Urteil des LSG Hessen vom 14.10.2009

LSG Hes: leistungsausschluss, eugh, aufenthalt, arbeitsmarkt, aufschiebende wirkung, hauptsache, verein, stadt, zeitung, rechtsschutz

Hessisches Landessozialgericht
Beschluss vom 14.10.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 5 AS 1431/08 ER
Hessisches Landessozialgericht L 7 AS 166/09 B ER
I. Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 9. März 2009
wird zurückgewiesen.
II. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind auch nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Hintergrund des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens bildet in der Hauptsache vor allem die Frage, ob die
Antragsteller wegen ihrer rumänischen Staatsangehörigkeit von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II
ausgeschlossen sind.
Die 1986 geborene Antragstellerin zu 1 reiste erstmals am 1. November 1994 mit ihren Eltern nach Deutschland ein.
Nach Ablauf der letzten Aussetzung der Abschiebung (Duldung) zum 24. März 2006, die am 23. Juni 2004 angedroht
worden war, verließ sie Deutschland zum 30. Juni 2006. Nachdem sie zunächst als Touristin wieder in Deutschland
vor der Geburt ihrer Tochter in A-Stadt am 8. Februar 2007 (Antragstellerin zu 2) eingereist war, zeigte sie am 15.
Februar 2007 ihren Aufenthalt nach § 5 FreizügG/EU zur Arbeitsplatzsuche an. Die Ausländerbehörde der
Antragsgegnerin stellte ihr mit Datum vom 19. November 2007 eine entsprechende Bescheinigung aus, nach der sie
gemäß § 2 Abs. 1 FreizügG/EU Freizügigkeit genieße. Ebenfalls meldete die Antragstellerin zu 1 ein Gewerbe –
Zeitungsverkauf – an. Als Betriebsstätte und Hauptniederlassung gab sie die Unterkunft an, in die sie zunächst mit
der Antragstellerin zu 2 gezogen war. Es handelte sich dabei um eine Art Sammelunterkunft in A-Stadt, welche einer
rumänischen Kirche gehörte, in der auch ihre Großeltern lebten. Anschließend zog sie zu ihrer Tante, der Zeugin E., in
der F-Straße in A-Stadt, die dort mit ihrem nichtehelichen Partner und dem gemeinsamen Kind lebt. Gemeldet war sie
dort seit dem 30. Juli 2008. Seither muss die Antragstellerin zu 1 vom Zeitungsverkauf leben, auch manchmal betteln.
Den Zeitungsverkauf organisiert der Verein "Selbsthilfeorganisation X e.V." in G. - Verein -. Der Verein hat ihr einen
Verkäuferausweis ausgestellt. Wegen der Einzelheiten des Zeitungsverkaufs wird auf die Angaben der Antragstellerin
zu 1 aufgrund einer persönlichen Befragung durch den Berichterstatter im Erörterungstermin vom 7. August 2009
verwiesen. An den Kosten der Unterkunft musste sie sich aber nicht beteiligen. Auch unterstützte die Zeugin die
Antragstellerin zu 1, soweit sie aus eigenen Mitteln den Lebensunterhalt nicht bestreiten konnte. Die Antragstellerin zu
1 gab ihre Tätigkeit ab dem 8. Februar 2009 wegen Mutterschutzes auf. Am 25. März 2009 wurde ihr Sohn,
Antragsteller zu 3, in A-Stadt geboren. Spätestens seit August 2009 ist die Antragstellerin zu 1 wieder als
Zeitungsanbieterin tätig. Einer Erklärung des Vereins vom 3. August 2009 ist zu entnehmen, dass sie für den Verkauf
von ca. 300 Zeitungen ca. 240,00 EUR verdient. Laut weiterer Auskunft des Vereins vom 1. Oktober 2009 soll sie ca.
