Urteil des LSG Hessen vom 19.03.1984
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Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 19.03.1984 (rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 7 Ar 245/79
Hessisches Landessozialgericht L 10 Ar 495/81
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 27. Januar 1981
abgeändert: Soweit die Beklagte verurteilt worden ist, dem Kläger Arbeitslosengeld vom 17. Dezember 1978 bis 30.
Dezember 1978 in gesetzlichem Umfang zu gewähren, wird das Urteil des Sozialgerichts aufgehoben und die Klage
abgewiesen.
II. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die dem Kläger entstandenen außergerichtlichen Kosten hat die Beklagte zu erstatten.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über den Eintritt einer Sperrzeit von zwei Wochen vom 17. bis 30. Dezember 1978.
Der 1936 geborene Kläger ging am 25. Oktober 1978 ein bis zum 23. Dezember 1978 befristetes Arbeitsverhältnis als
Lagerist bei der Firma G. L. GmbH & Co. in F. ein; als Stundenlohn wurde ohne Rücksicht auf die Anzahl der
geleisteten Stunden 7,80 DM vereinbart, nach der Einarbeitungszeit sollte beginnend ab 1. Dezember 1978 der
Stundenlohn 8,18 DM betragen ("Dienstvertrag für Aushilfen” zwischen dem Arbeitgeber – Ag – und dem Kläger vom
26. Oktober 1978). Bestandteil des Arbeitsvertrages war die Betriebsvereinbarung, daß die Lohnabrechnung für
Aushilfen im Betrieb des Ag manuell erfolgte und am letzten Arbeitstag des jeweiligen Monats diese Mitarbeiter 60
v.H. ihres Bruttogrundlohnes in Form eines Abschlags erhielten.
Am 13. Dezember 1978 kündigte der Kläger das Arbeitsverhältnis zum 16. Dezember 1978 (Arbeitsbescheinigung des
Ag vom 18. Dezember 1978). Er meldete sich am 18. Dezember 1978 beim Arbeitsamt Frankfurt am Main arbeitslos
und beantragte Arbeitslosengeld – Alg – (Wiederbewilligungsantrag). Das Antragsformular wurde dem Kläger
ausgehändigt. Er sandte das ausgefüllte Antragsformular mit Schreiben vom 24. Dezember 1978 auf dem Postwege
an das Arbeitsamt, wo diese Unterlagen laut Eingangsstempel des Arbeitsamtes am 28. Dezember 1978 eingingen. In
dem Schreiben vom 24. Dezember 1978 ist u.a. ausgeführt, ihm sei bei einem Anruf gesagt worden, daß er den
Wiederbewilligungsantrag nebst Unterlagen auch auf dem Postwege übersenden könne. Dem Antrag war neben der
Arbeitsbescheinigung des Ag ein Schreiben des Klägers "Erklärung zu den Kündigungsgründen” vom 24. Dezember
1978 und ein Schreiben des Klägers an den Ag vom 23. Dezember 1978 beigefügt. In dem Schreiben ("Erklärung zu
den Kündigungsgründen”) wurde vom Kläger u.a. ausgeführt, seine Bezahlung sei nicht ortsüblich gewesen. Die
Stammbelegschaft habe bei gleicher Arbeit einen höheren Stundenlohn und dazu noch Prämien für saubere
Lagerführung erhalten. Diese Vergünstigungen seien den Aushilfen grundsätzlich verweigert worden. Abgesehen von
diesen Gründen habe er das Arbeitsverhältnis vorzeitig aufgeben müssen, weil er in der Woche vor Weihnachten eine
Reihe berufsbedingter Termine wahrzunehmen gehabt habe. Dies sei mit der ganztägigen Tätigkeit bei dem Ag nicht
"unter einen Hut zu bringen.” Ferner habe entgegen einer Abmachung mit dem Ag Anfang November 1978, daß er (der
Kläger) für einen Gerichtstermin einen Tag unbezahlten Urlaub bekomme, ihm der Ag diesen Tag eigenmächtig als
bezahlten Urlaub verrechnet. Schließlich sei er gelernter Diplom-Chemiker und nicht Lagerist. Die Aushilfsstellung bei
dem Ag habe er sich selbst gesucht. Sie sei für ihn als gelernten Diplom-Chemiker nicht zumutbar. In dem Schreiben
des Klägers an den Ag vom 23. Dezember 1978 ist u.a. ein Abzug von 50,– DM bei der Lohnabrechnung für
Dezember 1978 sowie die fehlende Abgeltung eines weiteren Urlaubstages beanstandet worden. Vom Kläger wurden
dahingehende Ansprüche mit einer Klage gegen den Ag beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main verfolgt. Der Ag zahlte
den vom Kläger geforderten Betrag (76,22 DM) an den Kläger aus. Das arbeitsgerichtliche Verfahren erledigte sich
hierdurch.
