Urteil des LSG Hessen vom 24.01.1994

LSG Hes: eintritt des versicherungsfalles, erwerbsunfähigkeit, berufsunfähigkeit, wartezeit, arbeitsamt, arbeitsunfall, infarkt, zustand, ergänzung, rentenanspruch

Hessisches Landessozialgericht
Beschluss vom 24.01.1994 (rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 13/10 J 3034/91
Hessisches Landessozialgericht L 2 J 1073/93
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 23. September 1993 wird
zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Versichertenrente.
Die 1947 geborene Klägerin hat zwischen April 1961 und Juni 1975 als Montagearbeiterin versicherungspflichtig
gearbeitet; danach hat sie – abgesehen von zwei Kurzzeittätigkeiten im Jahr 1976 – Leistungen der Arbeitsverwaltung
bezogen. Für die Folgezeit vom 23. November 1986 bis 31. Januar 1990 enthält ihr Versicherungsverlauf eine Lücke.
Vom 1. Februar bis 20. Juli 1990 sind wieder 6 Pflichtbeiträge vorhanden; die Klägerin arbeitete in dieser Zeit als
Hausangestellte. Am 11. Juni 1990 erlitt sie einen ischämischen Capsula-interna-Infarkt. In der Zeit vom 14. August
bis 19. September 1990 und 24. September bis 9. Oktober 1990 befand sie sich in einer medizinischen
Rehabilitationsmaßnahme. Der Kurentlassungsbericht vom 2. November 1990 aus B. O. verzeichnet die Diagnosen
"Zustand nach ischämischem Infarkt an der linken Capsula interna mit spastisch armbetonter Hemiparese rechts am
11. Juni 1990 im Rahmen einer hypertonen Krise, arterielle Hypertonie und Zustand nach Colon descendens- und
Sigma-Divertikulitis”. Die Klägerin wurde arbeitsunfähig in weitere hausärztliche Betreuung entlassen. Sie lebt jetzt
von Sozialhilfe.
Am 19. April 1991 beantragte die Klägerin bei der Beklagten unter Vorlage eines Befundberichts des Arztes Dr. K.
vom 22. April 1991 die Gewährung von Versichertenrente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit. Die Beklagte
veranlaßte eine prüfärztliche Stellungnahme des Dr. H. nach Aktenlage. Dieser kam in seiner Stellungnahme vom 10.
Juni 1991 zu dem Ergebnis, die Klägerin könne Arbeiten von wirtschaftlichem Wert auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
in gewisser Regelmäßigkeit seit 11. Juni 1990 nicht mehr verrichten. Mit Bescheid vom 22. Juli 1991 lehnte die
Beklagte den Rentenantrag wegen fehlender versicherungsrechtlicher Voraussetzungen ab. Von den letzten 60
Kalendermonaten vor Eintritt des Versicherungsfalles seien nicht mindestens 36 Kalendermonate, sondern nur 22
Kalendermonate mit Beiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit belegt. Die
Erwerbsunfähigkeit sei auch nicht aufgrund einer der in § 1252 Reichsversicherungsordnung (RVO) genannten
Tatbestände (z.B. Arbeitsunfall) eingetreten. Der dagegen von der Klägerin ohne weitere Begründung am 2. August
1991 eingelegte Widerspruch wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 29. November 1991 zurückgewiesen. Im
maßgeblichen Zeitraum vom 1. Oktober 1981 bis zum 31. Mai 1990 seien nur 22 Beiträge für eine
Versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit vorhanden.
Die Klägerin erhob dagegen beim Sozialgericht Frankfurt am Main am 4. Dezember 1991 Klage. Sie legte eine
Abgangsbescheinigung vom 11. Juni 1975 über ihre Beschäftigung als Montagearbeiterin vom 4. April 1961 bis 28.
Juni 1975 vor und trug vor, von 1975 bis 1985 sei sie auf dem Arbeitsamt gewesen; danach habe sie als
Haushaltsreinigung bis zum Schlaganfall im Jahr 1990 gearbeitet. Sie bot an, Beiträge für die 14 Monate Fehlzeiten
nachzuentrichten, um Rente zu erhalten. Die Beklagte lehnte eine Beitragsnachentrichtung unter Hinweis auf die
gesetzlichen Bestimmungen ab.
