Urteil des LSG Hessen vom 04.09.2001

LSG Hes: soziale sicherheit, rente, avg, amerika, beitragszeit, sozialversicherungsabkommen, abgeltung, zahl, terminologie, vertragsstaat

Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 04.09.2001 (rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 13/10 RA 910/98
Hessisches Landessozialgericht L 12 RA 310/00
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 18. November 1999
aufgehoben und die Klage abgewiesen, soweit sie über das Teilanerkenntnis vom 30. Januar 2001 hinausgeht.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig die Bewertung amerikanischer Versicherungszeiten.
Auf seinen Antrag vom 14. Oktober 1994 gewährte die Beklagte dem Kläger Altersruhegeld wegen Vollendung des 65.
Lebensjahres ab 1. Mai 1995 (Bescheid vom 30. Dezember 1994). Hiergegen erhob der Kläger am 10. Januar 1995
Widerspruch und bemängelte, dass die amerikanischen Versicherungszeiten nicht berücksichtigt worden seien. Mit
Neufeststellungsbescheid vom 29. Dezember 1995 wurde die Rente neu berechnet. Dabei legte die Beklagte für die
ausländischen Zeiten einen Durchschnittswert von 0,1005 an Entgeltpunkten zugrunde. Sie wies darauf hin, dass die
Rente unter Berücksichtigung des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten
Staaten von Amerika über soziale Sicherheit vom 7. Januar 1976 festzustellen gewesen sei. Hiergegen erhob der
Kläger am 9. Februar 1996 Widerspruch und machte geltend, dass für die Bewertung nur die deutschen
Beitragszeiten, also ohne Anrechnungszeiten, zugrunde zu legen seien. Dies ergebe Entgeltpunkte in Höhe von
0,1447. Mit diesem Durchschnittswert seien auch die sechs Monate amerikanische Versicherungszeit zu bewerten.
Mit Bescheid vom 3. April 1996 wurde die Rente neu berechnet und im Übrigen mit Widerspruchsbescheid vom 11.
Februar 1998 der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Hierin wurde u. a. ausgeführt, dass für die Abgeltung der
amerikanischen Versicherungszeiten nach der innerstaatlichen Berechnung ein Durchschnittswert an Entgeltpunkten
zu bilden sei. Dieser Durchschnittswert werde aus allen rentenrechtlichen Zeiten (Beitrags- und beitragslose Zeiten)
berechnet. Mit diesem errechneten Durchschnittswert würden die ausländischen Versicherungszeiten abgegolten.
Hiergegen hat der Kläger am 11. März 1998 bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main Klage erhoben. Mit Urteil vom
18. November 1999 hat das Sozialgericht Frankfurt am Main der Klage stattgegeben. In den Entscheidungsgründen
hat es ausgeführt: Die Beklagte sei verpflichtet, für die ausländischen Zeiten des Klägers 0,1447 Entgeltpunkte je
Monat bei der Rentenberechnung zugrunde zu legen. Nach den Artikeln 7 und 8 des Deutsch-Amerikanischen
Sozialversicherungsabkommens erhöhten die abzugeltenden Versicherungszeiten lediglich die Zahl der nach den
deutschen Rechtsvorschriften anrechnungsfähigen Versicherungsjahre. Für die Rentenbemessungsgrundlage würden
nur die nach den deutschen Rechtsvorschriften zu berücksichtigenden Versicherungszeiten herangezogen. Art. 1 Nr.
7 definiere die Versicherungszeit. Es sei danach auf die Terminologie der bundesdeutschen Rechtsvorschriften
zurückzugreifen, die zur Zeit des Inkrafttretens des Abkommens Geltung gehabt hätte. Nach § 27
Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) seien Versicherungszeiten jedoch nur Beitragszeiten und Ersatzzeiten
gewesen. Folglich müsse für die Höhe der Bewertung der ausländischen Zeiten trotz des inzwischen inkraftgetretenen
SGB VI auf das früher bei Inkrafttreten des Abkommens geltende Recht zurückgegriffen werden. Im Falle des Klägers
seien daher nur dessen Beitragszeiten zu berücksichtigen. Der monatliche Durchschnittswert dieser Zeiten betrage
0,1447 Entgeltpunkte und sei somit auch maßgeblich für die Höhe der abzugeltenden US-amerikanischen Zeiten.
