Urteil des LSG Hessen vom 13.03.2017

LSG Hes: umschulung, hessen, bewirtschaftung, verschuldung, arbeitskraft, fremder, rente, forstwirtschaft, sanierung, haus

Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 25.07.1973 (rechtskräftig)
Sozialgericht Fulda
Hessisches Landessozialgericht L 5 V 520/72
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 8. März 1972 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Der 1920 geborene Kläger erhielt wegen
1) "Lungen-, Leber und Darmverwundung mit Rippenfellschwarte und Zwerchfellverwachsung rechts, 2) Große
Narbenbildung im Rücken und rechts im Oberbauch, 3) Verwachsungsbeschwerden ist Leib.”
als Schädigungsfolgen Rente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) nach einem Grad der Minderung der
Erwerbsfähigkeit (MdE) von 50 v.H. (Umanerkennungsbescheid vom 4. Dezember 1951, Neufeststellungsbescheid
vom 20. April 1955). Mit Zugunstenbescheid vom 8. November 1971 ist sein besonderes berufliches Betroffensein als
Landwirt anerkannt worden, so daß ab 1. Januar 1961 Zahlungen nach einer MdE von 60 v.H. erfolgen.
Am 12. Januar 1965 beantragte der Kläger bei des Versorgungsamt XY. Berufsschadensausgleich. Nach seinem
beruflichen Werdegang hat er die Volksschule, in den Wintermonaten der Jahre 1937/38 und 1938/39 die
Landwirtschaftsschule besucht und war bis zu seiner Einberufung als mithelfendes Familienmitglied in der
Landwirtschaft seiner Eltern von rund 20 ha Größe tätig. Nach dem Kriege arbeitete er wiederum mit und bekleidete
überdies den Posten als ehrenamtlicher Bürgermeister seiner Heimatgemeinde während der Jahre 1948 bis 1962. Ab
1. Januar 1954 hat er den elterlichen Betrieb gegen Altenteilsleistungen übernommen. Nach seinen Angaben ist sein
Berufsziel des Landwirtschaftsmeisters aus schädigungsbedingten Gründen vereitelt worden. Sein Betrieb werfe
weniger ab als vergleichbare, da er nicht voll einsatzfähig sei. Wie der Bürgermeister und der Ortslandwirt am 2.
Januar 1967 bescheinigten, benötige er zum Schlepperfahren und für alle schweren Arbeiten stets eine fremde
Arbeitskraft.
Am 12. September 1967 wurde er abschlägig beschieden. Er sei vor und nach der Schädigung in gleicher Weise als
Landwirt tätig gewesen und bewirtschafte seinen landwirtschaftlichen Betrieb in vollem Umfang. Ein Substanzverlust
sei nicht eingetreten, so daß auch kein schädigungsbedingter Einkommensverlust ersichtlich sei.
Im Widerspruchsverfahren wies der Kläger wiederum auf seine starke finanzielle Belastung durch Inanspruchnahme
einer fremden Arbeitskraft hin und bat um Umschulung, da er seinen Betrieb ohne Gewährung von
Berufsschadensausgleich nicht weiterführen könne.
Seinem Begehren half der Widerspruchsbescheid vom 29. Dezember 1967 nicht ab. Auch ohne die
Schädigungsfolgen, welche die Ausübung des Landwirtsberufes im übrigen erlaubten, wäre angesichts der
Grundstücksgröße der gelegentliche Einsatz einer Hilfskraft erforderlich.
Der vom Versorgungsamt eingeschaltete Landeswohlfahrtsverband Hessen teilte am 7. Juli 1969 mit, der Kläger sei
mehrfach gebeten worden, wegen seines Wunsches auf Umschulung vorzusprechen. Er habe jedoch ausweichend
oder gar nicht geantwortet, so daß die Auffassung bestehe, daß er an der Gewährung von
Berufsförderungsmaßnahmen nicht interessiert sei.
Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Fulda hat der Kläger seinen Anspruch auf Berufsschadensausgleich unter
Einstufung in die Besoldungsgruppe A 9 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG) weiterverfochten.
Mit Urteil vom 8. März 1972 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es
ausgeführt, im Falle des Klägers müßten entweder schädigungsbedingte Personalmehraufwendungen oder betriebliche
Mindereinnahmen durch eine schädigungsbedingte Beschränkung in der Bewirtschaftung feststellbar sein. Die
gelegentliche Inanspruchnahme fremder Hilfe erfülle diese Anspruchsvoraussetzung jedoch nicht. Auch habe die
Verschuldung des Betriebes ihre Ursache nicht in Schädigungsfolgen. Der bestehenden Behinderung im Beruf sei
durch die Zubilligung einer erhöhten Rente wegen besonderen beruflichen Betroffenseins ausreichend Rechnung
getragen worden. Die Kammer habe auch davon ausgehen müssen, daß der Kläger gesundheitlich zur
Bewirtschaftung seines Betriebes in der Lage sei, weil er an Berufsförderungsmaßnahmen kein weiteres Interesse
bekundet habe.
