Urteil des LSG Hessen vom 28.03.2003

LSG Hes: berufliche tätigkeit, psychiatrisches gutachten, anerkennung, belastung, gutachter, bandscheibenvorfall, befund, wahrscheinlichkeit, entstehung, berufskrankheit

Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 28.03.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Darmstadt S 3 U 1227/99
Hessisches Landessozialgericht L 11 U 363/01
Bundessozialgericht B 2 U 34/03 R
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 13. Februar 2001 wird
zurückgewiesen.
II. Die Beteiligen haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Anerkennung einer Erkrankung der Lendenwirbelsäule (LWS) als Berufskrankheit
(BK).
Der im Jahre 1943 geborene Kläger war nach Tätigkeiten als Schreiner zwischen 1971 und 1976 Pflegepraktikant,
Schüler der Krankenpflegehilfe, Krankenpflegehelfer und Schüler der Krankenpflegeschule. Seitdem war er als
Krankenpfleger im Psychiatrischen Krankenhaus R. beschäftigt.
Am 19. Juli 1993 erstatteten die Dres. B. und E., L., eine ärztliche Anzeige über eine BK des Klägers, der an Rücken-
und Kreuzschmerzen leide. Es bestünden osteochondrotische Veränderungen der Wirbelsäule sowie ein
Bandscheibenvorfall L 4/5 rechts. Mit der Beiziehung ärztlicher Unterlagen sowie der Anforderung einer Stellungnahme
ihrer Präventionsabteilung leitete die Beklagte das Feststellungsverfahren ein. In ihrer Stellungnahme vom 30. August
1995 bejahte die Präventionsabteilung für die Zeit von 1976 bis 1991 das Vorliegen der arbeitstechnischen
Voraussetzungen für die Anerkennung als BK nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV). Für
die Zeit ab Juni 1991, in der der Kläger auf der Suchtstation des Krankenhauses arbeitete, wurden diese
Voraussetzungen verneint.
In einem von der Beklagten eingeholten Gutachten vom 10. November 1995 gelangte Dr. N.,
Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik F., zu dem Ergebnis, dass durch eine 1994 durchgeführte
Versteifungsoperation eine evtl. vorher bestehende bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS behoben worden sei.
Der beratende Arzt der Beklagten Dr. H. führte auf Anfrage aus, dass unabhängig von der Frage der Entstehung nach
dem Befund vom 10. November 1995 eine rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) nicht gegeben
sei. Demgegenüber empfahl der Landesgewerbearzt im Hessischen Ministerium für Frauen, Arbeit und Sozialordnung
in seiner Stellungnahme vom 12. Juli 1996 die Einholung eines weiteren Gutachtens.
In dem daraufhin von der Beklagten eingeholten Zusammenhangsgutachten nach Aktenlage vom 1. Oktober 1996
stellte Prof. Dr. W., Berufsgenossenschaftliches Unfallkrankenhaus H., als bandscheibenbedingte Erkrankung der
Wirbelsäule eine massive Bandscheibendegeneration und Verschmälerung mit knöcherner Überbauung im Segment L
5/S 1, eine stabile Spondylodese L 4/5 nach Bandscheibenvorfall sowie eine diskrete Bandscheibenprotrusion L 2/3
fest. Die daraus resultierende Gesamt-MdE schätzte der Gutachter auf 20 v.H. Da seiner Meinung nach der
Bandscheibenschaden im Segment L 5/S 1 jedoch eindeutig als berufsunabhängig einzustufen sei, und nur eine
abgrenzbare dauernde Verschlimmerung für das Segment L 4/5 bestehe, werde die MdE für den berufsbedingten
Anteil der bandscheibenbedingten Erkrankung auf 10 v.H. geschätzt.
Auf Anregung des Prof. Dr. W., der eine neurologische Zusatzbegutachtung empfahl, holte die Beklagte ein
neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. F., W., ein. Nach dem Gutachten vom 16. Dezember 1996 fanden
sich geringfügige Schädigungszeichen der L 5-Wurzel; die MdE auf neurologischem Gebiet schätzte Dr. F. auf 15
v.H., die sich allein auf das Segment L 5 bezöge. In der von der Beklagten bei Prof. Dr. W. eingeholten
abschließenden Stellungnahme vom 8. April 1997 wurde die MdE auf insgesamt 20 v.H. ab 1. September 1994
geschätzt.
