Urteil des LSG Hessen vom 17.07.2003

LSG Hes: unfallfolgen, arbeitsunfall, psychiatrische behandlung, betroffene person, ärztliche behandlung, unfallversicherung, erwerbsfähigkeit, behinderung, entstehung, anerkennung

Hessisches Landessozialgericht
Beschluss vom 17.07.2003 (rechtskräftig)
Sozialgericht Gießen S 1 U 650/97
Hessisches Landessozialgericht L 3 U 36/02
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 30. Oktober 2001 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin streitet um die Weitergewährung einer Verletztenrente über den Monat Januar 1997 hinaus.
Die Klägerin war als Reinigungskraft im Fitness-Center R. in W. beschäftigt und rutschte am 31. März 1995 auf dem
Nachhauseweg von der Arbeit auf einem eisglatten Gehweg aus, wobei sie sich einen Bruch des linken
Außenknöchels zuzog. Nach konservativer Behandlung wurde sie ab 21. Juli 1997 wieder arbeitsfähig. Mit Bescheid
vom 10. Juli 1996 gewährte die Beklagte der Klägerin eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit
(MdE) von 20 v.H. ab 21. Juli 1995 bis 29. Februar 1996 und lehnte darüber hinaus die Gewährung der Verletztenrente
ab, da eine MdE rentenberechtigenden Grades nicht mehr feststellbar sei. Als Unfallfolgen wurden nach einem in
achsengerechter Stellung knöchern fest verheilten Außenknöchelbruch (Typ Weber C) links eine
Bewegungseinschränkung im linken oberen Sprunggelenk, eine geringgradige Bewegungseinschränkung im linken
unteren Sprunggelenk, eine Schwellneigung im Bereich des linken Außenknöchels und eine Kalksalzminderung im
linken oberen Sprunggelenk festgestellt. Bei einer Zuckererkrankung und einer Fußheber-/Fußsenkerschwäche rechts
handele es sich um nicht unfallbedingte Leiden. Dem Bescheid lag das Gutachten des Assistenzarztes W.,
Kreiskrankenhaus W., vom 10. Mai 1996 zugrunde. Auf den Widerspruch der Klägerin korrigierte die Beklagte ihre
Entscheidung mit Bescheid vom 14. August 1996 und gewährte der Klägerin über den Monat Februar 1996 hinaus bis
auf weiteres die vorläufige Verletztenrente.
Die Beklagte ließ zur erstmaligen Feststellung der Dauerrente das Gutachten der Dres. Sch. und H.,
Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik F. (BGUK), vom 11. November 1996 erstellen, das die bei der Klägerin
verbliebenen Unfallfolgen in Gestalt einer leichten Verplumpung der linken Knöchelgabel, einer geringgradigen
Minderung der Dauerbelastbarkeit des linken oberen Sprunggelenks bei freier Beweglichkeit und röntgenologisch
knöchern konsolidierter körperferner Wadenbeinfraktur links mit einer MdE von weniger als 10 v.H. bewertete. Nach
Anhörung der Klägerin mit Schreiben vom 3. Dezember 1996 entzog die Beklagte mit Bescheid vom 15. Januar 1997
die vorläufige Verletztenrente mit Ablauf des Monats Januar 1997 und lehnte die Gewährung einer Dauerrente darüber
hinaus ab. Als Unfallfolgen erkannte sie an: Nach in achsengerechter Stellung knöchern fest verheiltem
Außenknöchelbruch (Typ Weber C) links: Leichte Verplumpung der linken Knöchelgabel, geringgradige Minderung der
Dauerbelastbarkeit des linken oberen Sprunggelenks.
Die Nichtunfallfolgen bezeichnete sie unverändert. Mit Widerspruchsbescheid vom 11. März 1997 verblieb sie bei
dieser Entscheidung.
Mit Klage vom 8. April 1997 machte die Klägerin vor dem Sozialgericht Gießen (SG) geltend, ihre Unfallfolgen
rechtfertigten eine MdE von mindestens 20 v.H. auch über den Monat Januar 1997 hinaus, da der Fuß weiterhin nicht
dauerhaft belastbar sei, weswegen sie sich auf eine Attest des behandelnden praktischen Arztes Dr. T. vom 24. Juli
1997 berief.
