Urteil des LSG Hessen vom 14.01.1999

LSG Hes: aufgabe der erwerbstätigkeit, hessen, kov, anerkennung, behinderung, witwenrente, tod, versorgung, pflegezulage, betrug

Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 14.01.1999 (rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 24 V 3180/91
Hessisches Landessozialgericht L 5 V 52/96
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 20. September 1995 und
der Bescheid des Beklagten vom 22. März 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. November 1991
aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Witwenbeihilfe nach den gesetzlichen Bestimmungen ab dem 1.
Januar 1991 zu gewähren.
II. Der Beklagte hat der Klägerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen beider
Instanzen zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Witwenbeihilfe nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Die 1926 geborene Klägerin ist die Witwe des 1924 geborenen und 1990 verstorbenen Beschädigten A. B. Dieser erlitt
als Soldat der ehemaligen Deutschen Wehrmacht 1943 und 1944 Granatsplitterverletzungen, deren Folgen erstmals
durch Bescheid vom 30. Mai 1951 als Schädigungsfolgen mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von
weniger als 25 v.H. anerkannt wurden. Wegen mehrmaliger Fisteleiterungen im Verletzungsbereich wurde von dem
Beklagten eine wesentliche Verschlimmerung anerkannt und mit Bescheid vom 17. Mai 1961 der Bescheid vom 30.
Mai 1951 insoweit abgeändert sowie als Schädigungsfolgen mit einer MdE von 30 v.H. "eine ausgedehnte Narbe und
kleinere Narben mit Facienmuskeldefekten im Lendenbereich links, leichte Bewegungseinschränkung der
Lendenwirbelsäule durch Narbenzug. Defekt in der 12. Rippe links und geringe Deformierung der 11. Rippe links sowie
zwei kleine Splitter oberhalb der 11. Rippe links. Mäßige Zwerchfellverwachsungen links” feststellte. Weiter wurde in
dem Bescheid ausgeführt, daß der Beschädigte in seinem Beruf nicht mehr betroffen sei, als durch die MdE von 30
v.H. zum Ausdruck komme. In der Zeit nach Mai 1961 wurden wegen wiederholter Abszeßbildungen und schwerer
Entzündungen mehrere Operationen erforderlich. Im Juli/August 1962 erlitt der Beschädigte einen
Vorderwandspitzeninfarkt, dessen Verursachung durch Schädigungsleiden der Beklagte anerkannte. Durch
Neufeststellungsbescheid vom 21. August 1963 wurden als Schädigungsfolgen demzufolge mit einer MdE von 50 v.H.
anerkannt: "1. Ausgedehnte Narbe am linken Lendenbereich mit größerem Gewebsdefekt; kleinere Narben mit
teilweisen Faciendefekten; Bewegungsbehinderungen der Lendenwirbelsäule durch Narbenzug; Defekt an der 12.
linken Rippe und geringe Verbildung der 11. Rippe sowie Stecksplitterchen in der Umgebung der 11. Rippe; 2. Geringe
Herzinfarktnarbe; 3. Mäßige Zwerchfellverwachsung links”. Zum Abschluß eines sich an den Neufeststellungsantrag
vom Dezember 1968 anschließenden Klageverfahrens kam es im Juni 1971 zu einem Vergleich vor dem Sozialgericht
Frankfurt am Main, in dem sich der Beklagte bereiterklärte, den Grad der MdE ab Dezember 1968 auf 60 v.H.
anzuheben (Ausführungsbenachrichtigung vom 28. Juni 1971).
Der Beschädigte war vor der Schädigung als landwirtschaftlicher Arbeiter im Betrieb der Eltern und auch nach der
Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft und der Vertreibung aus Oberschlesien zunächst in diesem Beruf tätig.
Danach führte er einige Jahre verschiedene Hilfsarbeitertätigkeiten aus und war anschließend ab 1954 als
Druckereihilfsarbeiter zunächst bei der Rechtsvorgängerin seines letzten Arbeitgebers (P. S.) tätig. Dort wechselte er
aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen im Jahre 1969 auf einen anderen Arbeitsplatz und wurde als
Pförtner weiterbeschäftigt. Eine Absenkung seiner durchschnittlichen monatlichen Bruttoeinkünfte hatte dies nicht zur
Folge. Durch Bescheid vom 26. November 1984 (berichtigt durch Bescheid vom 23. Januar 1985) wurde dem
Beschädigten von der Landesversicherungsanstalt Hessen (LVA Hessen) flexibles Altersruhegeld nach § 1248 Abs. 1
der Reichsversicherungsordnung (RVO) – wegen der Schwerbehinderung – ab dem 1. Januar 1985 bewilligt.
Durch Bescheid vom 1. Dezember 1977 waren beim Beschädigten erstmals Behinderungen nach dem
Schwerbehindertengesetz (SchwbG) mit einem Grad der Behinderung (GdB) von insgesamt 100 festgestellt worden.
Neben den mit einer MdE von 60 v.H. anerkannten Schädigungsfolgen wurden "4. arterielle Verschlußkrankheit,
Gefäßersatzoperation 1969” (Einzel-GdB 50) und "5. Verschleißerkrankungen der Wirbelsäule” (Einzel-GdB 20)
festgestellt. Mit Neufeststellungsbescheid nach dem SchwbG vom 17. August 1987 wurde in den Bescheidtext eine
weitere Gefäßersatzoperation aus dem Jahre 1985 aufgenommen und erstmalig "coronare Herzkrankheit” (Einzel-GdB
30 v.H.) als weitere Behinderung festgestellt; bei einem Gesamt-GdB von 100 wurde das Vorliegen der
Nachteilsausgleiche "B” und "G” zuerkannt.
Der Beschädigte verstarb 1990 nach einem Sturz vom Fahrrad, dem nach dem Obduktionsergebnis des Zentrums für
Rechtsmedizin der Universität F. ein Re-Infarkt in der Hinterwand der hinteren Herzkammer vorhergegangen war. Auf
den Antrag vom 8. Januar 1991 (ergänzt am 6. Februar 1991) auf Bewilligung von Hinterbliebenenversorgung zog der
Beklagte das Ergebnis der Verwaltungssektion von Prof. B. bei und lehnte durch Bescheid vom 14. Februar 1991 die
Gewährung von Witwenrente mit der Begründung ab, der Tod des Beschädigten sei nicht Schädigungsfolge gewesen.