Mit Bescheid vom 29. Januar 1979 stellte das Arbeitsamt Frankfurt am Main den Eintritt einer Sperrzeit von zwei
Wochen vom 17. bis 30. Dezember 1978 fest. Während dieser Zeit ruhe der Anspruch des Klägers auf Alg. Mit
seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, erst ab 1. Dezember 1978 sei er tariflich entlohnt worden. Vorher
habe er einen geringeren Lohn erhalten, wie sich aus dem Tarifvertrag Groß- und Außenhandel des Landes Hessen
ergebe. Die Beklagte ermittelte beim Ag, daß der Kläger bis 30. November 1978 nach Tarifgruppe G 1 (7,80 DM)
bezahlt worden sei. Nach Ablauf der Einarbeitungszeit sei Tarifgruppe G 2 (8,18 DM) bezahlt worden. Die
Einarbeitungszeit betrage sechs Wochen, höchstens jedoch acht Wochen, wenn die Einstellung nach dem 15. eines
Monats erfolge. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 15. Mai 1979).
Hiergegen erhob der Kläger am 28. Mai 1979 beim Sozialgericht Frankfurt am Main (SG) Klage. Er trug u.a. vor, ihm
habe von Anfang an zumindest der Lohn nach G 2 des maßgeblichen Tarifs zugestanden. Für die vorzeitige
Beendigung des ohnehin befristeten Arbeitsverhältnisses habe ihm deshalb ein wichtiger Grund zur Seite gestanden.
Laut der Bediensteten B. vom Arbeitsamt Frankfurt am Main habe er die berufsfremde Stellung jederzeit aufgeben
dürfen, ohne daß ihm daraus irgendwelche rechtlichen Nachteile entstehen würden. Auf die nicht tarifgerechte
Entlohnung habe er den Ag auf einer Betriebsversammlung im November 1978 hingewiesen.
Das SG hob mit Urteil vom 27. Januar 1981 den Bescheid der Beklagten vom 29. Januar 1979 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 15. Mai 1979 auf und verurteilte die Beklagte, für die Zeiten vom 17. bis 30. Dezember
1978 (12 Tage) Alg in gesetzlichem Umfang zu gewähren; das SG ließ die Berufung zu. In den Entscheidungsgründen
des Urteils ist u.a. ausgeführt, der Kläger habe die Arbeitslosigkeit nicht herbeigeführt. Daher fehle die Kausalität
seines Verhaltens für die Arbeitslosigkeit. Im übrigen wird auf den Inhalt der Entscheidungsgründe Bezug genommen.
Gegen dieses ihr am 20. März 1981 zugestellte Urteil richtet sich die am 21. April 1981 (Montag) beim Hessischen
Landessozialgericht eingegangene Berufung der Beklagten.