Das SG holte den Befundbericht des Dr. T. vom 11. Mai 1998, das fachorthopädische Gutachten des Dr. K. vom 26.
Juni 1998 von Amts wegen sowie auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten des
Orthopäden W. vom 13. August 1999 ein. Beide Sachverständige bewerteten die am linken Bein der Klägerin
verbliebenen Unfallfolgen mit einer MdE von 10 v.H. Dr. K. sprach von belastungsabhängigen Schmerzen im Bereich
des linken Sprunggelenks bei klinisch und radiologisch weitgehend unauffälligen Verhältnissen nach knöchern
vollkommen ausgeheilter Sprunggelenksfraktur. Der Orthopäde W. konnte darüber hinaus eine sekundäre Arthrose
sowie freie Gelenkkörper am linken oberen Sprunggelenk ausschließen, ging von einer radiologisch ohne
Stufenbildung vollkommen ausgeheilten und durchbauten Fraktur aus und erwähnte belastungsabhängige Schmerzen
im Bereich des linken oberen Sprunggelenks bei klinisch nur minimal eingeschränkter Beweglichkeit und minimaler
Schwellneigung.
Nachdem die Klägerin vom SG auf die Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels hingewiesen worden war, legte diese das
Attest des Dr. St., Facharzt für Psychiatrie, vom 10. Dezember 1999 vor, das über eine ambulante psychiatrische
Behandlung der Klägerin ab 20. März 1998 wegen einer reaktiven Überlastung nach dem Arbeitsunfall berichtet. Auf
Antrag der Klägerin wurde sodann nach § 109 SGG das Gutachten des Dr. St. vom 29. September 2000 eingeholt. Dr.
St. gegenüber gab die Klägerin an, sie sei nach dem Unfall psychisch anfälliger und leichter reizbar. Sie empfinde es
nicht als gerecht, dass sie die vorher bezogene Unfallrente nicht mehr gezahlt bekomme. Dr. St. geht davon aus,
dass bei der Klägerin eine schwere depressive Erkrankung ohne psychotische Symptomatik vorliege bei unsicherer
emotionaler Kindheitsentwicklung und wiederholter Traumatisierung in der Ehe sowie fortbestehender Partner- und
Konfliktsituation in einer zweiten Ehe. Die Klägerin sei in M. in der früheren CSSR am 19. Juli 1943 geboren, habe
dort mit Mutter und sechs Geschwistern gelebt. Der Vater sei ein Tag nach ihrer Geburt im Kriege gefallen und die
Mutter habe mit den Kindern 1946 die Heimat verlassen müssen. Die 1970 geschlossene erste Ehe sei sehr schlecht
gewesen, sei kinderlos verblieben und habe durch Scheidung im Oktober 1983 geendet. Der damalige Ehemann sei
viel fremd gegangen, habe Alkohol getrunken und sie geschlagen, so dass sie ihn schließlich rausgeschmissen habe.
Ihren zweiten Mann habe sie 1980 kennen gelernt und 1989 geheiratet. Die gemeinsame Tochter sei 1983 geboren
worden. Auch mit ihm habe sie erhebliche private Probleme. Geheiratet hätten sie wegen der Tochter. Er habe alle
Geschwister rausgeekelt und eine Gütertrennung verlangt. Eine Trennung sei ihr wegen der Tochter zur Zeit noch
nicht möglich, da sie von ihm kein Geld bekomme. Als Diagnosen führt das Gutachten auf: Posttraumatische
Belastungsstörung (F 43.1), Anpassungsstörung (F 43.2), andauernde Persönlichkeitsänderung (F 62.0), Entwicklung
körperlicher Symptome aus psychischen Gründen (F 68.0), mittelgradige depressive Episode mit somatischen
Symptomen (F 32.11). Bei diesen Erkrankungen handele es sich um keine Unfallfolgen, es sei jedoch unfallbedingt zu
einer Verschlimmerung der seelischen Erkrankung der Klägerin gekommen. Hierzu führt Dr. St. wörtlich aus: "Durch
die frühere Kindheitstraumatisierung, die sich in beiden Ehen wiederholt hat, den ungenügenden Copping-Strategien
sowie den deutlichen Persönlichkeitsanteilen der historischen und anankastischen Persönlichkeitsstörungen
psychosomatischer Konversionsbildung bei deutlicher Depressionsneigung, wurde die Depression sicherlich deutlich
verstärkt, ebenso die sozialkommunikative Fähigkeit, sich beruflich und privat mit anderen einzulassen. Verstärkt
wurde die Depressivität mit Rückzug, die Mißtrauenssituation anderen gegenüber (auch Ärzten), die körperliche
Beschwerdeneigung (Schwellen d. li. Sprunggelenkes, Taubheitsgefühle rechtes Bein), die innere Schuldsuche und
Fixierung auf den Unfall. Die bestehenden Beschwerden können nun auch den inneren, bestehenden Konflikt, der z.