Gegen die Ablehnung der Zahlung von Witwenrente hat die Klägerin am 14. März 1991 (Eingang) Widerspruch
eingelegt.
Bezüglich eines Anspruchs auf Witwenbeihilfe führte der Beklagte Ermittlungen zum beruflichen Werdegang des
Beschädigten und zur Rentenhöhe durch, forderte die Rentenakten von der LVA Hessen an und stellte eine
Vergleichsberechnung bezüglich der Höhe der Altersrente des verstorbenen Beschädigten an. Durch Bescheid vom
22. März 1991 lehnte daraufhin der Beklagte die Gewährung von Witwenbeihilfe gemäß § 48 BVG u.a. mit der
Begründung ab, der Beschädigte habe keine schädigungsbedingten finanziellen Einbußen erlitten, die zu einer
Beeinträchtigung der Hinterbliebenenversorgung der Klägerin hätten fuhren können. Den Widerspruch der Klägerin
(Eingang 22. April 1991), der nicht begründet wurde, wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 27.
November 1991 zurück, nachdem zuvor durch Widerspruchsbescheid vom 26. November 1991 auch der Widerspruch
gegen den die Zahlung von Witwenrente gemäß § 38 BVG ablehnenden Bescheid zurückgewiesen worden war.
Mit Schriftsatz vom 19. Dezember 1991 (Eingang 20. Dezember 1991) hat die Klägerin beim Sozialgericht Frankfurt
am Main gegen beide Bescheide Klage erhoben. Das Sozialgericht hat die Verfahren durch Beschluss vom 7. Februar
1994 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden; die Klage gegen den Bescheid vom 14. Februar
1991 (in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 1991) wegen der Ablehnung der Gewährung einer
Witwenrente gemäß § 38 BVG hat die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung beim Sozialgericht Frankfurt
am Main am 12. April 1995 zurückgenommen.
Bezüglich des Anspruches auf Witwenbeihilfe hat die Klägerin geltend gemacht, ihr verstorbener Ehemann sei
aufgrund der anerkannten kriegsbedingten Schädigungen vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden, was zu
einer finanziellen Einbuße bei der Altersversorgung und (davon abgeleitet) bei ihrer eigenen Witwenversorgung geführt
habe. Die Klägerin hat sich weiterhin darauf berufen, daß bei dem Beklagten eine Verwaltungspraxis bestehe, beim
Vorliegen einer MdE von 50 v.H. (oder mehr) immer davon auszugehen, das vorzeitige Ausscheiden aus dem
Erwerbsleben mit dem 60. Lebensjahr beruhe auf Schädigungsfolgen.
Durch Urteil vom 20. September 1995 hat das Sozialgericht Frankfurt am Main die Klage u.a. mit der Begründung
abgewiesen, der Beklagte habe zu Recht die Bewilligung von Witwenbeihilfe nach § 48 BVG abgelehnt. Die
Voraussetzungen dieser Vorschrift seien nicht erfüllt, weil aus dem Erwerbsleben des Beschädigten keine
Anhaltspunkte dafür entnommen werden könnten, daß er durch die Schädigungsfolgen in seiner Erwerbstätigkeit
behindert gewesen sei. Eine besondere berufliche Betroffenheit des Beschädigten gemäß § 30 Abs. 2 BVG sei in
Bescheiden des Beklagten nicht festgestellt worden. Nach dem beruflichen Werdegang des Beschädigten und dem
Versicherungsverlauf, wie er durch die LVA Hessen festgestellt worden sei, habe der Beschädigte keine
schädigungsbedingten beruflichen Einbußen erlitten; auch sei ein Antrag auf Berufsschadensausgleich nach dem
vorzeitigen Ausscheiden aus dem Berufsleben von ihm nicht gestellt worden. Auch die weiteren Voraussetzungen des
§ 48 (Abs. 1 Satz 1 und Satz 5 und 6 BVG) seien nicht zugunsten der Klägerin erfüllt. Weder habe der Beschädigte
im Zeitpunkt des Todes Anspruch auf eine Beschädigtenrente eines Erwerbsunfähigen gehabt noch Anspruch auf
Pflegezulage wegen einer nicht nur vorübergehenden Hilflosigkeit. Auch die unwiderlegbare Rechtsvermutung des §
48 Abs. 1 Satz 6 BVG sei unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG)
nicht erfüllt. Ein Anspruch auf Berufsschadensausgleich für die Dauer von fünf Jahren zugunsten des verstorbenen
Beschädigten könne nicht festgestellt werden. Zwar sei dafür nicht zwingend Voraussetzung, daß der
Berufsschadensausgleich tatsächlich festgestellt und gezahlt worden oder aber ein entsprechender Antrag gestellt
worden sei. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Berufsschadensausgleich hätten aber in derartiger Klarheit
vorliegen müssen, daß sich der Verwaltung mindestens fünf Jahre vor dem Tod das tatsächliche Vorliegen der
Voraussetzungen für die Gewährung von Berufsschadensausgleich hätte aufdrängen müssen. Nach der neueren
Rechtsprechung des BSG hätte sich auf den ersten Blick für jeden Kundigen klar erkennbar ein Anspruch auf
Berufsschadensausgleich ergeben müssen. Nur insoweit habe das BSG entschieden, daß ein wegen der
Schädigungsfolge Schwerbehinderter, der nach Vollendung des 60. Lebensjahres aus dem Erwerbsleben ausscheide
und vorgezogenes Altersruhegeld beziehe, einen schädigungsbedingten Einkommensverlust erleide. Diese Vermutung
sei aber als widerlegt anzusehen, wenn andere Gründe für das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben vorliegen würden
und nicht offensichtlich sei, daß der Beschädigte ausschließlich wegen der Schädigungsfolgen vorzeitig aus dem
Erwerbsleben ausgeschieden sei. Zur Überzeugung des Sozialgerichts seien die Voraussetzungen für eine (zugunsten
der Klägerin) eingreifende Vermutung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 6 BVG nicht gegeben. Zwar seien die
Schädigungsfolgen nach dem BVG ab 28. Juni 1971 (rückwirkend ab 1. Dezember 1968) mit einer MdE von
insgesamt 60 v.H. bindend festgestellt worden, weshalb der Beschädigte allein deswegen mit Vollendung des 60.
