Urteil des LSG Hessen vom 08.02.1990

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Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 08.02.1990 (rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 9 Kr 85/85
Hessisches Landessozialgericht L 1/8 Kr 1359/88
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 30. März 1988 sowie der
Bescheid vom 24. Juli 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. April 1985 aufgehoben.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen Aufwendungen beider
Instanzen zu erstatten. Im übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Feststellung der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung ab 1. Januar 1984.
Der Kläger war vom 1. April 1976 bis 30. Juni 1984 bei der Beigeladenen zu 2) als Apothekenhelfer beschäftigt und
unterlag der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung sowie der Beitragspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit.
Versicherungspflicht in der Krankenversicherung bestand wegen der Höhe des erzielten Arbeitsentgeltes bis
einschließlich 1983 nicht. Im Dezember 1983 erlitt der Kläger Gehirnblutungen und wurde arbeitsunfähig.
Infolgedessen erbrachte die Beigeladene zu 1) Krankenhilfeleistungen. Inzwischen bezieht er Versichertenrente wegen
Erwerbsunfähigkeit.
Nach Erhöhung der Jahresarbeitsverdienstgrenze meldete die Beigeladene zu 2) den Kläger zum 1. Januar 1984 auch
zur gesetzlichen Krankenversicherung bei der Beklagten an.
Die Beklagte teilte der Beigeladenen zu 2) mit Bescheid vom 20. Januar 1984 (Durchschrift an Kläger) mit, daß der
Kläger nicht krankenversicherungspflichtig sei. Den beigezogenen Lohnunterlagen habe entnommen werden können,
daß der regelmäßige Jahresarbeitsverdienst 1983 insgesamt 48.474,– DM bei monatlichen Gehaltszahlungen von
3.425,– DM, vermögenswirksamen Leistungen von 624,– DM sowie Urlaubs- und Weihnachtsgeld jeweils in Höhe
eines Bruttomonatsgehaltes betragen habe. Da die Jahresarbeitsverdienstgrenze für 1984 46.800,– DM betrage und
nach eigenen Angaben hinsichtlich der Höhe der Gehaltszahlungen keine neuen Vereinbarungen mit dem Kläger
getroffen worden seien, unterliege dieser auch 1984 nicht der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung.
Deshalb werde die vorgenommene Anmeldung des Klägers annulliert.
Am 27. Januar 1984 gab die Beigeladene zu 2) gegenüber dem Außendienst der Beklagten an, daß der Kläger
während der gesamten Zeit seiner Beschäftigung überwiegend keinen Urlaub in Anspruch genommen habe.
Abgesehen von zwei Kurzurlauben von jeweils acht bis zehn Tagen und dem Jahr 1980, in dem der Kläger seinen
Urlaub (28 Tage) angetreten habe, habe er stattdessen Urlaubsabgeltungen erhalten. Für 1984 habe der
Urlaubsanspruch nicht mehr finanziell ausgeglichen werden sollen. Die Zahlung eines zusätzlichen Monatsgehaltes im
April 1983 sei zum Ausgleich für den im Jahre 1982 nicht genommenen Urlaub erfolgt.
Durch weiteren Bescheid vom 30. Januar 1984 ergänzte die Beklagte ihre getroffene Entscheidung und wies darauf
hin, daß der Kläger auch im Jahre 1983 seinen arbeitsrechtlichen Anspruch auf Arbeitsbefreiung mit Entgeltzahlung
nicht wahrgenommen habe. Ihm habe deshalb am 1. Januar 1984 das bis dahin vorbehaltlos gezahlte weitere
Monatsgehalt zugestanden, das damit dem regelmäßigen Jahresarbeitsverdienst hinzuzurechnen gewesen sei.
Entscheidend sei nicht die Bezeichnung der Zuwendung, sondern die Regelmäßigkeit der Zahlung.