500 Zeitungen im Monat verkaufen und hierfür ca. 400,00 EUR monatlich erhalten.
Die Antragstellerin zu 1 erhält für ihre Tochter und den später geborenen Sohn Kindergeld. Unterhaltsleistungen des
Vaters erhält sie hingegen nach eigenen Angaben nicht, weil der Vater ihrer Behauptung nach unbekannt sei.
Am 26. August 2008 beantragte die Antragstellerin zu 1 für sich und zunächst nur ihre Tochter
Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II. Sie könne allein aufgrund ihres Einkommens aus selbstständiger
Tätigkeit in Höhe von 400,00 EUR monatlich neben dem Kindergeld den notwendigen Lebensunterhalt für sich und das
Kind nicht decken. Die Antragsgegnerin lehnte letztlich mit Bescheid vom 23. März 2009 den Antrag ab. Gegen den
den Antragstellern am 14. Mai 2009 bekanntgegebenen Bescheid legten diese am 20. Mai 2009 Widerspruch ein.
Am 17. September 2008 haben sich die Antragstellerinnen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes an das
Sozialgericht Frankfurt am Main (SG) gewandt. Die Beteiligten haben im Ausgangsverfahren sich vorrangig dazu
geäußert, ob die behaupteten regelmäßigen Einnahmen der Antragstellerin zu 1 glaubhaft sind und sie den
Zeitungsverkauf rechtmäßig betreibt.
Das SG hat mit Beschluss vom 9. März 2009, den Antragstellerinnen zugestellt am 11. März 2009, den Antrag auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Ein Anordnungsanspruch stehe den Antragstellerinnen nicht zu. Sei
die Antragstellerin zu 1 nicht gemäß § 8 Abs. 1 SGB II - gemeint ist wohl § 8 Abs. 2 SGB II - erwerbsfähig, sei auch
ihre Tochter von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Da die Antragstellerin zu 1 ausschließlich eine
selbstständige Tätigkeit ausübe und ausüben wolle, sei die Erwerbsfähigkeit allein in dieser Hinsicht zu prüfen. Zwar
handele es sich bei der von der Antragstellerin zu 1 ausgeübten selbstständigen Tätigkeit um eine solche, für die sie
nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU freizügigkeitberechtigt sein könnte. Das setze jedoch eine
rechtmäßige Tätigkeit voraus, welche hier nicht vorliege. Maßgeblich sei insoweit, dass der Vertrieb der
Obdachlosenzeitung aus sammlungsrechtlichen Gründen unter anderem wegen erheblicher Zweifel an der
Unterstützung karitative Zwecke durch den Verkauf der Zeitungen im Land XY. von der dort zuständigen Behörde
untersagt worden sei. Weiter fehle es an der gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 25 Freizügigkeitsgesetz/EU geforderten
Niederlassung. Der von der Antragstellerin zu 1 ausgeübte ambulante Zeitung Verkauf erfülle diese Voraussetzung
nicht. Damit fehle es bereits an der seinen Anspruch erforderlichen Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin zu 1.
Gegen den Beschluss haben die Antragsteller am 30. März 2009 bei dem SG Beschwerde eingelegt. Der Senat hat
die Antragstellerin zu 1 im Termin zur Beweisaufnahme vom 7. August 2009 persönlich befragt und die Zeugin E.
(Zeugin) zur Wohnsituation und finanziellen Unterstützung der Antragsteller vernommen. Wegen des Ergebnisses der
Beweisaufnahmen wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. Die Antragstellerin zu 1 hat im Beschwerdeverfahren
den Leistungsantrag auch auf den am 25. März 2009 geborenen Sohn (Antragsteller zu 3) erstreckt.
Die Antragsteller machen weiter geltend, dass die Antragstellerin zu 1 notfalls als Dienstleistungserbringer
selbstständig tätig sei. Ggf. sei der Sozialhilfeträger beizuladen, um ihn zu Leistungen nach dem SGB XII verurteilen
zu können.