Mit seiner Stellungnahme vom 12. Juni 1997 empfahl der Landesgewerbearzt die Anerkennung einer BK Nr. 2108 mit
einer MdE von 20 v.H. Die Beklagte holte indes ein weiteres Gutachten nach Aktenlage ein, das von Prof. Dr. Wx.,
F., unter dem 15. Januar 1998 erstattet wurde. Der Gutachter stellte anhand der gefertigten Röntgenaufnahmen fest,
dass bei dem Kläger sowohl an der Hals- als auch an der Lendenwirbelsäule degenerative Veränderungen vorhanden
seien. Nach Beiziehung der in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik F. gefertigten Röntgenaufnahmen gelangte
Prof. Dr. Wx. in der ergänzenden Stellungnahme vom 23. März 1998 zu der Beurteilung, dass die Halswirbelsäule
(HWS) auf den Wirbelsäulenganzaufnahmen nur eingeschränkt beurteilbar sei, was technische Gründe habe.
Erkennbar sei aber, dass auch an diesem Wirbelsäulenabschnitt spondylotische Veränderungen vorhanden und dass
die Bandscheibenräume der unteren HWS deutlich höhengemindert seien mit Hypersklerose der Abschlussplatten.
Diese Röntgenaufnahmen ließen den Rückschluss zu, dass sowohl an der Hals- als auch an der Lendenwirbelsäule
des Klägers Verschleißerscheinungen im Sinne einer Chondrose und Spondylose entstanden seien. Das Auftreten
gleichartig degenerativer Veränderungen an der Hals- und Lendenwirbelsäule schließe das Vorliegen der BK Nr. 2108
aus. Hätten nämlich bei der Entwicklung der Veränderungen äußere mechanische Einwirkungen eine wesentliche
Rolle gespielt, müssten die Veränderungen ausschließlich an der LWS, also dem belasteten Wirbelsäulenabschnitt
entstanden sein oder hier zumindest eine stärkere Ausprägung als an der HWS erfahren haben. Die HWS könne
nämlich durch Arbeiten in extremer Rumpfbeugegehaltung oder durch das schwere Heben und Tragen von Lasten
nicht beeinflusst werden. Es müsse davon ausgegangen werden, dass sich die Verschleißerscheinungen an der
Wirbelsäule im Wesentlichen aus inneren Ursachen als systemische Erkrankungen der gesamten Wirbelsäule
altersabhängig entwickelt hätten. Zusammenfassend sei festzustellen, dass aufgrund des Verteilungsmusters der
sog. degenerativen Veränderungen an der HWS und der zeitlichen Gegebenheiten - die 10-Jahres-Frist sei nicht erfüllt
- im Falle des Klägers nicht davon auszugehen sei, dass bei ihm eine BK im Sinne der Nr. 2108 bestehe.
Vor Erteilung eines förmlichen Bescheides teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass seine Erkrankung als BK
abgelehnt werde. Nachdem der Kläger dagegen Einwände erhoben hatte, holte die Beklagte noch die gutachterliche
Stellungnahme des Arztes für Orthopädie Dr. K. vom 5. Oktober 1998 ein. Darin führte dieser aus, dem für den Kläger
positiven Gutachten des Prof. Dr. W. könne nicht zugestimmt werden, da darin die relative Überlastung des Segments
L 4/5 und die anlagebedingte Bandscheibeninsuffizienz mit Beteiligung der HWS und Brustwirbelsäule (BWS) nicht
berücksichtigt worden seien.