Lebensjahres als Schwerbeschädigter einen Rentenanspruch hätte geltend machen können. Die Voraussetzungen für
eine "offensichtliche Vermutung” dafür, daß Ursache für das vorzeitige Ausscheiden aus dem Erwerbsleben die
anerkannten Schädigungsfolgen gewesen seien, sei aber – so das Sozialgericht – nicht gegeben. Der Beschädigte
habe auch nach der Anhebung der MdE auf 60 v.H. seine Erwerbstätigkeit unverändert bis zum Rentenbeginn ab 1.
Januar 1985 noch weitere 15 Jahre ausgeübt. Der Tätigkeitswechsel zum 1. November 1969 aus gesundheitlichen
Gründen von der Beschäftigung im Offset-Druck zu einer Tätigkeit als Pförtner sei durch die Verschlechterung der
gesundheitlichen Verhältnisse ab 1968 verursacht worden. Wie aus dem Bescheid nach dem
Schwerbehindertengesetz aus dem Jahre 1977 sich ergebe, sei erst danach die schwere arterielle
Durchblutungsstörung und die coronare Herzkrankheit aufgetreten, die letztlich Todesursache beim Beschädigten
geworden sei. Die nach dem Schwerbehindertengesetz – und damit schädigungsunabhängig – beim Beschädigten
festgestellten Gesundheitsstörungen seien bereits 1977 versorgungsärztlich mit einem GdB (entsprechend der MdE)
von 50 und 20 festgestellt worden; die schädigungsunabhängig bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen seien
damit gleichermaßen schwer zu bewerten gewesen, wie die Schädigungsfolgen. Deshalb könne – so das Sozialgericht
– davon ausgegangen werden, daß zur Zeit des Rentenbeginns die schädigungsunabhängigen gesundheitlichen
Beeinträchtigungen stärker auf die Erwerbstätigkeit des Beschädigten sich ausgewirkt hätten, als die
schädigungsabhängigen, zumal die schädigungsunabhängigen Leiden bis zum Eintritt in den Ruhestand 1985
unverändert fortbestanden hätten. Die Vermutung für ein vorzeitiges Ausscheiden aufgrund der Schädigungsleiden sei
deshalb widerlegt, zumal nach der neueren Rechtsprechung sich die Vermutung für ein schädigungsbedingtes
Ausscheiden der Verwaltung hätte aufdrängen müssen. Ein solcher Anspruch des verstorbenen Beschädigten auf
Berufsschadensausgleich sei nicht klar erkennbar gewesen. Dem stehe auch nicht die Entscheidung des BSG vom
16. Mai 1995 entgegen (–9 RV 36/93–), weil – anders als in jener Entscheidung – keine Anhaltspunkte für weitere
Ermittlungen durch den Beklagten bestanden hätten. Auch aus der Tatsache, daß der Beschädigte selbst zu
Lebzeiten keinen Antrag auf Berufsschadensausgleich gestellt habe, müsse – so das Sozialgericht – gefolgert
werden, daß ein solcher Anspruch nicht ohne weiteres offensichtlich erkennbar gewesen sei. Aus der Sicht des
Sozialgerichts stelle es keinen Wertungswiderspruch dar, wenn im Falle der "doppelten Behinderung” (sowohl nach
dem BVG wie nach dem SchwbG anzuerkennen) die Gewährung von Witwenbeihilfe versagt werde. Nur im
Ausnahmefall, wenn also das Vorliegen der Voraussetzung für einen Anspruch auf Berufsschadensausgleich
offensichtlich gewesen sei, könne auch nach dem Tode des Beschädigten durch weitere Ermittlungen geprüft werden,
ob ein solcher Anspruch auf Berufsschadensausgleich tatsächlich bestanden hätte. Eine solche Fallkonstellation liege
aber bei der Klägerin und ihrem verstorbenen Ehemann nicht vor.
Gegen das ihrem Bevollmächtigten am 21. Dezember 1995 zugestellte Urteil richtet sich die am 19. Januar 1996 beim
Hessischen Landessozialgericht eingegangene Berufung.
Die Klägerin macht geltend, aus der Tatsache, daß der Beschädigte mit 60 Jahren als Schwerbeschädigter und -
behinderter vorzeitig in den Ruhestand getreten sei, müsse nach dem Beweisregelsystem des § 8 der
Berufsschadensausgleichsverordnung (BSchAV) geschlossen werden, daß diese vorzeitige Aufgabe der
Erwerbstätigkeit mindestens im Sinne der Wahrscheinlichkeit als Mitursache eine Verringerung der Altersversorgung
nach sich gezogen habe. Der vorgezogene Ruhestand für Schwerbeschädigte indiziere das schädigungsbedingte
Ausscheiden. Wenn aber ein schädigungsbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben vorliege, müsse auch ein
Anspruch auf Berufsschadensausgleich angenommen werden und ihr, der Klägerin, demzufolge Witwenbeihilfe
gewährt werden. Die Klägerin hat eine Mitteilung des letzten Arbeitgebers des Beschädigten vorgelegt, woraus sich
ergibt, daß diesem zum Zeitpunkt seines Ausscheidens im Jahre 1984/85 einen Anspruch auf eine Betriebsrente in
Höhe von jährlich 1.560,– DM (entspricht monatlich 130,– DM) zugestanden hatte.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß), das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 20. September 1995
aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 22. März 1991 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 27. November 1991 zu verurteilen, der Klägerin Witwenbeihilfe nach dem verstorbenen
Beschädigten A. B. ab Januar 1991 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er beruft sich auf die Entscheidungsgründe im erstinstanzlichen Urteil, das er für zutreffend hält sowie auf die neuere
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG).
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Senat ohne mündliche Verhandlung einverstanden
erklärt.
Für den Sach- und Streitstand im übrigen wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten (einschließlich der Archivakten
des Sozialgerichts Frankfurt a.M.) und auf die Verwaltungsakten der Beklagten (2 Bde. Beschädigtenakten,
Witwenakte) sowie auf die Rentenakten der LVA Hessen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der
Beratung des Senats am 14. Januar 1999 waren.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil beide Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt
haben (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz SGG –).
