Urteil des LSG Hessen vom 21.01.2000

LSG Hes: wiedereinsetzung in den vorigen stand, berufungsfrist, verschulden, versicherung, akte, fristablauf, anweisung, sorgfalt, fax, schriftstück

Hessisches Landessozialgericht
Beschluss vom 21.01.2000 (rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 27 KA 648/98
Hessisches Landessozialgericht L 7 KA 948/99
Der Antrag der Beklagten vom 10. August 1999 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der
Berufungsfrist wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Mit Urteil vom 23. Juni 1999 (S 27 KA 648/98 verbunden mit S 27 KA 4019/98) änderte das Sozialgericht Frankfurt
am Main den Honorarbescheid der Beklagten vom 4. Februar 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
23. Januar 1998 und des Änderungsbescheides vom 2. März 1998, sowie die Honorarbescheide vom 24. Juli und 24
Oktober 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 1998 und des Änderungsbescheides vom
4. Juni 1999 und verpflichtete die Beklagte, die Klägerinnen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts
hinsichtlich ihres Honoraranspruchs neu zu bescheiden. Das Urteil wurde der Beklagten gegen Empfangsbekenntnis
am 6. Juli 1999 zugestellt. Mit Schreiben vom 10. August 1999, per Fax dem Landessozialgericht am selben Tag
zugegangen, hat die Beklagte Berufung eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der
Berufungsfrist beantragt. Die Beklagte trägt vor, sie sei ohne Verschulden gehindert gewesen, die Berufungsfrist
einzuhalten. Sie habe die Fristensicherung durch geeignete organisatorische Maßnahmen sichergestellt, indem sie die
Kontrolle der Fristeinhaltung qualifizierten und sorgfältigen Fachkräften übertragen habe. Durch Anordnung sei
sichergestellt, dass in allen Verfahren, in denen die Beklagte unterlegen sei, durch eine hierzu speziell unterwiesene,
stets zuverlässige und langjährige Mitarbeiterin die von den Juristen des Hauses berechneten Rechtsmittelfristen
sofort in den Fristenkalender eingetragen würden. Es sei auch eine Vorfrist von einer Woche vor Ablauf der
Rechtsmittelfrist einzutragen. Die Einhaltung dieser Arbeitsvorgaben werde regelmäßig überwacht. Durch ein
Versehen dieser Mitarbeiterin sei in diesem und einem weiteren Verfahren, in denen das Urteil am 6. Juli 1999
zugestellt worden sei, die Rechtsmittelfrist nicht im Fristenkalender eingetragen worden. Die Berechnung der Fristen
erfolge aufgrund einer Anweisung der Juristen der Beklagten, die den jeweiligen Eintrag in das Termin- und
Fristenbuch kontrollierten. Die damit betraute Mitarbeiterin trage aufgrund des Eingangs einer Entscheidung die Frist
für die Einlegung des Rechtsmittels ein. Der Fristenkalender werde täglich von dieser Mitarbeiterin kontrolliert und bei
eingetragenen Vorfristen oder Fristen die entsprechende Akte am gleichen Tag dem zuständigen Sachbearbeiter mit
Hinweis auf den Fristablauf vorgelegt. Im konkreten Fall sei die Eintragung der Frist und auch der Vorfrist
versehentlich nicht erfolgt. Hierzu werde die Kopie aus dem Fristenkalender für den 6. August 1999 (Fristablauf) und
für den 30. Juni 1999 (Vorfrist) vorgelegt. In der darauffolgenden Woche sei das Versäumnis aufgefallen und
unmittelbar danach Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt worden. Die mit der Fristenkontrolle
beauftragten Mitarbeiterinnen seien beide langjährige (19 und 7 Jahre) Mitarbeiterinnen der Juristischen
Geschäftsführung und als solche mit der Notwendigkeit korrekter Administration vertraut. Dem Senat sei bekannt,
dass in dieser Zeit noch kein Wiedereinsetzungsantrag aufgrund von Fristversäumnissen gestellt worden sei. Die
Beklagte hat eine eidesstattliche Versicherung von Frau R. vom 6. Oktober 1999 vorgelegt. Die Klägerinnen
widersprechen dem Antrag und tragen vor, die Ausführungen der Beklagten seien nicht geeignet darzulegen, dass die
Versäumung der Frist unverschuldet geschehen sei. Die Entscheidung über die Einlegung oder Nichteinlegung eines
Rechtsmittels liege nicht bei den Mitarbeiterinnen, sondern beim Sachbearbeiter. Es handele sich also um eine einem
Anwaltsbüro vergleichbare Struktur. Hier wie dort gelte, dass der Sachbearbeiter sich auf das korrekte Verhalten
seines Büropersonals beim Notieren von Fristen nur dann verlassen dürfe, wenn das fristauslösende Schriftstück den
Mitarbeitervermerk enthalte "Frist notiert". Dies sei hier nicht der Fall. Ohne einen derartigen Mitarbeitervermerk dürfe
der Sachbearbeiter nicht davon ausgehen, dass die Frist notiert sei. Die Fristversäumnis gereiche also dem
Sachbearbeiter und damit der Beklagten zum Verschulden. Die Beklagte hat die gerichtliche Anfrage vom 17.