Gegen dieses der Beklagten gegen Empfangsbekenntnis am 14. Februar 2000 zugestellte Urteil hat sie am 7. März
2000 bei dem Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt. Sie ist der Auffassung, dass bei der Bewertung der
ausländischen Zeiten der Durchschnittswert aller bundesdeutschen Zeiten zugrunde zu legen ist und
Anrechnungszeiten nicht außer Betracht bleiben dürften. Es sei zwar zutreffend, dass die Bewertung beitragsfreier
Zeiten durch das SGB VI (Gesamtleistungsbewertung) verschlechtert worden sei, wodurch der Durchschnittswert an
Entgeltpunkten aus sämtlichen deutschen Versicherungszeiten gemindert werde. Dies ändere aber nichts daran, dass
der Begriff der Versicherungszeiten im Sozialversicherungsabkommen sowohl Beitragszeiten als auch sonstige Zeiten
(beitragsfreie Zeiten) erfasse, die sich im Rahmen der jeweiligen Rentenrechnung auswirken könnten.
Mit Schriftsatz vom 30. Januar 2001 hat die Beklagte ein Teilanerkenntnis abgegeben, da bei der Bildung des
Durchschnittswertes für die Bewertung der amerikanischen Versicherungszeiten auch die Berücksichtigungszeiten
wegen Kindererziehung einzubeziehen seien. Dies ergebe Entgeltpunkte in Höhe von 0,1246.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 18. November 1999 aufzuheben und die
Klage abzuweisen, soweit sie über das Teilanerkenntnis vom 30. Januar 2001 hinausgeht.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Akteninhalt Bezug genommen sowie auf den der
Akten der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, denn sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt sowie an sich statthaft (§§ 143,
151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Sie ist auch sachlich begründet.
Das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 18. November 1999 kann keinen Bestand haben, soweit es über
das Teilanerkenntnis der Beklagten vom 30. Januar 2001 hinausgeht. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine
Bewertung der US-amerikanischen Versicherungszeiten mit Entgeltpunkten in Höhe von 0,1447. Auf Grund des
Teilanerkenntnisses der Beklagten sind lediglich 0,1246 Entgeltpunkte zugrunde zu legen.
Nach Art. 7 Abs. 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von
Amerika über soziale Sicherheit vom 7. Januar 1976 (DASVA - in der Fassung der Vereinbarung zur Durchführung des
Abkommens vom 7. Januar 1976 vom 21. Januar 1978 sowie der Fassung der Zusatzvereinbarung vom 2. Oktober
1986 und der 2. Zusatzvereinbarung vom 6. März 1995 - BGBl. II 1976, S. 1358, 1979, S. 567, 1988, S. 86, 1996, S.
306) ergibt sich aus diesem Abkommen kein Anspruch auf Rente nach Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates,
wenn nach diesen Rechtsvorschriften nicht eine Mindestversicherungszeit zurückgelegt wurde und auf Grund der
zurückgelegten Versicherungszeit allein kein Anspruch auf Rente besteht. Bei Anwendung der deutschen
Rechtsvorschriften beträgt die Mindestversicherungszeit 18 Monate, bei Anwendung der amerikanischen
Rechtsvorschriften 6 Vierteljahre.
Nach Art. 8 Nr. 2 erhöhen die nach den amerikanischen Rechtsvorschriften zurückgelegten Versicherungszeiten, die
nach Art. 7 Abs. 3 vom zuständigen Träger bei der Berechnung von der ihm zu gewährenden Rente zu
berücksichtigen sind, lediglich die Zahl der nach den deutschen Rechtsvorschriften anrechnungsfähigen
Versicherungsjahre.
Nach Art. 8 Nr. 3 werden für die Rentenbemessungsgrundlage nur die nach den deutschen Rechtsvorschriften zu
berücksichtigenden Versicherungszeiten herangezogen.
