Urteil des LSG Hessen vom 13.03.2017

LSG Hes: bindungswirkung, freiwillige versicherung, selbständiges recht, avg, vergleich, anfechtung, ausführung, klagerücknahme, post, ermessen

Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 28.11.1974 (rechtskräftig)
Sozialgericht Darmstadt
Hessisches Landessozialgericht L 6 An 373/74
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 19. März 1974 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um das Recht des Klägers auf Nachentrichtung von Beiträgen gemäß Art. 2 § 49 a
Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG).
Durch Bescheid vom 25. August 1967 bewilligte die Beklagte dem am 11. November 1901 geborenen Kläger
Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres ab 1. November 1966. Wegen der Rentenberechnung hat der
Kläger gegen diesen Bescheid Klage erhoben. Die Klage wurde durch Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 23.
September 1969 abgewiesen. Im Berufungsverfahren verglichen sich die Beteiligten am 11. März 1971 dahin, daß 6
Beitragsmarken aus der Versicherungskarte Nr. 11 für das Jahr 1961 anzurechnen seien. Gleichzeitig waren sich die
Beteiligten darüber einig, daß der anhängige Rechtsstreit damit erledigt sein sollte.
In Ausführung dieses Vergleiches erteilte die Beklagte dem Kläger am 21. April 1971 einen neuen Bescheid. Mit
seiner Klage gegen diesen Bescheid machte der Kläger geltend, die Beklagte habe bei Abschluß des Vergleiches und
bei Erteilung des Ausführungsbescheides unzulässigerweise ein Ermessen ausgeübt. Die Klage wurde durch Urteil
des Sozialgerichts Darmstadt vom 8. Februar 1972 als unzulässig abgewiesen; die gegen dieses Urteil eingelegte
Berufung durch Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. Februar 1973 zurückgewiesen und gleichzeitig
festgestellt, daß der Rechtsstreit durch den gerichtlichen Vergleich vom 11. März 1971 erledigt sei.
Die Urteile sind rechtskräftig.
Im Februar 1973 beantragte der Kläger die Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen nach Art. 2 § 49 a AnVNG.
Diesen Antrag hat die Beklagte durch Bescheid vom 17. Mai 1973 abgelehnt mit der Begründung, die gesetzlichen
Voraussetzungen für die Nachentrichtung seien nicht erfüllt. Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde durch
Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 1973 als unbegründet zurückgewiesen.
Mit seiner Klage machte der Kläger geltend, der Bescheid über die Gewährung des Altersruhegeldes sei erst nach
Abschluß eines Anfechtungsverfahrens, nämlich am 26. Februar 1973 bindend geworden; der Nachentrichtungsantrag
sei vor Eintritt der Bindungswirkung im Februar 1973 gestellt worden.
Durch Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 19. März 1974 wurde die Klage abgewiesen mit der Begründung, die
Voraussetzungen für die Nachentrichtung von Beiträgen sei nicht erfüllt, da der Bescheid über die Gewährung des
Altersruhegeldes verbindlich geworden sei.
Gegen dieses am 9. April 1974 zwecks Zustellung zur Post gegebene Urteil richtet sich die am 29. April 1974 beim
Hessischen Landessozialgericht eingegangene Berufung des Klägers, mit der sich dieser gegen die Rechtsauffassung
des Sozialgerichts wendet. Der Kläger ist der Auffassung, daß das Altersruhegeld noch nicht bindend festgestellt
worden sei, weil der Bescheid vom 21. April 1971, durch den der Vergleich vom 11. März 1971 ausgeführt wurde,
noch nicht bindend geworden sei. Das hiergegen gerichtete Klageverfahren sei im Zeitpunkt der Antragstellung auf
Nachentrichtung von Beiträgen noch nicht rechtskräftig abgeschlossen gewesen.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 19. März 1974 aufzuheben und die Beklagte unter
Aufhebung ihres Bescheides vom 17. Mai 1973 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 1973 zu
verurteilen, die Nachentrichtung von Beiträgen im Rahmen des Art. 2 § 49 a AnVNG zuzulassen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichts- und Rentenakten sowie der Akten des Sozialgerichts Darmstadt – L-6/An-
265/72 – und – L-6/An-1077/69 –, Die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig; sie ist an sich statthaft und in rechter Form und Frist eingelegt (§§ 143, 151
Sozialgerichtsgesetz – SGG –).
In der Sache selbst erweist sich jedoch die Berufung als unbegründet.
Dem angefochtenen Urteil ist darin beizupflichten, daß die Voraussetzungen für die Nachentrichtung von Beiträgen
nach Art. 2 § 49 a AnVNG nicht erfüllt sind.
Die Nachentrichtungsmöglichkeit nach Art. 2 § 49 a Abs. 1 AnVNG kommt im vorliegenden Fall offensichtlich nicht in
Betracht; sie wird auch vom Kläger ersichtlich nicht geltend gemacht.