Daraufhin lehnte die Beklagte durch förmlichen Bescheid vom 6. November 1998 die Anerkennung und Entschädigung
einer BK nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV ab. Der hiergegen vom Kläger am 8. Dezember 1998 erhobene
Widerspruch blieb ohne Erfolg. Nach Einholung einer erneuten Stellungnahme des Dr. K. vom 3. Februar 1999, der
darauf hinwies, dass für die Nichtanerkennung auf medizinischem Gebiet der gleichmäßige Befall aller
Wirbelsäulenabschnitte entscheidend gewesen sei, wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid
vom 9. Juli 1999 zurück.
Dagegen hat der Kläger am 26. Juli 1999 Klage erhoben. Das Sozialgericht Darmstadt (SG) hat von Amts wegen das
Gutachten des Direktors des Instituts für Strahlendiagnostik und Nuklearmedizin des Klinikums D., Privat-Dozent Dr.
H., vom 29. Mai 2000 eingeholt. Der Sachverständige führte darin aus, es sei zweifelsfrei, dass die degenerativen
Veränderungen an LWK 5/S 1 mit Abstand am fortgeschrittensten seien. Dagegen würden sich die jetzt noch
ablesbaren degenerativen Veränderungen an den übrigen Lendenwirbelkörpern nicht in einem Maße von den
degenerativen Veränderungen der HWS und BWS unterscheiden, dass hier von einem überproportional stark
ausgeprägten degenerativen Befundmuster gesprochen werden könne. Insgesamt sprächen die Röntgenbefunde für
einen multisegmentalen degenerativen Erkrankungsprozess an der gesamten Wirbelsäule. Überproportionale
degenerative Veränderungen an der LWS bestünden, abgesehen von LWK 5/S 1, nicht.
Durch Urteil vom 13. Februar 2001 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger erfülle zwar die arbeitstechnischen
Voraussetzungen einer langjährigen, die LWS belastenden Hebe- und Tragetätigkeit, die Beklagte habe jedoch die
Anerkennung einer BK aus medizinischen Gründen zu Recht abgelehnt. Es genüge nicht, wie Prof. Dr. W. und auch
der Landesgewerbearzt meinten, dass eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS ärztlicherseits festgestellt
worden sei. Vielmehr müsse darüber hinaus ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der beruflichen Belastung und
der bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS wahrscheinlich sein. Daran fehle es vorliegend. Im Falle des Klägers
lägen weder das altersdurchschnittlich zu erwartende Ausmaß überschreitende Bandscheibenveränderungen vor, noch
ein Schadensbild, dessen Art und Lokalisation belastungskonform sei. Bei Beurteilung der Röntgenbilder seien die
Gutachter Prof. Dr. Wx. und Dr. K. zu dem Ergebnis gekommen, dass nicht nur an der LWS, sondern auch an der
HWS Verschleißerscheinungen im Sinne einer Chondrose und Spondylose in etwa gleichem Ausmaß entstanden
seien. Dieser Befund spreche gegen das Vorliegen einer beruflichen Verursachung des Schadens. Die
Beweisaufnahme habe die Annahme der Beklagten und der von ihr gehörten Gutachter Wx. und K. bestätigt. Der
Sachverständige habe stärkere krankhafte Veränderungen lediglich im Segment LWS 5/S 1 festgestellt. Gerade
dieser Schaden könne aber ursächlich nicht auf die berufliche Belastung zurückgeführt werden, wie auch Prof. Dr. W.
in seinem Gutachten ausführe: Schon die ältesten, dem Gutachter vorliegenden Aufnahmen von 1981 hätten 4 Jahre
nach Aufnahme der belastenden Tätigkeiten eine massive Bandscheibenverschmälerung L 5/S 1 mit reaktiver
Osteochondrose und Spondylosis deformans gezeigt. Prof. Dr. W. habe dementsprechend die bandscheibenbedingte
Erkrankung dieses Segments eindeutig als berufsunabhängig eingestuft.
Gegen dieses ihm am 13. März 2001 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit seiner am 30. März 2001
eingegangenen Berufung. Dem Sachverständigen Dr. H. könne, so hat er im Wesentlichen ausgeführt, nicht gefolgt
werden, da dieser nicht mit der hinreichend erforderlichen Genauigkeit festgestellt habe, ob die
Bandscheibenveränderungen das altersdurchschnittlich zu erwartende Maß überschreiten. Er habe festgestellt, dass
in der BWS Veränderungen vorhanden seien, welche das altersphysiologische Maß "moderat" überschreiten würden.