Die Berufung ist form- und fristgerecht erhoben worden und an sich statthaft und somit insgesamt zulässig (§§ 151
Abs. 1, 143 ff., 144 SGG).
Die Berufung ist auch sachlich begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main konnte nach den vom
Senat getroffenen weiteren Feststellungen und nach der Rechtsauffassung des Senats nicht aufrechterhalten werden.
Der Bescheid des Beklagten vom 22. März 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. November 1991
ist rechtswidrig, beschwert die Klägerin und mußte deshalb aufgehoben werden. Die Klägerin hat (dem Grunde nach –
§ 130 SGG) Anspruch auf Witwenbeihilfe nach dem BVG.
Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 BVG (hier maßgebliche Fassung für die Zeit ab 1. April 1990: KOV-Strukturgesetz (KOV-
StruktG) vom 23. März 1990 – BGBl. I, S. 582; für die Zeit davor bis 31. März 1990: 15. Anpassungsgesetz zur
Kriegsopferversorgung (15. AnpG-KOV) vom 23. Juni 1986 – BGBl. I S. 915) ist Witwenbeihilfe zu zahlen, wenn der
rentenberechtigte Beschädigte, der nicht an den Folgen der Schädigung gestorben ist, durch die Folgen der
Schädigung gehindert war, eine entsprechende Erwerbstätigkeit auszuüben, und dadurch die aus der Ehe mit dem
Beschädigten hergeleitete Witwenversorgung (vor dem 1. April 1990: "Hinterbliebenenversorgung”) insgesamt um
mindestens 10 bis 15 v.H. gemindert ist. Welcher Vomhundertsatz (§ 48 Abs. 1 Satz 1 BVG – rechte Spalte –)
maßgeblich ist, richtet sich danach, in welchem Verhältnis die "abgeleitete” Witwenversorgung zu dem in § 33 Abs. 1
Buchst. a BVG genannten Bemessungsbetrag steht (§ 48 Abs. 1 Satz 1 – linke Spalte –), wobei die Neufassung des
§ 48 Abs. 1 Satz 1 BVG durch das KOV-StruktG insoweit keine hier maßgebliche Änderung erbracht hat.
Die Voraussetzungen des Satzes 1 von Abs. 1 des § 48 BVG gelten als erfüllt, wenn der Beschädigte im Zeitpunkt
seines Todes Anspruch auf die Beschädigtenrente eines Erwerbsunfähigen oder wegen nicht nur vorübergehender
Hilflosigkeit Anspruch auf eine Pflegezulage hatte. Die Voraussetzungen des Satzes 1 gelten auch als erfüllt, wenn
der Beschädigte mindestens fünf Jahre Anspruch auf Berufsschadensausgleich (BSchA) hatte (§ 48 Abs. 1 Satz 5
und Satz 6 BVG; bis 31. März 1990: Satz 2). Ist einer dieser drei sogenannten "Vermutungstatbestände” erfüllt, so
wird – unwiderleglich – vermutet, daß eine auszugleichende Minderung der Versorgung der Witwe eingetreten ist, ohne
daß es einer Prüfung des Vorliegens einer konkreten Versorgungslücke nach den Berechnungsregeln des Abs. 1 Satz
1 von § 48 BVG bedarf.
Der verstorbene Ehemann der Klägerin hat weder Rente nach dem BVG wegen einer (schädigungsbedingten) MdE
von mehr als 90 v.H. (dies ist die Legaldefinition von "Erwerbsunfähigkeit” im Sinne des BVG – vgl. § 31 Abs. 3 Satz
2 BVG) noch Pflegezulage bezogen, weshalb zugunsten der Klägerin nur der Vermutungstatbestand des § 48 Abs. 1
Satz 6 (früher: Satz 2) BVG zu prüfen ist, wonach die Voraussetzungen des Satz 1 schon dann als erfüllt gelten,
wenn der Beschädigte mindestens fünf Jahre Anspruch auf BSchA wegen eines Einkommensverlustes i.S.d. § 30
Abs. 4 BVG oder auf BSchA nach § 30 Abs. 6 BVG (früher nur: § 30 Abs. 4 BVG) hatte. Der Vermutungstatbestand
des § 48 Abs. 1 Satz 6 (früher: Satz 2) BVG dient, wie das Bundessozialgericht (BSG) in ständiger Rechtsprechung
entschieden hat, der Verwaltungsvereinfachung und soll der Versorgungsverwaltung – die häufig schwierige und
aufwendige – konkrete Berechnung ersparen, in welchem Umfang sich die Schädigungsfolgen auf die Höhe der
Versorgung der Witwe ausgewirkt haben (BSG, Urteile vom 27. Januar 1987 – 9 a RV 38/85 – in: SozR 2-3100 § 48
BVG Nr. 15 und vom 12. Dezember 1990 u.a. SozR 3-3100 § 48 BVG Nr. 2, S. 6 und Nr. 3 S. 8). Das Vorliegen einer
konkreten Versorgungslücke ist demnach erst dann zu prüfen, wenn keiner der oben genannten
Vermutungstatbestände – insbesondere der Anspruch auf BSchA gemäß Satz 6 – gegeben ist. Vorliegend kommt für
den Beschädigten nur ein Anspruch auf BSchA nach § 30 Abs. 4 (a.F.) in Betracht, weil der sogenannte "Netto-
BSchA” gemäß § 30 Abs. 6 BVG (n.F.) erst am 1. Juli 1990 eingeführt worden ist (insoweit Inkrafttreten des KOV-
StruktG), und der Beschädigte einige Monate später verstorben ist, weshalb kein Anspruch auf "Netto-BSchA” für
mindestens fünf Jahre hätte bestehen können.
Der Vermutungstatbestand "Anspruch auf BSchA” ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil der Beschädigte zu
Lebzeiten weder einen solchen Antrag gestellt hatte, noch darüber – bewilligend oder ablehnend – entschieden worden
ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ist aus der Formulierung "Anspruch” in § 48 Abs. 1 Satz 6 (n.F.)