Sie ist der Ansicht, daß das Verhalten des Klägers den Eintritt einer Sperrzeit von zwei Wochen zur Folge gehabt
habe. Der Ansicht des SG, die darauf hinauslaufe, der kurzen zeitlichen Vorverlegung des an sich feststehenden
Arbeitsplatzverlustes, komme im Rahmen der Sperrzeitregelung eine rechtlich erhebliche Eigenbedeutung nicht zu,
könne nicht gefolgt werden.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 27. Januar 1981 aufzuheben und die
Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er teilt die Auffassung der Beklagten nicht. Er meint, die kurze zeitliche Vorverlegung des ohnehin feststehenden
Arbeitsplatzverlustes um wenige Tage könne ihm nicht zum Nachteil gereichen.
Das Landessozialgericht hat in der mündlichen Verhandlung am 19. März 1984 den Kläger angehört und die
Hauptvermittler beim Arbeitsamt Frankfurt am Main H.-P. W. und H. B. als Zeugen zu den Umständen bei der
Arbeitslosmeldung des Klägers am 18. Dezember 1978 vernommen. Der Kläger hat bei seiner Anhörung erklärt, er
könne heute noch mit Sicherheit sagen, daß er bei der Arbeitslosmeldung am 18. Dezember 1978 darauf hingewiesen
habe, daß er sein ohnehin befristetes Beschäftigungsverhältnis bei der Firma L. lediglich einige Tage vorher beendet
habe. Eine Beratung, daß er zur Vermeidung einer Sperrzeit seine Arbeitslosmeldung und Beantragung von Alg erst
mit Wirkung ab 24. Dezember 1978 abgeben solle, sei nicht erfolgt. Auf die Aussagen der Zeugin B. und des Zeugen
W. wird Bezug genommen.
Im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Leistungsakten der Beklagten, die vorgelegen haben, Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere frist- und formgerecht eingelegt und kraft Zulassung statthaft (§§ 151
Abs. 1, 150 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).
Die Berufung ist jedoch unbegründet, soweit sie sich gegen die Aufhebung der Entscheidung über den Eintritt einer
Sperrzeit von 2 Wochen vom 17. bis 30. Dezember 1978 und über das Ruhen des Anspruchs des Klägers auf Alg für
diese Zeit richtet. Die Voraussetzungen des § 119 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) in der hier
maßgebenden bisherigen, bis zum 31. Dezember 1981 geltenden Fassung (a.F.) liegen nicht vor. Der Kläger hat sein
Arbeitsverhältnis nicht "gelöst.” Das Arbeitsverhältnis war vielmehr von vornherein bis zum 23. Dezember 1979
befristet. Der Arbeitsplatzverlust zum 23. Dezember 1979 und damit die Arbeitslosigkeit des Klägers stand deshalb
von vornherein fest. Durch seine Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 16. Dezember 1979 (Freitag) hat der Kläger
die ansich feststehende Beendigung des Arbeitsverhältnisses nur um wenige Tage vorverlegt. Dieser Vorverlegung
um lediglich wenige Tage hat der Senat rechtlich im Hinblick auf § 119 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AFG a.F., 1. Alternative,
eine erhebliche Eigenbedeutung nicht beigemessen. Es fehlt an der Kausalität zwischen dem Verhalten des
Arbeitslosen und der Arbeitslosigkeit, weil die Vorverlegung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses hier nur um eine
so kurze Zeit erfolgt ist, daß sie die in Frage stehende Sperrzeit von 2 Wochen vom 17. bis 30. Dezember 1978 (§
119 Abs. 2 AFG a.F.) lediglich etwa zur Hälfte ausfüllt. Dem Arbeitslosen soll nämlich durch die Sperrzeit keine
größere Belastung auferlegt werden, als sie der Versichertengemeinschaft entstanden ist (vgl. Gagel,
Sperrzeitprobleme in der Sicht des Art. 12 GG, Arbeit und Beruf, 1978, S. 257, 258; Eisemann, Sperrzeit und
Auflösungsvergleich, Sozialer Fortschritt 1980, S. 73, 76; so im Ergebnis auch BSGE 29, 215, 216).