Die Antragsteller beantragen, den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 9. März 2009 aufzuheben und
die Antragsgegnerin vorläufig im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, an die Antragstellerinnen zu 1 und
2 ab dem 17. September 2008 und an den Antragsteller zu 3 ab dem 25. März 2009 Grundsicherungsleistungen nach
dem SGB II bis zu einer Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache zu zahlen.
Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin stützt sich für ihren Antrag auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung. Im Übrigen sei die
Bedürftigkeit der Antragsteller nicht nachgewiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg, weil die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen
Anordnung nicht vorliegen.
Ist einstweiliger Rechtsschutz weder durch die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen
Verwaltungsakt noch die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes (§ 86b Abs. 1 SGG) zu gewährleisten, kann
nach § 86b Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf
den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die
Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte
(Sicherungsanordnung – vorläufige Sicherung eines bestehenden Zustandes -). Nach Satz 2 der Vorschrift sind
einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
statthaft, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint
(Regelungsanordnung – vorläufige Regelung zur Nachteilsabwehr -). Bildet ein Leistungsbegehren des Antragstellers
den Hintergrund für den begehrten einstweiligen Rechtsschutz, ist dieser grundsätzlich im Wege der
Regelungsanordnung gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 SGG zu gewähren. Danach muss die einstweilige Anordnung
erforderlich sein, um einen wesentlichen Nachteil für den Antragsteller abzuwenden. Ein solcher Nachteil ist nur
anzunehmen, wenn einerseits dem Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner ein materiell-rechtlicher
Leistungsanspruch in der Hauptsache – möglicherweise - zusteht (Anordnungsanspruch) und es ihm andererseits
nicht zuzumuten ist, die Entscheidung über den Anspruch in der Hauptsache abzuwarten (Anordnungsgrund). Das
Abwarten einer Entscheidung in der Hauptsache darf nicht mit wesentlichen Nachteilen verbunden sein; d.h. es muss
eine dringliche Notlage vorliegen, die eine sofortige Entscheidung erfordert (Conradis in LPK–SGB II, 2. Aufl., Anhang
Verfahren Rn. 117).
Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr stehen beide in einer
Wechselbeziehung zueinander, nach der die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender
Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt.
Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein
bewegliches System (Senat, 29.6.2005 – L 7 AS 1/05 ER - info also 2005, 169; Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 9.
Aufl., § 86b Rn. 27 und 29, 29a mwN.): Wäre eine Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder
unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich
abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Wäre eine Klage in der Hauptsache dagegen
offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund, auch wenn in diesem Fall
nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens,
wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- oder Rechtslage im einstweiligen Rechtsschutz nicht möglich ist,
ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden, welchem Beteiligten ein Abwarten der Entscheidung in der
Hauptsache eher zuzumuten ist.
Es fehlt danach bereits an einem Anordnungsanspruch, weil den Antragstellern gegenüber der Antragsgegnerin kein
Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II zusteht.
Gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Gesetz Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet
und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind sowie ihren gewöhnlichen
Aufenthalt im Bundesgebiet haben. Einbezogen in die Leistungsberechtigung sind nach § 7 Abs. 2 S. 1 und Abs. 3 Nr.
4 SGB II i.d.F. des Änderungsgesetzes vom 24.3.2006 (BGBl I 558) - SGB II F. 2006 - auch ihre unverheirateten
unter 26-jährigen zur Haushaltsgemeinschaft gehörenden Kinder.
Die Antragsteller sind danach als dem Grunde nach anspruchsberechtigt anzusehen; dabei haben sie auch ihren
gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II i.V.m. § 30 Abs. 2 S. 3 SGB I). Der
gewöhnliche Aufenthalt im Bundesgebiet ist ungeachtet der Frage ist anzunehmen, ob sich die Antragsteller im
Bundesgebiet rechtmäßig aufhalten. Spätestens seit der Neuregelung des § 7 Abs. 1 S. 2 i.d.F. des SGB II F. 2006
ist für eine Verrechtlichung des Aufenthaltsbegriffs kein Raum mehr (so überzeugend: Spellbrink in Eicher/Spellbrink,
SGB II, 2. Aufl., § 7 Rn. 13, entgegen: BSG, 16.5.2007 - B 11b AS 37/06 R). Die aufenthaltsrechtlichen
Voraussetzungen für eine Leistungsberechtigung sind nunmehr abschließend in der vorbenannten Vorschrift auch in
der erneut geänderten Fassung des Änderungsgesetzes vom 19.8.2007 (BGBl I 1970) - SGB II F. 2007 - geregelt.