Z. anders nicht lösbar erscheint (daher ist Psychotherapie weiter notwendig), verschärfen und die subjektive und
anatomisch festgelegte Leidenssituation markieren. Die Abgrenzung liegt zwischen der äußeren, auch nachweisbaren
Deskription der Traumafolgen und den inneren erlebbaren Beschwerden, die sich auch durch Persönlichkeitsanteile
konversiv aufpfropfen, nicht differenzierbar sind und so zu einer Traumaverstärkung beitragen." Dr. St. geht von der
Fortdauer einer rentenberechtigenden MdE von 20 v.H. über den Monat Januar 1997 wegen einer Verschlimmerung
der Unfallfolgen auf psychiatrischem Gebiet aus.
Während die Klägerin dem Gutachten zugestimmt hat, hat die Beklagte eine Stellungnahme des sie beratenden
Neurologen und Psychiaters Dr. Sch. vom 27. November 2000 vorgelegt, wonach die Klägerin nicht an einer
posttraumatischen Belastungsstörung leide. Der Unfall sei weder von der objektiven Schwere noch vom subjektiven
Erleben her geeignet gewesen eine solche Reaktion zu begründen. Diese sei im Übrigen nicht innerhalb des ersten
halben Jahres - wie zu fordern - nach dem Unfall aufgetreten, sei vielmehr erst geltend gemacht worden, als die
rentenberechtigende MdE aus orthopädischer Sicht nicht mehr weiter gewährt worden sei. Auch die typische
Symptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung zeige sich bei der Klägerin nicht. Ihre Depressivität,
emotionale Stumpfheit und vegetative Übererregbarkeit seien Ausdruck einer primären Persönlichkeitsstruktur bzw.
einer als neurotisch zu wertende Reaktionen auf lebenssituative Probleme in der Ehe und am Arbeitsplatz. Es
bestehe der Verdacht auf eine versorgungsneurotische Verursachung oder zumindest versorgungsneurotische
Überlagerung sämtlicher Beschwerden.
Da die Klägerin nicht bereit war, an einer weiteren ambulanten Untersuchung anlässlich eines Gutachtens
teilzunehmen, hat das SG das neurologisch-psychiatrische Gutachten des Dr. G. vom 9. April 2001 nach Aktenlage
eingeholt. Dr. G. kam zu der Auffassung, das Unfallereignis und seine Folgen seien für die psychische Entwicklung
der Klägerin nicht unersetzbar und hätten auch die Möglichkeit zur Selbstbestimmung bei ihr nicht ausgeschaltet.
Krankheitsanlage und Krankheitssymptome seien bereits so ausgeprägt gewesen, dass die Entwicklung auch unter
irgendeiner anderen alltäglichen Belastung des normalen Lebens zur Manifestation gekommen wäre im Rahmen der
Kindheits- und Persönlichkeitsentwicklung, der Eheproblematik und der Arbeitskonflikte und der wirtschaftlichen
Probleme. Bei der Klägerin liege ein deutliches Missverhältnis zwischen der psychischen Reaktion und dem
Unfallereignis vor. Das Unfallereignis sei auf eine vorhandene neurotische Struktur getroffen und der Unfall sei letzter
Anlass gewesen, um die neurotischen Symptome auszulösen bzw. manifest werden zu lassen. Eine
posttraumatische Belastungsstörung sei nicht zu diagnostizieren und eine abgrenzbare Verschlimmerung einer
vorbestehenden Erkrankung lasse sich nicht feststellen. Es handele sich vielmehr um die Fortentwicklung der
zugrunde liegenden psychischen Störung, die sich aus der Biographie und den Belastungen im privaten Bereich
ergebe.