Gegen dieses Urteil, das am 28. April 1972 mittels eingeschriebenen Briefes an den Kläger abgesandt worden ist,
richtet sich seine am 29. Mai 1972 vor dem Urkundsbeamten des Sozialgerichts Fulda eingelegte Berufung. Zur
Begründung wiederholt er sein bisheriges Vorbringen. In der mündlichen Verhandlung am 25. Juli 1973 hat er auf
Befragen des Gerichts weitere Ausführungen gemacht. Insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 8. März 1972 aufzuheben und den Beklagten unter
Aufhebung des Bescheides von 12. September 1967 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Dezember
1967 zu verurteilen, Berufsschadensausgleich unter Einstufung in die Besoldungsgruppe A 9 BBesG in gesetzlicher
Höhe zu gewähren.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Akten des Versorgungsamtes XY. mit der Grundl. Nr. haben vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der
Gerichtsakten beider Instanzen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, sie ist insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 143, 151 Abs. 2 des
Sozialgerichtsgesetzes – SGG –). In der Sache konnte sie keinen Erfolg haben.
Der Bescheid des Beklagten vom 12. September 1967 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.
Dezember 1967 ist nicht rechtswidrig.
Rechtsgrundlage ist § 30 Abs. 3 und 4 BVG in der Fassung des 2. und 3. Neuordnungsgesetzes (NOG), wonach
Schwerbeschädigte, deren Erwerbseinkommen durch die Schädigungsfolgen um monatlich mindestens 75,– DM oder
überhaupt gemindert ist (Einkommensverlust), nach Anwendung des § 30 Abs. 2 BVG einen
Berufsschadensausgleich in monatlicher Höhe von vier Zehnteln des Verlustes oder nach einer bezifferten
Höchstgrenze erhalten (§ 30 Abs. 3 BVG). Einkommensverlust ist dabei der Unterschiedsbetrag zwischen dem
derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente und dem
höheren Durchschnittseinkommen der Berufs- oder Wirtschaftsgruppe, welcher der Beschädigte ohne die Schädigung
nach seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten und dem bisher betätigten Arbeits- und
Ausbildungswillen wahrscheinlich angehört hätte.
Die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Vorschriften sind nicht gegeben. Denn es fehlt bereits an einer
Grundvoraussetzung des Gesetzes, dem schädigungsbedingten Einkommensverlust im Sinne des § 30 Abs. 4 BVG.
Wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, könnte er nur vorliegen, wenn entweder schädigungsbedingte
Personalmehraufwendungen oder betriebliche Mindereinnahmen durch auf der Schädigung beruhende
Beschränkungen in der Bewirtschaftung des Grundstückes feststellbar wären. Beides ist jedoch nicht der Fall.
Was die Personalmehraufwendungen anbetrifft, so ist nicht wahrscheinlich im Sinne der im Versorgungsrecht
geltenden Kausaltheorie, daß der Kläger als ungeschädigter selbständiger Landwirt weniger fremde Arbeitskräfte
beschäftigen würde, als nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung von 25. Juli 1973 tatsächlich eingesetzt
werden. Hiernach ist seit 1964 gar kein ständiger Landarbeiter tätig. Für gelegentlich in Spitzenzeiten eingesetzte
Stundenlöhner ohne feste Anstellung werden keine Lohnsteuern und Sozialabgaben geleistet. Schlepperarbeiten
übernimmt der Kläger zum Teil nach seinen Worten sogar selbst. Stundenweise beschäftigte Arbeitskräfte würde er
im selben Umfang insbesondere bei der Frühjahrsfeldbestellung und während der Erntekampagne aber auch
benötigen, wenn er gesund aus dem Kriege heimgekehrt wäre. Anderenfalls könnte er bei einer bewirtschafteten
Fläche von ca. 15 ha seinen vorhandenen Maschinenpark gar nicht gleichzeitig und damit wirtschaftlich einsetzen. Er
hat nun einmal keine Söhne oder Schwiegersöhne, die in seinem Betrieb tätig sind oder tätig sein könnten. Seine
Töchter sind bis auf die jüngste außer Haus und auch diese steht in B. H. in einer Lehre. Diese Umstände sind
sämtlich nicht schädigungsbedingt. Die Bescheinigungen dem Bürgermeisters und des Ortslandwirts in R. können bei
dieser Sachlage nicht weiterhelfen. Sie beweisen nicht, daß die Ausgaben des Klägers für fremde Arbeitskräfte den
Rahmen dessen sprengen, was in vergleichbaren Betrieben üblich ist.