Den Antragstellern sind gleichwohl Leistungen verwehrt, weil für die Antragstellerin zu 1 ein besonderer
Leistungsausschluss für Ausländer eingreift, der entgegen der Auffassung des SG gegenüber der
Erwerbsunfähigkeitsfiktion für Ausländer aus rechtlichen Gründen nach § 8 Abs. 2 SGG vorrangig zu prüfen ist
(Blüggel in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 8 Rn. 46b). Nur bei nicht von dem Leistungsausschluss erfassten
Ausländern ist weiter zu prüfen, ob ihnen rechtlich eine Beschäftigung erlaubt ist.
Der Leistungsausschluss ergibt sich aus § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 2 SGB II F. 2007. Ausdrücklicher
gesetzgeberischer Zweck (siehe: Gesetzesbegründung: BT-Drucks 16/5065 S. 234 und zur im Wesentlichen
inhaltsgleichen vorherigen Fassung: BT-Drucks 16/688, S. 13) des Ausschlusses ist es vor allem, nach Maßgabe der
europarechtlichen Befugnis aus Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38/EG vom 29.4.2004 (ABl. Nr. L 158 S. 77) - UnionsRL
- i.V.m. Art. 14 Abs. 4 Buchst. b UnionsRL Unionsbürger von Grundsicherungsleistungen unter weiteren
Voraussetzungen auszuschließen, die von ihrem sekundärrechtlich in der UnionsRL statuierten Freizügigkeitsrecht
Gebrauch machen, das primärrechtlich Ausfluss der Unionsbürgerschaft aus Art. 17, 18 Abs. 1 des EG-Vertrages
(EG-V) ist. Dazu bestimmt er in Nr. 1 einen Ausschluss für die ersten drei Monate des Aufenthalts für Unionsbürger
und ihre Familienangehörige, die insbesondere von ihrem unmittelbar geltendem voraussetzungslosen 3-monatigem
Aufenthaltsrecht nach Art. 6 UnionsRL Gebrauch machen, welches § 2 FreizügG/EU nur unzureichend umgesetzt hat.
Für einen sich anschließenden Aufenthaltszeitraum sieht Nr. 2 hingegen nur einen Leistungsausschluss vor, wenn
ausschließlich von dem Freizügigkeitsrecht zur Arbeitsuche Gebrauch gemacht wird (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 2. Fall
FreizügG/EU). Zwar ist nach den Angaben der Antragstellerin zu 1 davon auszugehen, dass sie tatsächlich als
Unionsbürgerin zu keinem Zeitpunkt arbeitsuchend gewesen ist. Daran ändert auch nichts die ihr erteilte
anderslautende Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 FreizügG/EU, weil sie nur deklaratorischer Natur ist (Geyer in
HK-AuslR, § 5 FreizügG/EU Rn. 1 mwN). Doch umfasst der Leistungsausschluss erst Recht Unionsbürger, denen
noch nicht einmal das Freizügigkeitsrecht zur Arbeitsuche eingeräumt ist.
Anhand dieser einfachgesetzlichen Vorgabe ist die Antragstellerin zu 1 dem Leistungsausschluss unterworfen, weil ihr
ein sonstiges Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU nicht zusteht.
Dabei beschränkt sich der Senat in seinen Gründen auf die allein in Betracht kommenden bzw. geltend gemachten
Rechte als Arbeitnehmer, Selbstständiger oder Dienstleistungserbringer (§ 2 Abs. 2 Nr. 1-3 FreizügG/EU).