Mit Urteil vom 30. Oktober 2001 hat das SG die Klage abgewiesen. Es ist davon ausgegangen, dass die bei der
Klägerin fortbestehenden Unfallfolgen auf orthopädischem Gebiet mit einer nicht rentenberechtigenden MdE zu
bewerten seien, wie die Gutachten des Dr. K. und des Orthopäden W. ergeben hätten. Eine depressive Erkrankung
der Klägerin sei zudem nicht Unfallfolge - weder im Sinne der Entstehung nach Dr. St. und Dr. G. und auch nicht im
Sinne der Verschlimmerung. Dies habe Dr. St. zwar im Ergebnis bejaht, wobei seine Antwort jedoch nicht überzeuge
und den rechtlichen Vorgaben insbesondere hinsichtlich eines abgrenzbaren Verschlimmerungsanteils nicht gerecht
werde. Dr. St. spreche auch nur von einem "Aufpfropfen" der Traumafolgen, die nicht differenzierbar seien und so zu
einer Traumaverstärkung beigetragen hätten.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 13. Dezember 2001 zugestellte Urteil am 8. Januar 2002 Berufung beim
Hessischen Landessozialgericht eingelegt und geht davon aus, dass ihr unfallbedingt Verletztenrente nach einer MdE
von 30 v.H. gewährt werden müsse. Denn die seelische Erkrankung sei unfallbedingt wesentlich verschlimmert
worden mit einer MdE von 20 v.H. nach Dr. St ... Hinzu komme eine MdE von 10 v.H. für die Unfallfolgen auf
chirurgischem Gebiet.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 30. Oktober 2001 aufzuheben und die Beklagte
unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Januar 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. März
1997 zu verurteilen, eine Verschlimmerung ihrer psychischen Beschwerden als weitere Folge des Arbeitsunfalls vom
31. März 1995 anzuerkennen und ihr eine Verletztenrente nach einer MdE von 30 v.H. ab 1. Februar 1997 zu
gewähren, hilfsweise, eine weitere ergänzende Stellungnahme des Dr. St. zur Klärung der streitigen
Zusammenhangsfrage einzuholen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und die Ausführungen des Dr. St. durch die Stellungnahme
des Dr. Sch. und das Gutachten des Dr. G. für widerlegt. Eine danach allein auf chirurgischem Gebiet verbliebene
MdE sei nicht rentenberechtigend.
Der Senat hat die Schwerbehindertenakte der Klägerin vom Versorgungsamt Gießen beigezogen, worin sie mit
Bescheid vom 11. September 2002 als Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 anerkannt
ist. Als Behinderung zu 1 mit einem Einzel-GdB von 40 ist eine seelische Behinderung anerkannt und mit einem GdB
von 10 als weitere Behinderung ein Fußgelenkleiden. Der Senat hat von Amts wegen eine ergänzende Stellungnahme
des Dr. St. vom 5. August 2002 zum erstinstanzlich erstatteten Gutachten eingeholt. Darin geht Dr. St. davon aus,
dass es bei der Klägerin zu einer verzögerten Reaktion infolge der Ablehnung der Verletztenrente gekommen sei.
Dabei handele es sich nicht um eine Begehrenshaltung sondern eine Re-Traumatisierung durch Männer, durch die
frühere Gewalt- und Ohnmachtsphasen wieder ausgelöst und die psychopathologische Symptomatik erneut in Gang
gesetzt worden sei. So werde das posttraumatische Belastungssyndrom verspätet durch den Unfall signifikant und
über die ärztlich-institutionellen Abläufe (Gutachten, Gerichte) chronifiziert. Das Unfallereignis habe wesentlich zum
Eintritt der Gesundheitsstörungen beigetragen. Dabei handele es sich nicht um eine Gelegenheitsursache. Nur durch
den Unfall, die Behinderung und den späteren Wegfall der Unfallrente habe sich mit dem weiteren Procedere von
Begutachtungen und Gerichtsbeschlüssen die pathologische Re-Traumatisierung inszenieren lassen. Die
Belastungsstörung habe sich psychiatrisch sicherlich nach etwa sechs Monaten entwickelt, was allerdings
Orthopäden und Chirurgen nicht unbedingt hätten diagnostizieren können. Die Entschädigungsinteressen seien nicht
Motivation für eine Begehrenshaltung sondern Ausdruck einer eigenständigen Lösung der Klägerin um das Trauma zu
überwinden. Das "Aufpfropfen" der Traumafolgen habe signifikant zur posttraumatischen Belastungsstörung durch Re-
Traumatisierung geführt.