In der HWS bestünden danach in Höhe HWK 5 - 7 deutliche degenerative Veränderungen, welche das
altersphysiologische Maß "deutlich überschreiten" würden. Die Veränderungen an LWK 3 würden nach Ansicht des
Gutachters ebenfalls "deutlich das altersphysiologische Maß" überschreiten. Dann jedoch komme Dr. H. zu dem nicht
näher begründeten Ergebnis, dass hier von einem überproportional stark ausgeprägten degenerativen Befundmuster
gesprochen werden müsse. Er lasse offen, ob dieses Ergebnis auch auf die LWK 4/5 zugetroffen habe, sei jedoch der
Ansicht, dass mit "einiger Wahrscheinlichkeit" aus den Beschreibungen hervorgehe, dass sich die diesbezüglichen
degenerativen Veränderungen nicht wesentlich von denen der HWS und BWS unterschieden hätten.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 13. Februar 2001 aufzuheben und die Beklagte
unter Aufhebung des Bescheides vom 6. November 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juli
1999 zu verurteilen, bei ihm eine Berufskrankheit der Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung
anzuerkennen und eine Verletztenrente in Höhe von 20 v.H. der Vollrente zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie führt aus, nicht nur Dr. H. sei in seinem Gutachten vom 29. Mai 2000 zu dem Ergebnis gekommen, dass bei dem
Kläger ein multisegmentaler degenerativer Erkrankungsprozess an der gesamten Wirbelsäule mit Manifestation an der
unteren HWS, am thorakulumbalen Übergang sowie am lumbosakralen Übergang vorliege, auch Prof. Dr. Wx. und Dr.
K. hätten festgestellt, dass sich Verschleißerscheinungen im Sinne einer Chondrose und Spondylose in etwa
gleichem Ausmaß an der LWS und an der HWS ausgebildet hätten. Nach der Rechtsprechung der
Landessozialgerichte (insbesondere Landessozialgericht - LSG-Baden-Württemberg vom 13. August 1997 - L 2 U
3062/96) sprächen gleichartig ausgeprägte Verschleißerscheinungen im Bereich der HWS und/oder der BWS im
Vergleich zur beruflich belasteten LWS gegen das Vorliegen einer BK. Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung
eines Sachverständigengutachtens von Dr. Fx., Oberarzt der Orthopädischen Universitäts-Klinik G ... Der
Sachverständige gelangt in seinem Gutachten vom 23. November 2002 zu der Beurteilung, dass die beim Kläger
bestehenden Erkrankungen der Wirbelsäule wahrscheinlich nicht durch dessen berufliche Tätigkeit als Krankenpfleger
in der Zeit von 1971 bis 1991 verursacht worden seien.
Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten auf den Inhalt der Akten der Beklagten und der Gerichtsakte, der
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten bestehen zu Recht. Der Kläger hat keinen
Anspruch auf Anerkennung seiner Wirbelsäulenbeschwerden als BK; dementsprechend kommt auch eine
Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung nicht in Betracht.
Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch richtet sich noch nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung
(RVO), da die von ihm als BK geltend gemachte Schädigung vor dem Inkrafttreten des Siebten Buches
Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 1. Januar 1997 eingetreten ist (Artikel 36 des Unfallversicherungs-
Einordnungsgesetzes, §§ 212, 214 Abs. 3 SGB VII). Berufskrankheiten sind nach § 551 Abs. 1 Satz 2 RVO
diejenigen Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates
bezeichnet und die ein Versicherter bei einer versicherten Tätigkeit erleidet. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der
Rechtsverordnung solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft
durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich
höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 551 Abs. 1 Satz 3 RVO). Bandscheibenbedingte
Erkrankungen der Lendenwirbelsäule wurden mit der Zweiten Verordnung zur Änderung der BKV unter der Ziffer 2108
in die Berufskrankheiten-Liste aufgenommen. Danach sind Berufskrankheiten auch bandscheibenbedingte
Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige
Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugung, soweit die jeweilige Erkrankung zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen
hat, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein
können.