Die Antragstellerin zu 1 unterfällt schon deshalb nicht diesen freizügigkeitsprivilegierten Personengruppen, weil es
sich bei der mit dem Verkauf der Obdachlosenzeitung verbundenen Tätigkeit nicht um eine Erwerbstätigkeit im Sinne
einer Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit auch zur Erbringung von Dienstleistungen handelt. Auch wenn das
Gemeinschaftsrecht den Begriff einer Erwerbstätigkeit weit fasst, weil in den einzelnen Mitgliedsstaaten Berufsbilder
und –bezeichnungen erheblich von einander abweichen können, sind nur solche einbezogen, welche eine Teilhabe am
Wirtschaftsleben begründen (Schlag in Schwarze, EU-Kommentar, Art. 39 EGV Rn. 18 f., Art. 43 EGV Rn. 22 f.). Ist
vorrangiges Kriterium eine auf Erwerb gerichtete Tätigkeit, ist es zur Abgrenzung in besonderen Konstellationen weiter
erforderlich, dass die Erwerbstätigkeit auf einem wirtschaftlichen Güteraustausch beruht, der selbstverständlich auch
ideelle Güter oder Dienstleistungen einbeziehen kann.
Ein solcher wirtschaftlicher Güteraustausch ist der Tätigkeit der Antragstellerin zu 1 nicht zu entnehmen. Zwar können
gegen ein geringes Entgelt Passanten auf der Straße die angebotene Obdachlosenzeitung erhalten. Darin kommt aber
in der Regel nicht ein sich in geldwerter Nachfrage ausdrückendes Interesse an der Zeitung zum Ausdruck, sondern
mit dem Angebot der Zeitung ist wesentlich das Ziel verbunden, bei den Straßenpassanten niederschwellig die
Bereitschaft zu wecken oder zu erhöhen, den Verkäufern in ihrer sozialen Lage finanziell in Form einer Geldspende
helfen zu wollen. So hat die Antragstellerin zu 1 in ihrer persönlichen Befragung ausdrücklich zu verstehen gegeben,
dass der Zeitungsverkauf mit Betteln verbunden sei. Insbesondere würden Passanten auch Geld geben, ohne ein
Zeitungsexemplar an sich zu nehmen. Das steht im Einklang mit persönlichen Erfahrungen des Senats, soweit er
selber vor allem in innerstädtischen Einzelhandelszonen solchen Zeitungsverkäufern begegnet ist.
Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass der Verein selbst möglicherweise entgegen dem Anschein nicht
gemeinnützig mit dem Verkauf der Zeitungen einen Gewinn erzielt oder doch als karitative Einrichtung tätig ist. Denn
insoweit fehlt es an einer Beschäftigung der Antragstellerin zu 1 als Arbeitnehmerin durch den Verein. Die
Antragstellerin zu 1 erhält kein absatzunabhängiges Arbeitsentgelt vom Verein und kann nach freiem Belieben
entscheiden, in welchem Umfang sie Zeitungen annimmt. Auch Zeitraum und Örtlichkeit für ihre Tätigkeit sind durch
den Verein nicht vorgegeben.
Ebenso wenig liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass die Antragstellerin bereits bei ihrem ersten Aufenthalt im
Bundesgebiet durch eine Beschäftigung den Arbeitnehmerstatus erhalten haben kann (hierzu Gesetzesbegründung:
BT-Drucks 16/688 S. 13).