Mit Schreiben vom 7. April und 7. Mai 2003 hat das Berufungsgericht die Beteiligten zu einer Entscheidung durch
Beschluss nach § 153 Abs. 4 SGG angehört.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten
Bezug genommen, die Gegenstand des Verfahrens gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Der Senat hält die Berufung der Klägerin einstimmig für nicht begründet und eine mündliche Verhandlung nicht
erforderlich, so dass er nach Anhörung der Beteiligten mit Schreiben vom 7. April und 7. Mai 2003 das Rechtsmittel
durch Beschluss zurückgewiesen hat (§ 153 Abs. 4 SGG). Denn SG und Beklagte haben zu Recht mit Ablauf des
Monats Januar 1997 die der Klägerin gewährte vorläufige Verletztenrente entzogen und die Gewährung einer
Dauerrente abgelehnt, da bei der Klägerin keine Unfallfolgen mit rentenberechtigender MdE auf Dauer verblieben sind.
Die von der Klägerin geltend gemachten Entschädigungsansprüche richten sich noch nach den Vorschriften der
Reichsversicherungsordnung (RVO), da ihr Arbeitsunfall am 31. März 1995 und damit vor Inkrafttreten des
Sozialgesetzbuches 7. Band (SGB 7) am 1. Januar 1997 eingetreten ist (Artikel 36
Unfallversicherungseinordnungsgesetz, § 212 SGB 7) und da die Entscheidung über die Dauerrente im Januar 1997
nach vorheriger Zahlung einer vorläufigen Verletztenrente keine "erstmalige" Entschädigung im Sinne des § 214 Abs.
3 Satz 1 SGB 7 ist (Graeff in: Hauck, SGB 7, Gesetzliche Unfallversicherung, Kommentar, Anm. 5 zu § 214). Nach
§§ 580 Abs. 1, 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO erhält eine Versicherte eine Verletztenrente aus der gesetzlichen
Unfallversicherung, wenn die Folgen des Arbeitsunfalls (§ 548 Abs. 1 RVO) über die 13. Woche nach dem Unfall
hinaus andauern und ihre Erwerbsfähigkeit um wenigstens ein Fünftel mindern. Die MdE richtet sich nach dem
Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden
verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (so jetzt § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB 7).
Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird die Vollrente geleistet, bei einer MdE wird eine Teilrente geleistet in Höhe des
Vomhundertsatzes der Vollrente, der dem Grad der MdE entspricht (§ 581 Abs. 1 Ziffer 2 RVO).
Entsprechend der Regelung des § 1585 RVO hatte die Beklagte der Klägerin wegen der Folgen des Arbeitsunfalls
vom 31. März 1995 mit Bescheiden vom 10. Juli und 14. August 1996 eine vorläufige Verletztenrente nach einer MdE
von 20 v.H. für die Zeit ab 21. Juli 1995 gewährt, worüber die Beteiligten nicht streiten. Gemäß § 1585 Abs. 2 Satz 1
RVO musste die Beklagte spätestens mit Ablauf von zwei Jahren nach dem Unfall die Dauerrente feststellen, was sie
mit streitgegenständlichem Bescheid vom 15. Januar 1997 getan hat, in dem sie die vorläufige Rente mit Ablauf des
Monats Januar 1997 entzogen und die Gewährung einer Dauerrente abgelehnt hat. Die Beklagte hatte nach § 1585
Abs. 2 RVO im Dauerrentenbescheid vom 15. Januar 1997 ohne Bindung an die vorher getroffenen Feststellungen -
insbesondere ohne Bindung an den Jahresverdienst und die Höhe der MdE (dazu Bereiter-Hahn, Schieke, Mehrtens,
Gesetzliche Unfallversicherung, Handkommentar, Anm. 8 zu § 1585 RVO) - über die Gewährung einer Dauerrente zu
entscheiden.