Die Feststellung einer BK setzt voraus, dass die versicherte Tätigkeit, die schädigenden Einwirkungen sowie die
Erkrankung, wegen der Entschädigungsleistungen beansprucht werden, im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen
sind. Es muss ein so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit vorliegen, dass alle Umstände des Einzelfalles nach
vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet
sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon zu begründen (BSGE 45, 285, 287; 61, 127, 128). Dies ist zwar
hinsichtlich der sog. "arbeitstechnischen Voraussetzungen" (langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten) auch
nach Auffassung der Beklagten der Fall. Jedoch liegen die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung der
Wirbelsäulenbeschwerden des Klägers als BK nicht vor.
Zwar lässt sich beim Kläger eine bandscheibenbedingte Erkrankung (zum Begriff: Merkblatt für die Ärztliche
Untersuchung zur Berufskrankheiten-Nummer 2108 - veröffentlicht in: Bundesarbeitsblatt 1993, S. 50 ff.) der
Lendenwirbelsäule feststellen. Indes kann nicht davon ausgegangen werden, dass auch der notwendige
Kausalzusammenhang zwischen den früheren Berufstätigkeiten des Klägers und seiner Erkrankung besteht, auch
wenn für die Annahme des ursächlichen Zusammenhanges dessen Wahrscheinlichkeit genügt.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Bejahung des langjährigen Hebens und Tragens schwerer Lasten keinen
Anscheinsbeweis in dem Sinne rechtfertigt, dass damit auch von einem wahrscheinlichen ursächlichen
Zusammenhang der Erkrankung mit der beruflichen Belastung im Rahmen der medizinischen
Zusammenhangsbeurteilung auszugehen ist (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 18. November 1997 - 2
RU 48/96; Urteil des Landessozialgerichts - LSG - Niedersachsen vom 6. April 2000 - L 6 U 193/99 ZVW; Urteile des
Hessischen Landessozialgerichts - HLSG - vom 27. November 2000 - L 3 U 823/97 - sowie vom 24. Oktober 2001- L
3 U 408/98). Da die Pathogenese bandscheibenbedingter Lendenwirbelsäulenerkrankungen vielgestaltig und der
berufliche Einfluss nur einer unter vielen denkbaren anderen Kausalfaktoren ist, bedarf es stets einer individuellen
Abwägung im Einzelfall. Bei sachgemäßer Abwägung aller für und gegen den Zusammenhang sprechenden Umstände
müssen nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung die für den Zusammenhang
sprechenden Erwägungen so stark überwiegen, dass die dagegen sprechenden billigerweise für die Bildung und
Rechtfertigung der richterlichen Überzeugung außer Betracht bleiben können (BSG in SozR Nr. 20 zu § 542 RVO a.
F.; Urteil des erkennenden Senats vom 25. Februar 2002 - L 11/3 U 1335/00). Der ursächliche Zusammenhang ist
nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (BSGE 16, 58, 59; Urteil des
erkennenden Senats vom 25. Februar 2002 - L 11/3 U 1335/00), und eine berufliche Verursachung ist auch nicht
schon dann anzunehmen, wenn anlagebedingte bzw. außerberufliche Ursachen nicht sicher identifiziert werden.
Vielmehr ist der ursächliche Zusammenhang mit beruflichen Belastungseinwirkungen anhand zusätzlicher Merkmale
positiv festzustellen und zu begründen (Urteile des 3. Senats des HLSG vom 13. Februar 2002 - L 3 U 290/00 - und
vom 28. August 2002 - L 3 U 832/96; Urteile des LSG Niedersachsen vom 29. Juli 1997 - L 3 U 331/96 - und vom 27.
September 2001 - L 6 U 358/00). Schon daran fehlt es bei dem Gutachten des Prof. Dr. W. sowie der Stellungnahme
des Landesgewerbearztes, so dass der Senat deren Ergebnisse sich nicht zu eigen machen konnte.