Nachdem sich der Kläger gegen die Berücksichtigung der Urlaubsabgeltung von 3.425,– DM (Schreiben an die
Beklagte vom 9. Februar 1984) gewandt hatte, erteilte diese dem Kläger unter dem 24. Juli 1984 einen weiteren
Bescheid, in dem sie erneut eine Versicherungspflicht des Klägers ab 1. Januar 1984 ablehnte. Der Kläger habe
regelmäßig wiederkehrend seinen Urlaub "verkauft”, indem er durchgehend gearbeitet und hierfür Arbeitsentgelt
erhalten habe. Auch im Jahre 1983 habe er bis zu seiner Erkrankung am 21. Dezember 1983 von seinem
Urlaubsanspruch keinen Gebrauch gemacht, so daß ihm am 1. Januar 1984 hierfür eine Bezahlung zugestanden
habe, die dem Jahresarbeitsverdienst als zusätzliches 14. Monatsgehalt hinzuzurechnen sei.
Hiergegen legte der Kläger am 30. Juli 1984 Widerspruch ein, da er nach seiner Auffassung der Versicherungspflicht
in der Krankenversicherung unterliege. Der Urlaubsanspruch für 1983 bestehe nach dem Bundesurlaubsgesetz bis
zum 1. März 1984. Seine seit dem 21. Dezember 1983 bestehende Arbeitsunfähigkeit ändere hieran nichts. Im
übrigen habe es seine Arbeitgeberin abgelehnt, ihm seinen Urlaubsanspruch im Jahre 1984 "abzukaufen”. Selbst wenn
Urlaub im Vorjahr nicht genommen worden sei, bestehe im folgenden Jahr ein voller Anspruch auf Urlaub. Die
vorherige Vereinbarung einer Abgeltung des Urlaubs durch Zahlung eines weiteren Monatsgehalts sei unzulässig.
Deshalb dürfe dieser Betrag der Einkommensberechnung für 1984 auch nicht zugrunde gelegt werden.
Nach beendetem Arbeitsverhältnis erhielt der Kläger von der Beigeladenen zu 2) im Dezember 1984 eine
Urlaubsabgeltungszahlung für 1983 und den Zeitraum vom 1. Januar 1984 bis 30. Juni 1984.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19. April 1985 zurück. Das regelmäßige
Jahreseinkommen des Klägers habe auch im Jahre 1984 die maßgebliche Beitragsbemessungsgrenze in Höhe von
46.800,– DM überschritten. Maßgebend sei das im Laufe eines Jahres mit hinreichender Sicherheit zu erwartende
Arbeitsentgelt, ohne Rücksicht darauf, ob ein dementsprechender Rechtsanspruch bestehe und wann der Anspruch
entstanden sei. Ob das Arbeitsentgelt regelmäßig die monatliche Bezugsgröße übersteige, sei danach zu beurteilen,
welche Zahlungen der Beschäftigte bei vorausschauender, den Zeitraum eines Jahres umfaßender Betrachtung, zu
erwarten habe. Hierzu gehörten auch solche Bezüge, deren Zahlung nach der bisherigen Übung auch künftig mit
hinreichender Sicherheit zu erwarten sei. Die Abgeltung des Urlaubsanspruchs habe aufgrund der Übung der
vorangegangenen Jahre mit hinreichender Sicherheit auch für das Jahr 1984 erwartet werden können, so daß sie bei
der Ermittlung des Jahresarbeitsverdienstes mit zu berücksichtigen gewesen sei. Dabei käme dem Umstand keine
Bedeutung zu, daß das Bundesurlaubsgesetz keinen "Verkauf des Urlaubs” vorsähe. Unabhängig von er Zulässigkeit
einer dennoch zwischen den Beteiligten des Arbeitsverhältnisses getroffenen Abgeltungsvereinbarung habe der
Arbeitgeber – selbst wenn die Beigeladene zu 2) dies für 1984 nicht gewollt habe – Wertersatz für den nicht
genommenen Urlaub nach den Regeln über die ungerechtfertigte Bereicherung zu leisten. Im übrigen sei die Abgeltung
des Urlaubs auch im Jahre 1984 geplant gewesen und tatsächlich erfolgt.
Die am 14. Mai 1985 beim Sozialgericht Frankfurt am Main erhobene Klage hat das Sozialgericht durch Urteil vom 30.