Durch Urteil vom 23. September 1993 wies das Sozialgericht die Klage ab. Die Klägerin erfülle nicht die
Voraussetzungen für die Gewährung von Versichertenrente wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit. Sie habe zwar die
allgemeine Wartezeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt und sei auch seit dem 11. Juni 1990 erwerbsunfähig. Die
besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der hier noch anwendbaren Vorschriften der §§ 1247 Abs. 2 a,
1246 Abs. 2 a RVO. seien aber nicht gegeben. Im maßgeblichen Zeitraum vom 1. Oktober 1981 bis 31. Mai 1990
seien nur 22 Monate statt der erforderlichen 36 Monate mit entsprechenden Pflichtbeiträgen belegt, wie die Beklagte
im Bescheid vom 22. Juli 1991 zutreffend dargelegt habe. Ursächlich sei insoweit die Lücke im Versicherungsverlauf
von Dezember 1986 bis Februar 1990, in der die Klägerin nach eigenen Angaben nicht beim Arbeitsamt gemeldet
gewesen sei und offenbar nur nicht Versicherungspflichtige Tätigkeiten als Haushaltshilfe ausgeübt habe. Die Klägerin
erfülle auch keinen der in Art. 2 § 6 Abs. 2 Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz genannten
Übergangstatbestände. Weder sei jeder Kalendermonat in der Zeit vom 1. Januar 1984 bis zum Ende des
Kalenderjahres vor Eintritt des Versicherungsfalles mit Beiträgen oder nicht mitzuzählenden Zeiten belegt noch gebe
es Anhaltspunkte dafür, daß der Versicherungsfall bereits im Jahre 1984 eingetreten sei. Auch wenn die Klägerin aus
gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten könne, komme eine Rentenzahlung aus versicherungsrechtlichen
Gründen nicht in Betracht.
Gegen das ihr am 2. November 1993 zugestellte Urteil richtet sich die am 3. November 1993 eingelegte Berufung der
Klägerin. Sie macht geltend, daß sie ohne Fremdhilfe nicht bei Gericht erscheinen könne und bereit sei, die 14
Monate Fehlzeit an die Beklagte nach der Gerichtsverhandlung zu zahlen.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß), das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 23. September 1993
aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22. Juli 1991 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 29. November 1991 zu verurteilen, ihr ab 1. April 1991 Versichertenrente wegen
Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise, Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt (sinngemäß), die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
Die Beteiligten sind nach § 153 Abs. 4 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gehört worden.
Zur Ergänzung des Tatbestandes und des Vorbringens der Beteiligten im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und
Beklagtenakte, die vorgelegen haben, Bezug genommen.
Die zulässige Berufung der Klägerin ist sachlich unbegründet. Der Senat konnte gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG
durch Beschluss ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter entscheiden, da er die Berufung einstimmig für
unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hielt.
Das Sozialgericht hat mit dem angefochtenen Urteil zu Recht entschieden, daß die Voraussetzungen für einen
Anspruch der Klägerin auf Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit gemäß §§ 1246, 1247 RVO, die vorliegend
noch zur Anwendung kommen (§ 300 Abs. 2 Sozialgesetzbuch VI), nicht gegeben sind. Zwar hat die Klägerin die
allgemeine Wartezeit von 60 Kalendermonaten Versicherungszeit erfüllt. Auch ist sie seit dem Infarktgeschehen am
11. Juni 1990 nicht mehr in der Lage, Arbeiten von wirtschaftlichem Wert zu verrichten. Dies zusammen hätte nach
den bis 1984 geltenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung ausgereicht, um einen Rentenanspruch
auszulösen. Die Rechtslage ist aber überholt und der Rentenbezug durch Einführung weiterer Voraussetzungen
erschwert worden. So ist jetzt außerdem erforderlich, daß ein Versicherter zuletzt vor Eintritt der Berufs- oder
Erwerbsunfähigkeit eine Versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat. Dies ist dann der Fall;
wenn von den letzten 60 Kalendermonaten vor Eintritt der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit mindestens 36
Kalendermonate mit Beiträgen für eine Versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind oder die
Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit aufgrund einer der in § 1252 RVO genannten Tatbestände (z.B. Arbeitsunfall)
eingetreten ist.
Auf der Grundlage des am 11. Juni 1990 eingetretenen Versicherungsfalles hat die Klägerin selbst unter
Berücksichtigung von sog. Aufschubzeiten, wie z.B. Arbeitslosigkeit, nur 22 und nicht 36 Pflichtbeiträge aufzuweisen.
Der Versicherungsfall ist auch nicht durch einen in § 1252 RVO aufgeführten Tatbestand eingetreten. Schließlich
kommt auch die Übergangsregelung des Art. 2 § 6 Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz nicht zum Zuge,
weil die Klägerin nach 1984 fortlaufend keine freiwilligen Beiträge entrichtet hat. Eine Entrichtung freiwilliger Beiträge,
wie sie die Klägerin nachträglich angeboten hat, ist rechtlich nicht mehr möglich. Auf den im Jahr 1990 eingetretenen
Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit können rückwirkend keine Beiträge mehr zur Erlangung von
Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit gezahlt werden. Rente wegen Berufsunfähigkeit kann die Klägerin
ohnehin nicht beanspruchen, da sie – abgesehen von den fehlenden versicherungsrechtlichen Voraussetzungen –
auch keinen Berufsschutz als qualifizierte Arbeiterin beanspruchen kann.
Die Berufung konnte folglich keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da es an den Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG
fehlt.