Die wesentlichen für die Beurteilung des Ursachenzusammenhanges maßgeblichen Kriterien sind: Das Krankheitsbild,
insbesondere in Form eines die Altersnorm überschreitenden Wirbelsäulenbefundes einerseits und eines
belastungskonformen Schadensbildes andererseits, das Bestehen einer konstitutionellen Veranlagung bzw.
weitergehender konkurrierender Erkrankungen sowie die Eignung der belastenden Einwirkung zur Verursachung der
Krankheit, biomechanische Begleitumstände wie Körperhaltung und zur Verfügung stehende Hilfsmittel, individuelle
Konstitution und zeitliche Korrelation zwischen Erkrankungsverlauf und beruflichen Überlastungen (Urteil des 3.
Senats des HLSG vom 30. Oktober 2002 - L 3 U 840/97; vgl. auch Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheiten-
Verordnung, Anmerkung 7 zu M 2108; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Auflage,
S. 535 bis 539; Becker, SGb 2000, 116, 121). Ein als belastungskonform zu bezeichnendes Schadensbild lässt nach
älteren und neueren epidemiologischen Untersuchungen ein dem Lebensalter vorauseilendes Auftreten
osteochondrotischer und spondylotischer Reaktionen am Achsenorgan bei körperlich überdurchschnittlich belasteten
Personen erwarten mit einem von oben nach unten eher zunehmenden Schadensbild. Dabei tritt eine vorzeitige
Osteochondrose bevorzugt in den unteren Segmenten der Lendenwirbelsäule und eine vorzeitige Spondylose in den
oberen Segmenten unter eventueller Einbeziehung der unteren Etagen der Brustwirbelsäule auf (ständige
Rechtsprechung des 3. Senats des HLSG - siehe etwa Urteil vom 30. Oktober 2002 - L 3 U 840/97 mit weiteren
Nachweisen). Die Feststellung einer wesentlich beruflich verursachten Schädigung der Lendenwirbelsäule ist nur dann
möglich, wenn Lokalisation und zu erwartende Überbelastungswirkungen korrespondieren. Liegen hingegen an der
gesamten Wirbelsäule gleichmäßig verteilte degenerative Veränderungen vor, so spricht dies gegen einen
ursächlichen Zusammenhang zwischen schädigenden Einwirkungen und einer vorhandenen Gesundheitsstörung.
Nach diesen Grundsätzen kann im Falle des Klägers eine wesentlich beruflich verursachte Schädigung der
Lendenwirbelsäule nicht festgestellt werden. Dabei stützt sich der erkennende Senat auf das orthopädische Gutachten
des Sachverständigen Dr. Fx. vom 23. November 2002.
Nach den Feststellungen des vom Senat beauftragten Sachverständigen leidet der Kläger zwar an einer - mittlerweile
mehrsegmentalen - degenerativen Lendenbandscheibenerkrankung, die am Abschnitt L 4/L 5 (mit einem vormaligen
Bandscheibenvorfall) und L 5/S 1 (mit einer hochgradigen Osteochondrose) das Altersnormale des natürlichen
Bandscheibenaufbrauchs auch vorzeitig überschritten hat, ohne dass hierfür definierte "konkurrierende" Ursachen in
Gestalt einer lokalen Wirbelsäulenentzündung, einer Wirbelsäulenverletzung, einer Wirbelsäulenfehlbildung oder einer
Wirbelsäulengefügestörung (Spondylolistesis) als Ausschlusskriterien einer BK angeführt werden können.