März 1988 abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, daß der Kläger auch ab 1. Januar 1984 nicht
in der Krankenversicherung versicherungspflichtig gewesen sei, da sein regelmäßiger Jahresarbeitsverdienst die
gesetzliche Grenze überschritten habe. Die Urlaubsabgeltung sei im Hinblick auf die jahrelange Übung im Verhältnis
zwischen dem Kläger und seiner ehemaligen Arbeitgeberin anzurechnen gewesen. Auf die arbeitsrechtliche
Unzulässigkeit eines solchen Verhaltens käme es im Beitragsrecht, das auf die tatsächlichen Verhältnisse abstelle,
nicht an.
Gegen dieses dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 7. November 1988 zugestellte Urteil richtet sich die mit
Schriftsatz vom 8. November 1988 – eingegangen beim Sozialgericht Frankfurt am Main am 10. November 1988 –
eingelegte Berufung, mit der sich der Kläger unter Wiederholung seines Rechtsstandpunktes gegen die getroffene
Entscheidung des Sozialgerichts wendet. Er vertritt die Auffassung, daß die Erzielung von Einkünften, die nach
zwingenden gesetzlichen Vorschriften unzulässig seien, nicht bei der Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes mit
berücksichtigt werden dürften. Zwar seien bei der vorzunehmenden vorausschauenden Betrachtung auch die
tatsächlich zu erwartenden Einkünfte einzubeziehen.
Er habe aber Anfang 1984 nicht damit rechnen können, erneut eine Urlaubsabgeltung zu erhalten. Von einer
"betrieblichen Übung” könne bei dem eindeutigen Verstoß gegen das Bundesurlaubsgesetz nicht gesprochen werden.
Hiervon würden nur Lohnbestandteile erfaßt, die rechtlich zulässig seien.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 30. März 1988 sowie den Bescheid der
Beklagten vom 24. Juli 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. April 1985 aufzuheben und seine
Versicherungspflicht in der Krankenversicherung ab dem 1. Januar 1984 festzustellen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend und bezieht sich zur Begründung auf die Entscheidungsgründe
sowie ihr bisheriges Vorbringen.
Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.
Durch Beschlüsse vom 1. November 1989 und 25. Januar 1990 hat der Senat die Stadt Frankfurt am Main, Frau und
die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte zum Verfahren beigeladen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 8. Februar 1990 waren die Beigeladenen zu 1) und 2) weder erschienen
noch vertreten.
Hinsichtlich des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen wird auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und der
beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte über die Berufung des Klägers auch in Abwesenheit der Beigeladenen zu 1) und 2) aufgrund
mündlicher Verhandlung entscheiden, da sie auf diese Möglichkeit in der schriftlichen Terminsladung hingewiesen
worden sind (§§ 110 Abs. 1 Satz 2, 124 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz –SGG–).
Die Berufung ist zulässig, denn sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie an sich statthaft (§§ 143, 151 SGG).
Die Berufung ist auch sachlich begründet.
Das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main konnte nicht aufrechterhalten werden, denn der Kläger unterlag ab 1.
Januar 1984 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung.
Nach § 165 Abs. 1 Nr. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO – in der bis zum 31. Dezember 1988 geltenden Fassung
– a.F.) werden für den Fall der Krankheit Angestellte versichert, wenn ihr regelmäßiger Jahresarbeitsverdienst
fünfundsiebzig vom Hundert der für Jahresbezüge in der Rentenversicherung der Arbeiter geltenden
Beitragsbemessungsgrenze (§ 1385 Abs. 2) nicht übersteigt.
Diese Voraussetzungen lagen zugunsten des Klägers am 1. Januar 1984 vor, denn sein Einkommen überstieg die für
das Jahr 1984 geltende Beitragsbemessungsgrenze in der Krankenversicherung von 46.800,– DM (entsprechend 75
% von 62.400,– DM, vgl. § 1385 Abs. 2 Satz 1 RVO) nicht. Zwar regelt das Gesetz nicht, wie der für die
Krankenversicherungspflicht maßgebliche regelmäßige Arbeitsverdienst zu berechnen ist. Nach der Rechtsprechung
(BSGE 23, 129, 131; 24, 262, 265; BSG SozR 2200 § 165 RVO Nrn. 15, 65; LSG Essen DOK 1955, 54, 55), der der
Senat folgt, ist hierfür das Arbeitsentgelt aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung als Angestellter maßgebend,
wie es im voraus für das kommende Kalenderjahr festzustellen ist. Regelmäßiger Jahresarbeitsverdienst ist nur der
Verdienst, von dem zu Beginn des Beschäftigungsverhältnisses und jeder folgenden Arbeitsperiode zu erwarten ist,
daß er bei normalem Verlauf voraussichtlich ein Jahr anhalten wird. Neben dem fest vereinbarten Entgelt für eine
Lohnperiode, das auf ein Jahr umzurechnen ist, sind auch solche Bezüge zu berücksichtigen, deren Zahlung nach der
bisherigen Übung auch künftig mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist, selbst wenn ein Rechtsanspruch auf sie
nicht besteht. Insoweit entspricht der Begriff des Jahresarbeitsverdienstes im wesentlichen dem Begriff des Entgeltes
in § 14 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften (SGB IV) (BSG SozR a.a.O. Nr. 65).