November 1999 hinsichtlich eines Vermerkes auf dem Urteil des Sozialgerichtes Frankfurt am Main vom 23. Juni
1999 "Frist notiert" (o.ä.) bzw. nach der Überwachung der Fristeintragung im konkreten Fall nicht beantwortet.
II.
Der zulässige Antrag auf Wiedereinsetzung ist unbegründet und war daher abzulehnen. Die Beklagte hat die einen
Monat betragende Berufungsfrist (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG) versäumt. Das angefochtene Urteil des
Sozialgerichtes Frankfurt am Main vom 23. Juni 1999 wurde der Beklagten am 6. Juli 1999 zugestellt. Die am 10.
August 1999 (Dienstag) per Fax im Gericht zugegangene Berufung war damit verspätet. Die Beklagte war nicht ohne
Verschulden verhindert, die Berufungsfrist einzuhalten, § 67 Abs. 1. SGG. Sie hat nicht diejenige Sorgfalt
angewendet, die einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner
Verkehrsanschauung vernünftigerweise zuzumuten ist. Bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt wäre die
Fristversäumung für die Beklagte vermeidbar gewesen (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 6. Auflage, § 67 Rdnr. 3). Es ist
nicht erkennbar, dass bei der Beklagten die Berechnung der Berufungsfrist durch die Juristen der zuständigen
juristischen Geschäftsführung vorgenommen wird. Zwar wird noch im Berufungsschriftsatz vom 10. August 1999
behauptet (ohne Glaubhaftmachung), dass die Rechtsmittelfristen von den Juristen des Hauses berechnet würden,
jedoch wird im Schriftsatz vom 6. Oktober 1999 dargelegt, dass die Mitarbeiterin R. aufgrund des Eingangs einer
Entscheidung und aufgrund einer Anweisung der Juristen die Fristen berechne und auch eintrage, und zwar einen
Monat nach Zustellung, sowie zusätzlich eine eine Woche vorher liegende Vorfrist. Letztere Darlegung wurde durch
Vorlage der eidesstattlichen Versicherung glaubhaft gemacht. Die Berechnung besonders wichtiger Fristen, zu denen
auch die Berufungsfristen gehören, darf jedoch nicht den Mitarbeitern überlassen bleiben, sondern ist von dem
Rechtsanwalt selbst bzw. vergleichbar bei Behörden oder Körperschaften des öffentlichen Rechts von den dort tätigen
Juristen vorzunehmen (vgl. Meyer-Ladewig § 67 Rdnr. 8d). Wiedereinsetzung war aber auch deshalb nicht zu
gewähren, weil nicht erkennbar wird, wie nach der Organisation der Beklagten sichergestellt wird, dass in jedem
Einzelfall für den zuständigen Juristen nachvollziehbar wird, dass eine Frist eingetragen worden ist, etwa durch einen
handschriftlichen und abgezeichneten Vermerk auf dem fristauslösenden Schriftstück (oder der dazugehörigen Akte),
dass die Berufungsfrist notiert sei. Die vorgetragene generelle Überwachung - auch durch häufige Stichproben - reicht
demgegenüber als Sicherungsmaßnahme nicht aus.