Degenerative Lendenbandscheibenerkrankungen sind jedoch auch ohne die seltenen konkurrierenden Ursachen als
Folge einer prädisponierenden inneren Anlage in der Allgemeinbevölkerung soweit verbreitet, dass als weiteres
positives Kriterium für die Anerkennung einer BK Nr. 2108 in der gutachterlichen Praxis eine Konformität des
konkreten Krankheitsbildes mit dem beruflichen topografischen und zeitlichen Belastungsprofil der LWS gefordert
wird. Nach diesen Kriterien ist das Schadensbild beim Kläger für eine berufliche Tätigkeit als Krankenpfleger zwar in
topografischer Hinsicht belastungskonform, da gerade für diese Tätigkeit bandscheibenbedingte Erkrankungen in 88,3
% der Fälle auch primär monosegmental oder bisegmental auftreten. Auch ein gleich- oder überwertiges
Degenerationsbetroffensein anderer Wirbelsäulenabschnitte kann im Erkrankungsfalle des Klägers nicht gegen das
Bestehen einer BK der Lendenbandscheiben anführt werden, da der röntgenmorphologische Befund an dessen HWS
deutlich geringer ausgeprägt ist als die degenerativen Lendenbandscheibenfachveränderungen.
Es fehlt bei dem Kläger jedoch an der zeitlichen Belastungskonformität des Schadensbildes, also an einem
wenigstens 10jährigen Intervall zwischen dem Beginn der beruflichen Belastung und dem Auftreten der klinischen und
röntgenologischen Bandscheibenschadensymptomatik. In klinischer Hinsicht ist beim Kläger eine erste - 10tägige -
lendenwirbelsäulenkrankheitsverursachte Arbeitsunfähigkeit bereits für das Jahr 1968 dokumentiert; den Beginn von
subjektiven Beschwerden im Lendenbereich hatte der Kläger auf einem Fragebogen der Beklagten im Jahre 1993 für
1977 angegeben. Die ersten LWS-Röntgenaufnahmen des Jahres 1981 zeigen eine weit fortgeschrittene
Segmentdegeneration bei L 5/S 1, die für ihre Entstehung sicherlich bereits eine Reihe von Jahren benötigte, darüber
hinaus aber auch bei L 4/L 5 erste diskrete degenerative Instabilitätszeichen. Obwohl dann die berufliche Belastung
des Klägers im Jahre 1991 endete, setzten sich die Bandscheibendegenerationen an der LWS dennoch kontinuierlich
weiter fort und betreffen mittlerweile auch bereits die anfänglich nicht schadensbetroffenen drei oberen
Lumbalsegmente. Auch der zeitliche Verlauf nach dem Ende der beruflichen Belastung weist damit ebenso wie das
frühzeitige Auftreten der Bandscheibenschäden der unteren LWS darauf hin, dass berufsbelastungsunabhängige
endogene Langzeitfaktoren das Krankheitsgeschehen maßgeblich bestimmt haben. Nach Abwägung des Für und
Wider - und für den Senat überzeugend - gelangt der Sachverständige zu dem Schluss, dass mehr für eine
degenerative Lendenbandscheibenerkrankung aus innerer, schicksalhafter Ursache heraus spricht als für eine sich an
der beruflichen Belastung des Klägers anlehnende Krankheitsgeschichte. Es gibt keine überzeugenden Gründe für die
Annahme, dass der Bandscheibenvorfall bei L 4/L 5 im Jahre 1990 und die aktuell zunehmenden
Bandscheibendegenerationen noch höher an der LWS eine andere Ursache haben, als die bereits im Röntgenbild des
Jahres 1981 voll ausgebildete degenerativ-chronische Bandscheibenzermürbung am Ausgangspunkt der Erkrankung
bei L 5/S 1.
Die Einwände des Klägers gegen das Gutachten des Dr. Fx. überzeugen nicht. Auch wenn man unterstellt, dass der
Kläger belastende Tätigkeiten bereits 1971 ausübte, ändert das nichts an der fehlenden zeitlichen
Belastungskonformität. Es steht - wie bereits betont - außer Frage, dass für das Jahr 1968 im Krankheitsverzeichnis
des Krankenversicherungsträgers eine 10tägige Arbeitsunfähigkeit wegen eines Lumbalsyndroms dokumentiert ist und
der Kläger den Beginn seiner Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule mit 1977 angegeben hat. Das Erfordernis des
10-Jahresintervalls ist damit nicht erfüllt.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG), diejenige über die Zulassung der
Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.