Liegt damit ein einfachgesetzlicher Leistungsausschluss vor, stehen diesem in dieser Konstellation auch unter
Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH keine primär- oder sekundärrechtlichen Bestimmungen des
Europarechts entgegen, so dass im Hauptsacheverfahren eine Vorlage an den EuGH nach Art. 234 EG-V nicht
erforderlich sein wird. Auch wenn grundsätzlich insbesondere für den Personenkreis der Arbeitsuchenden das
durchaus fraglich sein kann (statt vieler: Spellbrink, a.a.O., Rn. 17 mwN; Brühl/Schoch in LPK-SGB II, 3. Aufl., § 7
Rn. 33 ff.; Schreiber, "Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II auf dem gemeinschaftsrechtlichen
Prüfstand", zur Veröffentlichung vorgesehen in info also 2009, Heft 5; alle jeweils mwN), ist das bei wirtschaftlich
inaktiven Unionsbürgern, die nicht arbeitsuchend sind, nicht der Fall (dahingestellt bleiben kann, ob Arbeitsuchende
europarechtlich den Arbeitnehmern aufgrund ihrer hybriden Stellung gleichzustellen sind).
Sekundärrechtlich steht der Leistungsausschluss zunächst im Einklang mit der UnionsRL, die für wirtschaftlich
inaktive Unionsbürger, die keine Arbeit suchen ausschließlich als Maßstab in Betracht kommt. Entgegen des
jedenfalls missverständlichen Wortlauts der Gesetzesbegründung gründet der Ausschluss nach Nr. 2 aber nicht auf
Art. 24 Abs. 2 UnionsRL, der erkennbar sich nur auf den ersten 3 monatigen ggf. nach Art. 14 Abs. 4 Buchstabe b
verlängerten Aufenthaltszeitraum erstreckt. Für die Personengruppe, der die Antragstellerin zu 1 zuzurechnen ist, folgt
das vielmehr bereits aus Art. 7 Abs. 1 Buchst. b UnionsRL, nach der ein mehr als 3-monatiger Aufenthalt für
wirtschaftlich inaktive Unionsbürger davon abhängt, über ausreichende Existenzmittel zu verfügen (so: Adolph in
Linhart/Adolph SGB II/SGB XII/AsylbLG, Stand: III/2009, § 7 SGB II Rn. 42 f.), auch wenn Art. 14 Abs. 4 UnionsRL
bestimmt, dass Unionsbürger allein wegen der Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen nicht ausgewiesen werden
dürfen. Letzterer stellt ohne primärrechtliche Verstärkung nur eine aufenthaltsrechtliche Regelung dar, welche für sich
genommen nichts darüber aussagt, unter welchen Voraussetzungen Grundsicherungsleistungen zu gewähren sind (aA
Sander, DVBl 2005, 1014; vg. auch Strick, NJW, 2005, 2182; allerdings unter Bezugnahme auf den primärrechtlichen
Diskriminierungsschutz).
Ebenso wenig ist ein primärrechtlicher Verstoß gegen europarechtliche Vorgaben festzustellen. Dabei richtet sich der
Schutz bei wirtschaftlich inaktiven Unionsbürgern nur nach dem Diskriminierungsverbot aus Art. 12 EG-V i.V.m. Art.
18 EG-V. Der Senat lässt es dahingestellt sein, ob der Schutzbereich des Verbotes bereits eröffnet sein kann, wenn
ohne primärrechtlich begründetes Aufenthaltsrecht nur durch den ausgeschlossenen Sozialleistungsanspruch ein aus
der Unionsbürgerschaft erwachsenes Freizügigkeitspotential beeinträchtigt ist (Schreiber in ZESAR, 2006, 423;
ablehnend: SG Reutlingen, 29.4.2008 - S 2 AS 2952/07). Denn selbst am Maßstab des Diskriminierungsverbotes des
Art. 12 EG-V i.V.m. Art. 18 EG-V ausgerichtet, ist eine sachwidrige Ungleichbehandlung nicht zu erkennen. Denn das
nicht aus einer wirtschaftlich privilegierten Aktivität primärrechtlich als Arbeitnehmer aus Art. 39 EG-V oder
Selbstständiger aus Art. 43 EG-V abgeleitete Diskriminierungsverbot ist schwächer ausgestaltet und erlaubt
insbesondere auch eine Differenzierung allein nach der
Staatsangehörigkeit, wenn diese durch hinreichende sachliche Gründe gerechtfertigt ist (zum Streitstand: Epiney in
Calliess/Ruffert, EUV-EGV, 2. Aufl., Art. 12 EGV Rn. 37 mwN).