In Art. 2 § 49 a Abs. 2 AnVNG wird kein selbständiges Recht zur Nachentrichtung von Beiträgen begründet, sondern
nur unter bestimmten Voraussetzungen abweichend von § 140 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) besondere
Nachentrichtungsfristen geschaffen. Das Recht zur Nachentrichtung von Beiträgen hängt auch bei dieser Vorschrift
von der Versicherungsberechtigung nach § 10 AVG ab. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des Gesetzes:
"Personen, die nach § 10 des Angestelltenversicherungsgesetzes zur freiwilligen Versicherung berechtigt sind”. Damit
ist klargestellt, daß der Kreis der Versicherungsberechtigten nicht über den § 10 AVG hinaus erweitert werden sollte.
Da der Kläger im Zeitpunkt der Antragstellung zur Nachentrichtung bereits die Altersgrenze für ein Altersruhegeld
erreicht hatte, ergibt sich ein Nachentrichtungsrecht nur aus § 10 Abs. 2 a AVG. Nach Satz 1 dieser Vorschrift ist im
Rahmen der Nachentrichtungsfristen eine Beitragsentrichtung für Zeiten vor dem Bezug eines Altersruhegeldes
grundsätzlich möglich; diese Möglichkeit wird jedoch durch Satz 3 für den Fall ausgeschlossen, daß das
Altersruhegeld bereits durch bindenden Bescheid festgestellt ist.
Der Eintritt der Bindungswirkung eines Bescheides richtet sich nach § 77 SGG. Hiernach wird ein Bescheid dann
bindend, wenn entweder kein Rechtsmittel eingelegt wird oder das gegen den Bescheid eingelegte Rechtsmittel
erfolglos bleibt. Diese Bindung bleibt auch erhalten, wenn später nach § 1744 Reichsversicherungsordnung (RVO)
oder nach § 79 AVG eine Überprüfung stattfindet, weil diese Überprüfung den Eintritt der Bindungswirkung rechtlich
voraussetzt.
Im vorliegenden Fall ist das Altersruhegeld des Klägers durch den Bescheid vom 25. August 1967 bindend festgestellt
worden. Die hiergegen erhobene Klage endete im Berufungsverfahren mit einem Vergleich, durch den die
Bindungswirkung nicht aufgehoben wurde. Dies bezieht sich auch auf alle weiteren während des Klageverfahrens
erteilten Bescheide. Diese Bindungswirkung ist auch nicht durch den Ausführungsbescheid vom 21. April 1971
beseitigt worden. Eine Aufhebung der früheren Bindungswirkung entsprach weder dem Sinn noch dem Inhalt des
Vergleiches noch war es von der Beklagten beabsichtigt. Vielmehr ging es lediglich um die Ausführung des
Vergleiches. Daran ändert auch nichts die Tatsache, daß der Ausführungsbescheid vom Kläger mit der Klage
angefochten wurde; die Klage konnte allenfalls die Bindungswirkung des Ausführungsbescheides hemmen.
Im Rahmen des § 10 Abs. 2 a AVG ist darauf abzustellen, ob überhaupt ein Bescheid bindend geworden ist. Der erste
bindende Bescheid schließt das Recht auf freiwillige Versicherung oder Nachentrichtung von Beiträgen nach § 10
Abs. 2 a AVG, Art. 2 § 49 a Abs. 2 AnVNG aus, auch wenn in der Folgezeit durch weitere Bescheide das
Altersruhegeld eines Versicherten neu berechnet wird. Hierbei macht es keinen Unterschied, ob dies durch eine
Neuprüfung nach § 79 nach Eintritt der Bindungswirkung oder durch einen Ausführungsbescheid nach Angabe eines
prozessualen Anerkenntnisses geschieht. Es ist kein sinnvoller Grund ersichtlich, beide Fälle unterschiedlich zu
behandeln. In der ersten Alternative liegt ohnehin schon ein bindender Bescheid vor, während in der zweiten
Alternative die Bindung durch den Abschluß eines gerichtlichen Vergleiches, die Annahme eines prozessualen
Anerkenntnisses oder die Erklärung der Klagerücknahme (§§ 101, 102 SGG) hergestellt wird. Dem
Ausführungsbescheid kommt in diesem Zusammenhang keine besondere rechtliche Bedeutung mehr zu. Dies gilt
auch dann, wenn er mit der Klage angefochten wird, weil eine solche Klage mangels Vorliegens einer Beschwer als
unzulässig abgewiesen werden müßte, wie im Urteil des erkennenden Senats vom 26. Februar 1973 bereits
ausführlich dargelegt. Gleiches gilt für die Anfechtung eines gerichtlichen Vergleiches; auch hier wird die
Bindungswirkung eines Bescheides nicht berührt, wenn die Anfechtung des im anschließenden Klageverfahren
geschlossenen Vergleiches nicht durchgreift.
Nach alledem fehlen für die Nachentrichtung von Beiträgen die gesetzlichen Voraussetzungen. Die Berufung des
Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 19. März 1974 war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.