Die Tatsache der Verschuldung des klägerischen Betriebes, nach seinen im "Erhebungsbogen bei Land- und
Forstwirtschaft” im Mai 1971 gemachten Angaben in Höhe von etwa 102.000,– DM, ist gleichfalls nicht relevant im
Sinne des Berufsschadensrechts und belegt keinen schädigungsbedingten Einkommensverlust. Denn die
Darlehensaufnahme wäre auch im Falle der Unversehrtheit des Klägers in gleichem Umfange notwendig gewesen. Sie
diente zum überwiegenden Teil der Sanierung des Betriebes und sollte überdies die erforderlichen betrieblichen
Investitionen zum Zwecke der Modernisierung ermöglichen. Solche Maßnahmen gehören zwangsläufig zur Führung
eines landwirtschaftlichen Betriebes von der Art des klägerischen, falls er unter den Aspekten der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft gewinnabwerfend sein und bleiben soll. Der Kläger hat nicht darzulegen vermocht, daß er
bestimmte Maschinen oder mehr als in vergleichbaren Betrieben üblich wegen seiner Schädigungsfolgen hat
anschaffen müssen, weil er anderenfalls sein Land und seine Viehwirtschaft nur unvollkommen hätte bearbeiten
können, was wiederum zu Mindereinnahmen geführt hätte. Konkrete Anhaltspunkte für einen Einkommensverlust im
Sinne des § 30 Abs. 4 BVG sind deshalb auch insoweit nicht vorhanden.
Hinzu kommt ferner, daß der Kläger, obwohl er mit Schriftsatz vom 28. November 1967 selbst bei dem
Versorgungsamt F. um Umschulung gebeten hat, die darauf angebotenen Maßnahmen nicht wahrgenommen hat. Der
Landeswohlfahrtsverband Hessen mußte deshalb am 7. Juli 1969 mitteilen, eine ganze Anzahl von Schreiben an den
Kläger seien unbeantwortet geblieben, so daß von mangelndem Interesse auszugehen sei. Hiernach ist § 30 Abs. 6
BVG berührt, wonach Berufsschadensausgleich nur dann zu gewähren ist, wenn mögliche und zumutbare arbeits- und
berufsfördernde Maßnahmen aus vom Beschädigten nicht zu vertretenden Gründen erfolglos geblieben sind.
Vorliegend waren diese Maßnahmen jedoch sowohl objektiv möglich als auch insbesondere subjektiv zumutbar. Da
der Kläger selbst zu vertreten hat, daß sie nicht zum Erfolg führten, entfällt auch aus diesem Grunde die Gewährung
der beanspruchten Leistungen aus § 30 Abs. 3 und 4 BVG.
Bezüglich der beantragten Eingruppierung in die Besoldungsgruppe A 9 BBesG sei nur der Vollständigkeit halber
nachgetragen, daß sie auf keinen Fall in Betracht gekommen wäre. Denn sie steht nur selbständig Tätigen mit
Volksschulbildung, abgeschlossener Berufsausbildung und mit abgelegter Meisterprüfung zu. Der Kläger hat nach
dem Kriege ab 1952, von welchem Zeitpunkt an die Landwirtschaftsmeisterprüfung in Hessen eingeführt worden ist,
aber keine Anstalten getroffen, sich um diesen Qualifikationsgrad zu bemühen. Das wäre jedoch sowohl möglich als
auch zumutbar gewesen, auch und gerade in Ansehung seiner anerkannten Schädigungsfolgen. Denn er hätte als
Meister durch Heranziehung von landwirtschaftlichen Lehrlingen seinen behaupteten Machteil in bezug auf einen
schädigungsbedingten Zwang zur Beschäftigung fremder Arbeitskräfte ausgleichen können. Stattdessen hat er noch
nicht einmal einen Versuch gemacht, sich um die Voraussetzungen zum Erwerb der Meisterqualifikation zu kümmern.
Deshalb ist der sichere Rückschluß aus § 30 Abs. 4 Satz 1 BVG in Verbindung mit § 2 der einschlägigen
Durchführungsverordnungen zu dieser Vorschrift auf mangelnden Ausbildungswillen gerechtfertigt. Aus diesem
Grunde ist auch nicht mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß der Kläger als Ungeschädigter die Prüfung in den
fünfziger Jahren abgelegt haben würde.
Nach alledem war, wie geschehen, zu entscheiden.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.