BVG zu folgern, daß auch ohne eine positive Entscheidung über einen Antrag auf Bewilligung des BSchA bei der
Prüfung der Voraussetzungen für die Bewilligung von Witwenbeihilfe und nur anhand der Beschädigtenakten das
Vorliegen der Voraussetzungen für die Zahlung eines BSchA geprüft werden kann, jedenfalls dann, wenn sich die
Unrichtigkeit einer früheren Ablehnung der Leistung aufdrängt (BSG, Urteile vom 27. Januar 1987 – 9 a RV 38/85 –
und 9 a RV 6/86 – in: SozR 2-3100 § 48 BVG Nrn. 15, 16).
Soweit nicht bereits zu Lebzeiten des Beschädigten über einen Antrag auf BSchA positiv entschieden oder
wenigstens ein Antrag gestellt worden war, hat das BSG immer daran festgehalten, daß sich aus den
Beschädigtenakten selbst (und nur aus diesen) "offenkundig” ein Anspruch auf BSchA hätte ergeben müssen, und es
sich der Versorgungsverwaltung deshalb hätte aufdrängen müssen, über BSchA (positiv) zu entscheiden (oder aber
auf eine entsprechende Antragstellung – so sie noch nicht erfolgt war – hinzuwirken); oder anders formuliert: Es
mußten – für den Fall, daß ein Antrag auf Bewilligung von BSchA abgelehnt worden war – Fehler der Verwaltung
"offenkundig” gewesen sein, und zwar derart, daß ein sog. Zugunstenbescheid hätte ergehen können und müssen.
In einer neuesten Entscheidung des BSG hierzu (Urteil vom 24. Juni 1998 – B 9 V 19/97 R, S. 5 des Umdrucks;
Bestätigung des Senats-Urteils vom 20. Juni 1995 – L 5 V 191/92 –) sind diese Grundsätze noch einmal wie folgt
zusammengefaßt:
"Im Interesse der Verwaltungsvereinfachung setzt § 48 Abs. 1 Satz 6 BVG voraus, daß dem verstorbenen
Beschädigten offensichtlich oder für jeden Kundigen klar erkennbar fünf Jahre lang Anspruch auf BSchA zugestanden
hat ("Offenkundigkeitsgrundsatz” – vgl. SozR 3100 § 48 Nrn. 15 und 16; SozR 3-3100 § 48 Nrn. 2, 3, 4, 6 und 7). Die
unwiderlegliche Vermutung des § 48 Abs. 1 Satz 6 BVG würde ihren Zweck – Verwaltungsvereinfachung – verfehlen,
wenn statt der in § 48 Abs. 1 Satz 1 BVG grundsätzlich vorgesehenen Gegenüberstellung von schädigungsbedingt
geminderter (tatsächlicher) und hypothetischer (vgl. dazu SozR 3-3100 § 48 Nr. 9) Witwenversorgung und der
Ermittlung ihrer schädigungsbedingten Minderung mit mehr oder weniger demselben oder größerem
Verwaltungsaufwand ein zu Lebzeiten des Beschädigten vorhanden gewesener Anspruch auf BSchA und dessen
Dauer exakt ermittelt werden müßten. Dieser Weg ist nur ausnahmsweise zu beschreiten, wenn der Verstorbene zu
Lebzeiten (auch) BSchA beantragt hat und über diesen Antrag noch nicht entschieden worden ist. Auf diesen Fall
bezieht sich die bisherige Rechtsprechung des Senats des BSG, soweit sie eine Ausnahme vom
Offenkundigkeitsgrundsatz macht (vgl. SozR 3-3100 § 48 Nr. 3 S. 9; SozR 3-3100 § 48 Nr. 6 S. 17): Gemeint sind
dabei die Fälle, in denen ein zu Lebzeiten des Beschädigten eröffnetes Verfahren zum Zeitpunkt seines Todes noch
nicht abgeschlossen war. Denn, wie der Senat bereits entschieden hat, gilt der Offenkundigkeitstatbestand auch für
die Fälle, daß ein Antrag des Beschädigten auf BSchA zu dessen Lebzeiten zwar gestellt, das dadurch eingeleitete
Verwaltungsverfahren aber für ihn erfolglos abgeschlossen worden war, selbst wenn die Witwe nach § 44 Zehntes
Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) die Zugunstenfeststellung des Anspruchs betreibt (vgl. SozR 3-3100 § 48 Nr. 7).”
Demnach war lediglich ein offenkundiger Anspruch auf BSchA geeignet, die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 6
BVG zu erfüllen. Denn ein Verwaltungsverfahren über einen Antrag war zum Zeitpunkt des Todes des Beschädigten
nicht mehr anhängig, weil seine Anträge auf Versorgung zuletzt durch die Ausführungsbenachrichtigung vom 28. Juni
1971 vollständig beschieden und d.h. verbraucht waren. Auch von Amts wegen hat ein Verwaltungsverfahren über
weitere Ansprüche auf Versorgung, insbesondere, auf BSchA nicht mehr stattgefunden. Insbesondere hat auch der
Beklagte nicht von sich aus ein Verfahren über eine Neuprüfung der getroffenen Regelungen gemäß § 62 BVG a.F.
(ab 1. Januar 1981 § 48 SGB X) und § 60 Abs. 2 und 3 BVG eröffnet (BSG, a.a.O. S. 6 und 7).
Nach diesen Grundsätzen der Rechtsprechung des 9. Senats des BSG, wonach sich die "Offenkundigkeit” des
Anspruchs auf BSchA unmittelbar aus den Beschädigtenakten selbst ergeben muß (BSG, Urteile vom 26. November
1991 – 9 a RV 19/90 –, vom 29. Januar 1992 – 9 a RV 5/91 – und vom 15. Juli 1992 – 9 a RV 40/91 – alle in SozR 3-
3100 § 48 BVG Nrn. 2, 3 und 4 sowie Urteil vom 15. Juli 1992 – 9 a RV 8/92 – SozR 3-3642 § 8 BSchAV Nr. 5) sowie
unter Berücksichtigung allgemeinkundiger Tatsachen – z.B. über durchschnittliche Vergleichseinkommen – steht zur
Überzeugung des Senats fest, daß der Beschädigte zum Zeitpunkt seines Todes einen Anspruch auf BSchA hatte.