Die Klägerin hatte sich am 31. März 1995 beim Sturz auf eisglattem Gehweg den linken Außenknöchel gebrochen.
Die Beklagte hat die verbliebenen Unfallfolgen mit streitigem Bescheid vom 15. Januar 1997 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 11. März 1997 zutreffend anerkannt. Die auf orthopädischem Gebiet verbliebenen
Unfallfolgen mindern die Erwerbsfähigkeit der Klägerin nach den übereinstimmenden Gutachten der Dres. Sch. und H.,
BGUK, vom 11. November 1996, das im Verwaltungsverfahren erstattet wurde und vom Senat im Wege des
Urkundenbeweises zu verwerten ist, sowie den gerichtlichen Sachverständigengutachten des Dr. K. vom 26. Juni
1998 und des Orthopäden W. vom 13. August 1999 um nicht mehr als 10 v.H. was zwischen den Beteiligten auch
nicht umstritten ist.
Über diese nicht mit einer rentenberechtigenden MdE zu bewertenden Unfallfolgen auf orthopädischem Gebiet hinaus
sind keine weiteren Leiden der Klägerin als unfallbedingt anzuerkennen - insbesondere keine Erkrankung auf
psychischem Gebiet.
Nach der in der unfallmedizinischen Literatur (Schönberger, Mehrtens, Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6.
Aufl., S. 213 ff.) und Rechtsprechung (BSG in Breithaupt 1988, 108) herrschenden Auffassung ist der
Krankheitsbegriff der gesetzlichen Unfallversicherung nicht auf Beeinträchtigungen im körperlich und geistigen Bereich
beschränkt. Er umfasst auch seelische und seelisch bedingte Störungen, wenn diese durch einen Willensentschluss
des Betroffenen nicht oder nicht mehr zu beheben sind. Dabei ist jeder Versicherte grundsätzlich in dem Zustand
geschützt, in dem er sich bei seiner Arbeit befand, also auch mit einer entsprechenden vorbestehenden psychischen
Krankheitsanlage. Auf der Grundlage der in der gesetzlichen Unfallversicherung anzuwendenden Theorie von der
wesentlichen Bedingung (dazu Schwerdtfeger in: Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, SGB 7, Kommentar,
Anm. 36 zu § 8) ist die Bedeutung des Unfallereignisses einerseits und der Krankheitsanlage andererseits in ihrer
Beziehung zur psychischen Reaktion des Betroffenen rechtlich wertend abzuwägen. Diese Bewertung ist immer
individuell auf die konkret betroffene Person und nicht auf die normale Reaktionslage eines Durchschnittsmenschen
zu beziehen. Der Zusammenhang ist zu bejahen, wenn der Unfall und seine Folgen nach Eigenart und Stärke
unersetzlich und mit anderen alltäglich vorkommenden Ereignissen nicht austauschbar sind. Akute abnorme
Reaktionen kommen als Unfallfolgen in Betracht, wenn sich die Symptome unmittelbar nach einem schädigenden
Ereignis entwickelt haben, das mit einer so schweren seelischen Belastung verbunden war, dass auch bei
gewöhnlicher seelischer Reaktionsweise eine ausgeprägte Reaktion zu erwarten gewesen wäre. In der Regel klingen
diese psychischen Folgen in wenigen Monaten, selten im Verlauf von ein bis zwei Jahren ab. Bei Chronizität der
Verläufe wird aus psychiatrischer und psychoanalytischer Sicht betont, nur schweren psychischen Traumen, die zu
einer Umstrukturierung des Ichs führten, sei der Stellenwert einer wesentlichen oder zumindest gleichwertigen
Ursache für das Ingangkommen einer psychischen Störung beizumessen. Psychisch bedingte Gesundheitsstörungen
können allerdings nicht als Unfallfolge Anerkennung finden, sofern sie im Wesentlichen auf wunschbedingten
Vorstellungen beruhen. Die Simulationsnähe neurotischer Störungen und die Schwierigkeit, solche Störungen von
Fällen der Simulation und Aggravation klar zu unterscheiden, gebieten, eine eindeutig abgegrenzte Beweisantwort
vom ärztlichen Sachverständigen zu verlangen und bei der Beweiswürdigung einen strengen Maßstab anzulegen
(BSG in SozR 2200 Nr. 26 u § 581 RVO). Gelingen eindeutige Feststellungen nicht, trägt der Betroffene die Folgen
der Nichtaufklärbarkeit seelischer Störungen, ihrer Unüberwindbarkeit aus eigener Kraft und ihrer Auswirkungen auf die
Arbeits- und Erwerbsfähigkeit (Schönberger u.a., a.a.O., S. 227).