Insbesondere ist eine Ungleichbehandlung von Unionsbürgern gerechtfertigt, wenn sie auf objektiven, von der
Staatsangehörigkeit unabhängigen Erwägungen beruhen und im angemessenen Verhältnis zu einem legitimen Zweck
stehen (EuGH, 11.7.2002 – C 224/98 - D´Hoop -). Insoweit ist der Rechtsprechung des EuGH zu entnehmen, dass
gerade Grundsicherungsleistungen, welche der Eingliederung in den Arbeitsmarkt dienen, von einer Verbindung des
Unionsbürgers zum Arbeitsmarkt des Mitgliedsstaates abhängig sein dürfen (EuGH, 23.3.2004 - C-138/02 - Collins).
Hat der EuGH in seiner jüngsten Entscheidung vom 4.6.2009 - C-22/08 - Vatsouras - es noch offen gelassen, ob die
Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II hierzu zählen, ist das wohl nur Ausdruck des Willens gewesen, das
zunächst der mitgliedsstaatlichen Rechtsprechung zu überlasen. Im Ergebnis ist aber auch für die Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts nicht daran zu zweifeln, weil im Zusammenhang mit dem im SGB II zur Verfügung
stehenden Aktivierungsinstrumentarium eindeutig zu erkennen ist, dass die Leistungen vorrangig darauf ausgerichtet
sind (so: Spellbrink, a.a.O., Rn. 18). Eine solche Verbindung hat die Antragstellerin zu 1 auch in der Vergangenheit
bisher nicht erkennen lassen, da sie bisher noch nicht einmal arbeitsuchend gewesen ist. Daran ändert auch nichts
die Freizügigkeitsbescheinigung gemäß § 5 FreizügG/EU, weil ihr nur eine deklaratorische Bedeutung zukommt
(Geyer in HK-AuslR, § 5 FreizügG/EU Rn. 2 mwN).
Ohne eine Verbindung zum Arbeitsmarkt im Bundesgebiet ist der Leistungsausschluss sachlich gerechtfertigt.
Insbesondere stehen dem nicht weitere Entscheidungen des EuGH entgegen, die einen Zugang zu
Sozialhilfeleistungen alleine an einen rechtmäßigen Aufenthalt knüpfen (EuGH, 7.9.2004 - C-456/02 - Trojani -;
20.9.2001 – C 184/99 - Grzelczyk) oder vom Integrationsgrad im Mitgliedsstaat abhängig machen (EuGH, 15.3.2005 -
C-209/03 - Bidar -; 18.11.2008 - C-158/07 - Förster -). Allen vorbenannten Entscheidungen liegen im Gegensatz zu
den Gegebenheiten bei der Antragstellerin zu 1 besondere Umstände zu Grunde, die es erlauben, nicht allein auf eine
besondere Verbindung zum Arbeitsmarkt abzustellen. So ist streitgegenständlich bei Trojani und Grzelczyk eine
belgische Sozialhilfeleistung "Minimex" gewesen, die im Gegensatz zu den Grundsicherungsleistungen nach dem
SGB II gerade nicht der Eingliederung in den Arbeitsmarkt dient. In den weiteren Entscheidungen Bidar und Förster
sind hingegen Studienbeihilfen für Studenten Gegenstand gewesen, die bereits schon ihrer Art nach einen Bezug zum
Arbeitsmarkt ausschließen. Hervorgehoben hat der EuGH dabei ausdrücklich, dass eine Verbindung zum
Arbeitsmarkt nicht von einem Studenten verlangt werden darf, wenn er nicht eine Leistung zur Arbeitssuche geltend
macht (Bidar). Solche besonderen Gründe, die es nicht erlauben, allein auf die Verbindung zum Arbeitsmarkt
abzustellen, liegen bei der Antragstellerin zu 1 nicht vor.
