich
nicht verbindlich sind. § 33a soll daher sicherstellen, dass Änderungen von Geburtsdaten auch im deutschen
Sozialrecht nicht berücksichtigt werden. Maßgebend ist grundsätzlich das Geburtsdatum, das sich aus der ersten
Angabe des Berechtigten ergibt. Eine Ausnahme kommt nur unter den engen Voraussetzungen des Abs. 2 in
Betracht. Zum Beispiel kann ein Schreibfehler vorliegen oder vom Berechtigten eine Urkunde vorgelegt werden, die
der Berechtigte auch schon zum Zeitpunkt der ersten Angabe gegenüber dem Versicherungsträger hätte vorlegen
können. Eine Berücksichtigung von Änderungen, die zeitlich nach der erstmaligen Angabe stattgefunden haben, ist
nicht möglich. § 33a gilt für alle Bereiche des SGB, ohne dass in den besonderen Teilen davon abgewichen werden
darf (vgl. § 37 SGB I). Die Vorschrift ist nach ihrem Wortlaut unterschiedslos auf alle Änderungen durch in- und
ausländische Behörden anzuwenden.
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben hat der Kläger keinen Anspruch auf die Änderung seiner
Versicherungsnummer auf der Grundlage des Geburtsjahres 1960. Ein Schreibfehler liegt nicht vor, der Kläger kann
auch keine Urkunden beibringen, die vor der Erteilung seiner jetzigen Versicherungsnummer ausgestellt worden sind.
Im Bereich der Sozialversicherung muss es deshalb bei der bereits erteilten Versicherungsnummer verbleiben.
Gesichtspunkte, die für eine Verletzung des Art. 3 des Grundgesetzes durch § 33a SGB I sprechen könnten, sind
nicht ersichtlich. Wie bereits oben ausgeführt, soll eine Besserstellung ausländischer Personen gegenüber den im
Inland geborenen Versicherten ausgeschlossen werden.
Nach alledem konnte die Berufung keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Das Gericht hat die Revision nicht zugelassen, da es an den Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG
fehlt.