Nach dem Gutachten des behandelnden Neurologen und Psychiaters Dr. St. vom 29. September 2000 leidet die
Klägerin an einer schweren depressiven Erkrankung ohne psychotische Symptomatik, die infolge traumatischer
Erlebnisse in der Kindheit entstanden und durch erneute lebensgeschichtliche Traumatisierungen vor allem während
der beiden Ehen der Klägerin unterhalten und verstärkt wurden. Eine durch Arbeitsunfall bedingte Entstehung dieser
Erkrankung wird von Dr. St. wie auch der Klägerin selbst nicht angenommen, die vielmehr von einer wesentlichen
Verschlimmerung der vorbestehenden Erkrankung durch den Arbeitsunfall ausgehen. In Übereinstimmung mit der
erstinstanzlichen Entscheidung und dem gerichtlichen Sachverständigen Dr. G. in dessen Gutachten vom 9. April
2001 konnte der Senat indessen auch eine unfallbedingte Verschlimmerung der vorbestehenden seelischen
Erkrankung der Klägerin nicht anerkennen. Um eine Erkrankung im Sinne der Verschlimmerung anzuerkennen, muss
zunächst ein klinisch-manifester, mit objektivierbaren Veränderungen verbundener Krankheitszustand vor dem
Unfallereignis nachweisbar vorhanden gewesen sein. Soll eine unfallbedingte Verschlimmerung begründet werden, ist
das Gesamtleiden rechtlich in den beruflich bedingten und den davon unabhängigen, vorbestehenden, auf die Anlage
zurückzuführenden Teil zu zerlegen. Der verschlimmerungsbedingte Anteil ist abzugrenzen und unter Beachtung des
Vorschadens allein zu entschädigen. Nur dieser Anteil ist der schädigenden Einwirkung zuzurechnen. Eine
Verschlimmerung ist als dauernd anzusehen, wenn die verschlimmernde Wirkung bestehen bleibt (dazu
Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Aufl., S. 87, 88, 159).
Dr. St. hat diese zur Anerkennung der depressiven Entwicklung der Klägerin im Sinne der Verschlimmerung zu
fordernden Vorgaben nicht beachtet. Er hat nicht herausgearbeitet, welche Funktionsverluste bei der Klägerin vor
Erleiden des Arbeitsunfalls bestanden, was offensichtlich auch deswegen nicht gelingen konnte, weil die Klägerin vor
dem Unfall wegen ihrer vorbestehenden seelischen Erkrankung keine (fach)ärztliche Behandlung nachgesucht hatte.
Denn eine erste fachpsychiatrische Behandlung hat wohl erst bei Dr. St. und zwar im Februar 1998 und damit fast drei
Jahre nach dem Arbeitsunfall begonnen. Weitergehend hat Dr. St. das Gesamtleiden der Klägerin nicht in einen
beruflich bedingten Verschlimmerungsanteil und einen vorbestehenden anlagebedingten Teil der Erkrankung
aufgegliedert, wobei die Beklagte überhaupt nur für den unfallbedingten Verschlimmerungsanteil einstandspflichtig
sein könnte. Zudem hat Dr. St. nicht überzeugend begründet, dass und inwieweit die erst Jahre nach dem
Arbeitsunfall behandelte psychiatrische Symptomatik der Klägerin wesentlich bzw. richtunggebend und dauerhaft
gerade durch den Arbeitsunfall verschlimmert worden ist. Es ist nicht erkennbar geworden, welche funktionelle, MdE-
begründende Einschränkungen die Klägerin zeitnah nach dem Arbeitsunfall entwickelt hat, die vorher nicht bestanden
hätten und damit als Folge des Arbeitsunfalls überhaupt diskutabel wären. Soweit Dr. St. in seiner ergänzenden
Stellungnahme vom 5. August 2002 auf den Einwand des Fehlens zeitnaher psychiatrischer Befunde mit der
Einschätzung reagiert, die verzögerte Reaktion der Klägerin sei letztlich als Re-Traumatisierung durch Ablehnung der
Unfallrente und nicht im Sinne der Klägerin verlaufener "ärztlich-institutioneller Abläufe (Gutachten, Gerichte)"