Der Senat folgt – wie bereits in seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. Senatsurteile vom 20. Juni 1995 – L 5 V
191/92 –; bestätigt durch Urteil des BSG vom 24. Juni 1998 – B 9 V 19/97 R – sowie vom 26. Oktober 1995 – L 5/V
519/88 –; vgl. auch Urteil des 4. Senats des HLSG vom 4. August 1998 – L 4 V 378/98) – diesen Grundsätzen der
Rechtsprechung des BSG. Wie das BSG entschieden hat, erleidet ein wegen Schädigungsfolgen Schwerbehinderter,
der nach Vollendung des 60. Lebensjahres aus dem Erwerbsleben ausscheidet und vorgezogenes Altersruhegeld
erhält, einen schädigungsbedingten Einkommensverlust. Sein Berufsschadensausgleich ist dann nach dem
ungekürzten Durchschnittseinkommen der vorausgegangenen Berufstätigkeit (Vergleichseinkommen) zu bemessen
(BSG, Urteil vom 12. Dezember 1990 – 9 a/9 RV 20/89 – unter Berufung auf BSG SozR 2-3100 § 30 Nr. 78). Eine
solche Einkommensdifferenz war beim Beschädigten zum Zeitpunkt der Bewilligung des Altersruhegeldes zur
Jahreswende 1984/85 offenkundig eingetreten. Die Bruttorente betrug ab 1. Januar 1985 monatlich 1.660,60 DM (bzw.
korrigiert: 1.664,00 DM). Das seinerzeit maßgebliche Durchschnittseinkommen eines Fachhilfsarbeiters im
Druckereigewerbe betrug in der Leistungsgruppe 3 monatlich 3.046,00 DM (vgl. Tabelle 1 der Bekanntmachung der
Vergleichseinkommen). Damit war (unter Berücksichtigung der Differenz der Bruttoeinkommen) offenkundig, daß der
verstorbene Beschädigte mit der Inanspruchnahme des Altersruhegeldes einen erheblichen Einkommensverlust
gegenüber dem Einkommen bei Fortführung der Erwerbstätigkeit hatte hinnehmen müssen. Diese
Einkommensdifferenz ist auch so erheblich, daß sie durch die bei gewerblichen Arbeitnehmern üblichen Leistungen
aus der betrieblichen Altersversorgung nicht hätte ausgeglichen werden können. Zur Beurteilung der Offenkundigkeit
dieses Einkommensverlustes ist auf die Sicht qualifizierter und sachkundiger Mitarbeiter der Versorgungsverwaltung
abzustellen. Diese hätten nach Mitteilung über den Rentenbeginn und die Rentenhöhe ohne weiteres erkennen
können, daß für den Beschädigten ein Anspruch auf BSchA in Betracht kommt und ggf. auf eine Antragstellung
hinwirken müssen. Durch die von der Klägerin im Berufungsverfahren vorgelegte Mitteilung des letzten Arbeitgebers
des Beschädigten, wonach dieser im August 1984 (lediglich) Anspruch auf eine Betriebsrente in Höhe von 130,–
DM/Monat gehabt hätte (die durch Auszahlung eines Kapitalbetrages abgefunden wurde) werden lediglich diese
Feststellungen bestätigt. Sie hätte sich bei sorgfältiger Prüfung bereits um die Jahreswende 1984/85 nach Lage der
Akten aufdrängen müssen. Dabei kann der Senat hier dahingestellt sein lassen, ob insoweit die Voraussetzungen für
die Anwendung der Grundsätze über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch hätten Berücksichtigung finden
müssen (vgl. hierzu – ablehnend – Urteil des BSG vom 3. August 1994 – 9 RV 31/93 –).
Der beim verstorbenen Beschädigten eingetretene Einkommensverlust war auch offenkundig auf Schädigungsfolgen
zurückzuführen.
Das BSG hat in seinem Urteil vom 15. Juli 1992 Entscheidungen bestätigt, mit denen der Witwe eines Beschädigten
(MdE 50 v.H.) Witwenbeihilfe zuerkannt worden war, deren Ehemann nach Vollendung des 61. Lebensjahres und nach
einer längeren Zeit der Arbeitsunfähigkeit unter Inanspruchnahme des flexiblen Altersruhegeldes für Schwerbehinderte
aus dem Erwerbsleben ausgeschieden war. In dieser Entscheidung hat es der 9 a Senat des BSG zur Erfüllung des
"Offenkundigkeits-Grundsatzes” für ausreichend erachtet, daß das vorgezogene Altersruhegeld schädigungsbedingt in
Anspruch genommen worden ist und dem Beschädigten – rückschauend leicht erkennbar – ein Anspruch auf BSchA
mit der Folge zustand, daß der Vermutungstatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 6 BVG als erfüllt zu gelten hatte. In
dieser Entscheidung wird auch ausgeführt, daß grundsätzlich von einem schädigungsbedingten Ausscheiden und
einer (offenkundigen) schädigungsbedingten Einkommensminderung auszugehen sei, wenn ein Schwerbeschädigter
(mindestens MdE 50 v.H.) – der auch als Schwerbehinderter nach dem SchwbG anzuerkennen ist – von der
Möglichkeit des vorzeitigen Ausscheidens aus dem Erwerbsleben und der Inanspruchnahme eines Altersruhegeldes
Gebrauch macht. Diese Vermutung könne nur durch eine zu Lebzeiten erfolgte Feststellung widerlegt werden, nach
der klar erkennbar ist, daß andere Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen das Ausscheiden aus dem
Erwerbsleben alleine verursacht haben (Leitsatz und Urteil in SozR 3-3100 § 48 BVG Nr. 4; vgl. auch Urteil vom 19.
Mai 1995 – 9 RV 36/93 –).