Art. 1 Nr. 7 definiert Versicherungszeit "als eine Beitragszeit oder eine Zeit, in der Einkommen aus einer
Beschäftigung erzielt wurde, wenn sie nach den Rechtsvorschriften, nach denen sie zurückgelegt wurde, eine
Versicherungszeit ist oder als solche gilt, oder eine ähnliche Zeit, soweit sie nach diesen Rechtsvorschriften einer
Versicherungszeit gleichsteht."
Aus dieser Definition der Versicherungszeit folgert das Sozialgericht, dass auf die Terminologie der bundesdeutschen
Rechtsvorschriften zurückzugreifen sei, wie sie zur Zeit des Inkrafttretens des Abkommens Geltung hatten. Im
Rahmen des damals geltenden AVG seien dies nach § 27 AVG lediglich Beitragszeiten und Ersatzzeiten gewesen.
Dies habe zur Folge, dass für die Höhe der Bewertung der ausländischen Zeiten auch nur diese Zeiten zu
berücksichtigen seien bei der Berechnung der Entgeltpunkte. Ein Durchschnittswert unter Berücksichtigung auch von
Anrechnungszeiten (Ausfallzeiten nach altem Recht) sei nicht zulässig.
Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Er hält vielmehr die Rechtsauffassung der Beklagten für zutreffend. Aus Art. 7
Abs. 3 des DASVA i. V. m. Art. 8 Nrn. 2 und 3 folgt, dass die Rentenbemessungsgrundlage nur aus den nach den
deutschen Rechtsvorschriften zu berücksichtigenden Versicherungszeiten zu bilden ist. Dies bedeutet, dass der
Versicherte praktisch für die Abgeltung den sich aus allen nach deutschen Rechtsvorschriften zu berücksichtigenden
Zeiten ergebenden Durchschnittswert erhält (Klitscher, Sozialversicherungsabkommen zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika, in: DAng-Vers 1976, 217 ff.). Etwas anderes ergibt sich auch
nicht aus der Definition in Art. 1 Nr. 7 DASVA. Diese umfasst vielmehr neben den Beitragszeiten, Ersatzzeiten und
Zurechnungszeiten auch Ausfallzeiten (§ 36 Abs. 1 AVG). Diese Ausfallzeiten sind als eine sogenannte ähnliche Zeit
i. S. von Art. 1 Nr. 7 zu verstehen. Zwar stehen diese strenggenommen einer Beitragszeit nicht gleich. Bei
Anwendung des Abkommens ist jedoch davon auszugehen, da diese Zeiten an der Rentenberechnung ebenso
teilnehmen wie Beitragszeiten (Koch/Hartmann, Die Rentenversicherung im Sozialgesetzbuch, zwischenstaatliches
Sozialversicherungsrecht, Band II, S. B 16, B 74; vgl. auch Urteil des HLSG vom 26. Juni 2001 - L 2 RA 306/00).
Auch wenn das Abkommen ausdrücklich keine Vorschriften enthält, durch die Tatbestände und Versicherungszeiten
im anderen Vertragsstaat entsprechenden Tatbeständen und Versicherungszeiten nach innerstaatlichen
Rechtsvorschriften gleichgestellt sind, ist der Beklagten insoweit zu folgen, dass zur Auslegung auf andere über- oder
zwischenstaatliche Regelungen zurückgegriffen werden kann, die sich teilweise zum Vorteil teilweise aber auch zum
Nachteil des Versicherten auswirken (Klitscher, a. a. O., S. 228).
Es ist daher nicht zu beanstanden, dass die Beklagte einen Durchschnittswert unter Berücksichtigung auch der
Anrechnungs-/Ausfallzeiten berücksichtigt hat, nachdem diese Vorgehensweise auch unter Berücksichtigung des
früher geltenden AVG bereits zutreffend gewesen ist. Unter Einbeziehung des Teilanerkenntnisses vom 30. Januar
2001 betragen Entgeltpunkte jeweils 0,1246 für die 6 Monate amerikanischer Versicherungszeiten. Der Kläger hat
keinen weitergehenden Anspruch.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.