Ein Anspruch aufgrund des Europäischen Fürsorgeabkommens des Europarats vom 11.12.1953 (BGBl II 563) besteht
schon deshalb nicht, weil die Antragsteller nicht Staatsangehörige eines Signatarstaates sind. Ein Verstoß gegen den
allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG ist dem schon deshalb nicht zu entnehmen, weil ein Anspruch aus
dem Abkommen von einer Gegenseitigkeitserklärung abhängig gemacht werden darf (Mangold/Pattar VSSR 2008,
243; aA Brühl/Schoch, a.a.O., Rn. 35).
Ohne ein originäres Leistungsrecht der Antragstellerin zu 1 steht den Antragstellern zu 2 und 3 auch nicht der daraus
abgeleitete Anspruch auf Sozialgeld zu (§ 7 Abs. 2 S. 1 und Abs. 3 Nr. 4 SGB II F. 2006 i.V.m. § 28 Abs. 1 S. 1 SGB
II ebenfalls nicht zu.
Der Senat hat davon abgesehen, den zuständigen Sozialhilfeträger nach § 75 Abs. 2 2. Fall SGG beizuladen, weil
auch ein Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII für die Antragsteller nicht eröffnet ist.
Sie unterliegen insoweit dem Leistungsausschluss nach § 21 Abs. 1 SGB XII, weil ihnen dem Grunde nach ein
Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II zusteht. Der Gesetzesbegründung ist ausdrücklich zu
entnehmen, dass aufgrund des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II für Ausländer auch
sozialhilferechtliche Leistungen ausgeschlossen sein sollen (BT-Drucks 16 (11) 80, S. 3). Europarechtliche Vorgaben
stehen dem nicht entgegen. Zwar ist einerseits der Entscheidung Trojani zu entnehmen, dass ein Unionsbürger
jedenfalls nicht ohne Weiteres von Sozialhilfeleistungen ausgeschlossen sein darf, wenn er sich jedenfalls nach
nationalem Recht im Mitgliedsstaat rechtmäßig aufhält (deshalb einen Leistungsausschluss nach § 21 Abs. 1 SGB
XII ablehnend: LSG NRW, 3.11.2006 - L 20 B 248/06 AS ER). Auch liegt hier ein rechtmäßiger Aufenthalt bereits darin
begründet, dass ein unrechtmäßiger Aufenthalt bisher von der Ausländerbehörde nicht festgestellt ist. Insoweit ist der
Gesetzesbegründung zu § 11 FreizügG/EU eindeutig zu entnehmen, dass ein Unionsbürger dem FreizügG/EU
solange unterliegt, bis die Ausländerbehörde eine Feststellung des Nichtbestehens oder des Verlustes des Rechts auf
Einreise und Aufenthalt nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU erlassen hat (BT Drucks 15/420, S. 106). Zu beachten bleibt
aber, dass der EuGH es damit nur als mit dem Diskriminierungsverbot aus Art. 12 und 18 EG-V unvereinbar
angesehen hat, einen Unionsbürger von Sozialhilfeleistungen auszuschließen, die unter den gleichen
Voraussetzungen den eigenen Staatsangehörigen zustehen. Mit Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende
durch das SGB II ist das deutsche Grundsicherungssystem jedoch von der Besonderheit geprägt, grundsätzlich
erwerbsfähige Hilfebedürftige von Leistungen nach dem SGB XII auszuschließen und sie allein der auf eine
Integration in das Erwerbsleben ausgerichteten Grundsicherung für Arbeitsuchende mit ihren besonderen
Aktivierungsinstrumenten zu unterwerfen. Der Ausschluss hinsichtlich der Sozialhilfe betrifft daher erwerbsfähige
Deutsche und sonstige Unionsbürger gleichermaßen.
Die Kostenentscheidung beruht auf dem Ausgang des Rechtsstreits entsprechend § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit einer weiteren Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).