aufzufassen, begründet auch dies eine Entschädigungspflicht der Beklagten nicht. Denn eine derartige Reaktion ist
typischerweise Ausfluss wunschbedingter Vorstellungen, die eine Entschädigung durch Leistungen der gesetzlichen
Unfallversicherung ausschließen. Nach den in der Rechtsprechung und auch vom Senat insoweit geforderten strengen
Maßstäben der Beweiswürdigung kann eine "Re-Traumatisierung" durch Leistungsablehnungen im Verfahrensverlauf,
durch nachfolgende Begutachtungen und gerichtliche Entscheidungen in aller Regel einen als mittelbare Unfallfolge zu
entschädigenden weiteren Verlust an Erwerbsfähigkeit nicht begründen. Wie Dres. G. und Sch. sowie das SG konnte
auch der erkennende Senat daher mangels zeitnah zum Arbeitsunfall festgestellter, eine wesentliche,
richtunggebende und dauerhafte Verschlimmerung bestätigender Befunde auf psychiatrischem Gebiet eine
maßgebliche unfallbedingte Verschlimmerung der seelischen Erkrankung der Klägerin nicht bestätigen. Dies gilt vor
allem auch im Hinblick darauf, dass der weitere Verlauf der Erkrankung mit Beginn einer fachpsychiatrischen
Behandlung erst etwa drei Jahre nach dem Arbeitsunfall und zeitlich nach Entziehung der Verletztenrente eine
eindeutige Abgrenzung zu einer wunschbedingten Entschädigungshaltung bei der Klägerin nicht erlaubt.
Eine nochmalige Befragung des Dr. St. nach dessen im Berufungsverfahren eingeholter ergänzender Stellungnahme
vom 5. August 2002 war weder von Amts wegen noch auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG geboten. Soweit die
Klägerin nach § 109 SGG von ihrem Recht auf persönliche Befragung des Sachverständigen Gebrauch machen will
(§§ 116 Satz 2 SGG, 402, 397 Abs. 2 Zivilprozessordnung -ZPO-), liegen die Voraussetzungen auch dazu nicht vor.
Denn die Klägerin hat nicht begründet, weshalb trotz des schriftlichen Gutachtens vom 29. September 2000 und der
ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen hierzu vom 5. August 2002 eine nochmalige Vernehmung des
Sachverständigen erforderlich ist (zu den Voraussetzungen Urteil des BSG vom 12. April 2000 in: Breithaupt 2000,
863, 866; Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 7. Aufl., § 118 Anm. 12 h). In welche Richtung die Klägerin Fragen
an den Sachverständigen hat, durch deren Beantwortung der Sachverhalt weiter geklärt werden soll, hat sie auch auf
wiederholtes Anschreiben vom 7. Mai 2003 nicht dargelegt. Dass zwei Sachverständige zu einer unterschiedlichen
Beurteilung einer Zusammenhangsfrage gelangen, ist allein kein Grund zu einer weiteren Beweiserhebung in dem
begehrten Sinne (Meyer-Ladewig, a.a.O., § 118 Anm. 12 h). Aufgabe des Gerichts ist es in diesen häufig
anzutreffenden Konstellationen vielmehr darzulegen, inwieweit und aus welchen Gründen es sich dem einen und nicht
dem anderen Sachverständigen anschließt, was vorstehend im Detail begründet wurde. Von Amts wegen war eine
solche wiederholte Anhörung nicht geboten, da Dr. St. im Auftragsschreiben vom 2. April 2002 nochmals die
entscheidungserheblichen Fragestellungen vorgegeben wurden und er auf die von ihm maßgeblich zu diskutierenden
Einwände gegen die Anerkennung von Unfallfolgen auf psychischem Gebiet im Sinne der Entstehung bzw. der
Verschlimmerung eingehend hingewiesen wurde. Die gegen die zutreffende erstinstanzliche Entscheidung gerichtete
Berufung der Klägerin war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2
SGG.