Hingegen hat der 9 a Senat in einer Entscheidung vom selben Tage (15. Juli 1992) eine ablehnende Entscheidung
bestätigt, die im Tatbestand des Urteils in einigen Punkten mit dem hier zu entscheidenden Fall übereinstimmt (– 9 a
RV 8/92 –). Dort war der Beschädigte, der (einschließlich einer besonderen beruflichen Betroffenheit) nach einer MdE
von 50 v.H. Grundrente bezogen hatte und wegen weiterer (Nicht-Schädigungs )Leiden acht Jahre vor dem Tod mit
einem GdB von 80 sowie fünf Jahre vor dem Tod mit einen GdB von 100 als Schwerbehinderter anerkannt worden
war, ebenfalls im Alter von 65 Jahren verstorben; BSchA hatte er nie beantragt, auch nicht, als er nach Vollendung
des 60. Lebensjahres unter Bezug von flexiblem Altersruhegeld aus dem Erwerbsleben ausgeschieden war. Der 9 a
Senat hielt – rückwirkend betrachtet – einen Anspruch auf BSchA nicht – jedenfalls nicht "offenkundig” – für gegeben,
weil nicht glaubhaft (im Sinne von § 8 BSchA V) gemacht sei, daß der Beschädigte ohne die Schädigungsfolgen noch
erwerbstätig gewesen sei. Wenn über das Bestehen von Nicht-Schädigungsleiden, die geeignet sein können, ein
Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu veranlassen, eine Feststellung nach dem SchwbG getroffen worden sei, so
könne in aller Regel nicht mehr glaubhaft gemacht werden, daß ohne die nach dem BVG anerkannten
Schädigungsfolgen noch eine Erwerbstätigkeit fortgeführt worden wäre. Das BSG hat dies damit begründet, daß für
das vorzeitige Ausscheiden unter Inanspruchnahme von Altersruhegeld nach dem Gesetz (gemeint ist § 1248 Abs. 1
RVO bzw. § 25 AVG in der seinerzeit maßgeblichen Fassung) das Motiv unerheblich sei. Dies müsse aber auch zu
Lasten des Beschädigten (bzw. seiner Witwe) Berücksichtigung finden, weil bei einem Schwerbehinderten, der diesen
Status auch ohne Schädigungsfolgen habe, nicht mehr glaubhaft zu machen sei, daß der Entschluß gerade durch die
für das Versorgungsrecht maßgeblichen Schädigungsfolgen bestimmt worden sei. Jedenfalls könne ein Anspruch auf
BSchA, der nie beantragt worden sei, in diesem Fall nicht als offenkundig behandelt werden (vgl. auch die Urteile des
BSG vom 10. Februar 1993 – 9/9 a RV 4/92 – und vom 3. August 1994 – 9 RV 31/93 –).
Die letztere Argumentation hat sich auch das Sozialgericht zu eigen gemacht, und sowohl einen Anspruch des
verstorbenen Ehemannes der Klägerin auf BSchA überhaupt als auch die "Offenkundigkeit” eines solchen Anspruchs
ab Rentenbeginn verneint, weil beim verstorbenen Ehemann der Klägerin – lange nach der Anerkennung der
Schädigungsleiden mit einer MdE von 60 v.H. im Jahre 1971 – andere, schwerwiegende Leiden aufgetreten seien
(arterielle Verschlußkrankheit mit der Notwendigkeit zur zweimaligen Gefäßersatzoperation, koronare Herzkrankheit
und Wirbelsäulenverschleiß), die für sich allein betrachtet bereits die Anerkennung als Schwerbehinderter nach dem
SchwbG zur Folge hätten haben können und damit dem Beschädigten – unabhängig von der Anerkennung als
Schwerbeschädigter – den frühzeitigen Rentenbezug ermöglicht hätten.
Dem vermag der erkennende Senat für das vorliegende Verfahren aus im wesentlichen zwei Gesichtspunkten nicht zu
folgen.
Einmal besteht ein Wertungswiderspruch zur Rechtsprechung des 9. Senats des BSG zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG
(a.F.). Das BSG hat jedenfalls seit 1989 mehrfach und in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß eine
Beweiserleichterung in entsprechender Anwendung des § 8 BschAV zugunsten des Beschädigten eingreift, der
vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheidet und ein vorgezogenes Altersruhegeld (jetzt: "Rente”) in Anspruch nimmt
(vgl. Urteil vom 4. Juli 1989 – 9 RV 16/88 – in SozR 2-3100 § 30 BVG Nr. 78 sowie Urteile vom 20. Mai 1992 – 9 a RV
24/91 – und vom 10. Mai 1994 – 9 RV 14/93 – in SozR 3-3100 § 30 Nr. 10 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
Danach hat der 9. Senat auch nach erneuter Überprüfung daran festgehalten, daß die Schädigungsfolgen schon dann
für das vorzeitige Ausscheiden aus dem Erwerbsleben und einen dadurch eingetretenen Einkommensverlust
ursächlich sind, wenn sich der Beschädigte gleichzeitig zur Altersversorgung auf eine wesentlich durch
Schädigungsfolgen bedingte Schwerbehinderung berufen muß. Zur Begründung ist u.a. ausgeführt worden, daß es die
Vorschriften des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung gerade nicht zuließen, nach der Art und der
Verursachung der gesundheitlichen Beeinträchtigung zu fragen, die zur Anerkennung des Status "Schwerbehinderter”
fuhren und damit das Recht einräumen, früher "in Rente” zu gehen. Der erkennende Senat hält diese Argumentation
für konsequent und überzeugend. Gerade auf der Rechtsfolgeseite des Versorgungsrechts muß in der Regel schon
die Möglichkeit eines Kausalzusammenhangs ausreichen, wobei dann, wenn die Schädigungsfolgen auch (mit-
)ursächlich für eine Anerkennung als Schwerbehinderter und/oder das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben sind, jede
mitwirkende Ursache gleichermaßen als kausal angesehen werden muß. Bei der Prüfung der Voraussetzungen des §
48 Abs. 1 Satz 6 BVG (früher: Satz 2), die vorbehaltlos auf die Regelung über den BSchA verweisen, können aber
keine anderen Rechtsprinzipien Geltung beanspruchen, als bei der Prüfung der Voraussetzungen für den Anspruch auf
BSchA.