Bei der somit gebotenen vorausschauenden Bestimmung des Jahresarbeitsverdienstes war der Kläger zu Beginn des
Jahres 1984 mit dem zu erwartenden Entgelt aus seiner, Tätigkeit für die Beigeladene zu 2) in der
Krankenversicherung versicherungspflichtig. Auszugehen ist zunächst wie im Jahre 1983 von regelmäßigen
monatlichen Gehaltszahlungen von 3.425,– DM, da Gehaltserhöhungen unstreitig für 1984 nicht vorgesehen waren
(Schreiben der Beigeladenen zu 2) vom 13. Januar 1984 und 27. Januar 1984 an die Beklagte). Auf das Jahr
umgerechnet ergibt sich demnach ein Betrag von 41.100,– DM. Diesem sind vermögenswirksame Leistungen von
insgesamt 624,– DM (12 × 52,– DM) sowie ein weiteres Bruttomonatsentgelt als Weihnachtsgeld hinzuzurechnen, das
von der Beigeladenen zu 2) ausweislich der der Beklagten vorgelegten Lohnkonten in der Vergangenheit jährlich
immer ohne Vorbehalt gewährt worden ist. Da die Beigeladene zu 2) dem Kläger hinsichtlich dieser Übung auch keine
Veränderungen in der Zukunft angekündigt hat, ist im Sinne der genannten Rechtsprechung mit hinreichender
Sicherheit davon auszugehen, daß auch für 1984 eine Weihnachtsgratifikation zu erwarten war, die deshalb bei der
Bestimmung des Jahresarbeitsverdienstes 1984 berücksichtigt werden mußte. Bei Addition dieser Beträge betrug der
voraussichtliche Jahresarbeitsverdienst 1984 somit insgesamt 45.149,– DM.
Hinsichtlich der zwischen den Beteiligten allein streitigen Berücksichtigung eines weiteren Bruttomonatsgehaltes als
"Urlaubsabgeltung” für 1983 ist nach Auffassung des Senats eine differenzierende Betrachtung geboten.
Nach den Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) ist der nach § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG unabdingbare
Anspruch eines Arbeitnehmers auf Urlaub ein selbständiger, aus der allgemeinen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers
abgeleiteter, gesetzlich konkretisierter Anspruch auf Gewährung von Freizeit unter Fortzahlung des Arbeitsentgeltes
(Stahlhacke/Bachmann/Bleistein, Gemeinschaftskommentar zum Bundesurlaubsgesetz, 4. Auflage 1984, § 1 Rd. 10;
Dersch/Neumann, Bundesurlaubsgesetz, 6. Auflage 1981, § 1 Rd. 64). Um den beabsichtigten Erholungszweck des
Gesetzes zu erreichen muß deshalb der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine
Übertragung ist nur im Falle dringender betrieblicher oder in der Person des Arbeitnehmers liegender Gründe innerhalb
der ersten drei Monate des folgenden Jahres zulässig (§ 7 Abs. 3 BUrlG). Demgegenüber ist die Zahlung einer
Urlaubsabgeltung als Surrogat für den Anspruch auf Erholung gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG nur dann vorgesehen, wenn
Urlaub wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr genommen werden kann. Hieraus folgt –
ungeachtet der im einzelnen streitigen Herleitung (vgl. hierzu: Stahlhacke/Bachmann/Bleistein, a.a.O., § 7 Rd. 178
m.w.N.) – nach allgemeiner Auffassung ein Verbot der Abgeltung von Urlaub während eines bestehenden
Arbeitsverhältnisses, da dem Arbeitnehmer hierdurch die Möglichkeit genommen würde, die ihm zustehende
Urlaubszeit zur Erholung zu verwenden (Stahlhacke/Bachmann/Bleistein, a.a.O.; Dersch/Neumann, a.a.O., § 7 Rd.