Diese Auffassung ist allerdings umstritten. Insbesondere wird hiergegen eingewandt, sie finde im Gesetz keine
Stütze, weil sie übersehe, daß die vom Gesetzgeber mit § 119 AFG angestrebte Verfahrensvereinfachung und die
Tatsache, daß die Sperrzeit einen Schadensausgleich weder nach oben noch nach unten bezwecke (vgl.
Hennig/Kühl/Heuer, AFG, Kommentar, § 119 AFG, Anm. 6). Hierbei bleibt jedoch unberücksichtigt, daß die Sperrzeit
nicht den Charakter einer Strafe hat. Sie beruht vielmehr auf dem Grundsatz, daß sich eine Versichertengemeinschaft
gegen Risikofälle wehren muß, deren Eintritt der Versicherte selbst zu vertreten hat oder an deren Behebung er
unbegründet nicht mithilft. Dieser Charakter der Sperrzeit entspricht dem der Sperrfrist des früheren Gesetzes über
Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG); insoweit ist durch die Sperrzeitregelung in § 119 AFG eine
Änderung nicht eingetreten (vgl. hierzu Hennig/Kühl/Heuer, § 119 AFG, Anm. 1; Geffers/Schwarz, AFG, Komm., §
119 AFG, Rz. 2; vgl. hierzu auch BT Drucks V/4110 S 20, 21, Vorbemerkung zu § 108 a; BTDrucks V 2291, S. 83,
84). Dieser Charakter der Sperrzeit kann aber in Fällen wie dem vorliegenden, wo der Endzeitpunkt des
Arbeitsverhältnisses nur um wenige Tage vorverlegt wird, nicht unbeachtlich bleiben. Jedenfalls in solchen Fällen
hätte die Regelung dann in einem wesentlichen Umfang Strafcharakter, der gerade nicht bezweckt ist. Hierin liegt ein
gesetzlicher Anhalt für die vom Senat vertretene Auffassung, die schließlich auch bei besonderen Umständen, wie sie
im vorliegenden Fall vorliegen, einen sinnvollen und gerechten Abgrenzungsmaßstab bilden.
Bei dieser Sach- und Rechtslage kam es schließlich nicht mehr darauf an, wie es im Hinblick auf den Eintritt einer
Sperrzeit zu beurteilen ist, daß der Kläger – wie er bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung am 19. März
1984 dargelegt hat – bei seiner Arbeitslosmeldung und Antragstellung auf Alg am 18. Dezember 1978 nicht darüber
beraten worden ist, daß er sich erst zum 24. Dezember 1978 arbeitslos melden und von da an einen Anspruch auf Alg
geltend machen sollte, um den Eintritt einer Sperrzeit zu vermeiden Ferner ist es nicht erheblich, daß dem Kläger für
sein Verhalten ein wichtiger Grund nicht zur Seite gestanden hat (§ 119 Abs. 1 Satz 1 AFG a.F.), wie das SG in den
Entscheidungsgründen des Urteils zutreffend im einzelnen ausgeführt hat.
Soweit die Beklagte mit dem erstinstanzlichen Urteil verurteilt worden ist, dem Kläger für die Zeiten vom 17. bis 30.
Dezember 1978 (12 Tage) Alg in gesetzlichem Umfang zu gewähren, fehlt es an dem Rechtsschutzbedürfnis. Der
Kläger erreicht sein Prozeßziel insoweit schon mit der Anfechtung. Sein weitergehender Antrag ist nicht erforderlich.
Während der Sperrzeit ruht der Anspruch auf Alg nur (§ 119 Abs. 1 Satz 3 AFG). Der Kläger erreicht sein Prozeßziel
mithin schon durch die Anfechtung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wird zugelassen, weil der entschiedenen Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung beigemessen wird (§
160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).