Zur Überzeugung des Senats ist deshalb grundsätzlich – und auch als "offenkundig” – davon auszugehen, daß ein
Schwerbeschädigter in aller Regel (auch wenn er zugleich wegen anderer schwerwiegender Leiden als
Schwerbehinderter anzuerkennen ist und anerkannt wurde), wenn er bereits mit Vollendung des 60. Lebensjahres
Rente beantragt, schädigungsbedingt (im Sinne der wesentlichen Mitursache) vorzeitig aus dem Erwerbsleben
ausscheidet und dadurch auch – in aller Regel – einen ausgleichswürdigen und ausgleichspflichtigen
Einkommensverlust erleidet. "Der vorgezogene Ruhestand für Schwerbeschädigte indiziert ein schädigungsbedingtes
Ausscheiden” (BSG, Urteil vom 12. Dezember 1990 – 9 a/9 RV 20/89 – S. 6 des Umdrucks a.E.; vgl. auch BSG,
Urteil vom 20. Mai 1992 – 9 a RV 24/91 –). Etwas anderes gilt nur, wenn der Schwerbeschädigte auch ohne seine
schädigungsbedingte Schwerbehinderung sozial gesichert – z.B. durch einen Anspruch auf Altersrente wegen
Arbeitslosigkeit – vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden könnte und/oder ausgeschieden ist (vgl. hierzu BSG,
Urteil vom 10. Mai 1994 – 9 RV 29/93 – in SozR 3-3100 § 30 BVG Nr. 9 und Urteil des 4. Senats des Hess. LSG vom
4. August 1998 – L 4 V 378/98 – sowie Urteil des erkennenden Senats vom 26. Oktober 1985 – L 5 V 519/88 –).
Soweit aber ein schädigungsbedingtes Ausscheiden "indiziert” ist, erleidet der Beschädigte auch einen
schädigungsbedingten Einkommensverlust. Sein BSchA ist dann nach dem ungekürzten Durchschnittseinkommen
der vorausgegangenen Berufstätigkeit (Vergleichseinkommen) zu bemessen (BSG, Urteil vom 4. Juli 1989 – 9 RV
16/88 – a.a.O. und Urteil vom 12. Dezember 1990 – 9 a/9 RV 20/89 –)und dies bis zur Erreichen der
Regelaltersgrenze von 65 Jahren – vorliegend also für mindestens fünf Jahre (vgl. § 8 BSchAV und indirekt, BSG,
Urteil vom 4. Juli 1989 – 9 RV 16/88 – sowie BSG, Urteil vom 13. August 1997 – 9 RV 26/95 –).
Ein zweiter Gesichtspunkt kommt hinzu: Nach der neueren Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 24. Juni 1998 – B 9
SB 17/97 R –) soll es nach SchwbG nicht mehr um die Feststellung von – mehreren – "Behinderungen” gehen,
sondern nur um eine Behinderung (die sich durch verschiedene, festzustellende Gesundheitsstörungen "ergibt”),
weshalb kein Rechtsschutzbedürfnis für die isolierte Feststellung einer einzelnen Gesundheitsstörung bestehen soll.
Folgt man dieser Überlegung, dann wird es aus Rechtsgründen problematisch, zu gewichten, ob eher die
Schädigungsleiden – mit der Schwerbeschädigteneigenschaft – oder die Nicht-Schädigungsleiden zur
Schwerbehinderteneigenschaft führen und damit zur Inanspruchnahme von Vergünstigungen nach dem SchwbG sowie
zur Berechtigung zum vorzeitigen Rentenbeginn. Die Umstellung des Schwerbehindertenrechts im Jahr 1974 vom
"Kausal-” zum "Final”-prinzip würde geradewegs unterlaufen, wollte man nun beim Rentenrecht (und davon abgeleitet:
Bei der Frage, ob die anerkannten Schädigungsfolgen zur Inanspruchnahme der "Statuspassage” "vorzeitige/s
Altersruhegeld/-rente” berechtigen bzw. fuhren) gerade wieder nach Kausalitäten fragen.
Unter Berücksichtigung der Grundsätze, die der Senat der Rechtsprechung des 9/9 a Senates des BSG entnimmt,
sind die beiden hier entscheidungserheblichen Fragen deshalb zu bejahen: (1.) Dem verstorbenen Beschädigten stand
seit Rentenbeginn (ab 1. Januar 1985 – und damit für fünf Jahre –) ein Anspruch auf BSchA zu und dies war auch (2.)
offenkundig, d.h. für jeden Kundigen anhand der Beschädigtenakte sogleich erkennbar.
Dem Beklagten war eine Abschrift des Deckblatts der Rentenbescheide übersandt worden, aus dem sich ergibt, daß
es sich um ein flexibles Altersruhegeld für einen Schwerbehinderten gehandelt haben muß. Aus der Rentenhöhe
(monatlich 1.660,60 DM bzw. 1.664,00 DM) war für einen "Kundigen” – d.h. also eine/n der qualifizierten Beschäftigten
der Versorgungsverwaltung – ohne weiteres erkennbar, daß eine Versorgungslücke vorhanden sein mußte. Das
allgemein bekannt gemachte Einkommen der Wirtschaftsgruppe und der Qualifikationsstufe, welcher der verstorbene
Beschädigte seinerzeit zuletzt angehört hatte, betrug brutto im Monat 3.069,00 DM. Damit war offenkundig, daß ein
Anspruch auf BSchA bestehen mußte, selbst dann, wenn der Beschädigte noch zusätzlich einen Anspruch auf eine
Betriebsrente hätte geltend machen können, weil – wie ausgeführt – Renten der betrieblichen Altersversorgung der
Arbeiter – was allgemeinkundig ist – nicht in der Höhe gezahlt werden, um eine Versorgungslücke von seinerzeit
(damals noch ausschließlich nach dem – "Bruttoprinzip”) rund 1.440,00 DM auszugleichen.
Dies ist durch die Vorlage der Auskunft über den Anspruch auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung des
letzten Arbeitgebers des Beschädigten auch lediglich bestätigt worden.
Zur Überzeugung des Senats ist jedenfalls der "Vermutungstatbestand” "fünf Jahre Anspruch auf BSchA” nach § 48
Abs. 1 Satz 6 BVG (früher: Satz 2) erfüllt, weshalb die Klägerin Anspruch auf Witwenbeihilfe hat. Die
entgegenstehenden Bescheide und das Urteil des SG Frankfurt a.M. mußten deshalb aufgehoben werden. Der
Beklagte war antragsgemäß – dem Grunde nach (§ 130 SGG) – zu verurteilen, der Klägerin Witwenbeihilfe ab dem 1.
Januar 1991 zu gewähren.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision mußte gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG zugelassen werden, weil der Senat von der Entscheidung des
BSG in einem vergleichbaren Fall abweicht und nach dem Sachverhalt keine hinreichenden Ansatzpunkte für eine
Differenz zwischen der hier getroffenen Entscheidung und jener des BSG erkennbar sind.