102; BSG, Urteil vom 27. Juni 1984 – 3 RK 9/83). Diesem Verbot entgegenstehende Vereinbarungen der
Vertragsparteien sind deshalb gemäß § 134 BGB nichtig (Dersch/Neumann, a.a.O., § 7 Rd. 104 m.w.N.).
Nach Ablauf des Jahres 1983 bestand demnach am 1. Januar 1984 entgegen der Auffassung der Beklagten in den
angefochtenen Bescheiden unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein bei der Berechnung des
Jahresarbeitsverdienstes zu berücksichtigender Anspruch des Klägers gegenüber der Beigeladenen zu 2) auf Zahlung
eines Monatsgehalts zum Zwecke der Abgeltung des im Jahre 1983 nicht genommenen Urlaubs. Vielmehr konnte der
Kläger allenfalls wegen seiner im Dezember 1983 eingetretenen Arbeitsunfähigkeit eine Übertragung des Urlaubs auf
das folgende Jahr (§ 7 Abs. 3 BUrlG) verlangen, denn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses war zu Beginn des
Jahres 1984 nicht absehbar. Die Kündigung des Klägers erfolgte erst nach Ablauf der Lohnfortzahlung Mitte Februar
1984 zum 30. Juni 1984. Da Urlaubsabgeltungen somit nur im Ausnahmefall bei Beendigung eines
Arbeitsverhältnisses gezahlt werden dürfen, gehören sie auch nicht zu den regelmäßig zu erwartenden Einkünften, die
allein der Berechnung des Arbeitsverdienstes zugrunde zulegen sind (ebenso ohne Begründung: Brackmann,
Handbuch der Sozialversicherung, S. 314 m).
Im Hinblick auf den zwingenden Charakter des Abgeltungsverbots verbieten sich auch die von der Beklagten zur
Begründung ihrer Rechtsauffassung herangezogenen Erwägungen, daß nicht genommener Urlaub ungeachtet der
Zulässigkeit nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen und nach der Anschauung des täglichen Lebens immer vom
Arbeitgeber abzugelten sei. Die zur Durchsetzung des gesetzlich angestrebten Erholungszwecks allein vorgesehene
Rechtsfolge im laufenden Arbeitsverhältnis ist das ersatzlose Erlöschen des Urlaubsanspruchs nach Ablauf eines
Kalenderjahres, spätestens nach Ablauf der ersten drei Monate des folgenden Jahres. Dies gilt auch und gerade in
den Fällen, wo – wie hier – der Arbeitnehmer wegen durchgehender Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des
Arbeitsverhältnisses tatsächlich darin gehindert ist, Urlaub zu nehmen. Der Anspruch auf Abgeltung ist dann ebenso
wie der Urlaubsanspruch wegen der Unmöglichkeit, die vertraglich geschuldete Leistung zu erbringen, nicht erfüllbar
und erlischt (st. Rspr. BAG in NZA 1989, 763, 764 m.w.N.).
Da der "Verkauf von Urlaub” unzulässig ist, vermag auch in der Vergangenheit tatsächlich hiervon abweichendes
Verhalten des Klägers und der Beigeladenen zu 2) keine "betriebliche Übung” (Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 5.
Auflage 1983, S. 686 ff.) zu begründen, die die Beigeladene zu 2) dazu verpflichtete, dieses verbotswidrige Verhalten
auch in der Zukunft fortzusetzen. Gegenstand einer betrieblichen Übung mit Rechtswirkungen kann nämlich nur sein,
was auch Inhalt von Arbeitsverträgen sein kann (Schaub, a.a.O., S. 671). Bei der verbotswidrigen Vereinbarung einer
Urlaubsabgeltung fehlt es aber an einem wirksamen Verpflichtungstatbestand, der die Berücksichtigung derselben
rechtfertigen könnte.
Zwar können – wie ausgeführt – auch Bezüge der Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes zugrunde gelegt werden,
auf die kein Rechtsanspruch besteht. Dies setzt aber voraus, daß sie nach der bisherigen Übung mit hinreichender
Sicherheit zu erwarten sind. Entscheidend ist demnach, ob der Versicherte mit der Zahlung einer Urlaubsabgeltung im
Jahre 1983 rechnen konnte. Dies ist nach Auffassung des Senats nicht der Fall, denn eine aufgrund nichtiger
Vereinbarung nicht bestehende und deshalb nicht durchsetzbare Forderung kann nicht einplanbarer Gehaltsbestandteil
für den Arbeitnehmer sein, auch wenn in der Vergangenheit überwiegend unter Verstoß gegen zwingende Vorschriften
Urlaub ganz oder teilweise abgegolten worden ist. Diese tatsächlich erfolgten Zahlungen unterlagen im Zeitpunkt der
Zahlung gegebenenfalls der Beitragspflicht zur Sozialversicherung. Hiervon zu unterscheiden ist aber die hier
ausschließlich auf die Zukunft gerichtete Bestimmung des voraussichtlichen regelmäßigen Jahresarbeitsverdienstes,
bei dem die Berücksichtigung einer rechtlich nicht existenten und verbotswidrigen Forderung ausgeschlossen ist.
Regelmäßig erwartet werden kann nur eine rechtlich zulässige Zahlung. Insoweit unterscheidet sich dieser Fall von
den bisher höchstrichterlich entschiedenen Fällen, in denen es ausnahmslos um die Berücksichtigung rechtlich
erlaubter und regelbarer Entgeltzahlungen ging (BSG SozR, a.a.O., Nr. 65 (Bereitschaftsdienstvergütung); BSG, Urteil
vom 28. Februar 1984 – 12 RK 21/83 (Weihnachtsgratifikation).
Allerdings ist eine Vereinbarung über die Abgeltung von Erholungsurlaub nur für die Dauer des gesetzlichen
Mindesturlaubs von 18 Werktagen (vgl. § 3 Abs. 1 BUrlG) nichtig, während über vertraglich garantierten Mehrurlaub
frei verfügt werden kann (Stahlhacke/Bachmann/Bleistein, a.a.O., § 1 Rdnrn. 96, 111; § 3 Rdnr. 49; § 7 Rdnr. 179). Da
der Kläger jährlich Anspruch auf 28 Arbeitstage Urlaub bei einer Sechs-Tage-Woche und vierzig Wochenstunden
hatte, bestand somit die Möglichkeit, hinsichtlich von zehn Urlaubstagen eine Vereinbarung über die Abgeltung nicht
in Anspruch genommener Freizeit zu treffen. Dieser Betrag könnte auch grundsätzlich bei der Berechnung des
Jahresarbeitsverdienstes zu berücksichtigen sein. Abschließende Feststellungen waren hierzu jedoch entbehrlich, da
der Kläger selbst bei Berücksichtigung einer anteiligen Abgeltung des Urlaubs von zehn Tagen in Höhe von 1.427,–
DM (zehn × 142,70 DM) insgesamt (45.149,– DM + 1.427,– DM = 46.576,– DM) nicht die im Jahre 1984 maßgebende
Grenze (46.800,– DM) überschreitet. Dabei beträgt nach der Berechnung des § 11 BUrlG die Höhe der
Urlaubsabgeltung pro Tag bei einer Sechs-Tage-Woche ein Sechstel (= 142,70 DM) des durchschnittlichen
Wochenarbeitsverdienstes (3.425,– DM: 4 = 856,25 DM).
Da bei der Feststellung des regelmäßigen Jahresarbeitsverdienstes am 1. Januar 1984 für den Zeitraum des
gesetzlichen Mindesturlaubs keine Abgeltungszahlungen für den im Jahre 1983 nicht in Anspruch genommenen
Urlaub zu berücksichtigen waren, unterfiel der Kläger ab 1. Januar 1984 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen
Krankenversicherung. Das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main mußte deshalb auf die Berufung des Klägers
aufgehoben werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).